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Das ungesunde Teilwissen von Journalisten und Fernsehen

BeitragVerfasst: So 1. Jan 2006, 13:58
von MartinR
Hallo!

Immer wieder fallen einem auf, daß Journalisten Wissen verbreiten, daß sie
selbst nicht haben, bzw. es so schwach aufbereiten, daß es schlicht eine falsch
Aussage ergibt.

Beispiel:
Fernsehsender: Eine der vielen "Wissenssendungen":

Thema: Schaltsekunde.

Warum werden in unregelmäßigen Abständen Schaltsekunden eingefügt!?

In diesem Bericht wurde die Kernaussage im Grunde richtig wiedergegeben: Die Erde "eiert". Naja, eigentlich müßte es wohl heißen: Sie dreht sich immer langsamer.

Aber was ist der Grund dafür!???
Laut Aussage der Sendung sind Lavaströme der Grund. Gezeigt wurden Bilder von Vulkanen.
Und damit sind wir im Reich des kompletten Unsinns.

Ein einfacher kleiner Vulkan wird wohl kaum mit seinem Ausbruch die Erde "anhalten können"...

Was wohl letzlich dem Reporter gesagt wurde ist, daß das Erdinnere für eine verlangsamung der Drehung verantwortlich ist...

Wenn der Reporter aber meint, daß das keiner Versteht, dann wäre die nächst besser Erklärung die Gezeiten. Das Meer schwappt ja hin und her und trägt so auch zur Verlangsamung bei. Das sind auch wenigstens Massen, die etwas bewirken können!!
Aber Vulkane? Mal abgesehen davon, daß Lavaströme ja auch so fließen können, daß sie die Rotation begünstigen würden (wenn das bißchen denn was ausrichten könnte...)


Natürlich ist das hier auch kein wissenschaftlich verfasster Artikel, aber doch sicher stimmiger, als die Aussage des Fernsehens...

BeitragVerfasst: So 1. Jan 2006, 15:39
von Lykurg
Auch Journalisten sind gelegentlich Menschen und trotzdem fehlerhaft.;) Gerade für das Medium Fernsehen ist es reichlich schwierig, eine Beitragsform zu bringen, die den größtmöglichen Konsumentenkreis erfreut und bildet. Und in allzuvielen Features wird die Wertigkeit eben vor allem zugunsten des Unterhaltungswerts verschoben (Gemeinplatz :rolleyes: ). Um die Zuschauer bei der Stange zu halten, werden vermeintlich aussagekräftige, da anschauliche Bilder gesucht. (War denn kein Vorschlag, die Vulkane zuzustopfen, dabei? Wenn sie doch sowieso böse sind...^^) [size=84]Daß [/size]bei dieser mundgerechten Zubereitung eben Fehler unterlaufen, wird in Kauf genommen.

Ich finde das nicht so tragisch, denn mE wird, wer einen gewissen Anspruch sich selbst gegenüber wahrt, seine Informationen nicht ausschließlich aus diesen 'Wissenssendungen' beziehen, sondern anderweitig nachlesen. Und daß grundsätzlich 'das breite Volk' mit derartigen Sendungen angesprochen werden soll - nun, das Interesse an diesen Formaten beschränkt sich in der Fachwelt wohl eher auf die Rezeptionsanalyse durch Kommunikationswissenschaftler.^^

Und zu den möglichen Begründungen: Nicht nur die Meere, auch das Land unterliegt den Gezeiten - wenn auch in deutlich geringerem Maße. Ich las in diesem Zusammenhang gestern, daß etwa Berlin sich um 30 cm hebt und senkt. Und einen nicht zu unterschätzenden Einfluß auf die Rotationsgeschwindigkeit hat das Laub, das im Sommer der Nordhalbkugel die Drehung (wie ausgebreitete Arme) bremst, im Winter beschleunigt (= angezogene Arme). Die Südhalbkugel bildet trotz entgegengesetzter Jahreszeiten kein Gegengewicht, weil dort ein weit größerer Anteil der Pflanzen immergrün ist.

