Numerus-Clausus-Urteile

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Traitor
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Do 2. Feb 2006, 00:10 - Beitrag #1

Numerus-Clausus-Urteile

Siehe die Spiegel-Artikel zu zwei Gerichtsurteilen:
Vor einiger Zeit wurde in München entschieden, die Abiturnote dürfte nicht reines Kriterium sein, man müsse nach Landesunterschieden urteilen. In NRW entschied man dann gegenteilig.

Letzteres Urteil finde ich absolut nachvollziehbar. Aber ersteres? Wie verquer müssen die Juristenhirne denken, um ernsthaft zu behaupten, "Landesquoten, die genau festlegen, wie viel ein Abitur in einem bestimmten Bundesland wert ist" würden gegenüber einer gleichen Bewertung aller gleichnotigen Abiture den "Grundsatz der Gleichbehandlung" besser berücksichtigen? Und dass es ein Misstand sei, dass "Studienplätze ausschließlich nach dem Grad der Qualifikation vergeben werden"?

janw
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Do 2. Feb 2006, 00:36 - Beitrag #2

Naja, es ist schon ein Problem, daß das bayerische (Zentral)Abitur schwerer ist als das Abitur in Niedersachsen und anderswo. Bei einem sich nach dem Notendurchschnitt richtenden Studienplatzvergabesystem bedeutet das für die bayerischen Schüler eine Erschwernis. Die Frage ist nur, ob man dies mit Quoten wirklich beheben kann, oder ob man nicht neue Ungerechtigkeiten schafft, weil auch Nicht-Bayern nicht homogen ist - und wonach soll da gemessen werden?
Ich denke, das Problem ist der Föderalismus in der Bildungspolitik. Bestimmte Dinge, wie welches Wissen vermittelt werden soll, sollten IMHO doch eher bundeseinheitlich geregelt werden.
Oder man muss auch soziale Faktoren hinein bringen - ein Schüler im Ruhrgebiet oder in Berlin kann nichts dafür, daß erhöhter sozialer Stress den Lernerfolg beeinträchtigt. Aber die dadurch entstehende Verwirrung kann selbst der Board-Wirre nicht gutheißen ;)

Lykurg
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Do 2. Feb 2006, 01:32 - Beitrag #3

Nein, die wirklich wesentlichen Unterschiede bestehen zwischen unterschiedlichen Schulen innerhalb der Bundesländer. Und dabei ist eine Länderquote grob verzerrend. Egal, wie weit ein Landesdurchschnitt, wenn man die vielen Komponenten überhaupt in einer Note zusammenfassend über einen Kamm scheren mag, von einem anderen Landesdurchschnitt abweichen mag, behandelt man zwangsläufig die Absolventen seiner anspruchsvollsten (und -losesten) Schulen ungerecht, wenn man sie nach diesem Landesdurchschnitt einstuft. Ein Bayer, der allen Ernstes behaupten wollte, die schlechtesten Schulen des Südens seien allen des Nordens überlegen, sollte sich unbedingt einer Luftveränderung unterziehen.

Solche Festschreibungen lassen sich eventuell nach Einführung des Zentralabiturs in allen Bundesländern treffen. Ich bezweifle aber dennoch die Aussagekraft eines solchen Vergleichs.

Maglor
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Do 2. Feb 2006, 15:48 - Beitrag #4

Lykurg hat recht, die Unterschiede zwischen den unterschiedlichen Schule sind viel gravierender. Letztlich wird es wohl auf ein Lob der Privaten hinausgehen, so kommen wir dann dem angelsächsischen Bildungssystem Schritt für Schritt näher. ;)
Letztlich ist aber so eine Landeshierarchie im föderalen Deutschland unmöglich. Es kann einfach keine Institution geben, die eine Hierarchie der Länder aufstellt.
MfG Maglor :rolleyes:

Padreic
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Do 2. Feb 2006, 16:27 - Beitrag #5

