Kolonialismus a crime?

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eginobili20
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Sa 18. Nov 2006, 21:34 - Beitrag #1

Kolonialismus a crime?

So hier bin ich wieder, nach ner laaangen Pause. Lag daran dass ich immer mal wieder kein Internet hatte, dann Klausuren usw. ....
Ich denk aber hier is n extrem cooles Thema, das wir für unsere nächste Debatte (Europameisterschaften immerhin) ansteht:
THBT (this house believes that) colonialism is a crime and that compensation should be paid to former colonies
Gesucht ist hier erstmal ne genaue Definition, besonders die Referenzen, also von "crime" und "compensation". In welcher Hinsicht "crime" (Kolonisierer oder Kolonisierte bzw. in Hinblick auf Kultur oder Materielles etc.) und was für eine Art "compensation" (um die Kultur zu erhalten oder Wirtschaft wieder anzukurbeln)? Jede Entscheidung würde zu einen Zweig neuer Fragen führen. Aber erstmal bin ich gespannt wie ihr dieses Thema auffassen würdet und was euch dazu einfällt.

LG
E.G.

Lykurg
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Sa 18. Nov 2006, 23:17 - Beitrag #2

colonialism

ist für sich schon einmal schwierig. Ich sehe hier die wesentlichen Teilaspekte politischer und wirtschaftlicher Einflußnahme, kultureller Dominanz und postkolonialer Bindungseffekte.

Das beginnt historisch mit offenen Formen der kriegerischen Unterwerfung eines Gebietes/seiner Bevölkerung, ob daraus nun Annexion oder Haltung in dienender Abhängigkeit folgt; und endet mit wirtschaftlichen Interessen und vielleicht sogar indirekter Lenkung durch Sanktionen aufgrund internationaler Vereinbarungen (die nicht mitzutragen seinerseits unangenehme Folgen wirtschaftlicher und machtpolitischer Art haben kann. Hierbei sind viele Teilprobleme durch unklare Definitionen möglich - und das könnte gerade auch in einer internationalen Diskussion spannend werden - etwa, ob Bewohner ehemaliger Warschauer-Pakt-Staaten und der DDR ihre Länder als inzwischen unabhängige Kolonien der UdSSR verstehen mögen - ein recht heißes Eisen, denke ich.

Dazu kommt kulturelle Vorherrschaft, insbesondere (aber nicht nur) bewußt ausgeübte Durchsetzung anderer religiöser, ethischer, rechtlicher Vorstellungen, aber auch die Verbreitung von einheitlichen (Landes- oder Fremd-)Sprachen in multiethnischen Flächenstaaten (Afrika, ganz Amerika, Indien, Australien...). Diese Veränderungen geschahen teilweise auch unabhängig von den direkten Kolonialmächten (etwa die Missionsschulen), sehr kompliziert dürfte sich hier die Frage gestalten, wie diese Eingriffe zu bewerten sind (die theologische Komponente müßte man raushalten, aber auch die Frage nach der Wertigkeit westlichen Wissens gegenüber den Kenntnissen von Naturvölkern sprengt spielend jeden Diskussionsrahmen.)

Diese Prozesse haben auch langfristige Folgen in der Herrschaftsstruktur ehemaliger Kolonien, deren Eliten meist von den ehemaligen Kolonialherren abstammen oder ihre Schulen besucht haben, zudem in der Verbindung dieser Länder zu ihren ehemaligen Kolonialmächten (etwa im Commonwealth), die sich in internationalen Gremien mit diesen abstimmen, letztlich immer noch in einem besonderen (Macht-?)Verhältnis zu ihnen stehen.