Ebensogut kann vulkanische Aktivität bzw. Magmabewegung auch eine Beschleunigung hervorrufen:
Zitat von "Die Welt" vom 28.10.2005: In den letzten sieben Jahren jedoch hat es keine Schaltsekunde gegeben. Die Erde drehte sich in dieser Zeit mit gleichmäßiger Geschwindigkeit. Vermutlich haben Massenverlagerungen im Erdinneren den Heimatplaneten beschleunigt und die Bremswirkung des Mondes kompensiert, meinen Forscher um Dave Rubincam vom Goddard Space Flight Center der Nasa bei Washington. Auch das schwere Tsunami-Erdbeben Ende 2004 in Südasien verpaßte der Erde einen zusätzlichen Drall - es verkürzte die Tageslänge aber lediglich um acht Millionstelsekunden.
Daß die Erde "eiert", ist, auch wenn sie langsamer wird, keine ungültige Aussage, da, wie du sagst, Schaltsekunden in unregelmäßigen Abständen eingefügt werden (müssen). Aber auch in dieser Zentralaussage muß dein Standpunkt nicht zwangsläufig richtiger sein als der des Beitrags, denn:
Zitat von "Die Welt" vom 30.12.1998:Ob sich nun die Erde im Laufe der Zeit beschleunige oder verlangsame, sei in der Wissenschaft umstritten, sagt Gambis. Möglicherweise liege die Abweichung nur daran, daß als Bezugsgröße für die Atomsekunde das Jahr 1900 gewählt wurde. "Und vielleicht war das Jahr 1900 einfach etwas kurz."

BeitragVerfasst: So 1. Jan 2006, 16:25
von Anadyr
Wieso dürfen Journalisten keine Fehler machen? Ich arbeite selbst seit einem halben Jahr bei der Zeitung und kenne die Ansprüche der Leser, dass alles das wir schrieben stimmen muss. Doch dieser Anspruch ist schlicht unerfüllbar. Immer wieder ist es Interpretationssache, wie man etwas versteht und dann wider gibt. Die Journalisten sollten objktiv sein. Können sie aber nicht, denn die persönliche Meinung spielt immer mit, sie komplett auszuschalten ist beim schreiben eines Textes unmöglich. Ausserdem geschehen auch immer wieder Flüchtigkeitsfehler. Hier dazu kann ich nur sagen, wir sind Menschen un machen Fehler. Und dafür sollten die Leser Verständnis zeigen.

BeitragVerfasst: So 1. Jan 2006, 17:21
von MartinR
Achja?
Dann hab ich nochmal ein anderes Beispiel parat:

Es ging um angeblich unsinnnige Ampeln in Frankfurt am Main, die einzig dazu da sein sollen, den Autofahrer zu behindern.

Im Zuge dieses Beitrages wurde dann eine Ampel gezeigt, die an der Hanauer Landstr. Ecke Cassellastr. ist. Gezeigt wurde diese aus der Sicht der Fahrtrichtung Innenstadt. (Also von Ost nach West). Und zwar aus dem Hubschrauber.

Auf den Fernsehbildern sah man eine Ampel vor einer Brücke an einer langen langen Straße, die offensichtlich keinen Sinn hat, denn Fußgänger können über die Fußgängerbrücke gehen und eine Seitenstraße war nicht zu sehen.

Tja, diese Seitenstraße (die Cassellastr.) wurde dummerweise verdeckt von der Brücke, da der Hubschrauber ja von schräg oben gefilmt hat.

Ein versehen??? Wohl kaum...

- - -

Ach, und da fällt mir noch ein Beipspiel ein:
Bildzeitung, Lokalteil Frankfurt.
Überschrift: "Tausend Mark oder ich fahr Sie nicht ins Krankenhaus!".

Der Fall:
Der Rettungsdienst wurde gerufen, als ein Mann mit Roller untern einen rückwärtsfahrenden Laster geriet. Behauptung der Bildzeitung: Der Rettungsdienstmitarbeiter wollte erst 1000 D-Mark haben, bevor er den Mann ins Krankenhaus bringen wollte.

Ein paar Fakten dazu:
Die Höhe der Gebühren legt die Stadt Frankfurt verbindlich fest.
Die Krankenkassen übernehmen diese nur, wenn der aufnehmende Arzt die Notwendigkeit des Transportes bescheinigt mit der sogenannten "Notwendigkeitsbescheinigung". Sollte er das nicht tun, bleibt der Patient auf den Kosten sitzen.
Dieses sind Fakten, die jederzeit nachprüfbar sind. (z.b. Anruf bei der Branddirektion der Stadt Frankfurt am Main.)
Der Mitarbeiter hat den Patienten auf diesen Umstand hingewiesen für den Fall, daß der aufnehmende Arzt die Notwendigkeit eben nicht bescheinigen wird.
Ein anderes Interesse hat der Mitarbeiter auch nicht, da ja weder Kopfgeld noch Pramien gezahlt werden. Beides hätte auch kein Sinn, da (auch das ist jederzeit prüfbar) die Aufträge von der Einsatzleitstelle der Berufsfeuerwehr vergeben werden und Verlußte (die durch jederart Ausfälle) auftreten im Folgejahr durch Kostenleistungsausgleich ausgeglichen werden...

