Pathos

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Traitor
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Fr 9. Jan 2004, 19:07 - Beitrag #1

Pathos

Angeregt von dem "The Last Samurai"-Thread stelle ich hier die Frage, was ihr von Pathos in Literatur und Film haltet. Leider muss dafür das Diskussionsforum herhalten, da es eben mediumsübergreifend ist...

Ich denke, es gibt zwei Arten von Pathos. Der eine ist der "tumbe" Pathos. Ihn sieht man in seiner reinsten Form z.B. in vielen amerikanischen Kriegs- und Actionfilmen. Klischeehafte Helden retten die Welt, Pflichterfüllung, "Treue" und ähnliche Tugenden werden ohne Kritik idealisiert.
In weniger schwacher Form sehe ich diesen Pathos auch im Beispiel Last Samurai, zumidnest dem Trailer zufolge.

Dann wäre da der "ehrliche Pathos", wie ich es mal nennen möchte. Den hat man zB im Herrn der Ringe - Es werden zwar grundsätzlich ähnliche Tugenden hochgehalten, auch hier werden Krieger verehrt. Aber das ganze geschieht auf eine deutlich subtilere Art, und es sind mehr Schattierungen zu erkennen. Auch werden ganz extreme Dinge, wie der sichere Ritt in den Tod ohne Zweck außer der eigenen Ehrerhaltung vermieden, die sich mit meiner Weltanschauung absolut nicht decken.

Die Übergänge zwischen den beiden Typen sind natürlich extrem schwammig, und welche Beispiele man zu welchem zählen will, sehr subjektiv. Wie seht ihr das?

Padreic
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Fr 9. Jan 2004, 20:00 - Beitrag #2

Schiller hat einen interessanten Aufsatz "Über das Pathetische" geschrieben. Es ist leider schon etwas länger her, dass ich ihn gelesen habe. In etwa sieht er aber Pathos als durch Leiden verdeutlichte Erhabenheit und teilt es in zwei Arten auf, einerseits das erwählte Leiden (wie wenn beispielsweise ein Vater für seine Kinder in den Tod geht), andererseits wenn er für übertretene Pflicht moralisch büßt, also Reue empfindet. Was man heute unter Pathos versteht, ist wohl mehr das erstere.

Deiner Unterscheidung näher kommt die Unterscheidung zwischen Kunst und Kitsch und gerade beim Pathos ist die Gefahr besonders groß in den Kitsch abzudriften, weil das Allererhabenste bei ungenügender Darstellung am leichtesten ins Alberne abdriftet.
Den 'sicheren Ritt in den Tod ohne Zweck' würde ich durch den 'sicheren Ritt in den Tod ohne verständlichen Grund' ersetzen. Kunst mag seltsame Charaktere hervorbringen, aber sie müssen immer im weitesten Sinne verständlich sein, auch wenn man selbst nicht so handeln würde.
Der "tumbe" Pathos, wie du ihn nennst, glänzt ja gerade durch seine flachen und nicht nachzuvollziehenden Charaktere. Ein pathetischer Charakter ist oftmals überlebensgroß, aber dann muss man ihm auch Tiefe geben und keine unkritische Gefolgsmannschaft. Solch "tumbe" Werke sind im Normalfall unfähig zu beschreiben, was echtes und pathetisches Leiden bedeutet, wahrscheinlich auch, weil die Autoren es nicht kennen.

Der Ritt der Rohirrim mit ihrem
"Todesschrei" ist ein Beispiel für echten Pathos. Ein anderes bringt Schiller selbst:
"Selbst Miltons Lucifer, wenn er sich in der Hölle, seinem künftigen Wohnort, zum erstenmal umsieht, durchdringt uns, dieser Seelenstärke wegen, mit einem Gefühl von Bewunderung. »Schrecken, ich grüße euch,« ruft er aus, »und dich, unterirdische Welt, und dich, tiefste Hölle! Nimm auf deinen neuen Gast. Er kommt zu dir mit einem Gemüthe, das weder Zeit noch Ort umgestalten soll. In seinem Gemüthe wohnt er. Das wird ihm in der Hölle selbst einen Himmel erschaffen. Hier endlich sind wir frei, u. s. f.«"
Hier wird auch deutlich, dass die Bewunderung, die wir für das Pathetische aufbringen, weniger eine ethische als vielmehr eine ästhetische ist. Somit macht es eigentlich auch nichts, wenn die Taten des Hauptcharakters nicht zu den eigenen Grundüberzeugungen passen, jedenfalls solange noch ein kleiner Teil von einem den Charakter verstehen kann und man ihn ob seiner Stärke und seinem Leiden bewundern kann.