Ich denke, man muss noch zwei verschiedene Dinge unterscheiden: ob man irgendwo weniger lernt und deshalb schlechter abschneidet oder ob man für die gleiche Leistung andere Noten bekommt. In einem Land mit Zentralabitur ist das letztere Problem zu wesentlichen Teilen gelöst.
Ich glaube, man kann dem, dass die Schüler in Bayern benachteiligt werden beim Numerus Clausus, weil sie im Durchschnitt schlechtere Noten haben, nicht wirklich widersprechen. Ich glaube auch, dass das Maß der Ungerechtigkeit verringert werden könnte, würde versucht, die Länder mit in die Wertung miteinzubeziehen. Man muss eben abwägen, zwischen einer größeren, aber "natürlichen" Ungerechtigkeit, oder einer etwas kleineren, dafür aber mehr willkürlich gestalteten Ungerechtigkeit...oder man macht bundesweit einheitliche Prüfungen.

Feuerkopf
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Do 2. Feb 2006, 18:30 - Beitrag #6

Benotung ist immer Pseudogerechtigkeit, das weiß jeder, der je Noten bekam oder gab.
Ich war z. B auf einem Gymnasium, dessen Lehrerschaft sich etwas darauf einbildete, besonders streng zu sein. Folge: Die Jahrgangsbeste von uns (1976) hatte einen Abischnitt von 2.0! Auch wir hatten damals durchaus mit hohen NCs zu kämpfen.
Schon zu der Zeit war bekannt, auf welche Schule man gehen musste, um ein Einser-Abi zu bekommen, nämlich auf jenes, das die Söhne und Töchter der Rechtsanwälte und Ärzte beherbergte.
In NRW geriet die Zensurengerechtigkeit endgültig ins Wanken, als die Gesamtschulen mit ihrer Allgemeinen Hochschulreife eingeführt wurden. Es mag da große Unterschiede von Schule zu Schule geben, aber es gab auch welche, die - sagen wir mal vorsichtig - großzügig mit der Benotung waren.

Dei Privatgymnasien hier in der Umgebung hatten übrigens den Ruf, nicht Kaderschmieden, sondern Durchschleuseinrichtungen für etwas tumbe Blagen wohlsituierter Eltern zu sein. :cool:

Der Numerus Clausus ist generell Blödsinn. Welche Folgen die Bevorzugung der Auswendiglerner und Streberleichen hat, kann man bei manchem Arztbesuch feststellen. Da entschied nicht die Eignung, sondern das Schielen auf den möglichen Verdienst die Berufswahl.
(Ich nehme mal ganz bewusst die 2 - 5 % wirklich klugen Köpfe aus, die in jedem Jahrgang dabei sind.)

nazgul
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Do 2. Feb 2006, 19:58 - Beitrag #7

Bundeseinheitliche Prüfungen auf hohem Standard (also eher Bayern-Abi für alle als allen NRW-Like das abi zu schenken) wären ein Anfang.

Und: Statt gesamtschulen und anderer Schnapsideen wieder mehr Aufteilen.

Divide et impera.

Etwa in:
1. Brettergymnasium
2. Pflichschule (Für leute die nix können, keinen Bock haben oder einfach kein Deutsch sprechen) (also etwas unter der Hauptschule)
3. Hauptschule (Für alle einfachen Handwerkslehren als Vorbereitung)
4. Realschule (Als vorbereitung für alles was Kaufmann werden will)
5. Gymnasium - Wirtschaftl. (Als vorbereitung für alles was in Richtung juristerei/wirtschaft/politik etc geht)
6. Gymnasium - Nat-W. (Für alle Wissenschaften/Medizin als vorbereitung)
7. Hauswirtschaftsschule (Für alles was Hausfrau/Nanny oder ähnliches werden will)

Bei den beiden Gymnasial-Formen darf hinterher ruhig ein gleichwertiges abi rauskommen was Deutsch/Mathe/Englisch angeht, aber man wird spezifischer auf die Zeit nach der Schule vorbereitet.

Grundschulzeit wird verkürzt auf 3 Jahre. wer das nicht packt (gibt es sowas ernsthaft?) darf halt auf die langsamere "Grundschule für Maximal-90iger wechseln (und dann evtl. Karriere über 1.)

