Illusionen von Gemeinschaft

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Maurice
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Sa 30. Sep 2006, 00:32 - Beitrag #1

Illusionen von Gemeinschaft

Ich habe die Tage schon über einen solchen Thread nachgedacht, aber mich bis jetzt nicht hin gesetzt, um ihn zu eröffnen. Das lag vor allem daran, dass ich nicht richtig wusste, was ich schreiben sollte. Das weiß ich zwar im Moment auch nicht, aber ich versuch einfach ein paar Worte zu finden.
Ich habe mich vor kurzen gewundert, warum ich mich eigentlich so oft von Foren angezogen fühle. Ok zum reden, aber entweder sind es Themen ohne wesentliche Bedeutung oder man streitet sich. Zumindest ist es meistens so oder so. Das Erste erscheint mir ziemliche Zeitverschwendung zu sein, das andere senkt meine Stimmung. Warum bin ich also in solchen Foren aktiv? Und warum fühle ich mich oft nach einer Zeit wieder zu ihnen hingezogen, nachdem ich mir vorgenommen habe, diesem den Rücken zu kehren? Eine Überlegung dazu war, dass die zeitweise bestehende Illusion einer Gemeinschaft mich zu solchen Orten zieht. Ein Wunsch nach Gemeinschaft, den ich mir nicht eingestehen will, aber immerhin denkbar ist. Die Motive der meisten User hier werden andere sein, warum sie in dieses Forum schreiben. Aber bei dem ein oder anderen steckt vielleicht gerade dieser Wunsch hinter ihrer Aktivität. Ich würde daher gerne wissen, wer sich vorstellen kann, dass dies die Ursache seines Aufenthalts hier ist.

janw
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Sa 30. Sep 2006, 01:32 - Beitrag #2

Hm, ich finde es immer wieder interessant, wenn in neueren Krimis das Thema auf Foren im Netz kommt, in denen ein Tatverdächtiger sich nach Auskunft seines beschlagnahmten Rechners herumgetrieben hat. Immer wieder wird dort das Stereotyp von kontaktgestörten vereinsamten Persönlichkeiten bemüht, die sich in der anonymen Virtualität mittels konstruierter Identität Anerkennung und Gemeinschaft verschaffen.
Warum ich nun regelmäßig hier bin, hat eher den Grund, daß ich gerne über alles mögliche diskutiere und die Themen hier mir gefallen, daneben das Klima und, ja, das Gefühl von Gemeinschaft, das hier herrscht.
Ich habe durchaus eine ganze Reihe Freunde in meinem RL, aber ich könnte in meiner Umgebung nie so diskutieren, wie es hier möglich ist, und ich denke, im RL hätte ich wohl keinen von Euch jemals kennen gelernt. Was schade wäre.

pantyhose
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Sa 30. Sep 2006, 10:49 - Beitrag #3

Warum ich hier bin? Hmm nunja weil man hier (im gegensatz zum richtigen Freundeskreis) einfach unbeschwert drauf los brabbeln kann.

Ohne Angst was auszuplaudern oder dass einer einem was übel nimmt. Ausserdem muss ich hier nich aus dem Haus *lol* und irgendwie isses auch immer spannend wie andere die einen ja garnich kennen auf einen reagieren. Das öffnete mir schon manchmal n bisschen die augen für was....

Maglor
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Sa 30. Sep 2006, 10:55 - Beitrag #4

Natürlich gibt es die Illusion von Gemeinschaft, vielleicht sogar den Anschein einer Heimat im Netz.
Ist es nicht ein wohliges Gefühl die Beiträge bekannter Personen in der Matrix zu lesen, und den Inhalt als bekanntes Klischee der Person zu erkennen?
Vielleicht leben wir hier gerade das aus, was uns im echten Leben fehlt. Das Gefühl offene Ohren zu finden...
MfG Maglor

Windsbraut
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Sa 30. Sep 2006, 11:31 - Beitrag #5

Mich fasziniert die Möglichkeit, mit Leuten zu "reden", die ich sonst nie kennengelernt hätte. Ohne sich von Äußerlichkeiten ablenken oder beeinflussen zu lassen, kann man Meinungen austauschen - und sogar Freundschaften knüpfen! Ich habe durch Foren schon viele nette Menschen im RL kennengelernt, mit zweien verbindet mich inzwischen sogar fast so etwas wie eine Freundschaft. Es wäre sauschade, wenn ich diese Leute nie getroffen hätte!

Man kann seinen Radius erweitern, und auch seinen Horizont.

Ähnliches habe ich empfunden, als ich in verschiedenen Chören und Quartetten gesungen habe: Auch dort lernt man Menschen kennen, die auf den ersten Blick überhaupt nichts mit einem gemein haben. Aber auf einmal entdeckt man, dass man sich super versteht - das ist einfach schön!

(Ich muss aber auch zugeben, dass es eine Menge Bekloppter im Netz gibt. Andererseits: Wer ist im RL nicht auch schon Dutzenden von Meschuggenen begegnet?)