Padreic

Traitor
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Sa 10. Jan 2004, 16:24 - Beitrag #3

Den Schillertext muss ich mir bei Gelegenheit mal zu Gemüte führen, auch wenn ich glaube, zumindest Ausschnitte mal in Deutsch gehabt zu haben.

Ich würde den "tumben Pathos" nicht eindeutig mit Kitsch gleichsetzen. Er spricht ja durchaus noch recht tiefgehende Gefühle an, was man beim Kitsch wohl nicht mehr behaupten kann. Eher ist es das gleiche Phänomen wie sehr schnulzige Liebesfilme, die ja immer noch sehr ansprechend sein können.

Der 'sichere Ritt in den Tod ohne verständlichen Grund' trifft nicht ganz das, was ich meine - einen Grund erkennt man ja durchaus, eben den Ehrenkodex der Samurai. Aber einen Zweck hat die Sache nicht - man kann damit nichts erreichen (außer, man sieht das Erfüllen des Kodex als hinreichenden Zweck an). Und eben da ist es mir unmöglich, dies als hinreichenden Zweck anzusehen, da es meinen Ansichten so vollkommen widerspricht und ist damit nicht mehr im weitesten Sinne verständlich.

Zu den Gründen der Bewunderung stimme ich dir zu, außer, dass ich das Verständnis höher einschätze - wenn man den Charakter verurteilen muss, weil er für seinen eigeneen Geschmack falsch handelt, kann man seinen Mut nur schwer bewundern.

SexyHexy
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Mo 12. Jan 2004, 17:45 - Beitrag #4

Also ich würde Pathos eigentlich immer als etwas eher kitschiges beschreiben, weil Pathos eigentlich nix mehr beschreibt als ziemlich übertriebenes Verhalten. Was man ja auch häufig in irgendwelchen Dramen findet. Keine Figur kann z.B. tragisch sein ohne Pathos, also dieses übertriebene Heldenhafte oder Opferwillige. Von daher verbinde ich Pathos schon irgendwie mit Kitsch, ist vielleicht auch ne falsche Ansicht von mir. Ist halt nur so, dass das im Griechischen eben für solche Leute verwendet wird, die einfach übertreben sind. Keine Ahnung ob jemand versteht was ich meine.

Traitor
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Mo 12. Jan 2004, 20:00 - Beitrag #5

Naja, falsch an sich ist es nicht, da es auch solchen Pathos gibt, vermutlich sogar in den weitaus meisten Fällen. Aber wie von Padreic und mir beschrieben gibt es auch durchaus Figuren, die pathetisch sind, aber weit vom Kitsch entfernt, da ihre Handlungen eindeutig nachvollziehbar sind.
Und für Tragik ist Pathos eigentlich nicht erforderlich. Bei Macbeth würde ich zB kaum von Pathos sprechen, tragisch ist er aber eindeutig.

SexyHexy
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Mo 12. Jan 2004, 21:24 - Beitrag #6

Also nach unserem guten alten Freund Schiller ist Pathos ein Muss für jede tragische Gestalt. Ohne dieses Übertriebene kann laut ihm niemand tragisch sein. Naja und so wirklickh von einer Tragik in Mac Beth würde ich nicht sprechen. Gib mir mal nen Grund warum der Typ bitte schön tragisch sein soll. Und ich muss sagen ich beziehe mich hier so mehr auf den Ursprünglichen Sinn von Pathos, also was es tatsächlich im Griechischen bedeutet. Kann ja sein das sich das Wort in unserem Sprachraum in eine andere Richtung weiterentwickelt hat.

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Mo 12. Jan 2004, 21:58 - Beitrag #7

Also wenn MacBeth nicht tragisch ist, wüsste ich nicht, was Tragik sein soll. Dazu jetzt aber ausführlich etwas zu schreiben, habe ich im Moment keine Lust, da ich erst kürzlich eine Klausur drüber geschrieben habe... mache ich demnächst mal ;)

SexyHexy
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Mo 12. Jan 2004, 22:56 - Beitrag #8

Ich muss sagen ich musste auch meine erste Klausur dieses Jahr über Pathos und den tragischen Menschen und diesen ganzen Müll schreiben. Ok selbsat schuld wer sich für Deutsch als LK entscheidet. Jedenfalls ist bei uns das rausgekommen. Wobei unser Lehrer Pathos eigentlich auch nur mit Leid übersetzt, aber mein Freund aus Griechenland sagt das es eigentlich ne wesentlich weitschweifendere Bedeutung hat. Also ich glaub meinem Freund mal ein bißchen mehr als meinem Lehrer udn ich finde an Mac Beth wirklich nix tragisch und Pathos sowieso nicht.

