In Rollen schlüpfen

Das Forum für allgemeine Diskussionen! Alle Themen, die nicht in andere Bereiche passen, können hier diskutiert werden.
Milena
Lebende Legende
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 1797
Registriert: 17.01.2005
Di 24. Jul 2007, 07:18 - Beitrag #1

In Rollen schlüpfen

...nicht weil ich gestern auf der Bühne stand oder auch nur Backstage das ganze tamtam beobachtet habe,
denke ich doch seit längerem darüber nach,
dass wir Menschen/ich ständig in verschiedene Rollen schlüpfen und
das mehrmals am Tage sogar...

Ganz deutlich wird mir dieses Verhalten,
wenn ich meine Kleidung wechsle.....
gestern abend noch im Gammellock, ala Reporterin,
heute morgen in weisse Hose schlüpf für Pflegeheim,
danach mittags nach Hause komm,
und in bequeme Jeans schlüpf für Einkauf etc......
zu Hause wiederum so lässig und leger wie sonst was.....
abends wieder Wechsel...

nicht das ich mit dem in Rollenreinschlüpf auch eine aufgesetzte Haltung
impliziere,
es ist mir irgendwie nur so deutlich geworden in letzter Zeit mit dem
häufigen Kleiderwechsel......:)

Ipsissimus
Dämmerung
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 10251
Registriert: 29.10.2004
Di 24. Jul 2007, 10:23 - Beitrag #2

es heisst nicht umsonst "Kleider machen Leute"

aber die Kleider sind natürlich nur ein Teil der Rollen. Als ich dich letztes Wochenende bei der Probe beobachtet hatte, Schatz, da dachte ich einige Male, wie schade es ist, daß du die Schauspielschiene nicht weiter verfolgen konntest; es scheint für dich ganz natürlich zu sein, in eine Rolle zu schlüpfen, und man hat gesehen, wieviel Spaß es dir macht^^

bei mir selbst ist es eher so, daß ich immer mich selbst spiele, egal in welcher Rolle ich auftrete. Selbnst bei den Rollenspielsitzungen spiele ich noch immer mich selbst; ich wüßte gar nicht, wie ich es anders machen könnte. Es ist vielleicht gelegentlich ein situativ angepaßtes Selbst, aber auch noch in den förmlichsten Situation auf der Arbeit spiele ich nur mich. An mir ist kein Schauspieler verlorengegangen :-)

vielleicht gibt es diesbezüglich wirklich 2 Phänotypen des Menschen, solche, die Lust daran haben, zeitweise andere Persönlichkeiten anzuziehen, und solche, die nur sich selbst spielen können

ja ti volim, moja scrze

Milena
Lebende Legende
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 1797
Registriert: 17.01.2005
Di 24. Jul 2007, 13:40 - Beitrag #3

ja te volim isto...moja ljubavi...^^
und vielen Dank...Schätzle..^^

ja, da magst du wohl recht haben...du bist immer irgendwie du selbst,
obwohl, wenn ich/oder andere in andere Persönlichkeiten schlüpfen,
das eigentliche Selbst nicht verloren gegangen sein muss....
und sich selbst doch auch spielen,
nur in den verschiedensten Varianten..^^

ich glaube vielmehr, es ist die Möglichkeit verschiedene Persönlichkeiten, die in einem/mir schlummern ausleben zu dürfen/zu können.....
ja und wirklich Spass daran haben...^^

Maurice
Analytiker
Lebende Legende

 
Beiträge: 5166
Registriert: 14.01.2003
Di 24. Jul 2007, 14:24 - Beitrag #4

Vor ein paar Jahren bin ich im Rahmen der Lektüre für eine Pädagogik-Hasuarbeit über die These gestoßen, dass es kein festes Subjekt im Sinne eines Ich-Kerns gibt, sondern das Subjekt sich nur aus einem Ensemble von Masken konstituiert, wohinter es kein eigentliches "Selbst" gibt. "Maske" ist dabei nicht negativ konotiert. Soll soviel heißen wie, dass unsere Persönlichkeit ausschließlich aus einer Ansammlung von Rollen besteht, die wir unter bestimmten Umständen spielen.
Ich halte nicht viel von diesem Ansatz, weil man ja selbst dann eine Rolle spielen müsste, wenn gar kein Publikum da ist und das finde ich völlig unplausibel. Man könnte höchstens diskutieren, ob wir immer eine Rolle spielen, sobald Leute um uns herum sind. Dass man aber nur aus Rollen besteht, finde ich aus dem erwähnten Grund auf jeden Fall übertrieben.

