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Der Antisemit in unserer Familie

Verfasst:
Fr 10. Mär 2006, 19:34
von Malte279
Hallo!
Im Moment muss ich mit einer Situation umgehen die für mich wirklich sehr schwer zu meistern ist.
Im letzten November hat meine Mama einen Mann geheiratet den sie 2000 beim Urlaub auf Korsika kennengelernt hat. Er heißt Rachid, ist Algerier, scheint sehr nett zu sein und die beiden lieben sich wirklich. Viel kann ich nicht über Rachid sagen. Er und Mama unterhalten sich fast durchweg auf Französisch und ich habe jetzt gerade erst ein Semester Französisch an der Uni abgeschlossen, so dass ich da nur die elementarsten Grundlagen beherrsche. Rachid versteht zwar mittlerweile sehr gut Deutsch und kann sich auch verständlich auf Deutsch ausdrücken und außerdem können wir uns auch auf Englisch unterhalten, aber alles in allem ist unsere Bekanntschaft nach all den Jahren die er nun schon hier lebt erschreckend oberflächlich und unsere Unterhaltungen sind selten über dass sehr alltägliche hinausgegangen. Allgemein ist es manchmal seltsam dass Rachid oft weggeht ohne dass wir mehr wissen als dass er in den "Dortmunder Norden" geht (wahrscheinlich trifft er sich mit Freunden und geht zur Moschee, was ja auch vollkommen in Ordnung ist, aber erzählen tut er nie etwas; nicht einmal auf Nachfrage).
Zum Teil durch den Karikaturenstreit ist es neulich wiederholt zu politischen Diskussionen zwischen Rachid, meiner Schwester und mir gekommen, wobei ich betonen muss, dass meine Schwester und ich beide es vermieden haben von vornherrein irgendwie eine vorwurfsvolle oder verächtliche Haltung gegenüber dem Islam einzunehmen. Aber einiges von dem was Rachid in diesen Diskussionen gesagt oder nicht gesagt hat macht mir Angst. So ist er beispielsweise der festen und unverrückbaren Auffassung, dass alle Juden Mörder seien und auch wenn er Selbstmordattentate gegen andere Moslems für falsch hält und Osama Bin Laden für "genauso böse" wie George W. Bush erachtet hat er sich nicht dazu durchringen können wie auch immer geartete Gewalt gegen Israel abzulehnen. Rachid ist da vollkommen unempfänglich für die vernünftigsten Argumente. Das die Aussage alle Juden seien Mörder totaler, menschenverachtender Unsinn ist lässt sich ja unschwer beweisen, aber Rachid wiederholt derartige Aussagen wenn sie wiederlegt werden einfach und scheint gegenteiliges gar nicht wahrzunehmen. Man könnte da genausogut vor eine Wand sprechen.
Ich halte derartige Aussagen von der Nation des Sprechers unabhängig für absolut Menschenverachtend und verwerflich. Wenn ich diese Statements für sich betrachte kann ich mir nicht vorstellen mit jemandem der sie von sich gibt unter einem Dach zu leben. Ich glaube dass ich (obwohl ich wie gesagt bei derartigen Aussagen die Nation des Sprechers für unwesentlich halte), wäre er Deutscher, solche Aussagen auf gar keinen Fall hinnehmen könnte. Und doch sitze ich es aus.
Es ist auch absolut unmöglich mit Mama darüber zu sprechen. Wenn derartige Themen über Rachid aufgebracht werden, dann reagiert sie (vollkommen untypisch für sie) geradezu aggressiv, geht aber auf dass gesagte überhaupt nicht ein, weil sie weiß dass es stimmt und weil sie davor Angst hat. Mama hat immer wirklich großes Pech mit den Männern gehabt und ich würde es ihr von Herzen wünschen dass sie endlich einen Mann gefunden hat mit dem sie alt werden kann. Ich glaube sie würde es kaum verkraften können wenn sie und Rachid sich wieder trennen würden. Das ist auch dies der Hauptgrund dafür, dass ich mich sehr bemühe Konfrontationen mit Rachid aus dem Weg zu gehen, die ich bei früheren Männern von ihr nicht gescheuht habe wenn es nötig war.
Aber kann und darf so etwas scheußliches wirklich einfach ausgesessen oder ignoriert werden? Wird es nicht auf dauer schlimmer werden? Ich mache mir wirklich die allergrößten Sorgen wegen all dem.

