Verhältnismäßigkeit bei Musiktauschbörsen-Verurteilung

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Ipsissimus
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Fr 19. Jun 2009, 11:09 - Beitrag #1

Verhältnismäßigkeit bei Musiktauschbörsen-Verurteilung

http://www.stern.de/computer-technik/internet/:Illegale-Musik-Downloads-Gericht-Amerikanerin-Millionen-Strafe/704057.html

1,9 Millionen Dollar Strafe gegen eine Privatperson wegen des illegalen Downloads von 24 Musikstücken

ob es da eine auch nur entfernt ernstzunehmende sachliche Begründung für gibt?

e-noon
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Fr 19. Jun 2009, 11:42 - Beitrag #2

http://www.spiegel.de/netzwelt/web/0,1518,509556,00.html
Die alleinerziehende Mutter muss 220.000 Dollar zahlen, weil sie 24 Songs illegal verbreitet hatte.

Chicago - In ihrem Kampf gegen Musikpiraterie hat die amerikanische Musikindustrie einen Sieg errungen. Eine Geschworeren-Jury in Minnesota fällte am Donnerstag ein entsprechendes Urteil. Die 30-jährige Angeklagte Jammie Thomas wurde zur Zahlung einer Geldstrafe von insgesamt mehr als 220.000 Dollar (156.000 Euro) verurteilt.


http://silverscorpio.com/woman-fined-19-million-dollars-for-illegal-download/

Wahnsinn in jedem Fall. Vielleicht hat sie die Lieder verbreitet, vielleicht nicht; aber sie hat niemandem weh getan. Ich finde, es sollte ein Limit geben, bis zu dem man für Geldverbrechen, die niemandem physisch schaden, belangt werden kann, und dieses Limit sollte am Einkommen des Verbrechers orientiert sein. So hat sie ja wohl weit mehr als lebenslänglich bekommen. Und die Kinder?

janw
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Fr 19. Jun 2009, 20:17 - Beitrag #3

Tja, ich weiß nicht...

Natürlich ist die Strafe überzogen, wie auch das französische Modell mit Internetsperren für Musikkopierer überzogen ist.

Heute hörte ich allerdings, daß die Popkomm in diesem Jahr ausfallen wird, da es der Musikindustrie aufgrund der vielen Raubkopierer zu schlecht gehe, und von jungen bands hört man schon seit Jahren, daß es immer schwieriger werde, an Plattenverträge zu gelangen. Der Boom der Coverversionen könnte auch damit zusammenhängen.
Wie soll also damit umgegangen werden, daß eine ganze Branche den Bach runtergeht, weil kaum noch gekauft und fast nur noch weitergereicht wird?

Natürlich sehe ich massive Defizite auch in der Musikindustrie - sie hat den Zug verschlafen und setzt nun auf schwerfällige Bezahlportale.

Ipsissimus
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Mo 22. Jun 2009, 10:21 - Beitrag #4

und du meinst wirklich, das Wohl und Wehe einer ganzen Branche hängt an ein paar Raubkopierern, und nicht etwa daran, dass die Branche seit Jahrzehnten fast nur noch Müll produziert, sich in überzogenen Gewinnspannen ergeht, neue Bands nur noch eine Chance bekommen, wenn sie Knebelverträge eingehen, ein "Kreativer" mittlerweile 20 Manager mitfinanzieren muss und weiteren solchen Kleinigkeiten?

blobbfish
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Mo 22. Jun 2009, 11:06 - Beitrag #5

Ich denke nicht, dass die Branche derart große Probleme hat. Wundersameweise hat sie aber wohl noch nicht auf die Finanzkrise referiert. Ich selbst hab seit Jahren keine CDs mehr erworben, da mir das Unterfangen mittlerweile und das schon seit einiger Zeit, zu teuer ist.
Zu der Strafe: Ist sicherlich nicht gerechtfertigt in der Höhe. Wenn man eine CD klaut oder auch zwei um auf 24 Lieder zu kommen, berappt man doch auch keine 220.000 Dollar.

e-noon
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Mo 22. Jun 2009, 15:17 - Beitrag #6

Nur eine Quelle nennt 220.000 Dollar... alle anderen sprechen von 1,9 Millionen, die von der vierfachen Mutter gezahlt werden sollen.
:wand:

Lykurg
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Mo 22. Jun 2009, 15:47 - Beitrag #7