is a crime

Was setzt ein Verbrechen voraus?
  • Täter: inwieweit kann man Personen verantwortlich machen? Gibt es im Fall gesellschaftlicher Entwicklungen (Bevölkerungsexplosion im archaischen Griechenland führt zu Auswanderungswellen mit Städtegründungen, "Kolonien", in Süditalien etc.) eine Täterschaft? Gibt es Gesellschaftsverbrechen?
  • eine Tat (Verjährung? Nachweisbarkeit? Ist die Veränderung schädlich, und wenn, geschah sie in böser Absicht? [s.o.])
  • eine gültige Rechtsordnung, gegen die verstoßen wurde: eine damalige der Kolonialmacht? Die eines unterworfenen Landes? Heutige supranationale Richtlinien?
  • eine Instanz, die das Verbrechen feststellt. Wie kommt diese zustande, wer darf sie stellen und wer nicht, wer sorgt für die Durchsetzung ihrer Beschlüsse?
compensation should be paid
  • Worin soll diese bestehen - in Geld, in Gütern, in Technologietransfers, Arbeitsleistung, ... ?
  • Hilft das überhaupt? (Die tatsächlichen Folgen der Entwicklungshilfe sind unter Wirtschaftsexperten durchaus umstritten; Entwicklungshilfe kann auch zum Unterdrückungswerkzeug werden - noch ein riesiges Diskussionsfeld)
  • In was für einem Zeitraum sollte das erfolgen - und steht das in irgendeiner Relation zur Dauer und historischen Entfernung der Kolonialzeit?
to former colonies

s.o.: Was ist eine Kolonie - was hat aufgehört, eine Kolonie zu sein? Gibt es eine Verpflichtung des ehemaligen Kolonialherren, und wenn ja: Hat sie [z.B. nach einem solchen Entschädigungsakt] ein Ende?

Ipsissimus
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So 19. Nov 2006, 02:56 - Beitrag #3

auch Kolonialismus regelt sich wesentlich über asymmetrische Machtverhältnisse; damit handelt es sich nur um einen weiteren Aspekt des menschenüblichen Spiels der maximalen Selbstverwirklichung auf Kosten aller, die sich nicht dagegen zu behaupten vermögen.

Harmlose Anfänge, ein paar "Pioniere", ein paar Missionare, die in fremdes Gebiet gehen, es werden mehr, Siedlungen werden gegründet, kleine kriegerische Kampagnen werden geführt, allmählich schlittert ein Staat mit Truppen mit hinein, Handelsinteressen müssen geschützt werden. und dann sind die Truppen da, und dann, na ja, das übliche, warum lösen wir die Probleme nicht gründlich. Ein Schwein, wer dahinter primäre Absichtshaftigkeit vermutet, doch die Uniformität des Verfahrens fällt isn Auge, zu häufig so oder ganz ähnlich geschehen, um Zufall zu sein. Später dann wahlweise verfeinerte Methoden, oder auch gleich die Massaker, wenn wir an den Sklavenhandel, der vorab bereits bestehende Strukturen nutze, oder an Namibia denken, wo erst mal Präventiv-Genozid begangen wurde, mehr oder weniger.

Eine Mischung also, um so mehr, wenn wir, wie von Lykurg schon angerissen, die vielfältigen Formen des Wirtschaftsimperialismus dazurechnen. Eine Mischung, und damit bestens geeignet, hinter der Frage nach der formalkorrekten Täterschaft die Frage der Tat aus den Augen zu verlieren, bestens geeignet, aus dem Umstand, daß nicht mehr ALLES.EXAKT. aufzudröseln ist, die Schlussfolgerung zu ziehen, daß man es damit halt auf sich beruhen lassen müsse, man steht schließlich auf dem Boden der Rechtstaatlichkeit und der internationalen Gesetze. Formalkorrekt.

Dabei, wo sind jene Schätze hin geflossen? In unsere Länder. Wir haben von deren Blut und Mark gesaugt, haben unseren Aufbau mit deren Lebensblut betrieben, haben bis heute den Vorteil davon behalten und denen nichts belassen als Schulden und unsere Spenden zugunsten unseres schlechten Gewissens.

Kolonialismus ein Verbrechen? Who cares. Auf dem Weg in die Spitzen der Macht werden die paar Idealisten, die das wirklich schert, schon noch zurechtgerückt. Mit Wirtschaftsinteressen ist nicht zu spaßen.