Heute ist es ja eher so, das man in der Orientierungs-Stufe schon leute hat die Nachhilfe brauchen. Schüler die von den Eltern aufs Gymnasium gezwungen werden, weil HS/RS-Abschlüsse ja (berechtigterweise?) nix mehr wert sind (was damit auch die Qualität des Abitures ruiniert).

Grade bei den Klassischen NC-Fächern Medizin/Pharmazie ist der NC ne irelevante größe - meint da _müssen_ eignungstests her. Man kann das Studium bestimmt schaffen ohne sein Hirn für Transfer anzustrengen (WIe in der Schule ;-) nur gibt das keine guten Ärzte/Pharmakologen.

Traitor
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Sa 4. Feb 2006, 19:12 - Beitrag #8

Man sollte keine Threads starten, wenn man an den Folgetagen keine Zeit zum Antworten hat...

Es ist klar, dass ein statistisches Ungleichgewicht sowohl der tatsächlichen Leistungen als auch der auf diese folgenden Noten zwischen den Bundesländern gibt. Aber diese kann man nur strukturell bekämpfen, nicht durch das Einführen anderer Diskriminierungen auszugleichen versuchen.
Gedankenexperiment: Man nehme zwei bayrische Schüler, denen einstimmig ein Abi mit 1,0 prognostiziert wird. Nun lasse man den einen sein Abi in Bayern beenden, er erhält seine 1,0. Der andere zieht kurz vorher nach NRW um und macht dort, mit derselben Qualifikation, wie wenn er zuhause geblieben wäre, sein Abi - trotz der dort niedrigeren Ansprüche natürlich auch nur mit 1,0. Nun bewerben sich beide an der Uni München. Der in Bayern gebliebene wird mit 1,0 angenommen, aber die 1,0 des nach NRW gegangenen wird als schlechter als die 1,2 eines dritten Bayern gewertet und er bekommt keinen Studienplatz.
Das kann es ganz definitiv nicht sein. Zum einen gibt es die fälschliche Gleichmachung der Einzelschulen eines Landes, zum anderen den oben beschriebenen Effekt, dass die Spitzenschüler aus "schlechten Ländern" benachteiligt werden. Und gerade die Eliteförderung hat man sich doch neuerdings (endlich!) auf die Fahnen geschrieben.

janw
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Sa 4. Feb 2006, 20:10 - Beitrag #9

Nun kann man sich fragen, was die Exzellenzprogramme der Unis mit den Studiengängen zu tun haben. Letztlich sollen alle Studiengänge solides Wissen in den jeweiligen Fächern vermitteln, nicht weniger und auch nicht viel mehr.
Die Förderung der Eliten kommt danach, indem diese gezielt auf eine Promotion hin gelenkt werden - im letzten Teil des Studiums, bei der Vergabe des Diplomthemas z.B. oder bei der Annahme externer Dipl-wais zur Promotion.

Was uns in meinen Augen hemmt, im Vergleich z.B. mit Frankreich, ist die dezentrale Zersplitterung des Schulsystems in Deutschland.
Bundeseinheitliche Standards wären besser in meinen Augen, und ein Schulsystem, das allen Begabungs- und Erschwernisniveaus versucht gerecht zu werden, dabei aber durch Vergleichssysteme gleiche Aussagekraft der Noten zu gewährleisten.

Traitor
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So 5. Feb 2006, 00:45 - Beitrag #10

etztlich sollen alle Studiengänge solides Wissen in den jeweiligen Fächern vermitteln, nicht weniger und auch nicht viel mehr.
Das ist für mich letztlich eine der zentralen Fehlinterpretationen der Institution "Universität" in den letzten Jahrzehnten. Wer eine solide Grundausbildung in einem Fach haben will, um damit dann in der Wirtschaft zu verschwinden, für den sollten meines Erachtens die Fachhochschulen gedacht sein. Universitäten sollten bereits vom Prinzip her etwas elitäres an sich haben, so dass nicht künstlich die Ansprüche gesenkt und sinnlose "Praxisbezüge" eingebaut werden müssen, um den Arbeitsmarkt zufriedenzustellen. Ein Diplom ist bereits ein elitärer Abschluss - oder war es, muss man wohl leider schon bald sagen, denn es wird zwecks noch größerer Vermischung von Uni, FH und ausländischen Systemen ja abgeschafft und durch Bachelor/Master ersetzt.