Verfasst:
Fr 10. Mär 2006, 21:55
von Feuerkopf
Au Mann, das ist wirklich ein schwieriger Fall!
Du liebst deine Mutter, du wünscht ihr nur das allerbeste und gleichzeitig hast du berechtigte Bedenken wegen ihres Partners.
Von einem Gedanken musst du dich frei machen: Du bist nicht verantwortlich für das Glück deiner Mutter. Sie ist eine erwachsene Frau, die mit wachem Blick einen Mann aus einem anderen Kulturkreis geheiratet hat. Ganz gleich, wie verliebt sie war, ein paar der damit verbundenen Schwierigkeiten werden ihr schon bewusst gewesen sein.
So lange Rachid nicht versucht, dich zu missionieren, dich nicht unter Druck setzt in irgend einer Form, sollte es möglich sein für dich, diesen unsäglichen Diskussionen aus dem Weg zu gehen.
Du bist erwachsen, du kannst sagen: "Rachid, deine Meinung ist deine Meinung. Ich teile sie nicht, ich lehne sie ab. Deshalb will ich mit dir über dieses Thema nicht mehr reden."
Du wirst ihn eh nicht überzeugen, eigentlich sind das keine Diskussionen, sondern der Austausch von Meinungen.
Diese Haltung kannst du fest und konsequent durchhalten.
Was deine Mutter betrifft, so kannst du ihr vermitteln, dass du immer ein verlässliche Größe für sie sein wirst und du akzeptierst, dass sie einen Mann liebt, auch wenn du nicht so ganz einverstanden mit ihm bist. Je mehr du ihr Rachid versuchst, madig zu machen, desto fester und wütender wird sie hinter ihm stehen.
Es ist halt so, auch Eltern haben das Recht, Dinge zu tun, die ihre Kinder völlig daneben finden.

Verfasst:
Fr 10. Mär 2006, 23:07
von Die Maschine
Kann mich dem eigentlich nur anschließen, Konfrontationen sollten auf jeden Fall vermieden werden... (und das egal in welcher Hinsicht).
Manchmal ist es eben besser, sich seinen Teil zu denken, als seine Meinung hineinzupoltern... ich weiß zwar wie schwer es ist, sowas zu machen, aber leider ist es der einzige Weg.
Allerdings sagt Feuerkopf, dass egal wie verliebt deine Mutter gewesen sei, Knackpunkte müssten ihr aufgefallen sein...
Hmmm.... tatsächlich!?!? Ich denke doch, dass oftmals das Sprichwort "Blind vor Liebe" realistisch ist, und deine Mutter zeigt mir eindeutig, dass sie solch ein Fall ist.

Verfasst:
Fr 10. Mär 2006, 23:22
von Lykurg
Schon, Die Maschine, aber Malte279 hat ja auch erwähnt, daß seine Mutter auf Erwähnungen des Themas sehr empfindlich reagiert, "
weil sie weiß dass es stimmt und weil sie davor Angst hat." Ich stimme Feuerkopf insofern bedingungslos zu. Eine schwierige Situation!
Ich hoffe, auch deine Schwester ist alt genug, damit zurechtzukommen. Mit Argumentationshilfen ist bei so festgefahrenen Meinungen jedenfalls nichts zu machen (für einen historisch so interessierten Menschen wohl doppelt frustrierend).

Einen Abstand zum Thema halten; zur Mutter stehen.

Verfasst:
Sa 11. Mär 2006, 00:04
von e-noon
Du wohnst noch dort, oder? Vermutlich kommt es etwas drastisch daher, aber eine Möglichkeit wäre Ausziehen ^^ Aus der gemeinsamen Wohnung. Du hättest Abstand und deine Mutter wäre trotzdem nicht allein, hat ihren Freund, keinen Streit und könnte dich öfters besuchen. Dort könnte sie auch hin, falls es zu Hause ausarten sollte (hab ich öfters gehört, aber ich will nicht den Teufel an die Wand malen).

Verfasst:
Sa 11. Mär 2006, 01:20
von Ipsissimus
bei allem Respekt, ich bezweifele, daß es überhaupt ein Problem gibt

Verfasst:
Sa 11. Mär 2006, 12:40
von aleanjre
Warum denkst du das, Ipsi? Wenn Malte sich irgendwann nicht mehr zurückhalten kann und einen richtig heftigen Streit entfesselt, dann ist die Familienharmonie gründlich dahin. Der Partner seiner Mutter scheint in diesem Punkt nicht reflexionsfähig, er würde also jede Diskussion als persönlichen Angriff werten. Maltes Mutter dürfte schwer enttäuscht sein und sich nicht unbedingt an die Seite ihres Kindes stellen.
Ich denke auch, dass über kurz oder lang ausziehen die beste Möglichkeit sein dürfte, Kriegszustände zu umgehen. Sollte dies erst einmal finanziell unmöglich sein und die Situation kurz vor Eskalation stehen: Könntest du für einige Wochen bei Verwandten oder Freunden unterschlüpfen?