Yanāpaw
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So 19. Nov 2006, 20:10 - Beitrag #4

Kolonialismus mit heutigen moralischen und ethischen Maßstäben und den historischen Kontext völlig zu ignorieren ist absurd. Ich bestreite nicht, dass die Folgen imperialistischer Wirtschaftspolitik und militärischer Kolonialpolitik, für die betreffenden (Ex)Kolonien fatal sind, aber das als einzige Perspektive gelten zu lassen ist engstirnig. Um einer komplexen Thematik gerecht zu werden genügt es nicht, historische Ereignisse und Folgen dieser Ereignisse mit moralinsaurer Stimme und erhobenem Zeigefinger zu verdammen, es ist zwingend erforderlich, alle Blickwinkel in eine anspruchsvolle Debatte miteinzubeziehen.



Kolonialpolitik war Bestandteil militaristischer und wirtschaftlicher Expansionsbestrebungen seit der Mensch sesshaft wurde, der Unterlegene musste Tribut zollen, wurde unterjocht, versklavt und unterdrückt, als Satellitenstaat angegliedert oder unter Administration gestellt. Die negativen Auswirkungen für den Besiegten oder Unterdrückten waren sicher oftmals verheerend, aber in zahllosen Fällen auch enorm profitabel. Wie viele Länder, die von Alexander überrannt wurden, erlangten durch ihn neue Sichtweisen, die ihnen anfänglich diktiert wurden, sich dann aber eigendynamisch fortpflanzten? Wieviele Kolonien erlangten durch ihre Kolonialherren, eine Währung, wirtschaftliche Entwicklung, technologischen Fortschritt, ideologischen Fortschritt, Gesetze, Zugang zu einem organisierten gesellschaftssystem und zu einem Bildúngssystem? Dafür gibt es tausende von Beispiele in der Weltgeschichte. Ohne den römischen Expansionsdrang, wo wären wir da heute? Ohne Napoleon, welches Gesetz hätten wir da heute?


Ganz zu schweigen von den ehemaligen Kolonialherren, hätte das Commonwealth überhaupt irgendwas erreicht, ohne seine Kolonien? Oder die beeindruckende Entwicklung der USA, ohne Kolonialpolitik undenkbar, das alles sind Vorteile der Kolonialpolitik.


Selbstverständlich gibt es zahlreiche Nachteile, auf die Lykurg bereits eingegangen ist, aber waren all diese Entwicklungen tatsächlich nur in der Kolonialpolitik begründet? Wo wären die ehemaligen Kolonien, ohne diese Kolonialpolitik? Wären dort weniger ethnische Konflikte entstanden? Es sind nicht die Waffen, die Menschen töten, es sind die Menschen. Und die Verschiedenheit der ethnischen Gruppierungen, welche noch aus der nomadischen Zeit herührten wurden durch die Kolonialpolitik nicht begünstigt, das zu behaupten wäre schlicht falsch.

Bevor also das Moralapostelgewand übergestreift wird, empfiehlt sich eine differenzierte Betrachtung der Thematik...

Lykurg
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So 19. Nov 2006, 20:27 - Beitrag #5

Zitat von Yanā:Bevor also das Moralapostelgewand übergestreift wird, empfiehlt sich eine differenzierte Betrachtung der Thematik...
Ich möchte doch vorsichtig darauf hinweisen, daß ich durchaus auch Ansatzpunkte einer anderen Sichtweise genannt habe ("Ist die Veränderung schädlich"? "Gibt es eine Verpflichtung") - danke dir aber dafür, die weitere Ausführung dieser Aspekte, die mir durchaus am Herzen liegen, übernommen zu haben. Daß mein Beitrag in dieser Hinsicht ergänzungsbedürftig ist, liegt auch daran, daß ich einige der von dir genannten Gesichtspunkte schon per ICQ mit eginobili ausgetauscht hatte, bevor der Thread entstand.

Yanāpaw
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So 19. Nov 2006, 21:25 - Beitrag #6

Lykurg,

meine Stichelei, war nicht explizit an dich gerichtet, eher an die Allgemeinheit, in diesem speziellen Fall ein bisschen an Ipsissimus, der zwar berechtigte Kritik äußert, aber nur aus dieser "Alles so schlimm und wird sich eh nix ändern" Perspektive heraus. Mir ist durchaus augefallen, dass du einige Punkte angedeutet hast, aber doch eher wenige im Vergleich zu deinen Ausführungen zu negativen Konsequenzen des Kolonialismus, was bei einer diesem Thread vorangegangenen Diskussion, nachvollziehbar ist. Aber ich habe den Eindruck man muss Ipsissimus immer erst ein bisschen ärgern, dass er richtig weit ausholt, sein Wissen mitteilt und schön argumentiert. ^^

