Normalerweise sind Bilderstrecken ja eher als Spam zu beurteilen, aber im DW-Artikel enthält Bildunterschrift Nr. 5 einen ganz entscheidenden Anhaltspunkt:
Gustave Courbet (1819 - 1877)
Der Titel dieses Bildes heißt "Mädchen mit Ziege". Das beschlagnahmte Bild wurde nach Angaben der Kunsthistorikerin Meike Hoffmann erst 1949 auf einer Auktion versteigert. Das Bild geriet also erst nach Ende des Zweiten Weltkriegs in die Sammlung Gurlitt.
Es gibt also bereits erwiesenermaßen mindestens ein Bild, das nicht während der NS-Zeit in die Sammlung kam, vermutlich auch mehr. Zwar kann auch ein solches vorher enteignet gewesen sein. Aber eine Einzelfallprüfung ist ja eh nötig.
Dass die Geld-im-Zug-Geschichte zu einem
Verdacht führte, finde ich nachvollziehbar. Um zu beurteilen, ob daraus unangemessene Überwachung folgte, müsste man sich ansehen, wie schnell diese eskalierte. Zumindest die Durchsuchung fand ja anscheinend erst nach der "Löwenbändiger"-Auktion statt, die sicher den Anfangsverdacht massiv erhärtet hat und dies auch hätte, wenn zwischendurch gar nichts ermittelt worden wäre.
Zitat von Padreic:Hätte der Mann Anstand gehabt, hätte er nach dem Tod seines Vaters Verhandlungen aufgenommen und zumindest dafür gesorgt, dass die Werke öffentlich ausgestellt werden können.
Und 2011 nach der "Einigung zwischen Gurlitt und den Flechtheim-Erben" wäre nochmal eine Gelegenheit gewesen, von sich aus den Rest der Sammlung aufzurollen.
Zitat von janw:Ich würde dabei so weit gehen, daß jede Veräußerung aus verfolgter Hand zwischen 1933 und 1945 als unrechtmäßig und restituierungspflichtig anzusehen ist.
Fähig, nicht pflichtig, würde ich sagen. Erstens kann man sich Fälle vorstellen, in denen eine Hand 1933 etwas verkaufte, aber erst 1944 verfolgt wurde. Zweitens gibt es das schwierig zu beurteilende Kontinuum mehr oder weniger gutgläubigen Ankaufs, bei dem ich mir von Rückgabe über Rückkaufoption bis Verbleib je nach Fall alles vorstellen kann.
Wobei die Ideallösung in Streitfällen meines Erachtens fast immer eine einvernehmliche Öffentlichmachung der Objekte wäre, mit Widmungen "im Gedenken an meinen verfolgten Vorfahren" seitens der Vorbesitzererben und "im Wissen über die zweifelhafte Herkunft" seitens der Nachbesitzer. (Zwecks Zukunftssicherheit gehe ich hier vom Fall aus, dass der Vorbesitzer nicht mehr selbst lebt; in wenigen Fällen mag das aber glücklicherweise noch anders sein, da ersetze man entsprechend.)
@Lykurg+Padreic zum "rechtmäßigen Besitz" auf langen Zeitskalen: Als entscheidend würde ich hier nicht die vergangene Zeit ansehen, sondern die Existenz eines verantwortungsfähigen Nachfolgers (rechtlich und/oder moralisch) des illegalen Aneigners. Die BRD hat beschlossen, für die NS-Zeit Verantwortung und Sühne zu übernehmen. Daraus folgt für den Staat die Verpflichtung, sich um verbliebene Raubkunstfälle zu kümmern, und für die Bürger die Verpflichtung, damals nach heutigen Kriterien unrechtmäßig erworbenen Besitz zurückzugeben. Für 16.-Jahrhundert-Fürsten gibt es dagegen keine entsprechend moralisch verpflichteten Nachfolger; selbst bei Fürstenhäusern mit ununterbrochener Linie läge der Fall schwächer. Zudem gibt es da ja eigentlich noch die Rechtsnormen der Verjährung und der Nichtrückwirkendheit moderner Gesetze, die für die NS-Zeit einmalig ausgesetzt werden.