janw
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Sa 29. Apr 2006, 23:36 - Beitrag #11

Traitor, ich kann Deinen Gedanken sehr gut nachvollziehen, aber aus eigener Erfahrung sehe ich ihn als eine Rechnung ohne den Wirt bzw. die Unwägbarkeiten des Lebens an.
Konkret hatte ich auch den Gedanken, Wissenschaft zu machen, wenn möglich - daneben wollte mich jemand in Richtung einer Selbständigkeit lenken, was ich so als zweite Option ansah.
Am Ende hätte ich sehr wohl eine wissenschaftliche Laufbahn verfolgen können, die allerdings für Biologen, die nicht gerade im Biotech-Bereich verwurzelt sind, ein existenzgefährdendes Abenteuer sein kann. Mit einer beträchtlichen familiären Umwälzung im Rücken stellte sich mir die Frage: versuchen, mit Diplom sich auf eine Stelle zu bewerben oder selbständig Geld zu verdienen oder auf materiell dünnem Eis promovieren und danach doch möglicherweise wissenschaftlich nicht gegen die geballte Konkurrenz ankommen, dann aber auch für viele Stellen überqualifiziert zu sein.
Die Beispiele sind legion, wo Biologen in eine Sackgasse promoviert haben, weil der Wissenschaftsbetrieb schlicht nur begrenzt aufnahmefähig ist.

Will sagen, wenn man die Universitäten wirklich primär zur Gewinnung wissenschaftlichen Nachwuchses nutzen wollte, dann müßte man den Zugang so kontrollieren, daß die hinreichend guten Absolventen auch eine reelle Chance haben, im Wissenschaftsbetrieb Fuß zu fassen. Es darf kein existentielles Risiko darstellen, zu promovieren - was es derzeit aber ist.

Ein anderer Gesichtspunkt...eine solche Ausrichtung hätte zur Folge, daß Verwaltung und Wirtschaft schwerpunktmäßig nur Absolventen der Fachhochschulen bekämen, dazu eben die Schlechten der Uni-Absolventen.
Ich kann bei dem, was mir an FH-Landschaftspflegern und dergl. begegnet, davor nur warnen. Es sind Allgemein-mehroderweniger-Könner, die davon aber nichts richtig können und zudem nichts Relevantes. Stell sie auf eine Orchidee, und sie werden es nicht merken. Es ist so, in 50% der Pläne wird inhaltlich die Urzeugungstheorie vertreten.

Insgesamt stellt sich mir damit die Frage nach der Existenzberechtigung der Fachhochschulen. Für mich sind sie nicht, was der name impliziert, Hohe Schule, sondern irgendetwas im Sinne eines höheren Fachgymnasiums. Möge man mich dafür geißeln.

Lykurg
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So 30. Apr 2006, 00:15 - Beitrag #12

Eben das finde ich aber auch gerechtfertigt, janw. Würde man die Fachhochschulen abschaffen, würde damit der Druck auf die Universitäten zunehmen, nur schlanke, verschulte Studiengänge ohne viele Wahlmöglichkeiten und Freiräume zu schaffen, wie es eben derzeit von Fachhochschulen geleistet wird. Die wissenschaftliche Tiefe würde darunter letztlich leiden.

Die Zugänge zur Promotion (abgesehen von notwendigen Vorleistungen) zu erschweren, sehe ich schwer vereinbart mit der Freiheit der Forschung (GG Art. 5,3) und sowieso der Freiheit der Universitäten (etwa Landesverfassung NRW, Art. 16,1):
Die Universitäten und diejenigen Hochschulen, die ihnen als Stätten der Forschung und der Lehre gleichstehen, haben, unbeschadet der staatlichen Aufsicht, das Recht auf eine ihrem besonderen Charakter entsprechende Selbstverwaltung im Rahmen der Gesetze und ihrer staatlich anerkannten Satzungen.