Ipsissimus
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Mo 20. Nov 2006, 10:52 - Beitrag #7

es steht zu befürchten, daß ich dich enttäuschen muss, Yanāpaw^^ es gibt immer wieder Themen, bei denen es mir gelingt, mich aus der Diskussion vernünftiger Menschen herauszukicken, weil ich mich weigere, im Tonfall vernünftiger Rationalität drüber nachzudenken^^ was in der Fragestellung von eginobili bereits anklingt und in den Darlegungen von Lykurg - mit dem ich diesbezüglich bei diesen spezifischen Themen schon öfter in aller Freundlichkeit in schärfstem Dissens stehe^^ - durchbricht, ist die Relativierung des Kolonialismus unter historisch-praktischen und Nützlichkeits-Aspekten.

Nun gestehe ich, daß die Hochzeit des militärischen Kolonialismus länger zurückliegt als das Dritte Reich, wenn wir von einzelnen Ausläufern absehen. Aber genauso absurd, wie mir eine Relativierung dessen, was im Dritten Reich geschah, vorkäme, nur weil ja damals die Autobahnen gebaut wurden und den Arbeitslosen Arbeit gegeben wurde, genau so absurd erscheint mir eine Relativierung des Kolonialismus unter sachlichen Aspekten.

Ich bin alles, nur nicht naiv, vielleicht kannst du mir das glauben. Ich bin mir also des Umstandes auf´s äußerste bewußt, daß über all dies nur eine einzige Frage entscheidet, nämlich ob die zu Kolonialismus fähigen Militärmächte dieser Erde selbigen praktizieren wollen, oder ob sie bessere Mittel gefunden haben, die armen Schweine auszusaugen. Derzeit bewegen wir uns offenbar in einer Zeit, in der die subtileren Methoden überwiegen - wobei ich mich gar nicht über die "Intelligenz" dieser "Subtilität" lustig machen will, sie reicht offenbar aus - aber das macht die Sache nicht weniger perfide.

Nur weil wir, die Erben, Nutznießer und vor allem Rechtsnachfolger, glauben, daß diese "alten" Geschichten mal vorüber sein müssen - hauptsächlich weil wir nicht mit den weiß Gott berechtigten Regressansprüchen dieser Länder belastet werden wollen - sind diese Geschichten noch lange nicht vorbei. Sie gehen weiter, und wir schulden diesen Ländern alle unsere Behaglichkeit und allen unseren Luxus. Und damit hätten wir nur das Materielle gut gemacht, nicht die Schmerzen und das Leid bezahlt.

Nein, ich weigere mich, im Duktus und nach Vorgabe der Vernunft der Mächtigen über diese Dinge nachzudenken.

Den Rest regeln die realen Machtverhältnisse.

Yanāpaw
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Mo 20. Nov 2006, 13:37 - Beitrag #8

Ipsissimus,


du kannst mich nicht enttäuschen, dafür halte ich zu große Stücke auf dich, es geht einfach nichts über die bestechende Logik eines Zirkelschluss'. ^^
Außerdem hast doch schon schön argumentiert, du wirst mir sicher beipflichten, dass sich einer Diskussion zu verwehren schlechter ist, als in dem Vorhaben zu scheitern andere zu überzeugen, was ja der ursprüngliche Sinn einer Agumentation ist. Ich respektiere natürlich, wenn du moralische Vorbehalte nicht zur Diskussion stellen willst, oder den Sinn einer Diskussion vom Grundsatz her in dieser Thematik anzweifelst. Aber selbst wenn das Ende kein Konsens ist, so kann die Argumentation an sich schon neues Wissen und neue Perspektiven eröffnen und profitabel sein. Zumindest für mich und da ich ein gesunder Egoist bin ist das mein Hauptinteresse. ^^


ist die Relativierung des Kolonialismus unter historisch-praktischen und Nützlichkeits-Aspekten.


