Zuerst die Vorgeschichte:
Vor einiger Zeit unterhielt ich mich mit der Klassenlehrerin meiner Langen darüber, dass so sehr viele Kinder heutzutage überhaupt keine Phantasie mehr haben. Sie klagte, weil sie den Kindern eine Geschichte vorgelesen hatte, die sollten sich ausdenken, wie es vielleicht weitergehen könne. Einige machten das ganz toll, die meisten starrten Löcher in die Luft. Auf Nachfrage waren die Luftgucker dann allesamt jene, denen zuhause nie oder nur ganz selten vorgelesen wird.
Da ich weiß, dass dies an anderen Schulen ganz normal ist, hatte ich ihr angeboten, dass ich gerne mal vorbeikommen und den Kindern einfach nett was vorlesen würde. Egal, ob nun nachmittags als Sonderaktion oder im Unterricht. Sie war direkt Feuer und Flamme, besprach sich mit dem Kollegium. Alle fanden das toll.
Sie stellte die Idee auf dem nächsten Elternsprechtag vor. Es war auch im Gespräch, dass ich mit den Kindern Lese- und Textverständnisübungen machen könnte (was die Zustimmung aller Eltern verlangt hätte), das aber auch nur, wenn sich noch weitere Eltern fänden. Dabei wurde von einigen Eltern spontan geblockt: "Was soll denn der Schwachsinn jetzt, ICH lese meinem Kind immer vor!"
Es fanden sich keine weiteren Eltern, die dazu bereit waren. Die Übungsidee fiel komplett unter den Tisch. Dafür wurde die Idee in der Parallelklasse und der 2. Klasse aufgegriffen, da waren die Eltern alle begeistert.
Nun denn. Mittlerweile war ich ein paar Mal da, in der Förderstunde. Ich lese Pipi Langstrumpf, von 19 Kindern kennen 5 diese Geschichte. Die Kurzen sind absolut begeistert, gehen mit, lachen sich kaputt über die Lügenmärchen, die da erzählt werden. Nach etwa 25 Minuten muss Schluss sein, da sie dann zu unruhig werden und nicht mehr still sitzen können, aber das finde ich für Erstklässler wirklich okay, denn in dieser Zeit lauschen sie 100% konzentriert.
Die Lehrerin nimmt in dieser Zeit immer eines von zwei Problemkindern mit raus, da ist ein Junge, der kaum Deutsch spricht, und ein anderer, der große Probleme beim Lesen hat. Mit denen übt sie dann ganz besonders intensiv.
Gestern war Elternstammtisch. Da mein Mann auf Lehrgang ist, konnte ich nicht teilnehmen. Die Lehrerin hatte darum gebeten, dass noch einmal besprochen werden sollte, ob nicht doch noch Eltern bereit wären, an der Vorleseaktion mitzuwirken.
Eben war ich im Kiga. Die stellvertretende Klassenpflegschaftsvorsitzende hat ebenfalls ein Kind in dieser Gruppe und stürmte nun wie eine Furie auf mich los!
Sie: "SAG MAL, WAS SOLL DIESER SCHEIß MIT DEM VORLESEN EIGENTLICH!!!"
Ich: Blubb.
Sie: "WIR HABEN UNS JA GESTERN DARÜBER UNTERHALTEN UND SIND NICHT DAHINTERGEKOMMEN, WARUM MACHST DU DAS???"
Ich: Um den Kindern eine schöne Geschichte vorzulesen, damit sie mal eine halbe Stunde am Stück einfach nur still sitzen und sich intensiv mit einer Sache auseinandersetzen. Es werden Fragen gestellt und sich mit dem Text beschäftigt. Die Phantasie soll angeregt werden.
Sie: Aha. UND DIE LEHRERIN SITZT DABEI UND TRINKT KAFFEE? WIR HABEN ECHT DAS GEFÜHL, DAS SOLL EINE ELTERLICHE ENTLASTUNGSAKTION FÜR FAULE LEHRER SEIN."
Ich: Nein, die Lehrerin geht in dieser Zeit mit lernschwachen Kindern raus und betreut diese intensiv.
Sie: Aha. IST TROTZDEM QUATSCH, WIR LESEN UNSEREN KINDERN ZUHAUSE SCHON GENUG VOR!"
Ich: (denke mir: ach, daher kennt dein Töcherchen all die feinen Ausdrücke, und deshalb ist dein Söhnchen so aggressiv und verhaltensauffällig): "Nun, es gibt in dieser Klasse Kinder, denen nicht vorgelesen wird."
Sie: Dreht sich wortlos um und stürmt hinaus.
Und ich fühle mich jetzt angekotzt und weiß nicht, was das soll.
Ich würde gerne damit weitermachen. Die Kinder freuen sich wie verrückt, wenn ich komme, sie sind total dankbar für die Lesezeit. Die Lehrerin kann die Zeit sehr, sehr sinnvoll nutzen.
Aber wenn das so schon abgelaufen wäre, bevor ich das 1. Mal gelesen hätte, dann hätte ich die Sache abgeblasen. Und ich habe auch Sorge, dass die blöde Tussi die anderen Eltern aufstachelt und die Klassenlehrerin gezwungen wird, dass so etwas nicht mehr stattfinden darf.
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Nun, dass es sinnvoll ist, Kindern vorzulesen, durchaus auch mehrmals am Tag, durchaus von nicht pädagogisch gebildeten Helfern, braucht gar nicht diskutiert zu werden. Das eine personell unterbesetzte Schule mit einem recht hohen Anteil Russlanddeutscher Kinder, die kaum ein Wort Deutsch sprechen, Hilfe gebrauchen kann, um die Lernschwachen und Fremdsprachigen zu fördern, auch nicht.
Für mich interessant ist die Frage:
Woher kommt diese Blockadehaltung? Was bewegt Eltern, ihre Kinder von jedem Funken Bildung zuviel fernzuhalten? Warum diese Aggression? Es wurde keinem Elternteil vorgeworfen, sie würden sich nicht um ihre Kurzen kümmern und deshalb käme jetzt eine Sonderaktion.
Ich verstehe es einfach nicht.