Ipsissimus
Dämmerung
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 10251
Registriert: 29.10.2004
Di 24. Jul 2007, 15:33 - Beitrag #5

du bist in deinen Rollen auch immer ganz gut zu erkennen, Schatz^^

das Verhältnis von Selbst und personalem Ich dürfte ziemlich schwierig zu bestimmen sein. Es geht uns ja in Fleisch und Blut über Rollen zu erfüllen; von daher wäre es gar nicht so verwunderlich, wenn wir auch dann, wenn wir allein sind, nicht aus einem Rollenverhalten herauskommen, auch wenn diese Rolle weit weniger genau spezifiziert ist als öffetnliche Rollen. Es gibt sicher auch eine Art Tendenz in der Gesamtdisposition eines Menschen, wie er Rollen ausfüllt oder sich verweigert, welche Intensität an den Tag gelegt wird, welche Stimmung usw.

Aber wenn wir - Zwiebelschalenmodell - eine Hautschicht nach der anderen abtragen, wann kommen wir auf das Selbst? Schwer zu sagen, aber ich vermute: niemals.

Die Mitte ist leer^^

Feuerkopf
Moderatorin
Moderatorin

Benutzeravatar
 
Beiträge: 5707
Registriert: 30.12.2000
Di 24. Jul 2007, 15:56 - Beitrag #6

Na, Ipsi, wenn ich mir eine solide Haushaltszwiebel angucke, so ist deren Kern mitnichten leer, sondern aus ihm kann eine kräftige Pflanze wachsen. ;)

Meine Erfahrung zeigt, dass es schon einen Unterschied macht, ob ich eine Rolle ganz bewusst spiele oder eine meiner Alltagsfunktionen ausübe. Vor einiger Zeit habe ich im Rahmen einer szenischen Lesung eine Psychopathin dargestellt. Eine Frau aus dem Publikum hat tatsächlich Angst vor mir bekommen. :cool:
Mir selbst war die Rolle allerdings ziemlich fremd und das hat mich dann doch beruhigt.

Da ich keine Berufskleidung tragen muss, gibt es bei mir diese bewussten Rollenwechsel durch Kleidungswechsel nicht. Hin und wieder merke ich aber, dass ich ganz klar in meiner Funktion als Mutter oder Tochter oder Ehefrau agiere. Freundin oder Kundin oder Moderatorin fühlt sich auch anders an.
Ich sehe mich durchaus als Summe vieler Rollen, ohne den Begriff "Rolle" zu werten.

Milena
Lebende Legende
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 1797
Registriert: 17.01.2005
Di 24. Jul 2007, 16:17 - Beitrag #7

..Maurice,^^
das ist sehr interessant, was du da geschrieben hast,
obwohl ich mit dem diesen Ansatz übereinstimme, grösstenteils.....
und eigentlich bedarf es keines Publikums, um Rollen zu spielen/zu sein,
denn ich bin eine andere, wenn ich mich einer Musik hingebe und etwas dabei vorstelle zu sein, oder als wenn ich etwas schreibe und mich in diese Rolle, diese Person hineinversetze über die ich gerade schreibe oder
einfach, wenn ich irgendwo entlang gehe
und weit und breit kein Mensch ist und ich mir vorstelle irgendjemand zu sein, bzw. mich einer Stimmung hingebe,
die mich mal mehr Kind, mal mehr Mutter, mal mehr Freundin sein lässt.....
und doch bin ich oft allein mit meinen Vorstellungen und es bedarf niemanden um mich herum,
als mich selbst,
mit all den Facetten, die ich in mir trage....^^
das ist auch ungefähr das, was wohl Ipsischätzle meinte und geschrieben hat..^^
Feuerköpfle,^^
das meinte ich eigentlich auch im Anfangsthread mit den Funktionsrollen,
konnte es aber wahrscheinlich aus lauter Müdigkeit des frühen Morgens nicht so wiedergeben..^^
und das mit dem bewusst ausüben einer Rolle ist auch sehr interessant....
ich übe mitunter meinen Beruf sehr bewusst aus,
da ich aber dabei sehr engen Kontakt zu Menschen habe, bin ich mir dieser Berufsrolle nicht immer bewusst und gebe mich dabei sehr offen und freundschaftlich und auch verletzlich......