Mir persönlich geht es nicht um eine Relativierung eines Unrechts, es geht mir darum historische geschehnisse nicht aufgrund der damit verbundenen Ungerechtigkeit nur aus einem Blickwinkel zu betrachten, Vorteile des Kolonialismus zu diskutieren impliziert weder diesen gutzuheißen, noch das Unrecht zu relativieren. Sollte ich den Eindruck vermittelt haben, das wäre mein Anliegen, habe ich mich schlecht ausgedrückt.




Aber genauso absurd, wie mir eine Relativierung dessen, was im Dritten Reich geschah, vorkäme, nur weil ja damals die Autobahnen gebaut wurden und den Arbeitslosen Arbeit gegeben wurde, genau so absurd erscheint mir eine Relativierung des Kolonialismus unter sachlichen Aspekten.



WAAAAHHHHH! Ipsissimus, du Tor (entschuldige), wie kannst du sowas sagen, weißt du etwa nicht, dass die Maxime des Jewish Council derartige Ketzerei explizit verbietet, die sakrosankte Maxime "Eine Leugnung der Einzigartigkeit des Holocaust, auch und insbesondere durch Anstellen von Vergleichen, kommt der Leugnung des Holocaust an sich gleich" gilt uneingeschränkt. Entschuldige dich sofort fernmündlich bei Weißnase Friedmann sonst wirst du exkommuniziert, dir wird die Staatsbürgerschaft aberkannt, dein IQ wird dauerhaft um 57,28 Punkte gesenkt und du wirst als Antisemit gebrandmarkt...

Ich hoffe du nimmst mir die minimalen humoristschen Implikationen nicht übel, aber ich plädiere keinesfalls für eine Relativierung einer Schuld, ich wünsche mir nur eine Diskussion aus mehreren Perspektiven.




Ich bin alles, nur nicht naiv, vielleicht kannst du mir das glauben.


Wenn ich das nicht wüsste, würde ich kaum darum betteln, dass du dich an der Diskussion beteiligst.




Derzeit bewegen wir uns offenbar in einer Zeit, in der die subtileren Methoden überwiegen - wobei ich mich gar nicht über die "Intelligenz" dieser "Subtilität" lustig machen will, sie reicht offenbar aus - aber das macht die Sache nicht weniger perfide.


Dem stimme ich absolut zu, Kolonialismus firmiert heute als Handelsvertrag, diplomatische beziehung oder Sanktion. Dass die Folgen nicht weniger fatal sind liegt auf der Hand und wird nicht durch den enormen Vorteil für die Weltmächte gemindert.


Nur weil wir, die Erben, Nutznießer und vor allem Rechtsnachfolger, glauben, daß diese "alten" Geschichten mal vorüber sein müssen - hauptsächlich weil wir nicht mit den weiß Gott berechtigten Regressansprüchen dieser Länder belastet werden wollen - sind diese Geschichten noch lange nicht vorbei. Sie gehen weiter, und wir schulden diesen Ländern alle unsere Behaglichkeit und allen unseren Luxus. Und damit hätten wir nur das Materielle gut gemacht, nicht die Schmerzen und das Leid bezahlt.



Dem stimme ich auch zu, aber ich begebe mich jetzt in die Gefahr jeglichen Respekt zu verlieren und formuliere ketzerisch, wie ich bin:
Das Leid, der Schmez und die Schäden an Gesundheit und verlorenen Menschenleben sind nicht wieder gutzumachen, auch nicht durch materielle Zuwendungen, unabhängig von deren Ausmaß. Die Aufgabe, die ich als Rechtsnachfolger für mich sehe, ist di Verpflichtung Gewährsmann zu sein, das derartiges sich nicht wiederholt, Aufklärungsarbeit zu leisten, in den Dialog einzutreten, Wissen zu erwerben und es weiterzugeben um Prävention zu betreiben. Auch in 1000 Jahren wird die Schuld nicht abgegolten sein weil sie nicht abgegolten werden kann, aber man kann aus Fehlern lernen und das ist die Aufgabe, die ich dem Rechtsnachfolger zuweise, statt sich im florienden Ablasshandel Pseudo-Absolution zu erstehen sollten die dringend notwendigen Schritte zur Prävention kompromisslos und entschieden angegangen werden.