C.G.B. Spender
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Di 3. Okt 2006, 02:29 - Beitrag #6

Gemeinschaft ist die Illusion schlechthin. Wir sind alle gefangen in uns selbst und unseren Vorstellungen und dies wird vor allem über die Sprache als alleinige Form der Kommunikation immer einer echten Gemeinschaft im Weg stehen.

Echte Gemeinschaften entstehen aus physischer Nähe und Liebe, gemeinsamen Erleben, noch besser Überleben und Durchleben von Not, Leid, aber auch Freude und tiefster Sinnlichkeit. Um gemeinsam zu leben, zu durchleben und zu überleben, bedarf es keinerlei Worte und wenn, dann drücken sie doch nur mehr weniger aus, als jene Gesten und Gesichtsausdrücke, die man kennt, die alles sagen.

Gemeinsamkeit ist zudem vor allem ohne wirkliche Wahrnehmung eine Illusion. Das Internet ist jedoch so frei von jeglicher wirklichen Wahrnehmung, wie es der in Foren Schreibende will. Zu lügen war noch nie so leicht, wie in der virtuellen Welt.

Auf der anderen Seite kann man im Netz so ehrlich sein, wie sonst nirgendwo, wobei sich die Frage stellt, welche Macht eine anonyme Wahrheit hat? Welch moralischen Wert, wenn Niemand dahinter steht? Oder welchen Sinn es hat, Angesicht zu Angesicht nicht die Wahrheit zu sprechen? Regieren im realen Leben nur Kosten und Nutzen, während in der Virtualität eine Art anarchistische Pseudo-Gemeinschaft entsteht, gemacht aus Menschen, die in der Wirklichkeit keinerlei oder kaum Kontakt haben?

Für mich ist das Netz ein Ventil um Eindrücke loszuwerden, z.B. als Kommentare, aber das heißt nicht, dass ich es mag. Foren sind extrem subjektiv. Es ist manchmal schön viele Meinungen zu hören. Zu oft und ich unterliege der Versuchung mein Gehirn auf Durchzug zu schalten, dem Eskapismus zu frönen; und die beste Flucht vor der virtuellen Welt ist immer noch jene in die reale. Dabei ist es geradezu surreal in zwei Welten zugleich zu leben, aber nur in einer zu atmen.

[EaR]Termy
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Di 3. Okt 2006, 02:52 - Beitrag #7

da gibt es für mich verschiedene motivationen, in foren aktiv zu sein.

in manchen ist es der schlichte zeitvertreib

in anderen schlichtes interesse und die möglichkeit, mit "gleichgesinnten" bzw vllt bessergesagt "ähnlich-interessierten" zu diskutieren, in meinem falle bezieht sich das vor allem auf wissenschaftliche themen, da kenne ich RL leider kaum jemanden mit entsprechenden kenntnissen.

in manchen ist es vielleicht auch die möglichkeit, sich ohne scham ausdrücken zu können, sich "die seele vom leib reden zu können", ohne auf vorurteile, vorher gebildete meinungen etc (nicht unbedingt nur negativ, sondern halt einfach vor"belastet") zu stoßen, sondern rein auf basis des geschriebenen andere meinungen zu bekommen.

lässt sich bestimmt auch nich wirklich eindeutig auf die verschiedenen foren aufteilen, aber ein gefühl der gemeinschaft suche ich im netz nicht...nicht mehr zumindest...in früheren zeiten war das vielleicht mit ein grund, an muds oder clans o.ä. beteiligt zu sein.

dmz
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Di 3. Okt 2006, 02:55 - Beitrag #8

Illusionen von Gemeinschaft:
Ich würde daher gerne wissen, wer sich vorstellen kann, dass dies die Ursache seines Aufenthalts hier ist.

Der Gemeinschaft wegen beteilige ich mich eigentlich nicht an Foren,
und ich kann mir auch nicht vorstellen,
dass jemand dieses Moment in den Vordergrund stellen koennte.
Ich hole mir aus Foren Anregungen fuer's eigene Denken und Hinterfragen, soweit es mir an Thematik fehlt.
:::
Ich lese in den Foren eher, als dass ich eigene Beitraege schreibe.
Es bedarf mE einer gewissen Durchhalte-Disziplin,
an einem Thread durchgaengig bis zum Ende mit eigenen Beitraege teilzunehmen,
- zumal, wenn es die eigene Themenstellung gewesen ist.
Daran fehlt es mir aus Zeitgruenden.
:::
Mein Interesse, an einem Forum teilzunehmen,
laesst sich etwa so in Stichworten beschreiben:
Interesse an der 'Themen-Auswahl' und an den 'Meinungen' dazu, an der 'philosophischen Gestaltung' und am 'Tanz der Sprache'.

Maurice
Analytiker
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Di 3. Okt 2006, 21:12 - Beitrag #9

@Spender:
Gemeinschaft ist die Illusion schlechthin. Wir sind alle gefangen in uns selbst und unseren Vorstellungen und dies wird vor allem über die Sprache als alleinige Form der Kommunikation immer einer echten Gemeinschaft im Weg stehen.
Echte Gemeinschaften entstehen aus physischer Nähe und Liebe, gemeinsamen Erleben, noch besser Überleben und Durchleben von Not, Leid, aber auch Freude und tiefster Sinnlichkeit.

