Kindesmissbrauch...

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Milena
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Di 27. Feb 2007, 14:47 - Beitrag #1

Kindesmissbrauch...

..gerade im Fernsehen lief, dass Kinder angeregt werden in sog. Kursen teilzunehmen, die ihnen helfen sich vor Kinderschändern zu schützen.....
wahrscheinlich gerade aktuell,
nach dem xten Fall wie Mitja.....
wahrscheinlich weil jetzt mehr darüber geredet wird, wo früher noch Stillschweigen herrschte....
ich frage mich,
ob ein Kind dadurch sich wirklich schützen kann....
mit versteckter Kamera wurde gezeigt,
dass 4 von 5 Kinder unbehaltlos in ein fremdes Auto steigen.....
fast kein Kind nein sagen kann,
fast kein Kind die eigentliche Gefahr erkennt......

auf der anderen Seite frage ich mich, ob durch solche `Aufklärung`
nicht erst recht das Interesse auf Kinder (missbrauch) geweckt wird.....

was meint ihr so......

Lykurg
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Di 27. Feb 2007, 15:33 - Beitrag #2

Daß das "Interesse" dadurch gesteigert wird, kann ich mir schlecht vorstellen. Wer durch die breite Medienberichterstattung über wochen- oder jahrelange "erfolgreiche" Sklavenhaltung nicht zur Nachahmung angeregt wird, den wird das relativ kleine Echo einer solchen Gegenmaßnahme wohl kaum auf die Idee bringen.

Ich kann mir schon vorstellen, daß es etwas nützt, wenn Kindern früh beigebracht wird, Fremden gegenüber nicht allzu vertrauensselig zu sein. Was das allerdings sonst für gesellschaftliche Folgen hat, kann ich nicht absehen. Wie man Kindern "die Gefahr zeigen" soll, ohne ihnen zu schaden, bleibt offen?

Ipsissimus
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Di 27. Feb 2007, 15:48 - Beitrag #3

auf den ersten Blick wirken solche Kurse gar nicht mal so verkehrt, sie sind es meiner Ansicht nach trotzdem. Das Problem besteht darin, daß durch solche Kurse der Blick auf den Fremden fokussiert wird.

Es ist nur längst klar, daß der Fremde, der das Kind entführt und zerfetzt, die absolute Ausnahme ist. Natürlich, vielleicht 100 solche Fälle pro Jahr sind 100 Kinder zuviel, die solches erleiden müssen. Aber das ist praktisch nichts im Vergleich der ungeheure Masse dieser Verbrechen, die von Personen aus dem Nah- und Nächstfeld der Kinder, also von ihnen bekannten und vertrauten Personen, begangen werden.

In diesem Bereich präventiv zu wirken, ist eine viel viel wichtigere Aufgabe, und natürlich ist sie um ein Vielfaches heikler und komplizierter, als nur ein Generalmisstrauen in die Psyche eines Kindes zu versenken.

Milena
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Di 27. Feb 2007, 16:48 - Beitrag #4

..ich denke,
es hat sich allgemein herumgesprochen, dass das `Missbrauchsumfeld`meist
in sicherer Nähe zu finden ist.....
vielmehr gilt es dabei,
die Kinder darin zu bestärken, nein zu sagen,
nein zu etwas, dass ihnen missfällt...z.b umarmung, streicheln,
auch von Bekannten und bei Verwandten......
sich nichts aufzwingen zu lassen....
sich aber auch nicht für wertvolle Geschenke bestechen zu lassen....

...bzgl. der Filmdoku heute:
die Eltern waren immens geschockt, als sie mitbekamen, wie leicht ihre Kinder zu locken waren......