Nein, ich weigere mich, im Duktus und nach Vorgabe der Vernunft der Mächtigen über diese Dinge nachzudenken


Dann diskutieren wir außerhalb dieses Duktus, wir diskutieren unabhängig von gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Erwartungen, weder moralinsauer noch (regel)utilaristisch wenn du möchtest. Falls nicht ist ein einfaches Nein ausreichend, es bedarf keiner Rechtfertigung, um das Offensichtliche explizit zu erwähnen. ^^

Ipsissimus
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Mo 20. Nov 2006, 15:53 - Beitrag #9

Vorteile des Kolonialismus zu diskutieren impliziert weder diesen gutzuheißen, noch das Unrecht zu relativieren.


das ist formal korrekt. Aber sag mir bitte, an welcher Stelle wir die Grenze ziehen? Wir sprechen immerhin über zig millionenfachen Massenmord (wenn auch über längere Zeit und mehr Länder verteilt als im Dritten Reich), Genozid, pogromartige Massaker usw. SELBSTVERSTÄNDLICH sind all diese Dinge im wesentlichen aus Nützlichkeitskalkülen heraus betrieben worden - aber respektieren wir Nützlichkeitskalküle der Mafia, deren überaus nützliche und meist hochrationale Maßnahmen im Vergleich zu den hier zur Rede stehenden geradezu kindlich albern anmuten? Wollen wir Sklavenhaltung "neutral" besprechen, deren Nützlicheit und Praktikabilität kein Sklavenhalter je bestreiten wird?

... dass die Maxime des Jewish Council derartige Ketzerei explizit verbietet, die sakrosankte Maxime "Eine Leugnung der Einzigartigkeit des Holocaust, auch und insbesondere durch Anstellen von Vergleichen, kommt der Leugnung des Holocaust an sich gleich" gilt uneingeschränkt


nun ja^^ wenn mir das Jewish Council etwas bedeuten würde oder sich meinen Respekt verdient hätte, wäre das evtl. ein Argument^^ aber der Rebell in mir wird immer verbotene Dinge denken^^

davon abgesehen formuliert diese Maxime sachlich ziemlichen Blödsinn. Ein Vergleich hebt noch lange nicht die Einzigartigkeit eines Ereignisses oder einer Kette von Ereignissen auf, kann diese sogar noch unterstreichen. Dabei dürfte es im Fall Drittes Reich gar nicht sooo einfach sein, diese Einzigartigkeit zu begründen. Besondere Grausamkeit? Müdes Abwinken und Verweis u.a. auf die Akten der Inquisition. Große Anzahl von Menschen? Höchstens umgerechnet auf die Zeitspanne, nicht absolut. Die Inquisition hat mehr Menschen auf dem Gewissen, die französischen und spanischen Könige, die Zaren, die chinesischen Kaiser waren keine netten Menschen im Umgang mit tatsächlichen oder eingebildeten Bedrohungen ihrer Majestät, Pot Mol, Mao, Stalin, und in den Kolonialreichen ... ach so, darf ich ja nicht^^ höchstens die quasi-industrielle Verfahrensweise bietet ein gewisses Alleinstellungspotential.

All das relativiert nicht die Bösartigkeit des Dritten Reiches, aber es relativiert seine Dämonisierung, die ich im Umgang mit derartigen Bösartigkeiten immer für kontraprosuktiv erachte.


Das Leid, der Schmez und die Schäden an Gesundheit und verlorenen Menschenleben sind nicht wieder gutzumachen, auch nicht durch materielle Zuwendungen,


damit verspielst du keinen Respekt, sondern gewinnst nur um so mehr^^ jedoch^^ daß es nicht wieder gutzumachen ist, impliziert nicht, daß nichts ausgeglichen werden müßte. Diese Länder müssen als mindestes auf das Luxuslevel ihrer ehemaligen Kolonialmächte gehoben werden^^ auch wenn diese dafür ihr eigenes Luxuslevel reduzieren müssen^^

nun, keine Angst, das wird nicht geschehen^^ nichts wird geschehen, nur die Formen des Wirtschaftsimperialismus werden immer subtiler und darüber immer effektiver werden, bis es mal wieder richtig knallt^^ wenn wir Glück haben, erst nach unserer Lebenszeit

