Die Sehnsucht nach Mitleid

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Bauer-Ranger
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Mo 4. Jul 2005, 06:54 - Beitrag #1

Die Sehnsucht nach Mitleid

Hallo,


alle kennen ihn, den Satz: "Ich will kein Mitleid."
Aber ist das nicht eine große Lüge? Will nicht doch jeder ein wenig Mitleid vom anderen haben, nicht nur Mitgefühl oder Verständnis, sondern Mitleid? Gehen manche Menschen in dieser Rolle nicht voll auf, wenn sie bemitleidet werden?

Und haben nicht alle Menschen eine Sehnsucht danach, andere zu bemitleiden? Wollen wir nicht sehen, wie es anderen schlecht get, um sie zu bemitleiden und zu sehen, wie toll es uns doch selber geht? Brauchen wir das vielleicht sogar? Ist so ein Verhalten egoistisch oder ist es eine Gründsäule des Zusammenhalts einer Gesellschaft, oder beides?

mfg Michi

herempix
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Mo 4. Jul 2005, 07:07 - Beitrag #2

Also, ich möcbte kein Mitleid. Auch wenn ich ganz ehrlich gestehen muss, manchmal doch etwas zu ungeduldig in Foren bin, was ja wg. drohender "Doppelposts" nicht besonders nett ist. Natürlich verlange ich von euch mein Mitgefühl. Aber nicht unbedingt Mitleid. Warum soll ich in dieser Rolle "aufgehen"?
Das stimmt, was du im zweiten Absatz sagst: Warum schauen wir uns so gerne die Berichte in den Medien an, über die es um Terror, Krieg, Sexualmorde, andere Morde, tödliche Unfälle oder Naturkatastrophen geht. Nein, nicht weil wir uns daran "aufgeilen", sondern weil wir mit diesen Leuten tiefstes Mitleid haben. Insgeheim mag das egoistisch klingen, weil wir uns dann im tiefsten Inneren unseres Herzens als "überlegen" fühlen.
Ich tippe da eher auf die "Grundsäule des Zusammenhalts in einer Gesellschaft". Mit der Begründung, dass wir so eine Art "Heldengruppe" werden, die anderen helfen. Aber mit jeder Hilfe werden wir leider immer mächtiger denen gegenüber, die unsere Hilfe brauchen. Dann tendiert es zu Egoismus

herempix

Bauer-Ranger
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Mo 4. Jul 2005, 07:59 - Beitrag #3

Hm, ich habe jetzt mit Mitleid noch nicht gemeint, dass man gleich hilft, aber du hast Recht, Mitleid kann zu Hilfe führen und das zu einer gewissen Machtposition, allerdings halte ich das für ein Horrorszenario, wenn man diese Position dann ausnutzt, schließlich hat man ja aus Mitleid geholfen, warum soll man dann aus Mitleid jemand ausnutzen?

Zitat von herempix:Natürlich verlange ich von euch mein Mitgefühl. Aber nicht unbedingt Mitleid. Warum soll ich in dieser Rolle "aufgehen"?