Ipsissimus
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Di 27. Feb 2007, 17:05 - Beitrag #5

es scheint mir beinahe aussichtslos, das über Regeln in ein harmonisches Gleichgewicht zu bringen, denn letztlich nimmt es sich nichts, ob die Kinder psychische Defekte davon tragen, weil sie seelisch und körperlich missbraucht wurden oder weil sie die Erfahrung von offener inniger Vertrautheit und Vertrauenswürdigkeit niemals erleben konnten, weil Misstrauen im Nahfeld ihnen als Grundhaltung anerzogen wurde

Milena
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Di 27. Feb 2007, 17:30 - Beitrag #6

..ja sowohl als auch....

auch wenn es nüchtern klingt,
hast recht schätzle^^

Anaeyon
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Di 27. Feb 2007, 18:12 - Beitrag #7

Um dem Kindesmissbrauch Einhalt zu gebieten stärkt man also die, die sich körperlich eh nicht wehren können?

Wenn ich mir in den Kopf setze, ein Kind zu missbrauchen, ist es mir sehr egal ob das Kind nun ja oder nein sagt...
Wenn, dann müsste man überforderten Eltern helfen, das Familienleben gut zu führen und sie in ihrer Elternrolle fördern. Punkt.

janw
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Di 27. Feb 2007, 18:33 - Beitrag #8

Also...angesichts dessen, daß Kindesmißbrauch eben vor allem ganz überwiegend im direkten familiären Umfeld stattfindet, halte ich die Aktion für Aktionismus, Gewissensberuhigung für einige Initiatoren, die von der aktuellen Häufung öffentlich gewordener Kindesmißhandlungen und -tötungen geschockt sind.

Unter dem Aspekt der Wahrnehmung des Anderen als des Fremden mit negativer Konnotation halte ich die Aktion sogar für bedenklich. Offenheit und Neugier der Welt gegenüber gehört doch zu den grundlegendsten kindlichen Verhaltensweisen und Haltungen - wie auch gelegentliches Fremdeln seinen Platz haben darf.
Da finde ich es sehr gefährlich, wenn nun grundlegende Angst vor dem Fremden, Anderen in die Kinder gepflanzt wird. Daß Vorsicht angebracht ist, im richtigen Verhältnis zu Offenheit, sollten Eltern ihren Kindern schon vermitteln, aber eben nicht mit dem Impetus der Panikmache, wie er für mich aus dieser Aktion spricht.

Letztlich frage ich mich auch, ob die aktuelle Häufung von Gewalt gegen Kinder nicht eigentlich auf etwas anderes hinweist, das viel wichtiger wäre angegangen zu werden - die Zunahme sozialer Kälte in ihren vielen Ausprägungen. Es gibt eine Debatte um die Vermehrung von Kinderhortplätzen, die auch dringend gebraucht werden, aber keiner fragt, warum sehr viele Mütter effektiv nicht die Wahl haben, sich zwischen Kindererziehung oder Beruf zu entscheiden, weil sie schlicht zum arbeiten gezwungen sind. Ein Einkommen ernährt oft keine Familie mehr, mehr noch bei der Zunahme befristeter Beschäftigungen...

e-noon
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Di 27. Feb 2007, 20:17 - Beitrag #9

Jan, viele Kinder verschwinden doch auf dem Schulweg oder auf dem Weg zu Freunden... wie soll eine noch so gesunde Familie das verhindern?

Das Training finde ich allerdings nicht so sinnvoll; in einigen Fällen würde es vielleicht nützen (im Fall von Mitja saß dieser iirc vor seinem Tod mit einem Fremden im Bus, also hätte das schon was ändern können), aber im allgemeinen wird der Täter sich das Kind wohl schnell und gewaltsam holen, mit dem Auto oder von seinem Hauseingang aus.
Aber dass Mütter/Väter aus gesunden Familien ihre Kinder in der Weise schützen wollen, finde ich gut; dass genau diese Eltern die sind, die ihre Kinder missbrauchen oder Missbrauch zulassen, finde ich unwahrscheinlich, somit sind die besser geschützt (wenn es denn etwas bringt), die vor Missbrauch aus dem nahen Umfeld ohnehin geschützt sind.

