Witzige Kolumne

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Marc Effendi
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Do 4. Jul 2002, 16:49 - Beitrag #1

Witzige Kolumne

Ich habe bei der Stuttgarter Zeitung folgende (meines Erachtens mal richtig gute) Netz-Kolumne gefunden:

Der pure Spaß am Gerät


Die Kräfte, die zur Produktion von Nutzlosigkeiten höherer Art führen, werden unterschätzt. Möglicherweise sind es die Motoren der Kulturentwicklung.

"Man muss als Mann den Ernst wiederfinden, den man als Kind beim Spielen hatte" - diesen Satz des Philosophen Friedrich Nietzsche könnte man als Wappenspruch über die Geschichte der Technik schreiben. So entwickelte beispielsweise der Frühmensch vor etwa 30 000 Jahren die Technik der Keramik - aber nicht etwa, um nützliche Dinge zu produzieren, wie man meinen könnte. Einige Jahrtausende lang wurden ausschließlich hübsche Fruchtbarkeitsgöttinnen geformt, ehe die Töpfer sich dazu durchrangen, Nützliches wie den Krug oder die Schale zu erfinden.

Noch heute, Jahrtausende später, wird diese bemerkenswerte Tradition fortgeführt. Immer wieder kann man erstaunt beobachten, wie immense Kreativität freigesetzt wird, um Zweckfreies hervorzubringen. Besonders auffällig ist das am Computer, einer Maschine, die scheinbar nur so strotzt vor Effektivität. Schon in der PC-Frühzeit haben Programmierer das Äußerste an Findigkeit aufgeboten, um virtuosen Quatsch zu machen. So gab es etwa für den C-64, das Trichtergrammofon unter den Mikrocomputern, ein Progrämmchen, mit dem sich die rote LED an der Diskettenstation dimmen ließ, und ein anderes, mit dem man vermittels Trafosummen und dem Schrittmotorgeräusch des Schreiblesekopfs den Radetzkymarsch spielen konnte.

Wird der Mensch eines solchen Kunststückchens ansichtig, erfüllt ihn, siehe oben, eine kindliche Freude von grandioser Tiefe. In vielen großen Programmen sind so genannte Easter Eggs versteckt, verborgene Phänomenchen, in denen die Schöpfer der Software ein kleines, brillantes Augenzwinkern hinterlassen haben. Wer sich die Mühe machte und den Code des Atari-Betriebssystems durchlas, der konnte in einer Kommentarzeile auf eine Liebeserklärung eines der Programmierer an seine Freundin stoßen.

Ein wesentlicher Teil des Vergnügens an dieser Art der elektronischen Eleganz liegt darin, dass es sich um einen Ausdruck von Souveränität handelt. Wir spüren darin auf angenehme Weise, wie man sich über die vermeintlich strengste Ernsthaftigkeit des Hightech-Maschinariums vergnügt hinwegsetzen kann. Oder anders gesagt: wir sehen, was den Menschen unverwechselbar macht. Niemals wird eine Maschine jene Mischung aus zarter Nervigkeit und warmer Ironie entwickeln können, wie sie etwa einer der Urahnen der - heute oft ausschließlich destruktiven - Virusprogramme an den Tag legte. Der so genannte Cookie-Virus hielt den Rechner an, und auf dem Bildschirm erschien die Aufforderung "Ich will einen Keks". Erst wenn man brav K-E-K-S eingetippt hatte, ging es wieder weiter; ab und zu wollte er dann erneut einen Keks.

Eine ganze Subkultur entstand: die Demoszene. Anhand wunderbar sinnloser Spielereien stellte sie ein ums andere Mal unter Beweis, dass all das, wovon man gedacht hatte, dass es gar nicht geht, sehr wohl machbar ist. Versucht man diese Leichtigkeit aber einzufangen und in den Dienst der Effektivität zu stellen, verflüchtigt sie sich. Natürlich sind derlei Aha-Effekte immer auch Visitenkarten der Leute, die sie produzieren. Aber das Schöne am Unsinn ist seine unbezähmbare Freiheit.

009
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Mo 20. Jun 2011, 22:53 - Beitrag #2

Ein wirklich guter, wenn auch mE nicht im eigentlichen Kern witziger Text.
Nachdem immer mehr immer "intelligentere" Technikdinge wie Fahrkartenautomaten mit Touchscreen und Navigationsgeräte um sich greifen, frage ich mich, ob es da wohl auch easter Eggs oder nette Effekte gibt.
Bekannt ist mir nur das Digitaldosplay eines bestimmten Triebzuges, der wohl genaz flott bei bestimmten Knopfdruck von "Dienstfahrt" auf "Hallo Mädels" wechseln kann, was schon für manches interessante Gesicht gesorgt haben muss.
Ein zweiter, zum Schreibzeitpunkt des Textes wohl noch unbekannter Effekt sind diese ganzen seltsamen USB-Geräte wie Ventilator für den Arbeitsplatz, Tastaturleuchte, (Schaumstoff-)Raketenwerfer usw..

Mir scheint, neben "wir ham was, taugt für sinnfreies, später erst erfinden wir sinnvolle Verwendung" gibt es inzwischen gern auch "Ding mit Nützlichem Zweck zum eher sinnfrei-humoristischer Sache genutzt". Beispiel wäre der umgekippte Elektrorasenmäher mit Aufsatz auf den Messern als Ventilator oder vielleicht auch die Taschenrechnerfunktion bie Google - man könnte ja sonst dem von Betriebssystem oder gar den alten solarbetriebenen offline-Taschenrechner nutzen.


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