Muss Kultur immer religiös sein?

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janw
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Mi 19. Sep 2007, 14:26 - Beitrag #1

Muss Kultur immer religiös sein?

Zitat von Kardinal Meisner:„Vergessen wir nicht, dass es einen unaufgebbaren Zusammenhang zwischen Kultur und Kult gibt. Dort, wo die Kultur vom Kultus, von der Gottesverehrung abgekoppelt wird, erstarrt der Kultus im Ritualismus, und die Kultur entartet. Sie verliert ihre Mitte.“

So sprach Kardinal Meisner neulich anläßlich der Eröffnung eines kirchlichen Museumsbaues, und wegen der Verwendung des Wortes von der "Entartung der Kultur" und ganz grundsätzlich inhaltlich ist er dafür hart angegriffen worden.

Für mich ist die Verwendung des "entartet" zumindest fahrlässig, wenn nicht vorsätzlich mit bewusst erzeugter Provokationswirkung, wenn ich sehe, daß er sich von diesem Ausdruck nicht distanziert hat. Einem Ausdruck, der für ihn vielleicht das Gemeinte am treffendsten beschreiben mag, der aber nach wie vor belastet ist, ein Unwort.

Jenseits dessen aber zeigt Meisners Äußerung für mich aber eine Weltsicht auf, die IMHO rückwärtsgewandter nicht sein kann - und die er etymologisch auch zweifelhaft begründet.
Der Begriff der Kultur von lat. cultura, verwandt mit colere bedeutet mitnichten nur die Verehrung eines Gottes, sondern auch und vor allem das Bebauen und Pflegen eines Landes, einer Welt im übertragenen Sinne.
Munchs "Schrei", Shakespeares Dramen, das Genji Monogatari - sind diese alle in Ritualismus erstarrt? Für mich nicht, vielmehr liegt ihr künstlerischer Wert, abgesehen von ihrer Bedeutung in ihrer Zeit, eben darin, daß sie jedes Mal aufs Neue etwas beim Betrachter oder Leser evozieren.

Zweifellos sind im Zeichen der Gottesverehrung große kulturelle Leistungen vollbracht worden - die Pyramiden von Gizeh, vielleicht die Höhlenmalereien, die Pyramiden in Mexico, der Gregorianische Gesang, um nur wenige zu nennen, aber Religion ist denke ich immer nur ein Auslöser von vielen gewesen.

Anaeyon
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Mi 19. Sep 2007, 14:55 - Beitrag #2

Ist die Frage ein Scherz? ^^

Nun, da sie geklärt ist..was will Meisner eigentlich damit bezwecken? Will der Vatikan an mehr Anhänger kommen, indem er wieder konservativer wird? Kann mir nicht so recht vorstellen dass seine Vorgesetzen solche Aussagen gerne hören..

Maurice
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Mi 19. Sep 2007, 15:13 - Beitrag #3

Ana, die Kirche sucht eine Rechtfertigung für ihre Existenz. Es ist nicht mehr selbstverständlich in der Kirche zu sein. Und selbst wenn es jetzt wieder angeblich einen Trend zur Religiösität gibt, in einigen Jahrzehnten werden die Kirchen ganz schön leer aussehen ohne die Rentner von heute. Viele Rentner von morgen werden dann wohl buddistisches Thai-Chi oder sowas machen oder meditieren, wenn sie sich religiös betätigen wollen.
Da die Kirche davor Angst hat, kommt sie mit so lustigen Thesen wie "ohne uns ist die Kultur am Ende" :rofl: ... Aber wer mal in ein paar Publikationen von den Kirchenmännern (Frauen gibts da ja weniger) reingeschaut hat, für den sind solche Absurditäten nicht mehr verwunderlich. ^^*

Das einzige, was ich noch lächerlicher als den Spruch vom Meisner finde (sowas sollte man imo gar nicht kommentieren, sowas gehört totgeschwiegen), ist mal wieder der Kindergeburtstag, der um das Wort "entartet" gemacht wird. Die Leute haben echt nix besseres zu tun, um sich wegen solchen Details aufzuregen. Das Wort passte einfach zu dem, was er ausdrücken wollte, dann soll er es auch benutzen. Als ob der Meisner sich damit gleich zum Nazi geoutet hätte. :crazy:
Man muss in Deutschland eben ganz vorsichtig sein, wenn es um das Thema Juden und Nationalsozialismus geht, da bekommt man bei einem falschen Wort schon mächtig einem auf den Deckel. Ich sag ja, Kindergeburtstag :rolleyes: ...

Ipsissimus
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Mi 19. Sep 2007, 15:53 - Beitrag #4

der Charakterisierung als Kindergartenkram stimme ich zu; hinsichtlich Meisners Motivation bin ich mir unsicher, der Mann ist alles, nur nicht dumm. Er hat die Aussage ja mittlerweile auch zurechtgerückt, indem er erklärte, dass er die Verwendung des Begriffes bedauere, zumal dieser Begriff für die Substanz seiner Aussage ohnehin überflüssig gewesen sei.