Traitor
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Di 13. Jan 2004, 16:23 - Beitrag #9

Da wir gerade wieder eine sehr spassige Metadiskussions-Stunde in Deutsch hatten (ja, das Fach kann auch Spaß machen, zumindest, wenn man von seinem eigentlichen Inhalt abschweift), bin ich doch wieder einigermaßen motiviert, etwas dazu zu schreiben.

Ich bin des Griechischen nicht mächtig, kann also nicht sagen, was Pathos im ursprünglichen Wortsinn bedeutet. In dem Sinne, in dem es in der Literatur verwendet wird, sehe ich die Definition aber so, wie Padreic und ich sie verwenden - er nannte es weiter oben "durch Leiden verdeutlichte Erhabenheit", ich würde es erweitern als Zeigen von Moral und Tugenden in Druck-, Not- oder Leidenssituationen.

Zu Macbeth dann: Das Stück handelt vom Bösen im Menschen, und wie man durch Größenwahn diesem verfallen kann. Macbeth wird (vor allem, es gibt auch andere Einflüsse, etwa die Hexen) zum Opfer seines eigenen übersteigerten Ehrgeizes. Tragisch im umgangssprachlichen Sinne ist dies auf jeden Fall, da er eben immer mehr verfällt, am Ende ein absolut verabscheuungswürdiger Unmensch ist und schließlich stirbt, obwohl er anfangs noch ein glänzender Held war.
Aber auch Tragik im klassischen literarischen Sinne findet sich für mich eindeutig. In der Definition von Aristoteles (?) heißt es sinngemäß, Tragik bestünde darin, dass der Protagonist nach einer selbstverantworteten Fehlentscheidung keine Möglichkeit mehr hat, sein Schicksal aufzuhalten. Genauso verhält es sich bei MacBeth: Der Königsmord ist seine eigene freie Entscheidung, dieses Verbrechen ist aber so grausam und endgültig, dass sein Weg danach vorgezeichnet ist und er ihm nicht mehr entrinnen kann.

Pathos dagegen gibt es in MacBeth für mich nicht oder kaum - schließlich gibt es keinen Charakter, der zu pathetischen Handlungen in der Lage ist, denn MacBeth selbst ist dazu zu böse und die anderen Figuren nicht ausgearbeitet genug. Man könnte lediglich überlegen, den Begriff eines "Pathos des Bösen" einzuführen...

SexyHexy
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Di 13. Jan 2004, 21:50 - Beitrag #10

Im umgangssprachlichen Sinne ist Mac Beth mit sicherheit tragisch keine Frage aber so wirklich sehe ich keine Tragik in ihm, wenn ich nach der Definition in Deutsch aufgestellt haben. Aber Pathos ist einfach ein übertriebenes Gefühlsmäßige Verhalten. So wie z.B. wenn jemand verlassen wird er sich sofort umbringt, oder weil der Partner ermordet ist sich sofort umbringt. Dieses einfach viel zu übertriebene Verhalten, dieser Überschwang an Emotionen und das Fehlen des rationalen Denkens das ist Pathos, dabei muss eine Person nicht zwangsweise leiden, weswegen man Pathos und Leid nicht gleich setztn kann.

Traitor
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Mi 14. Jan 2004, 16:03 - Beitrag #11

Was ist denn die Definition, die du aus Deutsch hast? Bei uns war sie in Deutsch und Englisch relativ umstritten, am Ende hatten wir uns dann de facto auf obige geeinigt. Denn die Alternative, dass der Protagonist von Anfang an "unschuldig schuldig" ist, trifft weder auf die Paradebeispiele zu, noch ergibt sie einen wirklich brauchbaren Dramenstoff, da ja keine Beurteilung des Protagonisten als Handelnder möglich wäre.
Übertriebene Emotion muss nicht Pathos sein, zb könnte ich mir unter dem Begriff "pathetische Liebe" herzlich wenig vorstellen. Da würde ich dann eher von Gefühlskitsch reden.
Umgekehrt muss Pathos keine übertriebenen Emotionen enthalten - es kann auch kalten Pathos geben, etwa in erwähnten Todesritten.
Und wie gesagt, sieh "Pathos" doch nicht grundsätzlich als negatives Wort.


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