In meinen Ohren klingt das widersprüchlich. Zum einen behauptest du im zweiten Abschnitt scheinbar, dass echte Gemeinschaft möglich ist und im ersten behauptest du, dass sie unmöglich ist, da Sprache einer Gemeinschaft immer im Weg ist und Gemeinschaft immer nur eine Illusion ist. Wie aber soll Mensch kommunizieren, ohne irgendeine Form der Sprache? Und wie soll eine Gemeinschaft ganz ohne Kommunikation möglich sein? Also ist Gemeinschaft weder ohne als auch mit Kommunikation möglich?

Was meinst du mit "wirkliche Wahrnehmung"? Streng genommen würde ich sagen, dass niemand von uns den anderen durch dieses Forum wahrnimmt, denn alles was wahrgenommen wird, sind Texte und Bilder auf unseren Bildschirmen, die wir von einem Server erhalten, die wir dort für alle abgelegt haben.

Welch moralischen Wert, wenn Niemand dahinter steht?

Diesen Satz verstehe ich nicht. Warum steckt hinter jeder dieser Aussagen hier niemand? Und was haben die Aussagen hier mit Moral zu tun?

Du hast jetzt geschrieben, dass Gemeinschaft eine Illusion ist, warum unterscheidest du dann noch zwischen "echter" und "unechter Gemeinschaft", wenn e beides nur eine Illusion ist? :confused:

Phos4flaire
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Mi 4. Okt 2006, 19:02 - Beitrag #10

ich glaub, der kern liegt nicht in der gemeinschaft nach der man sucht.
die menschen haben halt ein immenses mitteilungsbedürfnis. selten wird es durch die unmittelbaren freunde und familie genügend gestillt.
da kommt so ein forum gerade recht. dazu gibt es die möglichkeit der anerkennung wenn man auf gleichgesinnte trifft. oft sind es doch leider gestrandete existenzen die sich zu sehr in foren rumtreiben und nach einem neuen weg ihre fühler ausstrecken... zur überbrückung hängt man dann halt in nem forum. also spielt auch die sehnsucht nach halt eine rolle. wenns nicht reicht an gott zu glauben... :rolleyes: (sorry, war absichtlich provokativ eingeworfen..*räusper*)

aber es spielt sicherlich auch eine rolle in was für einem forum man sich bewegt. wie die leute dort miteinander reden und worüber.

in diesem sinne ein schönes miteinander noch :)

Maurice
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Mi 4. Okt 2006, 23:01 - Beitrag #11

Stellt sich die Frage was besser ist: Theist oder Forensüchtiger sein. ^^

C.G.B. Spender
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Do 5. Okt 2006, 13:36 - Beitrag #12

Hallo Maurice!

Sorry, da hab ich nicht aufgepaßt. Ich hätte wohl doch nicht so spät noch einen Beitrag schreiben sollen, aber irgendwie hat mich das Thema gereizt.

Ich meinte das mit der Illusion von Gemeinschaft hauptsächlich im Bezug auf Internetforen, bei denen sich die Mitglieder nur virtuell "kennen". Mit wirklicher Wahrnehmung meine ich halt die Wahrnehmung, die wir in der Wirklichkeit haben, in der Realität, mit all den Sinnen, die wir Menschen besitzen. Hören, sehen, riechen, etc. Und man kann in der Realität oft schon merken, ob jemand z.B. flunkert, oder die Wahrheit erzählt. Im Netz ist das oft sehr schwer zu bemerken oder herauszufinden. Die ganze Palette der echten Emotionen fehlt ebenfalls.
Was meinst du mit "wirkliche Wahrnehmung"? Streng genommen würde ich sagen, dass niemand von uns den anderen durch dieses Forum wahrnimmt, denn alles was wahrgenommen wird, sind Texte und Bilder auf unseren Bildschirmen, die wir von einem Server erhalten, die wir dort für alle abgelegt haben.
Das ist es ja grade! Wie kann man denn eine Gemeinschaft haben, wenn man noch nicht einmal weiß, wer der andere in Wirklichkeit ist???!!! Ergo: Illusion!


Zitat:
Welch moralischen Wert, wenn Niemand dahinter steht?


Diesen Satz verstehe ich nicht. Warum steckt hinter jeder dieser Aussagen hier niemand? Und was haben die Aussagen hier mit Moral zu tun?
Das meinte ich im Bezug auf "Wahrheiten nur im Netz aussprechen". Ich finde es traurig, wenn man bei bestimmten Dingen wohl nur anonym die Wahrheit aussprechen kann. Moral ist in dem Fall die Regel ehrlich zueinander sein, was doch viel wertloser ist, wenn es nur anonym geschieht und in der Realität ständig herumgeheuchelt wird, oder?
Zitat von Spender:Auf der anderen Seite kann man im Netz so ehrlich sein, wie sonst nirgendwo, wobei sich die Frage stellt, welche Macht eine anonyme Wahrheit hat? Welch moralischen Wert, wenn Niemand dahinter steht? Oder welchen Sinn es hat, Angesicht zu Angesicht nicht die Wahrheit zu sprechen?


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