Ich habe schon öfters Menschen beobachtet, die sich ohne Gegenwehr ins Unglück rutschen liesen, obwohl sie es verhindern hätten können. Ich hatte den Eindruck, dises hatten eine außerordentliche Sehnsucht nach Mitleid der anderen. Sie möchten, dass sich ihre inneren Probleme an ihrer äußeren Gestalt und Erscheinungsbild oder einfach an ihrer nach außen sichtbaren Situation zeigen, so dass andere Mitleid haben. Dass das jedoch ein vollkommen unsinniges Verhalten ist, brauche ich nicht zu erklären. Aber warum ist das so häufig?
Beispiel: Ein Mädchen wird in ihrer Jugend und Kindheit von ihren Eltern übersehen, sie hat keine Freunde oder nur wenige, auf jeden Fall hat sie niemand, der sie liebt, der sie mal in den Arm nimmt und es gab diesen Zustand auch nie. Nun, was machen solche Mädchen? Sie könnte zum Beispiel Magersüchtig werden. Jeder der denkt, sie macht das, weil sie irgendeinem Schlankheitswahn hinterherrennt, der denkt wohl falsch, es geht hier darum, nach außen Gebrechlichkeit zu demonstrieren um Mitleid zu bekommen, um Zuneigung zu bekommen, um vielleicht geliebt zu werden. Diese Mädchen geben ihre ganze Persönlichkeit auf, sie stehen nur noch im Dienst der Magersucht und erhoffen sich, dass irgendwann jemand auf sie aufmerksam wird, um Mitleid mit ihnen zu haben. Diese Mädchen haben ihren einzigen Freund in der Magersucht gefunden, sie personifizieren ihre Magersucht sogar, nennen sie 'Ana', sprechen von sich und ihrer 'Ana'. Wenn man sie fragt warum, bekommt man als Antwort: Ich will Mitleid. Aber warum????
Oder geht es hier nicht darum, sondern doch nur um Liebe und das Wort Mitleid ist völlig fehl am Platz??

mfg Michi

Maurice
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Mo 4. Jul 2005, 08:15 - Beitrag #4

Da ich gleich weg muss, ganz kurz nur was. Ich schreibe später noch was.
Was Mitleid angeht, so tendiere ich immer noch stark zu Nietzsche:
"Man verliert Kraft, wenn man mitleidet. Durch das Mitleiden vermehrt und vervielfaltigt sich die Einbusse an Kraft noch, die an sich schon das Leiden dem Leben bringt. Das Leiden selbst wird durch das Mitleiden ansteckend; unter Umständen kann mit ihm eine Gesammt-Einbusse an Leben und Lebens- Energie erreicht werden, die in einem absurden Verhaltniss zum Quantum der Ursache steht."
Ich vermute aber, dass er Mitgefühl synonym oder als sehr verwandt zu Mitgefühl definiert. Ich differenziere da für mich. Mitleid ist für mich die stärkere Variante von Mitgefühl. Wir hatten, glaub ich, auch schon mal einen Thread und da zeigte sich, dass es in den Definitionen der Begriffe deutliche Unterschiede gab.
Ich habe so eine deutliche Abneigung gegenüber Mitleid, weil man Vater viele Jahre über in Selbstmitleid versunken war und nichts mehr gescheit auf die Reihe bekommen hat.

Wie gesagt aus Zeitgründen nur kurz. *muss weg* :wink:

e-noon
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Mo 4. Jul 2005, 16:16 - Beitrag #5

Selbstmitleid kann ich auch nicht leiden, vor allem wenn man nicht bereit ist, an der Situation etwas zu ändern. Ich tendiere allerdings auch manchmal dazu, was mich aber nicht daran hindert, andere für ihr Selbstmitleid zu verachten ^^ Kommt natürlich auch immer darauf an, ob ich die Person mag oder nicht oder beides.

Ich denke aber schon, dass jeder Mensch nicht unbedingt Mitleid, sondern Mitgefühl möchte, bzw. man möchte bedauert und getröstet werden, wenn es einem schlecht geht oder man sich einsam fühlt. Daraus resultieren zum Beispiel Selbstmordversuche oder SVV, was ich heute zum ersten Mal gesehen habe :boah: Ein Mädchen an meiner Schule hatte beide Arme voller dicker Narben, sah nicht besonders schön aus, aber interessant.
Sicher macht(e) sie das nicht "aus Spaß", sondern weil sie Aufmerksamkeit will und braucht und auch Schmerzen erdulden kann, um sie einzufordern - traurigerweise heute oft der einzige Weg, sie zu bekommen.

Wir sind ziemlich abgestumpft, geben dem Leben an sich keinen eigenen Wert, kümmern uns nur um die, die uns wichtig sind, und das werden immer weniger - natürlich werden die Symptome, die Hilferufe, dadurch krasser und zahlreicher. Wenn mir jemand, den ich nicht mag, umbringen wollte, würde ich ihm vielleicht viel Spaß wünschen ^^ Wahrscheinlich hat er massive Probleme und braucht Hilfe, aber interessiert mich das? Nein.