Das mit der sozialen Kälte... es liegt wohl eher daran, dass man in einer Stadt kaum noch jemanden kennt, man kann ja nicht jeden Vater anhalten und fragen, ob das auch wirklich sein Kind ist, das er da an der Hand hält.

janw
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Di 27. Feb 2007, 21:05 - Beitrag #10

e-noon, nach meinem Empfinden gab es dieses Phänomen in dieser Dimension in den 80ern noch nicht so...möge Ipsi mich da ggf. korrigieren, der hat ja ein paar Jährchen länger Überblick.
Ob damals einfach weniger darüber berichtet wurde - wieso sollte dem so sein?

e-noon
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Di 27. Feb 2007, 21:19 - Beitrag #11

Eine Erklärung wäre, dass zumindest in einigen Teilen Deutschlands vor 89 Verbrechen eher als Privatsache gehandhabt wurden, bzw. dass sie nicht in unseren Statistiken auftauchten und ebenso wenig in unseren Nachrichten.
Hier zum Beispiel heißt es, dass der Eindruck trübt. Der Artikel macht im wesentlichen die Medien für den Eindruck, die Gewalt nehme immer größere Ausmaße an, verantwortlich.


http://www.wsws.org/de/1999/feb1999/miss-f20.shtml

"Laut der letzten PKS von 1997 sind im Jahre 1970 16.468 Fälle von sexuellem Mißbrauch erfaßt worden. Zehn Jahre später waren es 13.165, weitere zehn Jahre später 12.741 Fälle. 1997 wurden wiederum 16.888 Fälle von sexuellem Mißbrauch an Kindern erfaßt. Im Vergleich zum Vorjahr bedeutet dies eine Steigerung von 7,7 Prozent. Vergleicht man jedoch die sog. Häufigkeitszahl, d. h., die Anzahl der Fälle pro 100.000 Einwohner, ist die Anzahl von 1970 bis 1980 gesunken und seitdem relativ konstant geblieben, nämlich bei etwa 20 Fällen pro 100.000 Einwohnern." An anderer Stelle wird betont, dass die PKS nur Anzeigen erfasse, also weder die Dunkelziffer kenne noch die Verurteilungen (nur ca. 10% der Anzeigen!) angebe.

Speziell für Ipsi (nach einer anonymen Befragung von Kindern und Erwachsenen, wie ich annehme) "Beinahe jeder Zwanzigste (4,7 Prozent) ist von den Eltern oder einem Elternteil körperlich mißhandelt worden. [...]Bei dieser Form elterlicher Gewalt ist der soziale Status der Familie von Bedeutung. Je höher der soziale Status, desto geringer die körperliche Gewalt seitens der Eltern gegen ihre Kinder."

Ipsissimus
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Mi 28. Feb 2007, 11:47 - Beitrag #12

e-noon, körperliche und psychische Gewalt nehmen sich nichts. Oder willst du den Vampir, der, als "Mentor" getarnt, seinen Lebenszweck darin sieht, einen Buben ganz gewaltlos für die Freuden der "griechischen Liebe" "bereitzumachen", im ernst weniger bösartig einschätzen, als den Werwolf, der sein Opfer zerfetzt? Die Intensität der Antastung, die der letztere in kurze Zeit komprimiert, verteilt der Vampir einfach nur auf lange Zeit, somit machts summa summarum keinen Unterschied. Da steht am Ende meist ein Toter, dort eine tote Seele; wer von beiden es besser getroffen hat, müßte genauer betrachtet werden.

Will sagen: die Ausdrucksweise von Gewalt in Familien gehobener Schichten mag weniger spektakulär sein, in ihrer Wirkung ist sie genau so verheerend wie jede Form von Gewalt.

Davon abgesehen halte - nicht nur - ich die zitierten Zahlen erfassten sexuellen Missbrauchs, wie du sie zitierst, nur für die Spitze des Eisbergs. Die Dunkelziffer ist wesentlich höher.

Yanāpaw
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Mi 28. Feb 2007, 12:28 - Beitrag #13

Davon abgesehen halte - nicht nur - ich die zitierten Zahlen erfassten sexuellen Missbrauchs, wie du sie zitierst, nur für die Spitze des Eisbergs. Die Dunkelziffer ist wesentlich höher.