Und deine Besorgnis hinsichtlich schlechter Versorgung der Wirtschaft mit geeigneten Kräften überrascht mich.^^ Die kann immerhin durch erhöhte Löhne und eigene Weiterbildungsmaßnahmen Steuermechanismen verwenden, die wesentlich feiner zu justieren sind als die staatlichen Hebel.

janw
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So 30. Apr 2006, 02:35 - Beitrag #13

Lykurg, sicher würde ein solcher Druck auf die Universitäten zurollen, allerdings sehen sie diesen jetzt schon und geben ihre Standards anheim, mehr oder weniger ohne jede Not.
Zumindest die Verwaltungen bedienen sich zunehmend bei den Fachhochschulen - das Personal ist günstiger, vermeintlich "praxisnäher", was gleichbedeutend ist mit "charakterlich eher subaltern", und die geringere Kompetenz ist insofern hilfreich, als Verwaltungsspitze und Politik damit leichter ihre Interessen verfolgen können.

Das Hauptproblem sehe ich darin, daß Abiturient sich auf ein mehrjähriges Studium (8 Semester=4 Jahre) einläßt und dann nicht mit der Wahl der Studienstätte schon die weitere Laufbahn zementieren will - jeder will doch zunächst so weit kommen können wie ihm möglich.
Und ich bezweifle, daß es objektivierbar möglich ist, eine Nichteignung bei Studienbeginn fest zu stellen - man kann also nicht anders, als alle Bewerber mit hinreichendem NC aufzunehmen. So gesehen ist also der Abiturienten-Berg die Wurzel des Übels, könnte man bösartig formulieren.

Die Fachhochschule hat letztlich einzig und allein eine sachliche Berechtigung im System, insofern als sie die Anschlußstätte ist für jene, die nur die Fachhochschulreife erworben haben.

MartinR
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Mi 3. Mai 2006, 12:14 - Beitrag #14

Die Bewertung eines Schülers nach seinen Noten ist alles(!) Nur nicht gut...

Wie hier schon angesprochen, finde ich es gar nicht gut, wenn in Deutschland Schulabschlüsse unterschiedliche Werte haben.
Einem Schüler nun den weiteren Weg zu verbauen, weil er in der Schule nicht so gut war ist doch unfug! Es ist ein Jugendlicher, der vielleicht noch gar nicht weiß, was er denn mal machen möchte. Mein Problem in der Schule war, daß ich ein Nachtmensch bin und morgens um 8:00 für gewöhnlich erst 3 Stunden geschlafen habe. Da muß man zwangsläufig schlecht sein in der Schule.

Im Grunde ist jedes Auswahlverfahren schlecht. Für mich spricht das zudem gegen die Grundgesetzlich zugesicherte freie Berufswahl. Ein Kind kann doch kaum wissen, was es nach der Schule machen will. Wird aber schon mit 10 Jahren bewertet und in eine Schulform gesteckt. Danach ist doch jeder Zug abgefahren.

Lykurg
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Mi 3. Mai 2006, 12:34 - Beitrag #15

Ein Kind kann doch kaum wissen, was es nach der Schule machen will. Wird aber schon mit 10 Jahren bewertet und in eine Schulform gesteckt. Danach ist doch jeder Zug abgefahren.
Ganz so scharf sehe ich die Einteilung nicht; einerseits ist mE die familiäre Sozialisation sehr zentral, insofern eine kaum umkehrbare Entscheidung noch deutlich früher; andererseits gibt es zumindest in Einzelfällen auch erfolgreiche Aufstiege (und Abstiege) zwischen den Schulformen - völlig zementiert ist man damit nicht. Und " Im Grunde ist jedes Auswahlverfahren schlecht." mag bis zu einem gewissen Grade stimmen, aber ohne Auswahlverfahren funktioniert es eben nicht, sonst hat man durch Überfüllung miserable Zustände und anschließend eine infolgedessen nicht (oder nicht ohne Repetitorium) zu bewältigende Abschlußprüfung. Ich halte diesen Zustand bei den Juristen für absolut unhaltbar. Da wäre eine Aufnahmeprüfung mE wesentlich besser.