Wir brauchen einfach andere Menschen, die uns zuhören, trösten, in den Arm nehmen und sich mit unseren Problemen beschäftigen, und wollen den Leuten, die wir mögen, helfen und sie trösten, wenn sie traurig sind :)

Ich denke, es ist beides, egoistisch und Grundsäule sozialen Verhaltens, denn man leidet meist nicht lange im Stillen, sondern macht dies öffentlich, wenn auch indirekt (SSV zB.), und ohne Mitleid und Hilfe, die den Menschen ausmachen, wären wir wohl nicht das, was wir sind ^^ Tiere haben nämlich selten Mitleid oder Möglichkeit, dieses auszuleben, daher ist Mitleid wohl eine Fähigkeit, die nur höhere Bewusstseinsformen erreichen können.

Maurice
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Mo 4. Jul 2005, 18:02 - Beitrag #6

Ich finde nicht, dass die Menschheit Mitleid unbedingt braucht. Mitgefühl, solange der Großteil emotional ist auf jeden Fall. Aber Mitleid?

Wir sind ziemlich abgestumpft, geben dem Leben an sich keinen eigenen Wert, kümmern uns nur um die, die uns wichtig sind...

Damit habe ich kein Problem. Was mich ankotzt sind so heuchlerische Menschen, die meinen sie seien ach so sozial, aber dann nichts machen, wenn es einem anderen schlecht geht. Vielleicht sind diese Menschen auch einfach nur zu dumm.

@SSV: Wer sich umbringen will, dem gebet ein Messer. Die Schwachen, die Leid nicht ertragen können, sollen meinetwegen zu Grunde gehen.

Elbereth
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Mo 4. Jul 2005, 18:58 - Beitrag #7

Was aber auch wirklich oft passiert (also nach meiner Erfahrung), dass Menschen, denen vielleicht gerade etwas schlimmes passiert ist sagen "Ich will kein Mitleid" und gehen mit Menschen, die ihr Mitgefühl ausdrücken wollen, auf Distanz, wobei sie sich eigentlich im tiefsten Innern doch Trost und Aufmerksamkeit wünschen, nur halt kein geheucheltes Mitleid wollen oder sich gar nicht trauen zu gestehen, dass die getröstet werden wollen. Wenn wir den Begriff des "Mitleids" also auch auf Mitgefühl ausweiten, dann glaube ich dass diese Mensche sich selbst oder den anderen etwas vormachen wollen.

Und jemanden bemitleiden bzw. mit jemandem mitfühlen zu wollen, das macht jeder glaub ich irgendwie gerne. Zum Beispiel, wenn man einen film guckt, und einem Charakter etwas trauriges zustößt, fühlt man da auch mit, und ist vielleicht in dem moment traurig, doch im Endeffekt findet man (oder wenigstens Frau *g*) den Film und auch das Traurige an der Handlung trotzdem schön

Maurice
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Mo 4. Jul 2005, 19:12 - Beitrag #8

Ich definiere Mitleid und Mitgefühl wie gesagt verschieden.
Wenn deine Ausführungen also nur auf meinen Begriff von Mitgefühl referieren, dann werde ich mich wohl zu dieser beschriebenen Gruppe zählen.
Das beißt sich aber nicht mit meinen anderen Aussagen.

herempix
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Mo 4. Jul 2005, 21:27 - Beitrag #9