In Fachkreisen geht man von etwa 90% aus. 10% der Fälle kommen zur Anzeige, davon führen wiederum etwa 15% zu einer Verurteilung. (Das ist hauptsächlich deshalb so gering, weil die überwiegende Mehrheit der Anzeigen erst JAhre nach den Taten erfolgt) Die aktuellste Zahl, die vom statistischen Bundesamt zu erfahren war ist vom Jahr 2004 und besagt 2.437 Verurteilungen wegen Kindesmissbrauchs, bei 15.255 Anzeigen und ca. 160.000 tatsächliche Fällen (Rückrechnung keine Angabe des SBA). Ein großes Problem der Analyse solcher Dunkelziffern ist aber die Zeitverzögerung. Ein nicht unerheblicher Teil der Anzeigen von 2004 bschäftigt sich ja mit Verbrechen, die bereits in den 90ern stattfanden, ergo ist eine qualifizierte Aussage über 2004 erst ca. 2014-19 möglich. Die meisten Studien, unter anderem auch die von e-noon angeführte machen den Fehler nach der Anzahl der in der Kriminalstatistik auftauchenden zu fragen, durch zunehmende Anonymisierung in urbanen Ballungsgebieten und regelrechte Vereinsamung und Isolation vieler Menschen, nimmt allerdings die Anzeigequote rapide ab, so dass diese Studien de facto aussagelos sind, zumal die von e-noon angeführte eher ein besorgniserregendes Thema nutzt um unterschwellige Medienkritik zu äußern, was ich nicht nur pietätlos sondern auch wirklich armselig finde, aber das ist nur mein Eindruck und der sollte jetzt nicht vom Thema wegführen ^^


Was die Ausgangsfrage angeht, das stimme ich mit #8 überein, was eine Premiere sein dürfte. ^^

janw
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Mi 28. Feb 2007, 17:47 - Beitrag #14

Trau keiner Statistik, die du nicht selbst...^^
Die Statistiken zum sexuellen Mißbrauch von Kindern kranken IMHO an vielem:
1. Sie bilden nur das ab, was zur Anzeige kommt und mit polizeilichen Mitteln so weit nachweisbar ist, daß es zur Einleitung eines Verfahrens reicht
(Damit dürften Mißbrauchsfälle bei Mädchen besser nachweisbar sein als bei Jungen, unabhängig von der tatsächlichen Verteilung - oder irre ich mich da?)
2. Sie zählen alle polizeilich nachgewiesenen Fälle, unbeachtlich dessen, ob sie auch gerichtlich als nachgewiesen gelten. (Dieses Fehlen einer Rückkopplung der tatsächlichen Aburteilung ist ein grundlegendes Problem der gesamten Kriminalstatistiken)
3. Es gab mal eine Äußerung einer Stelle gegen Kindesmißbrauch - ich weiß nicht mehr wo -, wonach die öffentliche Förderung dieser Stellen durch die Zahl der Mißbrauchsfälle bestimmt wird, weshalb es ein Interesse gebe, die Zahl der Fälle lieber etwas höher anzusiedeln. Ein sehr provokanter Punkt, ich weiß...

Für mich ist es bei alledem eher irrelevant, ob die Quote bei 20 oder 90 % liegt, denn jeder Fall ist einer zu viel in meinen Augen.
Eher stellt sich mir die Frage, warum nicht entschlossener gegen die diversen Formen von Gewalt gegen Kinder vorgegangen wird, z.B. durch verbindliche Vorsorgeuntersuchungen, wo Ärzte sich nicht Geschichten von "die Treppe runtergerutscht" erzählen lassen.
Sind vielleicht diejenigen, die solche Regelungen erlassen könnten, selbst in Derartiges verstrickt? Ist Belgien - auch hierzulande?