Zur Verwendung eines NC als Kriterium dafür: Wer kann besser entscheiden, wer an ihr Chancen hat, als die Universität selbst? Außerdem: So allgemein und zugleich so speziell, wie für viele Studienfächer erforderlich, kann die Schule überhaupt nicht notwendige Fähigkeiten überprüfen - das ist auch einfach überhaupt nicht ihre Aufgabe. Zugleich können die Universitäten damit viel besser auf eventuelle Besonderheiten eingehen (jemanden trotz Überfüllung aufnehmen, weil er ein ganz bestimmtes, reizvolles Interessenprofil hat). Wie sollte das die ZVS oder eine andere Vergabestelle, die nur die NC kennt, bewältigen?

MartinR
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Mi 3. Mai 2006, 13:01 - Beitrag #16

Ausnahmen bestätigen ja jede Regel.
Natürlich kann sich jemand mit Hauptschulabschluss bis zum Hochschulabschluss hocharbeiten.
Bleibt die Frage, ob er dann an der Hauptschule wirklich richtig war...

Wie ich eine Prüfung schaffe hängt eben nicht nur von dem Wissen ab!

Ein für mich sehr guter Freund beispielsweise hat enorme Prüfungsangst (noch viel schlimmer als ich!). Das ging soweit, daß er mehrere Jahre für sein Fachhochschuldiplom gebraucht hat. Erst kurz vor der Exmatrikulation hat der den Bogen noch geschafft. Dabei steht außer Frage ob er das Fachwissen hat! Es ist ein wirklich intelligenter Mensch!!!

Andererseits kannte ich jemand anderen, der in Regensburg Wirtschaftswissenschaften cum lauda abgeschlossen hat als Jahrgangsbeste und in der freien Wirtschaft aber eine Niete ist.
Die Kunst etwas zu "lernen" oder auswendig aufsagen zu können hat nicht viel mit dem Wissen und dem Umgang damit zu tun.

Um wieder von Einzelbeispielen weg zu kommen:
Eine Bewertung vorher kann nie wirklich richtig sein und sollte es auch nicht.
Dafür sind wir Menschen einfach zu verschieden und unser Gehirn zu komplex.
Ein guter Rechtsanwalt zeichnet sich nicht dadurch aus, daß er alle Gesetze auswendig aufsagen kann oder theoretische Fallkonstrukte löst...

Ein kleiner Handwerksbetrieb kann sicher nicht alle Bewerber zur Ausbildung aufnehmen, der muß auswählen.
Ein Hochschulebesuch darf aber doch nicht dadurch beschränkt werden, daß die Hochschule zu klein ist.
Hochschulberufe kann ich nunmal nur da erlernen. Statt ein Auswahlverfahren zu erfinden muß die Anzahl der Studienplätze erhöht werden (die Hochschule vergrößert)!

Es kann doch keine Lösung sein, den leuten weniger Bildung zur Verfügung zu stellen!!!

Die Welt ist da sowieso paradox.
Auf der einen Seite beschweren wir uns seit Jahren über Geburtenrückgänge und auf der anderen Seite kann nicht jeder der möchte einen Beruf erlenen...

Haben wir also nun zuviel Jugendliche oder zu wenige!???

janw
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Mi 3. Mai 2006, 13:43 - Beitrag #17

Also...aus eigener Erfahrung und Beobachtung im Bekanntenkreis sehe ich es so, daß gezeigte Leistung schon jetzt nicht bestimmend ist für den schulischen Werdegang eines Kindes, sondern daß sowohl die Wertung der Leistung im Kontext des Schülers wie auch das gezielte Übergehen von Empfehlungen zumindest maßgeblichen Einfluss auf das Bildungsschicksal vieler Schüler haben.

Das beinhaltet sowohl die Feststellung von Gutwilligkeit und Erkennen der Begrenztheit der Notenaussage durch Lehrer, wie auch die Unterstellung von Willkür, außerdem die Feststellung, daß das Wohl des Kindes dann irrelevant ist, wenn aus der sozialen Wahrnehmung der Eltern heraus eine Begabung nicht so ist, weil sie nicht so sein darf.