Ich denke, man nimmt auf Seiten der katholischen Kirche die Frage der Mitgliederzahlen - zumal in Mitteleuropa - nicht zu wichtig, die eigene Position wird durch ganz andere Mittel gesichert. Im politischen Intrigenspiel dürfte auf der ganzen Welt niemand dem Vatikan gewachsen sein. Meisners Worte richten sich gar nicht an die Masse, die ist völlig belanglos. Beeindruckt werden müssen die Entscheidungsträger, und da sind solche Reden auch nur ein kleines Rädchen im Getriebe.

Alles in allem scheint mir hier ein Missverhältnis zwischen der Bedeutung des Gesagten und der Reaktion darauf vorzuliegen.

Lykurg
[ohne Titel]
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Mi 19. Sep 2007, 15:56 - Beitrag #5

Anaeyon, Äußerungen wie diese müssen nicht mit dem Chef abgestimmt sein. Ich nehme an, daß Kardinal Meisner hier seine persönliche Meinung kundtut, was auch immer er damit bezwecken mag. Andererseits würde ohne die moderne mediale Aufregung eine solche Äußerung wohl kaum jemanden stören. Was geht es mich an, ob ein Kardinal... naja.
Munchs "Schrei", Shakespeares Dramen, das Genji Monogatari - sind diese alle in Ritualismus erstarrt? Für mich nicht, vielmehr liegt ihr künstlerischer Wert, abgesehen von ihrer Bedeutung in ihrer Zeit, eben darin, daß sie jedes Mal aufs Neue etwas beim Betrachter oder Leser evozieren.
janw, nein, laut dem Meisner-Zitat würden Kunstwerke, wenn ohne Zusammenhang mit Religiosität entstanden, Gefahr laufen, zu entarten. Ritualisierter Kultus ist ihmzufolge die Gottesverehrung ohne Kunst - was möglicherweise als in diesem Zusammenhang eher unpassende Spitze gegen Judentum und Islam gemeint sein könnte. Wenn die Vermutung stimmt, ein Punkt mehr, der gegen ihn spräche.

Außerdem sehe ich nicht so recht, warum du gerade diese drei Werke nennst... Munch entstammte einem tiefreligiösem Elternhaus, gerade apokalyptische Vorstellungen haben ihn stark geprägt, und etwa im Schrei oder der Madonna wird das deutlich. Darüber, ob Shakespeare Protestant oder im Herzen Katholik war, gibt es in der Shakespeareforschung eine erregte Debatte, ein Atheist war er aber wohl kaum. Vom Genji Monogatari habe ich keine Ahnung, würde aber rein aufgrund seiner Datierung ähnliches annehmen. Sicher liegt ihre Bedeutung im Diskurs mit dem Rezipienten, ihre immanente Religiosität kann aber als Teil davon gesehen werden.

Kunst wie Religion bedeuten den Umgang mit dem Unsagbaren, können sich in dieser Hinsicht gegenseitig mit Inspiration und Vermittlungsform dienen. Der größte Teil der abendländischen Kunst hat eine wichtige religiöse Komponente - wenn du etwa die Gregorianik nennst, kannst du die Linie über Bach (SDG!) und Mozart bis ins frühe 20. Jh. und mit einigen Brüchen auch in die Gegenwart weiterverfolgen. Das heißt allerdings nicht, daß es so sein muß - und nicht ohne Grund ist an der religiösen Verwurzelung vieler bedeutender Künstler immer wieder gezweifelt worden. Die Entschleierung der Zauber der Darstellung bedeutet auch Kenntnis der Mysterien dahinter, der Kirchenmusiker ist Wahrer und Spötter zugleich, und auch ein erfahrener Geistlicher weiß, mit welchen Handlungen er das Unsichtbare nahe rückt.

PS: Zur Aufregung um "entartet" stimme ich Maurice übrigens zu - meine bisherige Nichterwähnung bedeutet zugleich einen Kommentar zu seiner Nichtdiskussion des anderen Themas.^^

Maglor
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Do 27. Sep 2007, 20:40 - Beitrag #6

Entscheidend ist hier wohl die Frage, ob die Religion nur ein Teil der Kultur ist oder die Kultur nur ein Teil der Religion. Für mich klingt das wie ein Nachhall mittelalterlichen Denkens, dass selbst die Medizin als theologische Disziplin betrachtet.
Ansonsten ist schon etwas dran, dass die meisten Künstler irgendwie religiös waren. (Hängt vielleicht damit zusammen, dass überhaupt die meisten Menschen irgendwie religiös waren.) ;)

Mal unabhängig von der meist gesehenen Verbindung von Kult, Religion und Theismus, hier der Beweis das Kult und Kultur doch eindeutig zusammen gehören! :crazy:
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MfG Maglor


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