Yanāpaw
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Fr 2. Mär 2007, 18:56 - Beitrag #15

Selbstverständlich ist jeder Fall einer zuviel, nichts desto trotz sind die Anzeigequote und die Verurteilungsquote ganz entscheidende Werte, nicht zur Prävention aber zur Effizienzsteigerung bei der Strafverfolgung und der Aufklärung. Jeder Fall von Kindesmissbrauch, der gar nicht erst zur Verhandlung kommt, wiegt für mich ungleich schwerer, als jene, die eine Verurteilung nach sich ziehen, zumindest hinsichtlich des Stattfindens von "Gerechtigkeit". Und Eine Anzeigequote von 10% sagt mir, dass es am System massiv krankt, wenn dergestalt verheerende Eingriffe in das Leben von Kindern konsequenzlos bleien, einzig weil dem kind, keine Bezugsperson zugänglich ist, dann muss ich mich schon fragen, ob wir es in Deutschland überhaupt noch mit Familien, oder eher mit Zweckgemeinschaften zu tun haben...

Der jüngste Fall, der in den Medien durchdiskutiert wurde, zeigt mir allerdings, dass meine - echauffierte und in dieser Form auch indiskutabel vorgetragene - Position zur Strafvollzugsproblematik nicht so sehr weit an der Realität vorbeigeht, wie einige das gerne hätten. 5 Vorstrafen, wegen des gleichen Vergehens, jeweils lächerliche Haftsrafen, sofern überhaupt zum geschlossenen Vollzug angesetzt, ein Musterbeispiel für komplettes und absolutes Versagen eines fragwürdigen Justiz/Strafvollzugs-Systems, das einmal mehr den Verlust eines Menschenlebens zu verantworten hat...

Vom Grundsatz her stimme ich dir selbstverständlich zu, dass Statistiken ein heißes Eisen sind, allerdings halte ich es da, wie so oft mit dem grundsatz "abusus non prohibet usum" (hoffend, dass mein minimal-Latein das verständlich machte ^^)

Ipsissimus
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Sa 3. Mär 2007, 15:21 - Beitrag #16

Yanapaw, ich teile deine Einschätzung hinsichtlich der juristischen Fehlleistung im Fall Uwe K. Trotzdem sind nicht die Uwe Ks. das Problem.

Das Problem ist die Verlagerung der Aufmerksamkeit von der Prävention auf die Bestrafung. Ich postuliere folgende These: die Gesellschaft kann mit noch so vielen und noch so grausam behandelten Opfern gut leben. In der Bestrafung der Täter findet sie jenes Alibi, das sie benutzen kann, um vor sich selbst zu verschleiern, daß sie nicht bereit ist, ihre Strukturen so zu verändern, daß die Anzahl der Personen minimiert wird, die psychisch zu derartigen katastrophalen Fehlleistungen entgleisen.

Die 90% Dunkelziffer, die seitens der Experten eingestanden wird, ist - wiederum nicht nur - meines Erachtens immer noch nicht annähernd in der Nähe der realen Anzahl, die sich in den Diskussionen von Selbsthilfegruppen ehemaliger Opfer widerspiegelt. Sexuell motivierte Übergriffe auf Kinder sind Massensport in Deutschland, nicht nur da, natürlich. Dies bekommt man nicht in den Griff, wenn man schärfere Gesetze hervorbringt, schärfere Strafen verhängt, und erhöhte Überwachung betreibt. Dies bekommt man nur dadurch in den Griff, daß man den "Entgleisungsdruck" von Menschen nimmt, indem man die Strukturen, unter denen Menschen leben und leiden, so verändert, daß sie mehr leben und weniger leiden müssen. In einer Gesellschaft mit einer zunehmenden Durchkommmerzialisierung aller Lebensbereiche, einschließlich der privatesten, mit einer zunehmenden und überbordenden Anzahl von Verlierern und einer für die Betroffenen ins Unerträgliche wachsenden sozialen Kälte ist die Zahl der Entgleisungen nicht verwunderlich, sondern selbstverständlich.