Ipsissimus
Dämmerung
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 10251
Registriert: 29.10.2004
Mi 25. Jul 2007, 11:31 - Beitrag #8

Feuerkopf, das ist ja das Besondere an der Leere, daß aus ihr heraus alles entstehen kann^^


ich denke wirklich, wie Schätzle es auch andeutet, daß die Rollen etwas Verinnerlichtes sind - wir verfallen zwar manchmal bewußt in ein Rollenverhalten, meist schlüpfen wir aber "einfach so" in ein solches Verhalten, das von vielen Faktoren ausgelöst werden kann, Musik, Stimmung, Wetter, Personen usw. Ein wesentlicher Punkt an einer Maske (Persönlichkeit) besteht darin, daß es keiner allzugroßen Mühe bedarf, darin zu verweilen. Wenn wir uns beständig darauf besinnen müßten, daß wir so und so sein müßten, wäre unsere Effektivität stark eingeschränkt, wir würden auch sehr schnell als "unnatürlich" oder "affektiert" wahrgenommen werden.

C.G.B. Spender
Elite Member
Elite Member

 
Beiträge: 1105
Registriert: 21.10.2004
Mi 25. Jul 2007, 11:57 - Beitrag #9

"Wenn ich ein guter Schauspieler bin, dann hat das mit meiner Wahrnehmungsfähigkeit Menschen gegenüber zu tun."

Bruno Ganz


Das ist doch schon mal eine Aussage, die recht einleuchtend ist. Ich finde, dass gutes Schauspiel kaum anders, als über ein Kopieren durch Beobachtung gehen kann. Auch bei Rollen, die man im Alltag spielt, hängt es von der eigenen Wahrnehmung den Menschen gegenüber ab, mit denen man zu tun hat.

Diese Alltagsrollen haben schließlich viel damit zu tun, wie man in einer gesellschaftlichen Gruppe angenommen und akzeptiert wird. Man könnte es auf die Spitze treiben und sagen, wer sich nicht anpaßt und sich nicht als kleines Zahnrad ins Getriebe des Systems einfügt, der wird zermalmt.

Viele Rollen hängen also mit dem äußeren Anpassungsdruck zusammen und am glücklichsten sind wohl jene, die in der gegebenen Rolle nur wenig von ihrem wahren Selbst aufgeben müssen. Das kann auch bedeuten, dass man in der Darstellung von Anderen mit großer Freude aufgeht, weil man ein empathischer Schauspieler ist.

Ob es eine schauspielende Person wohl leichter hat, weil sie den Menschen das geben kann, wonach sie sich sehnen, nicht nur im Beruf, sondern auch in der Liebe?

Nur was geschieht, wenn die Rolle nicht mehr reicht, um Konflikte zu vermeiden und der Druck zwischen der inneren Leere und dem äußeren Zwang zu groß wird?

Soviel ich weiß, lassen sich schwarze Löcher nicht stopfen.

Die Frage, die ich mir hier stelle, ist, wie kann eine so unsichere Person Sicherheit erlangen? Ich glaube, dies kann nur auf einer Reise in die geistige Vergangenheit dieser Person geschehen. Natürlich nur dann, wenn es auch einen Leidensdruck gibt. Möglicherweise gibt es den ja garnicht.

Die Gesellschaft: Soziopathische Strippenzieher und ihre komplex traumatisierten Rollenspieler.

Nee, das Letzte war jetzt zu schwarz-weiß. ;)

______________________________________

EDIT: Ipsissimus hat gerade noch etwas geschrieben und ist meinem Posting zuvor gekommen, etwas, worauf ich hier noch etwas einfügen möchte.

Ich würde nämlich nicht meine natürlichen und ungezwungenen unreflektierten Reaktionen als Rollen bezeichnen, selbst wenn sie tatsächlich verinnerlichte Rollen sein sollten. Täte ich dies hinterfragen, so würde ich allgemein auch die Existenz eines Ichs für Menschen in Frage stellen. Philosophisch sicher interessant, aber im Alltag vielleicht nur für praktizierende Buddhisten relevant. ;)

Gibt es ein nicht anerzogenes Urverhalten? Wenn man dieses Verhalten einer leeren Mitte unterwirft, ist dann jenes Gleichgewicht aus der Leere eine Rolle oder das Urverhalten?

Oder ist es pragmatischer jenes anzueignen, das einem letztendlich besser bekommt?