$220.000 war das Strafmaß im Prozeß 2007, $1.920.000 im zweiten Verfahren 2009. Normalerweise sind Geldstrafen in den USA mE orientiert an der finanziellen Leistungsfähigkeit des Zahlenden (weswegen es ja auch zu Strafen im mehrstelligen Millionenbereich bei Klagen gegen Großkonzerne etwa wegen zu heißen Kaffees kommen kann): Der Schaden, den das Opfer erlitten hat, soll vom Täter nachempfunden werden. Dahinter stünde also vermutlich der Gedankengang "illegale Musikdownloads und Filesharing ruinieren die Musikindustrie, also ruinieren wir zur Strafe die Täterin". Daß sie so vermögend wäre, scheint jedenfalls unwahrscheinlich. -

Die Strafe bezieht sich, soweit ich verstanden habe, mehr auf das Filesharing als auf die Downloads selbst - die theoretische Möglichkeit für ungezählte andere, zu klauen. Trotzdem ist das ganze natürlich ein Irrsinn, völlig unverhältnismäßig und wirkt angesichts der Millionen anonymer Täter, die nie belangt werden, ebenso wie angesichts ihrer Situation wie ein bitteres Unrecht. Offensichtlich soll ein Exempel statuiert werden.

Traitor
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Mo 22. Jun 2009, 19:27 - Beitrag #8

Wie Lykurg sagt, der entscheidende Punkt ist nicht der Download, sondern die Weiterverteilung. Diese wird auch in Deutschland sehr viel härter bestraft als reiner Bezug, und prinzipiell erscheint das ja auch als logisch, da dahinter die viel größere kriminelle Energie zu stecken scheint und der angerichtete Schaden weit größer sein kann. Nicht nur Ladendiebstahl, sondern auch Hehlerei.
Aber, aber, aber (nicht an Lykurg, an die Industrie und Gerichte):
1. Bei p2p-Netzwerken verteilt man in Standardkonfiguration immer auch weiter, bei vielen kann man sich dem auch gar nicht entziehen. Und für viele Nutzer übersteigt das den technischen Horizont, sie glauben, einfach nur für den Eigenbedarf zu laden. Also nichts gesteigerte kriminelle Energie.
2. Die Stücke werden ja ohne finanziellen Gewinn weiterverbreitet, Hehlerei im engeren Sinne ist es also auch nicht.
3. Die Schadensschätzungen der Industrie nach der Regel "jedes kopierte Stück/Album ist eines weniger im Verkauf" sind bekanntermaßen absurd, da danach vermutlich das dreifache Weltbruttosozialprodukt in Musikverkäufe fließen müsste.

Ganz davon abgesehen übrigens, dass es heutzutage eigentlich kaum noch einen Grund gibt, Musik illegal herunterzuladen, da es über Webradio-Mitschnitt völlig legal geht. In Amerika allerdings wiederum nicht, glaube ich. Und wenn der Lobbyismus hier noch stärker wird und das Privatkopie-Recht abgeschafft wird, sieht es damit auch wieder schlechter aus.

janw
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Mo 22. Jun 2009, 21:40 - Beitrag #9

Ipsi, wenn ich das richtig verfolgt habe, dann fiel der Beginn des massiven öffentlichen Krisengeredes in der Musikindustrie zeitlich mit dem Aufkommen von napster usw. zusammen, nachdem vorher schon über die Kassetten-Kopiererei lamentiert worden war. Konkret wurde über einen starken Rückgang der Verkaufszahlen berichtet, zumindest auf der Ebene des Ladenverkaufs.
Insofern spricht etwas für die These der Ursächlichkeit der Tauschbörsen.
Allerdings fällt mir dagegen ein, daß der Ladenverkauf Konkurrenz durch Anbieter im Netz erhalten hat und die Verkaufszahlen wenig überprüfbar und damit sicher dramatisiert worden sind, außerdem wage ich die Behauptung, daß ein größerer Teil der herumgetauschten Musik nie gekauft worden wäre, so daß der tatsächliche Umsatzverlust deutlich geringer ist, als behauptet.

Insofern möge mein letzter Beitrag etwas konjunktivischer gelesen werden^^

Und herrscht nun Krise?
Die bands klagen, und das seit Jahren, es wird immer schwieriger, Verträge zu bekommen, hinzu kommt ein massiver Druck zur Vermainstreamung.
Die Popkomm fällt aus, weil angeblich zu teuer - oder war sie sowieso schon ein Auslaufmodell, weil die wirklich interessanten Kontakte und Gespräche längst auf anderen Ebenen stattfinden...willkommener Anlass, sie zu beerdigen?