Solange unsere Gesellschaft darauf besteht, "gut" zu sein, so wie sie ist, bleibt alles mögliche verwunderlich, aber nicht die zunehmende Menge der Aussetzer. Solange eine Gesellschaft nicht bereit ist, sich entsprechend zu ändern, kann sie mit den Opfern immer noch besser leben, als zu verhindern, daß es überhaupt erst Opfer werden. Daß Strafen dafür nichts bringen, zeigt das Beispiel der USA überdeutlich.

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Sa 3. Mär 2007, 15:37 - Beitrag #17

Die "Personen, die psychisch zu derartigen katastrophalen Fehlleistungen entgleisen", wegzusperren, ist aber eine Möglichkeit, diese Fehlleistungen zu verhindern... sicher wäre es wünschenswert, wenn von sich aus niemand die Gesetze übertreten würde, aber jene, die es tun, daran zu hindern, es nochmals zu tun, ist dennoch sinnvoll, es nicht zu tun in meinen Augen ein Verbrechen.

Die Gesellschaft solle sich ändern, sagst du, aber die Gesellschaft besteht aus konkreten Individuen, von denen manche mehr, manche weniger Einfluss haben. Wie soll ich mich verändern, damit in meinem Dorf oder in meinem Bundesland keine Kindesmisshandlungen mehr stattfinden? Welchen realen Einfluss habe ich, und wie sollte ich überprüfen, was mein Nachbar mit seinen Kindern in seinem Haus macht, oder wie man diese Kinder in der Schule behandelt, oder was auch immer es ist, das diese Kinder dazu bringen könnte, eines Tages zu so brutalen Verbrechern zu werden? Ich bin nicht zufrieden mit einer Gesellschaft, die solche (Un-) Menschen hervorbringt, aber ich bin noch unzufriedener mit den Verbrechern selbst und wünsche, sie hinter Gittern zu wissen für den Rest ihres Lebens.

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Sa 3. Mär 2007, 17:01 - Beitrag #18

Ipsi, das mit der sozialen Kälte könnte ja gut sein...aber müsste dann nicht auch die Zahl der Fälle heute zunehmen gegen früher, wo es noch weniger "kalt" zuging? Und müsste dann in den höheren Gesellschaftsschichten, die tendentiell weniger von der Kälte betroffen sind, die Quote geringer sein?

Wenn ich das jetzt so überdenke...soll es wirklich eine Ausnahme sein, nicht mißbraucht worden zu sein? Oder gar...ist man nur in der glücklichen Lage, nichts davon zu wissen?

Yanapaw, wie Ipsi schon sagte...die Verlagerung auf die Bestrafung statt der Prävention ist das Problem. Daß die Bestrafung in manchen Fällen nicht so läuft, wie es nötig wäre - s. der aktuelle Fall - keine Frage.

Was die Statistiken betrifft...sicher verbietet der mögliche falsche Gebrauch nicht die Anwendung, aber das Problem ist, daß die Statistiken eben so falsch sind, daß sie eigentlich unbrauchbar sind.

Yanāpaw
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Sa 3. Mär 2007, 18:23 - Beitrag #19

Ich sagt auch nicht, dass der Strafverfolgungsfokus sinnvoll ist, oder erstrebenswert, ich sagte, dass Strafverfolgung, wenn sie betrieben wird richtig betrieben werden sollte und nicht um das Gewissen zu beruhigen. Mir ist klar, dass die Ursachen nicht in der Strafverfolgungspraxis zu suchen sind, darauf verwies ich bereits an anderer Stelle, aber das alles ist keine Entschuldigung für lächerliche und völlig indiskutable Rechtsprechung.

Davon abgesehen ist der Strafverflogungsansatz wesentlich einfacher anzugehen, als soziale Kälte, Anonymisierung und Vereinsamung...
Und ich der Fokus muss darauf liegen das Jetzt zu verbessern und nicht das es wäre so schön wenn.

