Lykurg, ein ähnliches persönliches Empfinden stelle ich auch bei mir fest - "100 Tote bei Gefechten in Syrien" überlese ich schon fast, "Altstadt von Aleppo beschädigt" schreckt mich dagegen auf. Ähnliches bei Bamian, Timbuktu, Museen in Irak und Ägypten... (Und falls Maglor das auf Rassismus zurückführen sollte: ähnliches gilt auch lokal, etwa bei deinem Amalia-Beispiel, Hochwassern, Köln usw. vs. Zugunglücke oder anderen Katastrophen mit Menschenopfern...)
Hauptgrund dürfte sein, dass einem bei Menschen nur solche wirklich etwas bedeuten, die einem nahestehen oder deren Werk man kennt, während man Artefakte aus aller Welt viel leichter in ihrer Bedeutung einschätzen kann. Daher auch das Gefühl, die Menschen wären austauschbarer - ihre Individualität ist schwerer zu erfassen.
Aus utilitaristischer Sicht ist mir aber klar, dass das keine sinnvolle Gewichtung sein kann - die Konsequenzen eines Rechts- oder Moralsystems, das die Zerstörung kultureller Artefakter härter oder auch nur gleich bestraft wie die menschlichen Lebens, wären schrecklich.
Zudem setze ich deutlich geringere Anforderungen an die Ersetzbarkeit eines Artefakts. Natürlich ist es einfach
schön, ein Original zu haben, und selbst wenn man glaubt, etwas schon vollständig erforscht und alle relevanten Informationen entnommen und kopiert zu haben, mag es in der Zukunft sein, dass man doch noch mehr aus dem Original hätte entnehmen können. Trotzdem ist, wenn es sehr gute Aufzeichnungen und Reproduktionen gibt, der Verlust für mich nur noch ein gradueller, kein totaler mehr.
Daher halte ich auch nach aktuellem Stand des Machbaren Gemälde und (so sehr sie mir auch persönlich am nächsten sind) Bücher für bei Vorhandensein guter Kopien am ehesten verzichtbar, Fossilien und archäologische Objekte schon weniger, Gebäude kaum.
Zur Angebots-und-Nachfrage-Diskussion: Tja, wie üblich bedingen sie sich gegenseitig. Gar keinen Markt würde es nie geben, die Frage, ob es dann noch ein Angebot gäbe, ist müßig. Aber selbst wenn die Nachfrage nicht gerade als sonderlich riesig bekannt wäre, würden halbwissende Diebe versuchen, Beute zu machen und anzubieten, und damit den Markt vorantreiben, der dann wiederum mehr Angebot anzöge. Gleichzeitig ist klar, dass der reale starke Markt Anbieter züchtet. ich denke, es ist ein Bereich, in dem die reine Knappheit der Grundressource schon den Anreiz darstellt, und die Zwischenhändler (inkl. der Diebe) nur eine abhängige Variable sind.
Nebenaspekte:
Zitat von Ipsissimus:die Immunisierung von Kunstwerken gegen einen Platz im Leben aufgrund irrsinniger Preisentwicklungen der Kunsthandelszene
Welchen "Platz im Leben" könnten Kunstwerke (die alt genug sind, um allgemein anerkannt zu sein) denn auch ohne diese Preise haben? Konservatorische Gesichtspunkte verbieten das doch weitgehend.
Zitat von Lykurg: Darüber hinaus sind dort natürlich auch viele Originale zu sehen, die es nicht als Reproduktionen gibt, was zur Authentizität des Erlebnisses beiträgt.
Dieser Fall zeigt wohl hoffentlich endgültig auf, wie dringlich eine möglichst vollständige Bestandserfassung in höchster, reproduktionstauglicher Qualität ist.
Die konkret betroffenen Gemälde scheinen mir übrigens persönlich nicht der größte Verlust zu sein, an der Barbarei im Grundsatz ändert das aber nichts. Die Idee, Reste neben einer Kopie auszustellen, gefällt mir sehr gut.