Ipsissimus
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Di 23. Jun 2009, 09:57 - Beitrag #10

Zitat von janw:Insofern spricht etwas für die These der Ursächlichkeit der Tauschbörsen.


Mantra Nr. 1: Korrelation != Kausalität

da aber viele, vielleicht die meisten Menschen, das nicht akzeptieren und internalisieren können oder wollen, führen Killerspiele eben zu Amokläufen und Napster & Co zum Ruin der Musikindustrie^^

Lykurg
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Di 23. Jun 2009, 14:31 - Beitrag #11

Ja und nein. In gewissem Maße können Musikdownloads die Verkaufszahlen sogar steigern. Durch die Verbreitung des Internets lernen hunderttausende von Konsumenten Lieder kennen, auf die sie sonst vielleicht nie gestoßen wären, und wollen mehr von dem Künstler in guter Qualität selbst besitzen. Andererseits liegt auf der Hand, daß sehr viele nicht bereit sein werden, für etwas zu zahlen, das sie auch umsonst haben können - ob legal oder nicht. Und genau diese Gleichgültigkeit, das Kavaliersdeliktdenken, ist ein Problem, das schnell von Musikkopien auf andere entsprechende Fälle übergehen kann. Daß sich die Musikindustrie dagegen zur Wehr setzen will, ist klar, daß sie dabei überzogene Maximalforderungen stellt, die mangelnde Qualität in den letzten Jahren als Grund nicht berücksichtigt, ebenfalls. (Wie soll auch die Legion von albernen Mainstream-Castingshow-Formaten Qualität produzieren?)

Nutzer sollten dazu gebracht werden, Sachen, die sie wirklich haben wollen, auch zu kaufen (vorausgesetzt, die Preise und Bedingungen sind fair). Vielleicht sollte man - ich weiß nicht, ob es solche Ansätze schon gibt - legale Tauschbörsen einrichten, die etwa drei Tracks pro Woche erlauben, was die Weitergabe im Freundeskreis ermöglicht und so Multiplikatoreffekte erzielt, ohne allzu große Schäden anzurichten, demgegenüber aber die illegalen Tauschbörsen entsprechend scharf sanktionieren und vom Netz nehmen. In meinen Augen sollten sich entsprechende Maßnahmen aber eher gegen die Betreiber als gegen die Konsumenten richten, jedenfalls solange ein Unrechtsbewußtsein dafür nicht besteht, weil es so selbstverständlich und quasi alternativlos scheint (da man eh nicht alles kaufen kann, was man einmal hören will).

Ipsissimus
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Di 23. Jun 2009, 14:54 - Beitrag #12

ich habe mir früher gelegentlich Musik aus dem Netz runtergeladen, nicht im großen Stil, und in 90% der Fälle ohnehin frei erhältlich. Im gleichen Zeitraum ist der größte Teil meiner CD-Sammlung zusammengekommen, gut 2000 CDs, und noch alle ohne Kopierschutz. Dann wurde es mir um der letzten 10% willen die Downloads zu gefährlich. Weißt du, wieviele Musik-CDs ich mir seither gekauft haben? Keine zehn. Und alle mit Kopierschutz, weil es keine anderen mehr zur Wahl gab.

Also das Argument vom entgangenen Verdienst stimmt in meinem Fall ganz und gar nicht. Ich reagiere mit Verärgerung darauf, vorsorglich als Dieb behandelt zu werden.

janw
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So 28. Jun 2009, 11:59 - Beitrag #13

Zitat von Ipsissimus:Mantra Nr. 1: Korrelation != Kausalität

In der Tat, mein Satz war aber Teil einer Argumentationskette, "spricht etwas dafür" meint nicht, daß nach meiner Meinung das dann auch wirklich so ist.
War aber vielleicht etwas unglücklich ausgedrückt...

Ich halte die Gegenargumente - gestiegener Fernabsatz mit Wirkung auf sowieso nicht überprüfbare Statistiken, getauschte Musik wäre guten Teils nie gekauft worden, getauschte Musik weckt überhaupt erst Bewusstsein für das Vorhandene => könnte Nachfrage gerade nach Independent-Gruppen stimulieren, falsche Politik der major labels und überzogene Renditeerwartungen derselben für weitaus mächtigere Argumente.

Ich stimme mit Dir vollkommen überein, was die präventive Kriminalisierung betrifft.


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