Berlin (ddp). Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (CDU) hat am Freitag das von ihr geforderte Frühwarnsystem gegen Kindesvernachlässigung auf den Weg gebracht. Sie stellte in Berlin die ersten zwei von der Bundesregierung geförderten Modellprojekte in mehreren Bundesländern vor. Mit Hilfe des Frühwarnsystems sollen laut Leyen Fehler im Betreuungssystem rascher erkannt werden. «Es sind die kleinen Fehlentscheidungen, die in der Summe zur Katastrophe führen», sagte sie mit Blick auf jüngst bekannt gewordene Fälle vernachlässigter
und getöteter Kinder. Forderungen nach gesetzlich vorgeschriebenen, ärztlichen Pflichtuntersuchungen lehnte Leyen erneut ab.
Auf eine verbesserte Zusammenarbeit zwischen Gesundheits- und Jugendhilfe zielt «Guter Start ins Kinderleben», ein Gemeinschaftsprojekt von Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Bayern und Thüringen. Neben der Erstellung eines Handbuchs mit Maßstäben zur Riskoeinschätzung werde auch psychologische Beratung für junge, psychisch kranke Mütter oder Frauen aus Migrationsfamilien angeboten, sagte Jörg Fegert von der Universität Ulm.
Das Modellprojekt «Pro Kind» der gleichnamigen Stiftung richtet sich bereits an schwangere Frauen, die ihr erstes Baby erwarten und sich in sozialen Notsituationen befinden. An fünf Standorten in Niedersachsen würden die Frauen bis zum zweiten Geburtstag des Kindes von speziell geschulten Hebammen, nach der Geburt zum Teil auch von Sozialpädagoginnen betreut, sagte der Stiftungsvorstand und Kriminologe Christian Pfeiffer.
Im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitung solle zudem der weitere Lebensweg der Kinder bis zum 20. Lebensjahr beobachtet werden, um die langfristigen Auswirkungen des Projekts zu bewerten, sagte Pfeiffer. Seinen Angaben zufolge wird «Pro Kind» voraussichtlich auch an mehreren Orten in Bremen und Sachsen starten.
Ergänzt werden diese ersten Modellprojekte laut Leyen durch ein Zentrum des Bundes für frühe Hilfen, das noch in diesem Jahr seine Arbeit aufnehmen werde. Die Einrichtung solle bundesweit gesammeltes Wissen und Erfahrungen gezielt auswerten, etwaige Lücken schließen und diese Erkenntnisse Kommunen sowie Trägern zugänglich machen. Die Bundesregierung hat den Angaben zufolge zehn Millionen Euro für Modellprojekte im Rahmen des Frühwarnsystems bereit gestellt.
Leyen betonte, eine Pflichtuntersuchung für Kinder sei ganz klar Angelegenheit der Länder und von diesen, so gewünscht, sofort über den Gesundheitsdienst einführbar. Fegert lehnte eine gesetzlich vorgeschriebene Untersuchung beim Arzt ebenfalls ab. Es gebe keine empirischen Beweise, dass diese Vernachlässigungen oder Misshandlungen verhindern helfen würden. Gebraucht würden nicht Sanktionen, sondern Reaktionen. Auch Pfeiffer lehnte Zwangsuntersuchungen als kontraproduktiv ab.
Laut der ersten weltweiten UN-Studie zur Gewalt gegen Kinder, die am Freitag in Berlin vorgestellt wurde, sterben allein in den OECD-Ländern jedes Jahr 3500 Kinder an den Folgen von Misshandlungen und Vernachlässigung. In Deutschland stürben noch immer zwei Kinder pro Woche, in Frankreich seien es drei, in den USA 27. UNICEF warf den Regierungen vor, ihre Versprechen für einen Kampf gegen Gewalt nicht ausreichend mit Investitionen in Prävention einzulösen.
(ddp)
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Lobenswertes Signal: es wird etwas getan. Irgendetwas.
Aber kann das der Weg sein?
Kinder werden in allen Schichten misshandelt, nicht nur in sozial schwachen Familien. "Frauen in sozialer Notsituation" - so etwas macht sich nicht nur am Einkommen oder Lebensalter der Mutter fest. Warum wird sich so vehement gegen eine Pflicht zur ärztlichen Vorsorgeuntersuchung gewehrt? Ich verstehe nicht, was daran "kontraproduktiv" sein soll.