Und mir würden noch mindestens 2 Beispiele einfallen...

Natürlich ist nicht jeder Journalist so. Gar keine Frage!!!

Aber es ist kein "Flüchtigkeitsfehler" der einem unterlaufen kann, wenn man Vulkanlava als Ursache für die Verlangsamung der Erdrotation angibt...

Der Anspruch der Leser ist im Übrigen zurecht sehr hoch! Als Verteiler hat der Journalist eine besondere Sorgfaltspflicht! Schließlich wird seine Meinung in Höhe der Auflage/der Zuschauer vervielfältigt.
Fehler können natürlich mal passieren, aber nicht auf Kosten von Sensationsbilder bitte, weil es langweiliger wäre, ein Bild des Erdkerns zu zeigen oder das Meer...

BeitragVerfasst: So 1. Jan 2006, 17:35
von Feuerkopf
Ich glaube zu verstehen, was Martin meint.
Noch immer neigen wir dazu, dem, was gedruckt wird, besonderen Wahrheitsgehalt beizumessen. Noch mehr glauben wir, was im Fernsehen gezeigt wird.
Okay, wir sind vorsichtig, wenn es um die BILD geht, denn ihre Redakteure sind dafür bekannt, die Wahrheit ein wenig kreativ zu gestalten. ;) Das heißt aber nicht, dass die BILD generell lügt.
Die Yellow Press verkauft schon mal Gerüchte als Tatsachen, aber so lange nur Prinzessin Caroline und ihr Gatte betroffen sind, macht uns das auch nicht so viel.
Im TV hat sich das Genre des Infotainment entwickelt, eine Mischung aus Fakten und Unterhaltung. Schlechte Nachrichten und natürlich Sex verkaufen sich besonders gut, deshalb wird schon mal reißerischer aufgemacht, als es vielleicht der Sachlage angemessen ist.

Ich erinnere mich, als wir vor Jahren unsere Grundschule bestreikten, benachrichtigten wir u. a. auch die Lokalredaktionen von Sat 1 und Pro 7. Bei Pro7 erkundigte man sich tatsächlich, "ob es zu Kampfhandlungen" gekommen sei! :rolleyes:

Wer je Objekt einer Berichterstattung wurde, weiß, wie mit Informationen umgegangen wird, selbst im kleinen. Dass Namen nicht korrekt geschrieben werden, ist noch das harmloseste, was einem passieren kann.

Der Arbeitsmarkt für Journalisten ist schwierig. Da wird schon mal etwas aufgepustet, was eigentlich ganz klein ist. Da wird schon mal etwas gedreht, bis es ins politische Kalkül passt. Da wird schon mal schlampig recherchiert, weil eine ordentliche Recherche viel zu aufwändig und damit unrentabel wäre.

Ich denke auch, dass Journalisten sich an ihre Sorgfaltspflicht erinnern sollten.
Weil eben Gedrucktes und Gesendetes besonders glaubwürdig wirken.

BeitragVerfasst: So 1. Jan 2006, 17:52
von MartinR
Recht so, Feuerkopf! :)

BeitragVerfasst: So 1. Jan 2006, 19:12
von Lykurg
MartinR, ich meine, daß man zwischen der journalistischen Arbeit von Fernsehsendern, im Allgemeinen glaubwürdigen Printmedien und 'Bild' unbedingt unterscheiden sollte. Ich verweise noch einmal auf http://www.bildblog.de/ , die hier zusammengetragenen Materialien zum Umgang dieses Blattes mit Wahrheit, Würde und Anstand sind erdrückend, eine weitere Beschäftigung mit dem Thema "Bild" auf der Primärebene (Fehlerzählen) erübrigt sich daher mE.

Journalistische Arbeit außerhalb der 'Bild' und ihrer Artgenossen nehme ich ausdrücklich in Schutz. (Zu Fernsehproduktionen s.o.)

BeitragVerfasst: Mo 2. Jan 2006, 01:37
von Feuerkopf
Lykurg,
da wäre ich vorsichtig. Interessant ist es z. B., mal zu gucken, wem ein Printmedium oder ein Sender gehört, oder wie die Kontrollgremien der Öffentlich-Rechtlichen besetzt sind oder wie wo Lobbyarbeit betrieben wird oder ob ein potenter Werbekunde bestimmte Interessen verfolgt.

Ich glaube nicht mehr an die unbedingte Unschuld und Unabhängigkeit der Journalisten, was nicht in Frage stellt, dass viele von ihnen ihren Job gut und anständig machen.