Nachher mehr.

Lykurg
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Mi 3. Mai 2006, 13:49 - Beitrag #18

@MartinR (Prüfungsangst, mangelnde Aussagekraft etc.)
Das sehe ich zu einem erheblichen Teil ebenso, meine Antwort darauf sind aber eben eher mehr als weniger Prüfungen. Einerseits läßt sich dadurch (etwa auch in meinem Fall) Prüfungsangst gut reduzieren, andererseits gewinnt man durch viele verschiedene Prüfungen (und Prüfer) ein wesentlich differenzierteres Bild von der Person und ihren Fähigkeiten als durch die eine große Abschlußprüfung, vor der man in Watte gepackt wird (und dementsprechend auch nur in Watte zu waten gewohnt ist).

Unbeschränktes Wachstum der Hochschulen hat tatsächlich zwei problematische Folgen: Die zunehmende Selbstbeschäftigung -> Selbstzweckhaftigkeit -> Unproduktivität einer Arbeitsgröße jenseits x² ;) (schon weil Forschungsarbeiten nicht mehr wahrgenommen werden können); und finanzielle Zwänge. Die "Produktion" von Akademikern ist gesamtgesellschaftlich gesehen wahnsinnig teuer, sie sollte nicht nur zum Vergnügen Einzelner erfolgen.

Traitor
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Do 11. Mai 2006, 19:42 - Beitrag #19

@Jan:
Die Beispiele sind legion, wo Biologen in eine Sackgasse promoviert haben, weil der Wissenschaftsbetrieb schlicht nur begrenzt aufnahmefähig ist.
Wie du selbst schon sagst, muss hier mit Beschränkungen entgegengewirkt werden. Wenn den Studienanfängern bereits klar ist, dass nicht alle Wissenschaftler werden können, die es wollen, werden sie viel genauer überlegen, ob sie sich nicht doch eher in Richtung Praxis orientieren oder, wenn wissenschaftlich, dann ein anderes Fach wählen wollen.
Insgesamt stellt sich mir damit die Frage nach der Existenzberechtigung der Fachhochschulen.
Diese Berechtigung sehe ich durchaus. Die moderne Gesellschaft braucht eine große Zahl hochqualifizierter (jenseits dessen, was Berufsschulen leisten können und sollen) Arbeitskräfte, die aber eben Arbeitskräfte sind, nicht Wissenschaftler, für Industrie, Verwaltung und Wirtschaft. Auf einem Niveau, das irgendwo zwischen derzeitigen quasi nur berufsvorbereitenden Studiengängen an Universitäten und den jetzigen Fachhochschulen liegt, muss etwas angeboten werden, und dazu kann die Fachhochschule ideal weiterverwendet werden.
So gesehen ist also der Abiturienten-Berg die Wurzel des Übels, könnte man bösartig formulieren.
Ein Teil davon, definitiv. Einerseits sollten nicht mehr diejenigen, die sowieso nur eine praktische Ausbildung anstreben wollen, zum Erreichen dafür überdimensionierter Schulabschlüsse gezwungen werden, weil die Konkurrenz diese auch hat, andererseits sollte es aber auch weiterhin jedem, der Interesse und Fähigkeiten dazu hat, möglich sein, sein Abitur zu machen, auch, wenn er danach "nur" auf die Fachhochschule will. Generell muss dieses "nur" weg, die FH sollte nicht einfach eine schlechtere Uni sein, sondern der praktische Zweig der höchsten Qualifikationsstufe.