Verfasst:
Sa 11. Mär 2006, 13:27
von Windsbraut
Malte, das ist eine Situation, die mich total überfordern würde. Dadurch, dass deine Mutter dir natürlich sehr nahe steht, ist es fast unmöglich, so zu reagieren, wie man es normalerweise täte. Ich kann deine Zwickmühle sehr gut verstehen.
Wahrscheinlich würde ich auch jede Diskussion umgehen, aus Angst ausfallend zu werden und damit einen Riss in die Beziehung zu meiner Mutter zu bringen.
Ich hätte außerdem ein Problem mit dem "Verschwinden" von Rachid in den Dortmunder Norden, wo er Dinge tut, über die er keinesfalls sprechen will. Ein Bekannter von mir ist Libanese, er wohnte lange im Dortmunder Norden und hat mir ein paar Stories erzählt, die mir die Haare haben zu Berge stehen lassen. Meine Phantasie würde - wäre ich an deiner Stelle - wahrscheinlich Purzelbäume schlagen...
Ich hoffe, du schaffst es, dich irgendwie mit der Situation zu arrangieren. Dass deine Mutter aggressiv auf Kritik an ihrem Mann reagiert, halte ich ebenfalls für ein Zeichen dafür, dass sie ganz genau weiß, dass da etwas im Argen liegt. Aber wie Feuerkopf schon sagte: Du bist nicht der Hüter deiner Mutter. Sie ist schon groß und würde wahrscheinlich ohnehin nur mit Ablehnung darauf reagieren, wenn du sie warnen würdest oder noch mehr Kritik an ihrem Mann übtest. - Für den Fall der Fälle ist es sicher besser, wenn sie weiß, dass sie sich immer auf dich verlassen kann, dass du zu ihr stehst.

Verfasst:
Sa 11. Mär 2006, 15:23
von Ipsissimus
ich habe mich vielleicht etwas missverständlich ausgedrückt, natürlich ist ein Problem vorhanden, wenn es als solches empfunden wird.
Dennoch scheint mir das Problem eher im Bereich "political correctness" angesiedelt zu sein als sonstwo. Rachid vertritt die Ansicht, die er vertritt. Es ist anzunehmen, daß sich ein erwachsener älterer Mensch nicht mehr erziehen läßt, und schon gar nicht von jungen Menschen. Er wird daher bei dieser Haltung bleiben. Problem charakterisiert und damit Lösung angedeutet -> akzeptieren (zumindest nicht mehr erwähnen) oder ausziehen.
Fragen sachlicher Richtigkeit spielen bei derart emotional aufgeladenen Sujets so gut wie keine Rolle. Von 100 Palästinensern, die bei uns leben, haben 90 Verwandte, die durch israelische Luftangriffe umgekommen sind. Der Verweis darauf, daß es in Israel wesentlich mehr Menschen gibt, die diese Angriffe ablehnen als beführworten, ändernt erst mal nichts daran, daß das Bild, welches diese Menschen von Israel haben, durch die Angriffe geprägt ist - genau wie umgekehrt das Bild der Palästinenser in Israel von den Selbstmordattentaten geprägt ist, und nicht von denen, die solches ablehnen. Ich bezweifele, daß es in Deutschland sehr viele Deutsche gibt, die unter gleichermaßen direkter persönlicher Last die ruhige distanzierte Distinguiertheit und Contenance wahren würden, solche Sachverhalte auf einer sachlichen Ebene zu verarbeiten.

Verfasst:
Sa 11. Mär 2006, 15:35
von Feuerkopf
Ipsi,
der Mann kommt aus Algerien. Willst du sagen, es besteht unter Muslimen eine allgemeine Identifikation mit den Palästinensern?

Verfasst:
Sa 11. Mär 2006, 15:43
von Lykurg
Ipsissimus, das Detail, daß es sich um einen Algerier handelt, können wir mE weitgehend außenvorlassen, schließlich nehme ich (Feuerkopf, du bringst es gerade auf den Punkt) tatsächlich eine starke Identifikation unter Muslimen an - die, wie im Karikaturenstreit gesehen, schnell zu einer "Lagersicht" führt.
Allerdings ist das Problem damit bei weitem nicht erledigt, es geht wohl kaum um die Frage, wie oder ob man etwas an Rachid ändern könnte, als vielmehr darum, was das für Maltes Familie bedeutet - und die Welt ist ja keineswegs in dem Moment 'in Ordnung', in dem Malte und seine Schwester aus dem Haus 'vertrieben' sind und ihre Mutter einer solchen Situation auf Gedeih und Verderb ausgeliefert ist (wie selbstgewählt auch immer sie sein mag).

