Breivik ist kein Amokläufer, er ist ein Massenmörder.
Ja und nein. Sicher hatte der Attentäter ein weit höheres Reflektionsvermögen, was sich in der Planung und Vorbereitung seiner Tat ebenso zeigt wie in der Auswahl seiner Opfer, die eben nicht die empfundenen 'Peiniger' seiner unmittelbaren Umgebung sind, sondern ein abstrahiertes Feindbild, der von ihm so gesehenen Gefahr durch Handlanger einer Überfremdung - zumindest nach dem, was ich gelesen habe und wie ich es verstehe. Der Vergleich mit dem Unabomber, aus dessen Bekenntnisschrift er ja auch umfangreiche Passagen übernimmt, liegt da nahe - aber auch andere Amokläufer der Vergangenheit haben mehr oder weniger politische Rechtfertigungsschreiben verfaßt, ich stolperte gerade über den Amoklauf von Bremen 1913, vgl.
hier unter "Die Persönlichkeit des Täters" (Motiv damals: Jesuiten- und Katholikenhaß)...
Amokläufe durch Schüler gehen regelmäßig auf Mobbing zurück, die Motive sind eher persönlicher Natur, müssen das aber nicht ausschließlich sein. Der Amokläufer von Ansbach 2009
verfaßte eine 80seitige Schrift zur Vorbereitung seiner Tat, die persönliche Motive enthält, aber ins Allgemeine auszuweiten scheint, eher unspezifisch Haß auf die Menschheit. Aus dem
Tagebuch des Amokläufers von Emsdetten liefert der Stern (spezialisiert auf Tagebuchabdrücke von mörderischen Psychopathen?

) einige Seiten und eine Charakteristik. Aufschlußreich deutlich wird auch hier ein Haß auf Staat und Gesellschaft. Diese Täter sind Schüler; wer weiß, wie weit sich ihre Ansichten und Schriften verfestigt hätten, wenn sie mit der Tat einige Jahre gewartet hätten.
Das ist ein völlig anderes Kaliber, als ein kleingeistiger Bubi, der aus übergroßem Selbstmitleid sich berufen fühlt, mal großer Mann zu spielen. Du hast vielleicht gelesen, weswegen er Warcraft gespielt hat? Um als Chef einer Hardcore-Gilde sich die Grundlagen strategischen Führens einer Elitegruppe anzueignen.
Ein anderes Kaliber, weil er älter ist; mehr Zeit zur Vorbereitung hatte, mehr Talent, vielleicht auch, da es sich hier ja offenbar nicht um einen Sozialversager handelte (im Gegenteil soll er in der Schule Mobbing-Opfern geholfen haben). Sein Denken geht abgesehen von den politischen Vorstellungen insofern weiter, als er sich explizit als Märtyrer beschreibt und sein Leben in den Dienst seiner 'Mission' gestellt hat, vorgeblich etwa auf Beziehungen verzichtete, um den Erfolg nicht zu gefährden. Das können aber durchaus auch Schutzbehauptungen sein, ebenso wie die (Selbst-)Rechtfertigung seines WoW-Spielens als 'nützlich'; mir kommt diese Denkweise jedenfalls sehr nachvollziehbar vor.

Darin sehe ich entsprechend keine grundsätzlich andere Kategorie, sondern nur graduelle Verschiebungen. Übrigens ist eine deutliche Gemeinsamkeit zwischen diesen Tätern das Bild, das sie der Nachwelt hinterlassen wollen, Videos und Fotos in martialischen Posen mit ihren Waffen (die auch folgerichtig in allen Medien abgedruckt werden; vom Amokläufer in Erfurt gab es in Bild ein solches Foto auf Doppelseitengröße). Die Täter kopieren voneinander und von gemeinsamen Vorbildern, die Posen sind ebenso Fremdmaterial wie große Teile der Texte.
Insofern teile ich janws Auffassung von der Relevanz des Alters, wobei wir nicht sicher wissen, ob und was dieser Mann als Teenager gespielt haben mag, abgesehen davon, daß seine empathische Entwicklung mit 16 einen massiven Einschnitt erfahren haben dürfte, als sein Vater zu ihm den Kontakt abbrach (er wurde beim Sprayen erwischt).
Inwieweit die norwegische Gesellschaft ein anderes Staatsverständnis hat, ist interessant; vielleicht tatsächlich liberalere Auffassungen von Handlungsbedarf und Verantwortung. Allerdings kann ein Ereignis von solcher Tragweite natürlich auch eine Gesellschaft verändern (aber zur Buchveröffentlichung hätte
2083 wohl kaum getaugt).