@Lykurg:
Würde man die Fachhochschulen abschaffen, würde damit der Druck auf die Universitäten zunehmen, nur schlanke, verschulte Studiengänge ohne viele Wahlmöglichkeiten und Freiräume zu schaffen, wie es eben derzeit von Fachhochschulen geleistet wird. Die wissenschaftliche Tiefe würde darunter letztlich leiden.
So weit ist es doch schon, spätestens mit der Umstellung auf Bachelor und Master, die primär den Wünschen der Industrie folgt.
Die Zugänge zur Promotion (abgesehen von notwendigen Vorleistungen) zu erschweren, sehe ich schwer vereinbart mit der Freiheit der Forschung (GG Art. 5,3) und sowieso der Freiheit der Universitäten (etwa Landesverfassung NRW, Art. 16,1):
Ersteres sehe ich nicht verletzt. Ebenso wie das Recht der freien Berufswahl nicht bedeutet, dass der Staat einem auch eine Anstellung garantiert, kann er nicht garantieren, dass jeder in die Spitzenforschung darf, der es möchte. Die Universitäts- und Landesfreiheit wiederum gehört meines Erachtens sogar gezielt beschnitten (eher letztere als erstere), da sie eine der zentralen Wurzeln der Probleme unseres Bildungssystems sind.

@Martin:
Einem Schüler nun den weiteren Weg zu verbauen, weil er in der Schule nicht so gut war ist doch unfug! Es ist ein Jugendlicher, der vielleicht noch gar nicht weiß, was er denn mal machen möchte.
Spätestens in der Oberstufe, regulär also mit 17-19 Jahren, sollte man von Jugendlichen erwarten können, sich über die Relevanz seiner Leistungen für sein späteres Leben bewusst zu sein. Dass dem bei einem Großteil nicht der Fall ist, liegt in meinen Augen sehr stark daran, dass man es ihnen nicht abverlangt. Eine anspruchsvollere Schule mit klarerer Ausrichtung auf den späteren Bildungsweg könnte Reife verlangen und auch produzieren.
Ein Hochschulebesuch darf aber doch nicht dadurch beschränkt werden, daß die Hochschule zu klein ist.
Hochschulberufe kann ich nunmal nur da erlernen. Statt ein Auswahlverfahren zu erfinden muß die Anzahl der Studienplätze erhöht werden (die Hochschule vergrößert)!
Woher willst du die Arbeitsplätze für all die nehmen, die einfach mal so Kunstgeschichte und Gender Studies studieren?

janw
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Do 11. Mai 2006, 22:17 - Beitrag #20

Traitor, nach Dir sollte der Zugang zu Universitäten stärker reglementiert werden. Kann man so sehen, nur kommen die Unis scheinbar nicht selbst auf den Gedanken. Wobei man sich auch überlegen müßte, wie diese Reglementierung durchgeführt werden sollte. Aus eigener Erfahrung und dem von mir zur Relevanz von Noten Gesagten wäre ich nicht dafür, die NCs zu verschärfen, denn die Aussagekraft des Abischnitts für die Studieneignung, gerade auch im Sinne einer Eignung für wissenschaftliches Arbeiten, ist in meinen Augen sehr begrenzt.
Warum kommen die Unis nicht selbst dazu, eigene Eingangsprüfungen oder Vorstellungsgespräche einzuführen?

Die Sache hat jedoch einen gewaltigen Haken, nämlich den, daß es zumindest nur sehr schwer möglich ist, den Bedarf an Hochschulnachwuchs in einem Horizont von 5 Jahren (10 Semester) zu bestimmen - so viel wie sich durch neue Sonderforschungsbereiche, Institutsschließungen usw. verändert - es liefe auf eine Art Planwirtschaft hinaus.
Außerdem ist auch zu berücksichtigen, daß die nachuniversitäre Laufbahn auch stark durch den individuellen Lebenslauf der Absolventen beeinflusst wird - Beziehungssachen, gesundheitliche Entwicklungen, Wandel persönlicher Präferenzen bewirken eine Menge innerhalb der Studiendauer.

Nicht zuletzt noch dieses: Man darf wohl nicht ganz unterschätzen, was in der Industrie an Forschungsarbeit geleistet wird - auch nicht in qualitativer Hinsicht.
Universitäten nur auf die Produktion akademischen Nachwuchses hin auszurichten, der dann akademisch ohne Anwendungszwang vor sich hin forscht - ich überzeichne - dürfte in der Politik über ziemlich kurz die Frage nach der Existenzberechtigung von Universität und ob im jetzigen Umfang aufkommen lassen. Und gerade alles, was mit "Theoretisch" anfängt, würde dann als erstes als grau wahrgenommen und rot angestrichen ;)

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