Wie Maurice

Ich definiere das Mitleid und das Mitgefühl auch verschieden. Beides fängt zwar mit dem Wort "mit" an, was eine "Gleichstufung" oder "Gruppendynamik" darstellen soll. Zudem definieren diese Begriffe im "äußersten Rahmen" ein Gefühl, was mit anderen Menschen geteilt wird.
Mit-Leid: Da steckt das Wort "leid" drin. Wenn ein Obdachloser in seinem Rollstuhl daher kommt - Ich rede hier von den ehrlich behandelten und nicht schamlos ausgenützten Bettlern. - und ich sehe, dass es ihm WIRKLICH schlecht geht, bekomme ich nicht auch Mitleid und spende dann 1-2 Euro. Oder eine Alte Frau, die total verwirrt die Straße entlangläuft. Helfe ich ihr nicht dann, weil sie mich an eine SEHR späte Zukunft erinnert? Man bekommt Mitleid nicht nur, weil der Andere leidet, sondern weil man vielleicht auch selbst in diese leidvollen Situationen kommen kann.
Und Mitgefühl ist für mich die Teilung von Gefühlen wie Trauer, Wut, Zorn oder Spaß. Man sagt ja auch bei einer Beerdigung: "Mein tiefstes Mitgefühl". Also, man fühlt ebenfalls Trauer. Egal, ob logisch, weil man die Person gekannt und geschätzt hat oder instinktiv, weil man die Person zwar (oder kaum) kennt, aber trotzdem eine "innere Symphathie" für sie hegt.


Und zu Elbereth sage ich natürlich (in einem Satz): Wichtig ist es, dass "richtige" Mitleid auszudrücken. Bedeutet also, wenn es bei einem Blinden heißt, er wolle kein Mitleid, solle man das auch respektieren, da man ihn sonst für einen "hilflosen Idioten" halten könnte. (Mal ganz extrem ausgedrückt!!)

herempix

Bauer-Ranger
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Mo 4. Jul 2005, 22:30 - Beitrag #10

Zitat von Maurice:@SSV: Wer sich umbringen will, dem gebet ein Messer. Die Schwachen, die Leid nicht ertragen können, sollen meinetwegen zu Grunde gehen.

Ist das nicht ein bischen menschenfeindlich? Die meisten Selbstmordversuche (oder soll man Freitod sagen?) resultieren aus einer sozialen Isolation heraus, oder aus einer unheilbaren Krankheit und der Angst vor einem qualvollen Tod.
Welcher Mensch kann etwas für eine soziale Isolation? Diese Menschen sind einfahc falsch aufgewachsen, falsche Eltern usw. Warum bezeichnest du die als schwach? Und warum willst du solche Leute zugrunde gehen lassen? Ich möchte dir nicht unterstellen, dass du eingebildet oder arrogant bist, aber etwas weniger Höhenflug und etwas mehr stoisches Denken könnte dir helfen, schließlich bist auch du nicht davor befreit, einmal arge Probleme mit dem Leben zu bekommen.
Ich finde das Gedankengut, das sozial isolierte Menschen mit sich herumtragen teilweise absolut genial und möchte darauf nicht verzichten. Es gibt imho keinen besseren Spiegel für uns.

mfg Michi

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Mo 4. Jul 2005, 22:48 - Beitrag #11

Bauer-Ranger

Zum Abschluss des Tages möchte ich noch "Bauer-Ranger" noch beipflichten: Warum töten sich Menschen, obwohl sie doch "starke" Menschen sind? Weil sie durch Krankheit, Isolation und falsche Behandlung (ja, fast Misshandlung) schwach und hilflos werden. Manchmal kommt man da hinein. Manchmal nicht. Das kann kein Mensch steuern. Oder entscheidest du: In 3 Jahren und 3 Tagen leite ich einen Konzern?
Ich finde auch, dass was Maurice gesagt hat, nicht okay war. Es ging bei mir sogar in Richtung "Menschenverachtung". Denn prinzipiell JEDER wird eines Tages in diesen "Grand Canyon der Seelen" fallen.
Und zum "Spiegel" sage ich: Im Spiegel sieht man alles verkehrt herum. Und wenn ein glücklicher Mensch in seinen "eigenen Spiegel" schaut, dann erkennt er auch eine unglückliche Person, die von innen nach außen "ausbrennt".

