Die Frage ist auch, was denn der eigentlich "richtige", dh. neutrale Begriff sein soll. Lykurg nennt Hure - für mich ist "Hure" die Beleidigung und "Prostituierte/r" die korrekte Bezeichnung. Müsste man nicht, wenn man auf Euphemismen verzichtet, auch auf Beleidigungen etc. verzichten? Man ist ja nicht
wirklich ein Arschloch...
Die starke Tabuisierung ist unmittelbar mit Euphemismen verbunden, das wird deutlich, wenn man den Sprachraum wechselt. Das Italienische ist reich an Begriffen für "Penis", die auch gerne als Schimpfwörter benutzt werden -
cazzo/minchia - Schwanz (bei uns eher Scheiße!), testa di cazzo - Schwanzkopf ^^, piselletto (Erbschen) - bei uns wohl sowas wie Pimmelchen?

, uccello (Vogel) - tja, ham wir nicht...
Ehrlich gesagt wüsste ich nicht, welcher Begriff bei uns der "richtige" wäre. In einer medizinischen oder sachlichen Diskussion sicherlich Penis, zwischen jungen Erwachsenen (mit älteren redet man nicht so häufig darüber...) sicher
Schwanz, im Fernsehen oft
Ding, in Büchern gerne mal
Männlichkeit...
Übrigens gibt es natürlich auch den positiven Gebrauch von Euphemismen, in der (Liebes-)lyrik vor allem, wo der Euphemismus nicht dazu dient, zu verschleiern (nicht in erster Linie), sondern dazu, das erhabene, anbetungswürdige, überirdisch schöne der geliebten Person herauszustellen - dann hat sie halt mal ein Haupt statt einen Kopf, milchigweiße statt einfach blasse oder hautfarbene Finger, rosenfarbige Lippen statt Standardlippen, eventuell auch eine Quelle der Lust statt eine Klitoris

Eben alles romantisch eingefärbt, was bei rein sachlicher Beschreibung wohl schwer würde (bzw. wäre dann nicht einzusehen, warum man statt des Gedichts nicht einfach ein Foto drucken sollte).
Wenn mir jemand sagen würde "Sie können sich jetzt anderen Aufgaben widmen", würde ich sofort sagen "Ja, super, welche denn?"
Bei mir wäre es also durchaus sinnvoll, deutlicher zu werden.
"Freund Hein" habe ich noch nie gehört. Bei mir/uns heißt der Tod immer Tod (wobei auch die Verben abkratzen, abnippeln und ins Gras beißen nicht selten sind). Sterben ist offenbar gesellschaftlich anerkannter als *Liebe machen*.
Wie ich das finde... keine Ahnung. Ich denke, man hört lieber "die Frisur steht dir nicht" als "du siehst damit scheiße aus". Man hört lieber "Hast du etwas zugenommen?" statt "Mann, bist du fett geworden!". Man hört lieber "du hattest wohl einen schlechten Tag" als "tja, du bist einfach zu doof".
Im täglichen, direkten sozialen Miteinander heiße ich Euphemismen im Großen und Ganzen gut. Wo es aber von Presse und Politik zum Verschleiern tatsächlicher Gegebenheiten angewendet wird - wenn zum Beispiel Jugendliche Straftäter aus muslimischen Ländern auf einmal nur noch "Asiaten" heißen oder man nicht mehr weiß, ob ein Afroamerikaner weiß oder schwarz oder farbig oder vielleicht auch gar nicht mehr in ist, wird es absurd und gefährlich. Ebenso ist es bei Kollateralschaden - zivile Opfer ist neutral und deutlich aussagekräftiger. Anwohner des ostnordöstlichen Mittelmeerraumes sind einfach Türken. Mit Menschen, "die einen alternativen Lebensstil praktizieren", kann man ruhig auch Homosexuelle nennen, wenn man ausschließlich diese Gruppe meint. Und "Menschen mit speziellen Bedürfnissen" gibt es viele, eigentlich hat jeder Mensch spezielle Bedürfnisse, daher ist es sinnvoll, von Behinderten zu sprechen, wenn man nur diese meint und nicht alle Menschen.
Also: Privat aus Höflichkeit ja, öffentlich aus political correctness und Verschleierungstaktik heraus nein.