Yanāpaw
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Mo 20. Nov 2006, 21:18 - Beitrag #10

Ipsissimus,


ich glaube ich verstehe deine Bedenken und ich teile deine Ansicht zu deinen Beispielen, aber ich finde es falsch sich vor einer Diskussion zu verschließen. Nehmen wir de Holocaust, eben weil es so schrecklich war, kann man nicht oft genug über jeden Aspekt nachdenken, jeden Sachverhalt aus allen möglichen Perspektiven betrachten, denn es ist die Aufgabe zu verstehen, jeden Aspekt zu verstehen und nicht den Kopf in den Sand zu stecken und sich ob historischer Schuld jeder Diskussion aus Angst vor Relativierung zu entziehen. Den Nutzengedanken zu erörtern heißt nicht ihn gutzuheißen, ich kann über die Arbeitsmarktpolitik der NSDAP diskutieren ohne dadurch das Leid der Juden, Behinderten, Sinti und Roma und aller Opfer des Krieges zu schmälern, oder die Schuld aller Beteiligten und Zaghaften zu relativieren. Es muss doch möglich sein, über den Sinn von Kompensationspolitik zu diskutieren, ohne in jedem Satz das leid der Opfer zu postulieren. Ich vergesse das Leiden sämtlicher Opfer des WWII nicht eine Sekunde, auch wenn ich nicht jeden Morgen und Abend an sie denke und für sie bete. Ich leiste meinen Beitrag durch Reflektion und dem versuch zu verstehen um Prävention zu leisten.




daß es nicht wieder gutzumachen ist, impliziert nicht, daß nichts ausgeglichen werden müßte.


Aber nicht Kompensation der Kompensation willen, sondern zielgerichtete und durchdachte Hilfe, kein sinnfreies Beruhigen des Gewissens, sondern Hilfe zur Selbsthilfe, tatsächlicher Fortschritt nicht Absolutionsversteigerung für den Meistbietenden, der letztlich nur noch mehr Abhängigkeit erzeugt.

eginobili20
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Do 23. Nov 2006, 23:26 - Beitrag #11

Hey Leute, vielen Dank für eure BEiträge bis jetzt. Da ich immer noch am Klausurenschreiben bin (morgen Erdkunde wahhh) konnte ich mich nch nicht soooo 100% ausführlich mit dem THema beschäftigen.
Unser Team ist nun dafür, also Proposition.

Was den zweiten TEil des THemas angeht: Wie wärs wenn wir "pay compensation" mit Wohlstandstransfer definieren, d.h. allgemeine Entwicklungshilfe, so effektiv wie möglich (Technologien etc.)?
Die Frage die aufkäme und aufkommen ist bei unseren Diskussionen: 1. USA war auch eine Kolonie, warum soll der geholfen werden durch so Wohlstandstransfer? 2. Dann sollte man doch allen ENtwicklungsländern helfen und nicht nur Kolonien ...
Obwohl bei der 2. Frage es eher um ein bisschen Haarspalterei geht (es geht hier nicht darum, ob es nicht auch sinnvoll wäre, den anderen Ländern zu helfen sondern ob es sinnvoll wäre, einem Teil so zu helfen ...) habe ich das Gefühl.
Wir hatten nun zumindest nach unserer Diskussion am Sonntag vor, die beiden Teile weitestgehend zu trennen. Zum 1. TEil: Schuld weil Willen des Volkes damals nicht geachtet 2. aber bei compensation natürlich den Schuldaspekt noch einmal aufzuführen von wegen: man erbt die Vorteile (wirtschaftl. Entwicklung und Ausbeutung) warum dann nicht auch die Schuld ... und dann: Die Konsequenzen sind zwar wirtschaftlich z.T. auch positiv, aber wegen Konflikten wie Indien-Pakistan oder in Afrika verursacht durch Kolonialismus geht es ihnen schlecht -> wir sind verantwortlich (ohne Kol. würde es ihnen zwar jetzt nicht unbedingt besser gehen) für ihre Leiden -> wenigstens Lebensumstände verbessern wenn wir nicht Kultur wiederherstellen können.
Der Teil der Argumentation steht auf sehr wackligen Beinen ... habt ihr sonst besere Ideen für unsere Seite?


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