:|:|

Elbereth
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Mo 4. Jul 2005, 22:49 - Beitrag #12

@herempix:

Bei Mitleid ausdrücken, geht es nicht darum einfach zu sagen "Oh du bist aber krank/hässlich/etc, das tut mir wirklich leid". Zum einen ist es natürlich verständlich, dass Menschen nicht wegen ihrer dauerhaften Eigenschaften bemitleidet werden wollen, es geht aber darum Menschen in bestimmten schwierigen oder schlimmen Situationen (die meistens nicht dauerhaft sind sondern halt plötzlich auftreten) durch Mitleid/Mitgefühl zu helfen. Und zwar (meiner meinung nach) keineswegs indem man ihm das einfach sagt, sondern indem man seinen Problemen Beachtung schenkt, fragt wie es ihm geht, tröstet ihn, hört ihm zu etc...

@herempix und Maurice.

Also ich sehe Mitleid eher als eine "Art" Mitgefühl. Erst recht wenn man es wortwörtlich betrachtet, bedeutet Mitgefühl, dass mit jemandem seine Gefühle mitempfindet (und das können unterschiedliche Gefühle sein), und Mitleid würde dann bedeutet dass man mitleidet, also das Gefühl des Leidens mitempfindet. Es ist aber so, dass durch den Gebrauch, "Mitleid" negative Assoziationen weckt, da es "herablassend" wirkt, und dadurch mögen es die menschen nicht "bemitleidet" zu werden, weil sie sich dadurch herabgesetzt fühlen (das wurde schon in irgendeinem anderen Thead diskutiert, weiss aber nicht mehr im welchen). Also was damit eigentlich sagen will, ich glaube nicht, dass jedet Mensch unter Mitleid dassselbe versteht. Zum Beispiel, empfinde ich kein Mitleid mit einer alten verwirrten Frau weil ich angst habe dass es mir auch passiert, mir ist diese Erklärung schon etwas befremdlich, ich weiss aber nicht ob es daran liegt, dass wir unter Mitleid unterschiedliches verstehen...

Maurice
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Di 5. Jul 2005, 08:13 - Beitrag #13

@Bauer-Ranger: Wer eine Zeit dabei ist, der kennt mich diesbezühlich. Ich habe nicht die beste Einstellung zur Spezies Mensch, aber meine menschenverachtenden Tendenzen waren früher deutlich heftiger. Aber keine Sorge, es bleibt bei Gedanken, ich habe noch nie sowas in die Tat umgesagt. Ich bin eigentlich ein ganz Lieber :) ... der ein paar ungewöhnliche Ansichten hat. :D

Ja der Mensch kann nichts dafür, in welchen sozialen Kontext er hineingeboren wird. Er ist ein Produkt der Umstände. Es ist determiniert, ob er in soziale Isolation gerät oder nicht. Dennoch sollen die Missratenen zu Grunde gehen.
Ich meine nicht, dass ich mir das zu einfach mache, ich kenne nämlich da Gefühl der sozialen Isolation allzu gut. Wer seine halbe Schulzeit über (und zwar die zweite Hälfte) ständig ein Außenseiter war, als komischer Vogel galt und über all die Jahre immer von irgendjemanden gemobbt wurde, der kann durchaus einen Knacks bekommen. Auch Selbstmordgedanken kenne ich. Und es ist eine nicht ungefährliche Mischung allein in einem Sandbunker zu hocken, mit einem scharfen G36 und in einer Phase zu sein, wo man über die Sinnlosigkeit der Welt und des eigenen Lebens nachdenkt. Ich hatte die Phantasie mich umzubringen, aber mein Überlebenstrieb war anscheinend stärker.
Dein Appell an stoisches Denken ist hier imo etwas fehl am Platz, wenn man bedenkt für was die Stoiker standen. Nämlich für eine möglichst hohe Gleichgültigkeit gegenüber allem. Diese Gleichgültigkeit gilt dann auch gegenüber den Mitmenschen, was heißt, dass es dem Stoiker im Ideal egal sein sollte, ob ein anderer leidet. Ein Stoiker versucht sich frei zu machen von Emotionen und das heißt auch von Mitgefühl. Dieses Denken ist mir aus jahrelangen Selbstversuchen bekannt und ich das Projekt damals aufgegeben hatte, ist wohl doch eine Kleinigkeit hängen geblieben.
Was meine Avesion gegenüber schwachen Menschen angeht (ich meine damit charakterliche und nicht äußerliche Schwäche), so liegt diese in meiner Biographie und ist der Grund für gewisse Symphatie mit Nietzsche (also keine durchgehende).
Ich will kein Mitleid und niemanden gegenüber Mitleid empfinden und wer die Last von sozialer Isolation nicht bewältigt, dessen Verlust soll nicht bedauerlich sein. Und ja die die Außenseiter sind, sind meistens interessanter, als die Herdenmenschen, weil sie durch ihre Situation die Möglichkeit bekommen oder eher dazu gedrängt werden selbst zu denken und nicht nur nachzuplappern. Das ganze ist aber ein Drahtseilakt.