Verfasst:
Sa 11. Mär 2006, 16:53
von Ipsissimus
Feuerkopf, es besteht imo unter arabischen Muslimen eine weitgehende allgemeine Identifikation mit arabischen Muslimen, wie auch immer die Praxis dieser Identifikation aussehen mag
Lykurg, die Unlösbarkeit des Problems ist die Lösung des Problems. Alles Weitere ist eine Frage von Weisheit. Natürlich kann ich dagegen anstürmen. Bis ich alt und grau bin. Oder ich lehne mich entspannt zurück und denke mir mein Teil, oder gehe meines Weges und denke mir mein Teil.
Das ist aber Teil eines anderen Problems.

Verfasst:
Sa 11. Mär 2006, 19:41
von Feuerkopf
Ah, ich glaube, ich verstehe. Statt den Gordischen Knoten, der hier aus verschiedenen Problemen entstanden ist, auf einmal lösen zu wollen, kann man die Probleme auch einzeln betrachten. Manche von ihnen sind lösbar, manche eher nicht.
Malte,
vielleicht äußerst du dich auch noch mal?

Verfasst:
Sa 11. Mär 2006, 19:58
von Lykurg
Beziehungsweise: Das Wissen darum, daß man die Umstände nicht ändern kann (bzw. damit unkalkulierbare Risiken eingeht), trägt dazu bei, die Situation gefaßt hinzunehmen und anstelle der unproduktiven, einengenden Vorstellung eines Problems einen lebbaren Alltag daraus zu entwickeln. Vielleicht.

Verfasst:
Sa 11. Mär 2006, 23:10
von Malte279
Tut mir leid, dass ich mich noch nicht eher wieder gemeldet habe. Wir hatten heute Besuch und ich bin bis jetzt noch nicht wieder zum schreiben gekommen.
Ich bin euch für eure Ratschläge sehr dankbar und ich werde es wohl auch weiterhin so halten, dass ich das Thema nicht anschneiden werde, da ihr sicherlich damit recht habt, dass ich keine Meinungsänderung werde bewirken können. Rachid wird es wohl ebenfalls nicht darauf anlegen das Thema zur Sprache zu bringen. Allgemein komme ich mit ihm auch eigentlich sehr gut aus.
Wohl ist mir dabei aber ganz und gar nicht. Die Wertschätzung von Mord und ein Pauschalurteil über ein ganzes Volk sind meiner Ansicht nach nicht eben Kavaliersdelikte. Es entspricht so gar nicht meiner Überzeugung derlei Aussagen zu tolerieren (wovor ja auch so oft gewarnt wird). Für die Menschen in meiner Umgebung und mich selbst könnte ich aber nichts gutes aber eine Menge schlechtes bewirken wenn ich eine Aussprache suchen würde die eine Mäßigung von Rachids Haltung zum Ziel hätte.

Verfasst:
Mi 15. Mär 2006, 15:34
von Maglor
Zitat von Malte279:So ist er beispielsweise der festen und unverrückbaren Auffassung, dass alle Juden Mörder seien und auch wenn er Selbstmordattentate gegen andere Moslems für falsch hält und Osama Bin Laden für "genauso böse" wie George W. Bush erachtet hat er sich nicht dazu durchringen können wie auch immer geartete Gewalt gegen Israel abzulehnen.
Diese Thesen sind doch im Grunde gar nicht so gefährlich. Naja, es hätte schlimmer kommen können.
Tatsächlich kommt man bei Verschwörungstheoretikern mit simplen Argumenten nicht weiter. Tatsächlich ist der Verschwörungstheoretiker der allgegenwertigen Gegenargumente bewusst, aber derartige Beweise sind natürlich fingiert.
Ich vermute auch, dass hier, wie eigentlich fast immer, keine feste, ausgearbeitete Ideologie vertreten wird, sondern einfach aus dem Bauch heraus die Meinung entsteht. Sprich wenn man ihm einige nicht mordende Juden vorsetzt, wird er auf seinem Standpunkt beharren, ganz nach dem Motto: Ausnahmen bestätigen die Regel. Oder aber er wird seine These entsprechend korrigieren in "Die meisten Juden sind Mörder, zumindest indirekt...", was allerdings nur einer oberflächliche Veränderung wäre.
MfG Maglor