Ich sehe es so, daß es sich bei dem Kopfstoß nicht um eine einzeln im Raume stehende Handlung handelt, sondern, daß sie Teil einer Auseinandersetzung war Nun gehören zu einem Streit immer zwei Leute, mindestens, und so müssen in meinen Augen beide eine Strafe bekommen für das, was sie jeweils getan haben.
Eine verbale Beleidigung in der im Umlauf befindlichen Wortlautqualität, dreimal wiederholt, wiegt für mich nicht weniger schwer als ein daraufhin im Affekt begangener körperlicher Angriff in Form eines Kopfstoßes.
In diesem Sinne würde ich es für gut halten, den Wortlaut Materazzis zu überprüfen und ihm dafür bei entsprechender Schwere auch nachträglich eine Strafe zu geben.
Eine andere Frage ist, wie die Rote Karte für Zidane zustande gekommen ist - wenn sie wirklich nur durch einen Videobeweis zustande gekommen sein sollte - der 4. Schiedsrichter müßte hierzu unter Eid vernommen werden - dann wäre sie, so sehr man das bedauern mag, ungültig und müßte zurück genommen werden - denn der Videobeweis ist ausdrücklich nicht gültig, und auch eine Sportsgerichtsbarkeit würde sich selbst demontieren, wenn sie formal fehlerhafte Urteile erlassen würde.
Mit Selbstjustiz hat dies IMHO allerdings recht wenig zu tun, denn dabei handelt es sich im Allgemeinen um recht wohl überlegte und geplante Handlungen, mit denen einem Übeltäter seine Tat "heimgezahlt" werden soll, um eine vorsätzliche Handlung also und nicht um eine Handlung aus dem Affekt, wie sie bei Zidane zu konstatieren ist, wenn man die zeitliche Entwicklung betrachtet und die psychische Situation und körperliche Konstitution der Spieler zu der Zeit. Das war eine Handlung aus dem Affekt unter immensem psychischem und physischem Stress.
Die zwar dadurch nicht schöner wird, aber eben unter diesem mildernden Umstand zu betrachten ist. Auch, wie Zidane sich danach verhalten hat, etwas zeitlichen Abstand gewinnen, die Sieger ihren Sieg genießen lassen und dann sein Bedauern zu äußern, wie er es getan hat, das nötigt mir schon gewissen Respekt ab. Wäre zwar zu schön gewesen, er hätte dabei gleich auch Materrazzi seine Beleidigung vergeben - aber kann man das verlangen, wenn sie ihn so tief getroffen hat und wohl auch dafür gedacht war?
Selbstjustiz im wirklichen Sinne sieht anders aus und ist für mich kein Weg, der durch unser Rechtssystem gedeckt ist, aus guten Gründen.
Grundlage eines freiheitlich-demokratischen Rechtssystems ist, daß jeder Verstoß gegen Rechtsvorschriften verfolgt werden kann, sei es nach Anzeige durch einen Geschädigten, Zeugen oder aufgrund eigenen Ermittlungsinteresses des Staates. Ein bei den folgenden Ermittlungen aufgefundener Tatverdächtiger kann dabei befragt werden und zur Verhinderung weiterer Taten oder von Flucht o.ä. bei hinreichendem Verdacht auch festgehalten werden - er gilt dabei jedoch während der ganzen Zeit bis zum Urteil als unschuldig. Außerdem hat er die Möglichkeit, sich mit einem Anwalt gegen die Vorwürfe zur Wehr zu setzen und ggf. seine Unschuld zu beweisen oder aucf eine Strafmilderung hinzuwirken.
(Daß es dabei gerade bei Pflichtbeiständen immer wieder zu Fehlern und Versäumnissen kommt, ist unbestreitbar, ändert aber nichts am grundlegenden Funktionieren des Systems.)
Alle diese Dinge - unabhängige Ermittlung eines Tathergangs, nicht primär der Schuld eines Einzelnen, Unschuldsvermutung, Rechtsbeistand, individuelle Strafe nach Tat und Schwere der Tat - gibt es bei der Selbstjustiz nicht. Dort meint jemand, ein bestimmter Anderer habe ihm einen bestimmten Schaden zugefügt und bestraft ihn auf eine nach eigenem Gutdünken festgelegte Weise.
Ohne, daß der Andere die Möglichkeit hat, sich zu verteidigen, ggf. seine Unschuld nachzuweisen oder die Einhaltung eines gewissen Maßes bei der Bestrafung zu verlangen.
Selbstjustiz führt somit zwangsläufig zu einem Regime der Stärkeren, zu Fehlbestrafungen, zu Ungerechtigkeit und Willkür bei der Bestrafung von Tätern und am Ende zu einem Kreislauf von Rache und Vergeltung.
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