Bauer-Ranger
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Di 5. Jul 2005, 08:50 - Beitrag #14

Zitat von Maurice:@Bauer-Ranger: Wer eine Zeit dabei ist, der kennt mich diesbezühlich. Ich habe nicht die beste Einstellung zur Spezies Mensch, aber meine menschenverachtenden Tendenzen waren früher deutlich heftiger. Aber keine Sorge, es bleibt bei Gedanken, ich habe noch nie sowas in die Tat umgesagt. Ich bin eigentlich ein ganz Lieber :) ... der ein paar ungewöhnliche Ansichten hat. :D

Willst du in einer Gesellschaft leben?


Zitat von Maurice:Ja der Mensch kann nichts dafür, in welchen sozialen Kontext er hineingeboren wird. Er ist ein Produkt der Umstände. Es ist determiniert, ob er in soziale Isolation gerät oder nicht. Dennoch sollen die Missratenen zu Grunde gehen.

Nach welchem Kriterium ist für dich einer ein Missratener? Ist er das, wenn er sich selber umbringen will? Ich glaube, die Beschreibung passte auf dich, oder? Versuchst du mit deiner Ansicht gegen den alten Maurice zu kämpfen, der dir damals das Leben so schwer gemacht hat?
Jeder Mensch mit Depressionen und Selbstmordgedanken kann eine Bereicherung für die Menschheit sein wie jeder andere auch. Ich verstehe deine Ablehnung dies bezüglich nicht.

Zitat von Maurice:Ich meine nicht, dass ich mir das zu einfach mache, ich kenne nämlich da Gefühl der sozialen Isolation allzu gut. Wer seine halbe Schulzeit über (und zwar die zweite Hälfte) ständig ein Außenseiter war, als komischer Vogel galt und über all die Jahre immer von irgendjemanden gemobbt wurde, der kann durchaus einen Knacks bekommen. Auch Selbstmordgedanken kenne ich. Und es ist eine nicht ungefährliche Mischung allein in einem Sandbunker zu hocken, mit einem scharfen G36 und in einer Phase zu sein, wo man über die Sinnlosigkeit der Welt und des eigenen Lebens nachdenkt. Ich hatte die Phantasie mich umzubringen, aber mein Überlebenstrieb war anscheinend stärker.

Wie stellst du sicher, dass du kein Missratener warst, aber andere mit Selbstmordgedanken/versuch es sind?

Zitat von Maurice:Dein Appell an stoisches Denken ist hier imo etwas fehl am Platz

Ja, stimmt, war eine falsche Formulierung. Ich meinte, du sollst vielleicht mal daran denken, dass aus Menschen mit Selbstmordversuchen, aus sozial Isolierten usw. noch richtig starke Menschen werden können, sie aber Hilfe mit Mitleid dafür benötigen könnten, um aus diesem Loch herauszukommen.