BeitragVerfasst: Mo 2. Jan 2006, 02:11
von janw
Ich würde gar noch weiter gehen...
Es könnte leicht überraschend erscheinen, daß Journalismus überhaupt noch einigermaßen akzeptable Qualität erezugt in diesem Lande, wenn man sich die Rahmenbedingungen betrachtet.
Nicht nur steht der wirtschaftliche Druck gründlicher Recherche oft im Wege, und wirtschaftliche und politische Nicht-Einmischungs-Interessen der Verleger, auch die Personalauswahl-Mechanismen scheinen mir nicht gerade qualitätsfördernd zu sein:
Als ich mich einmal nach Voraussetzungen für eine journalistische Karriwere erkundigte, wurde mir gesagt "Machen Sie ein Volontariat und studieren Sie irgendetwas. Damit sollte man dann weiter kommen.
Das bedeutet im Klartext, daß von den Absolventen eines wissenschaftlichen Studiums diejenigen im Journalismus landen, die für sich andernorts keine Verwendung sehen, weder im akademischen Bereich, noch im Bereich der entsprechenden Berufe im freien Arbeitsmarkt.
Wissenschaftliches Halbwissen und darauf aufbauend unzureichendes Erkennen von Informationslücken, das ist IMHO ein Grundproblem von Journalismus heute. Ein Grundproblem gar in allen auf Informationsverbreitung zielenden Berufen, auch der Wissenschaft selbst.

BeitragVerfasst: Mo 2. Jan 2006, 17:29
von Maglor
Und für das Fernsehn reicht es, klug auszusehen und klug zu klingen. ;)

Es geht um die Quote und um die Kosten. Sprich man möchte einen Beitrag möglichst billig, oder eupehemistisch ausgedrückt "preiswert", produzieren und möglichst viele Zuschauer/Leser erreichen, die dann die Werbeunterbrechungen mitnehmen.
Angebot und Nachfrage beherrschen die Wirtschaft. Nun könnte man meinen der Hauptnachfrager seien die Konsumenten, tatsächlich habe jedoche die Konzerne den dickeren Geldbeutel und finanzieren mit ihrer Werbung TV- und Printmedien.

Schön das es noch die gute alte, staatlich organisierte Planwirtschaft gibt. Der Staat, böse Zungen reden vom Steuerzahler, subventioniert den ernsthaften Journalismus. Das nennt man dann öfffentlich rechtlichen Fernsehen. Da aber ARD und ZDF auch gern, was durch Werbung dazu verdienen, setzen sie hin und wieder (oder immer öfter) den Konsumenten in die zweite Reihe und machen Platz für die schlecht recherchierten Verkaufsschlager. Wer braucht Brisant, wenn er RTL-II haben kann?

MfG Maglor

BeitragVerfasst: Mo 2. Jan 2006, 17:50
von Lykurg
Wer braucht Brisant, wenn er RTL-II haben kann?
Auch ARD und ZDF brauchen Quote, um ihrem Breitenbildungsauftrag nachzukommen und die sinnvolle Verwendung der Rundfunkgebühren nicht nur schwarz auf weiß, sondern live und in Farbe präsentieren zu können. - Und ich würde hier ausnahmsweise nicht das Original vorziehen.^^ Aber das mit Angebot und Nachfrage paßt hier mE nicht so richtig - man könnte sogar behaupten, es gäbe bei den Konsumenten auch eine (wenn auch geringe) Nachfrage nach Werbebeiträgen (ohnehin, wenn verpackt in einer Dauerwerbesendung oder Gewinnspielen).

Feuerkopf, das klingt mir zu vernünftig. Ja, natürlich ist 'Bild' nicht an allem schuld. Aber ich finde die Dimension der Fehlleistungen nicht vergleichbar mit denen anderer Medien, vor allem wegen der gezielten Diffamierungskampagnen, Erpressung und Lynchjustiz in diesem Blatt.

BeitragVerfasst: Mo 2. Jan 2006, 17:56
von Maglor
Es besteht eine gewaltige Nachfrage nach Werbeunterbrechungen, Dauerwerbesendungen und Gewinnspielen bei diversen Konzernen.
Das Fernsehn hat natürlich noch ein weiteres finanzielles Standbein: Die 0190er und ihre Verwandten.
Wichtig ist, dass die Quote an sich kein Wert für den Sender ist sondern vor allem für die Werber. Nur Sender die gesehen werden, erhalten hohe Summen für ihre Werbeblöcke.
Nicht wenige Sendungen werden wohl durch Telefonrechnungen finanziert. Es scheint genug Dumme für das Format zu geben.
MfG Maglor