Ipsissimus, deiner These stimme ich absolut zu, nichts desto trotz ist Rechtsprechung für mich untrennbar mit RECHT verbunden und Recht gibt es in dieser bemitleidenswerten und ekelerregenden Kopie eines demokratischen Rechtsstaates offenbar nicht mehr...

Und nur um das klar zu stellen, es ist mir völlig egal, was Uwe alles erlebt hat, wie oft er als Kind was auch immer durch gemacht hat, warum er entgleist ist uswusf, er hat ganz eindeutig gezeigt, dass er es nicht verdient Mitglied dieser Gesellschaft zu sein und ginge es nach mir würde ich ihm mit der NAchgiebigkeit und Einsicht und der Milde begegnen, die man Steuerschuldnern erweist... Aber er schuldet uns ja kein Geld schließlich hat er ja nur 5 Kinder missbraucht und 1 getötet, also Schwamm drüber, in 2 Jahren ist das nächste fällig, ist halt auch nur ein Mensch, dem die Gesellschaft so übel mitgespielt hat, wie 80 Millionen anderen, warum schänden wir nicht einfach alle Kinder? Wäre doch mal witzig, ich fühle mich so einsam, ich sollte gleich morgen in den Kindergarten gehen und mir eine kleine Prinzessin aussuchen...

Im Ernst es muss doch wohl machbar sein einerseits die Hintergrundproblematik zu verstehen und andererseits diesen Sauerstoffverschwendern einer gerechten Strafe zuzuführen...

Feuerkopf
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Sa 3. Mär 2007, 19:30 - Beitrag #20

Ich stimme Ipsi voll und ganz in seiner Einschätzung zu.
Wenn ich die Frauen in meinem Bekanntenkreis frage, und das Thema kommt immer mal wieder auf den Tisch, dann kann ausnahmslose jede von ihnen über sexuelle Übergriffe unterschiedlichster Art berichten.
Viele von ihnen, mich eingeschlossen, haben irgend etwas in ihrer Kindheit erlebt, oft etwas eigentlich unspektakuläres und dennoch war auch dem Kind klar: Das ist nicht in Ordnung! Ich kenne auch etliche Männer, die als Jungen betatscht oder gar massiv missbraucht wurden.
Nur war Kindesmissbrauch eher eine lässliche Sünde, über die man nicht sprach, weil es 1. fast jeden mal betraf und 2. es ein großes Tabuthema war.
Erst als man Kinder als vollwertige Menschen akzeptierte und verstand, dass es eben nicht normal ist, wenn ein Erwachsener einem Kind etwas aufzwingt, was dieses instinktiv als Übergriff empfand, da hat man auch die Schäden verstanden, die solche Übergriffe mit sich bringen.

Kinder sind nicht asexuell, sie interessieren sich für ihren Körper und den anderer Menschen, aber sie wissen sehr genau, wann ihre Neugiergrenzen überschritten werden, hin zum sexuellen Interesse des Erwachsenen. Das wird jeder bestätigen, der es erlebt hat. Ich habe es beide Male haargenau gewusst.

Die Missbrauchsprävention geht viel weiter, als Kindern nur Misstrauen vor Fremden einzuimpfen. Sie hat damit zu tun, ihnen die Fähigkeit zum NEIN-Sagen beizubringen. Selbstbewusste Kinder, die sich trauen, sich gegenüber Älteren abzugrenzen, die haben tatsächlich größere Chancen, in Ruhe gelassen zu werden. Man muss eben nicht unbedingt der ungeliebten Tante ein Küsschen geben oder immer ganz artig dem dämlichen Onkel gegenüber sein. Wenn einem jemand auf die Pelle rückt, dann darf so ein Kind ohne weiteres laut werden und "ey, ich will das nicht!" rufen.

Ipsi hat ganz richtig darauf hingewiesen, dass die weitaus meisten Fälle sexuellen Missbrauchs in allen Varianten im heimischen Umfeld passieren; es sind die Eltern, die Geschwister, die Verwandten, Bekannten oder Nachbarn.
Der "böse Onkel" vom Spielplatz ist die ganz, ganz seltene Ausnahme!

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