Zitat von Maurice:Was meine Avesion gegenüber schwachen Menschen angeht (ich meine damit charakterliche und nicht äußerliche Schwäche), so liegt diese in meiner Biographie und ist der Grund für gewisse Symphatie mit Nietzsche (also keine durchgehende).

Wird es nicht Zeit, die eigene Biografie zu überwinden, um wenigstens ein kleines bischen den Anspruch auf Objektivität zu haben?
Ich möchte nicht überheblich klingen, aber ich habe oft festgestellt, dass Menschen andere Menschen, die ihnen sehr ähnlich sind, abgrundtief hassen. Ohne Begründung, einfach nur, weil sie gleich sind. Hast du einen gewissen Hass gegen deine Biografie und gegen Menschen, die so sind, wie du vielleicht fast geworden wärst?

Zitat von Maurice:Ich will kein Mitleid und niemanden gegenüber Mitleid empfinden und wer die Last von sozialer Isolation nicht bewältigt, dessen Verlust soll nicht bedauerlich sein.

Und warum müssen sie das ohne fremde Hilfe schaffen? Denkst du, du hast es ohne fremde Hilfe geschafft? Hättest du lieber Hilfe, Mitleid gehabt, hätte es dir das ganze einfacher gemacht?
Warum tun sich Außenseiter oder sozial Isolierte miteinander zusammen? Weil sie miteinander leiden... vielleicht...

Zitat von Maurice:Und ja die die Außenseiter sind, sind meistens interessanter, als die Herdenmenschen, weil sie durch ihre Situation die Möglichkeit bekommen oder eher dazu gedrängt werden selbst zu denken und nicht nur nachzuplappern. Das ganze ist aber ein Drahtseilakt.

Warum ist das ein Drahtseilakt?
Man sollte hier auch noch einen Unterschied zwischen sozial Isolierten und Außenseitern machen. Sozial Isolierte sind immer unfreiwillig in der Situation und haben niemand, Außenseiter können selbst gewählt sein und müssen nicht komplett allein sein.

mfg Michi

mathew
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Di 5. Jul 2005, 13:23 - Beitrag #15

Sehnsucht nach Mitleid

Hallo,


wollte auch mal etwas dazu schreiben, ob das jetzt dazu gehört weiß ich nicht. Mein Eltern hatten nie so richtiges Verständnis für meine motorischen Störungen gehabt. Und deshalb war es schon immer verständlich, dass ich mich lieber mit Dritten unterhalten habe.

Einerseits hat schon jeder Verständnis dafür, dass ich mich lieber mit Dritten als mit meinen ELtern darüber unterhalte (Weil wer würde das in meiner Situation denn auch nicht tun??), andererseits wollen die Leute damit nichts zu tun haben, nicht weil sie mich nicht verstehen können oder wollen, sondern weil es ihnen zu belastend wäre, sich damit auseinanderzusetzen. Denn es wird wohl kaum jemanden geben, der sich nicht so fühlen würde, wie ich mich fühle. Daher sehe ich mich gezwungen, auch die "andere Seite" zu verstehen.

herempix
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Di 5. Jul 2005, 13:48 - Beitrag #16

@elbereth

Hallo, Elbereth.

Du definierst also "Mitleid" anders als ich. Nämlich so, dass man nicht sagt: "Du Ärmster. Du tust mir ja so leid." Das kann jeder so definieren, wie man will. Denn von der Etymologie her, könnte der Begriff vielleicht was ganz anderes lauten. Nämlich, dass man innerlich spürt, wie sehr man ebenso leidet, wie das "bemitleidete" Gegenüber.
Und damit hilft man indirekt diesen Leuten. Nämlich, indem man ihre Gefühle und Empfindungen über ihr Leid versteht. Habe ich auch so angedeutet, ohne zu sagen, ich hatte Recht gehabt.
Na ja und Mitleid zu haben, ist eine Wissenschaft für sich. Zum Beispiel hat die seit der Geburt blinde Sängerin Joanna Zimmer gesagt, dass Mitleid sie nur als "armen Behindi" abstempeln würde. Bei anderen Wiederum stößt man damit auf Granit, weil sie es schon zu oft erlebt haben. Ich selbst finde - du auch - , dass man Mitleid "wohl dosieren" muss. Ansonsten demonstriert das innere Überlegenheit, weil im "tiefsten Punkt des Herzens" nicht drin steht, wie schlecht es anderen geht, sondern dass man noch dieser erbarmungslosen Situation (Blindheit, Lähmung, Taubheit, Verkrüppelung, Wachkoma, Krebs...) erlegen ist, sondern ein wenig Macht darüber ausübt.

herempix

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Ipsissimus
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Di 5. Jul 2005, 14:07 - Beitrag #17

Menschen sind phasenweise stark, sind phasenweise schwach, halten vieles aus, brechen unter der gleichstarken Last zusammen, benötigen Trost, benötigen, n Ruhe gelassen zu werden - lassen sich, zusammenfassend gesagt, nicht auf eine vereinheitlichte Art des Umgangs mit Belastungen verpflichten.

Trivialitäten, sicher; sie beschreiben aber die Notwendigkeit, Menschen SEHEN zu können, wenn es nicht darauf hinauslaufen soll, andere Menschen als Projektionsfläche für die eigenen Bilder und Vorstellungen, Sehnsüchte und Neigungen zu benutzen.

herempix
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Di 5. Jul 2005, 14:18 - Beitrag #18

[quote="Ipsissimus"]Menschen sind phasenweise stark, sind phasenweise schwach, halten vieles aus, brechen unter der gleichstarken Last zusammen, benötigen Trost, benötigen, n Ruhe gelassen zu werden - lassen sich, zusammenfassend gesagt, nicht auf eine vereinheitlichte Art des Umgangs mit Belastungen verpflichten.

Trivialitäten, sicher]


Hallo ipm (darf ich dich so nennen?),

das ist alles menschlich, was du sagst. Kein Lebewesen kann emotional auch nur 2 Stunden gleich bleiben. Gut, es mag einige Menschen geben, deren Gefühlszentrum durch Unfälle zerstört worden ist, aber das sind wirklich nur seltenste Ausnahmen.
Das sehe ich auch so, auch wenn dein letzter Abschnitt mir doch ein bisschen zu sehr nach "Philosophie" klingt. Ich bin zwar intelligent, aber nicht intellektuell. Und mit Mitleid läuft man leider Gefahr, das zu tun.

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Ipsissimus
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Di 5. Jul 2005, 14:35 - Beitrag #19

meist kürzen die Member hier mich als "ipsi" ab, herempix, aber mach, wie du wünschst^^

nun, philosophisch kann das natürlich sein, zumindest wenn mensch sich nicht darauf beziehen lassen möchte. Jedoch glaube ich, im wesentlichen den Kern des Problems dargelegt zu haben; viele Menschen haben ein ganz gutes Gespür dafür, wenn sie gar nicht gemeint sind, sondern sich ein anderer nur gerade mal als "guter Mensch" fühlen möchte.

Was zu tun läuft mensch mit Mitleid Gefahr?

herempix
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Di 5. Jul 2005, 16:26 - Beitrag #20

(Ich lasse es bei "ipm")

Ich habe auch so eine Art Gespür, wenn ich nicht selbst davon betroffen bin. Aber das braucht man ja auch nicht. Man muss sich ja nicht selbst bemitleiden, oder? Und würde man sich nur durch "Mitleid" als "guter Mensch" fühlen. Dazu gehört natürlich mehr dazu.
Und der letzte Satz interessiert mich besonders: Meinst du die Gefahr durch Übervorteilung des "Bemitleideten"? Oder die Gefahr des "künstlichen Mitleids?" Aber könntest du auch eine andere Gefahr bezüglich dieses Zitats meinen?

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