Ipsissimus
Dämmerung
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 10251
Registriert: 29.10.2004
Mi 25. Jul 2007, 13:01 - Beitrag #10

meine natürlichen und ungezwungenen unreflektierten Reaktionen


sofern es so etwas bei einem sozialisierten Menschen überhaupt gibt^^

die Frage nach dem nichtexistenten Ich halte ich über das gesellschaftliche Rollenspiel hinaus für höchst wichtig^^ sie ist direkt mit unserer Todesangst verknüpft^^

C.G.B. Spender
Elite Member
Elite Member

 
Beiträge: 1105
Registriert: 21.10.2004
Mi 25. Jul 2007, 13:26 - Beitrag #11

Ipsissimus, ich würde eher Todesangst bekommen, wenn vor mir ein hungriger wilder Löwe steht und meine Knarre Ladehemmungen hat.

Oder eher alltäglich: Im Straßenverkehr. ;)

Bin ich zu pragmatisch?


Natürliche Reaktion: Wenn ich grün sehe, bin ich grün. :crazy:

Ipsissimus
Dämmerung
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 10251
Registriert: 29.10.2004
Mi 25. Jul 2007, 13:44 - Beitrag #12

der Löwe, das ist nicht die abgründige Todesangst, da ist zu viel Adrenalin im Spiel, außerdem ist die Geschichte relativ schnell entschieden^^ aber das, was den Rücken hochschleicht, wenn du allein bist und das Grauen zu dir kommt, das bekommst du nicht mit Adrenalin in den Griff

C.G.B. Spender
Elite Member
Elite Member

 
Beiträge: 1105
Registriert: 21.10.2004
Mi 25. Jul 2007, 14:09 - Beitrag #13

O.K., gewonnen. :) Natürlich ist es schwer damit umzugehen. Allerdings kenne ich ein gutes Mittel dagegen: Naturbeobachtung & Meditation und die Leere füllt sich mit wundervollen Dingen.

Wobei dieses Grauen auch nur durch die gesellschaftliche Inakzeptanz dieser Leere entsteht und den damit verbundenen Druck "etwas zu sein/darzustellen", oder etwa nicht?

Dar Stellen, man stellt sein Sein dar. Hihi.

Ipsissimus
Dämmerung
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 10251
Registriert: 29.10.2004
Mi 25. Jul 2007, 14:44 - Beitrag #14

wahrscheinlich schon, aber wir unterliegen primär erst mal diesem gesellschaftlichen Druck. Sind gar nicht so viele, die sich davon frei machen können^^

Maurice
Analytiker
Lebende Legende

 
Beiträge: 5166
Registriert: 14.01.2003
Mi 25. Jul 2007, 16:37 - Beitrag #15

Also ich glaube nicht daran, dass das Leben nur ein großer Maskenball ist, wo letztlich niemand da ist, der hinter den Masken steckt. Das widerspricht zu sehr meiner Wahrnehmung. Ich kann dabei meine Meinung genauso wenig beweisen, wie die Anhänger der Masken-Theorie. Alles letztlich nur subjektive Plausibilitätsgrade. Ein anderes großes Problem dieser Theorie ist für mich, dass sie scheinbar nicht erklären kann, warum wir regelmäßig davon sprechen, dass wir mal "wir selbst" und mal nicht sind. Diese Wahrnehmung als große Täuschung hinzustellen, erklärt immer noch nicht, wie es dazu kommt. Und selbst wenn die Vorstellung eines Selbst zu beseitigen wäre, was wäre dadurch gewonnen? Was hat die Masken-Theorie zu bieten, was es lohnt, dieses Selbstverständnis aufzugeben?

Milena
Lebende Legende
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 1797
Registriert: 17.01.2005
Mi 25. Jul 2007, 18:59 - Beitrag #16

..mmh, schwierig....
eigentlich glaube ich auch nicht, dass hinter egal wievielen Masken nichts steckt,
dass die Mitte leer ist.....
das kann ich mir nicht vorstellen, dass der Kern des Wesens, des Menschen ein nichts, eine Leere ist.....
eher glaube ich,
dass es mitunter sehr schwierig ist,
zu diesem Kern zu gelangen, bzw. ihn zu entdecken und anzunehmen......

und ob das alles irgendwas mit Gewinn oder mit etwas anzubieten zu tun hat,
das bezweifle ich...
denn das Leben, der Sinn dessen, hat mit jedem Menschen individuell zu tun, und so ist der Kern eines jeden, was eigenes, etwas für sich,
was nicht wirklich einen Anspruch erhebt.....
nicht den Anspruch des Erklärtseinwollens für andere oder für die Allgemeinheit....

C.G.B. Spender
Elite Member
Elite Member

 
Beiträge: 1105
Registriert: 21.10.2004
Mi 25. Jul 2007, 20:11 - Beitrag #17

Zitat von Ipsissimus:wahrscheinlich schon, aber wir unterliegen primär erst mal diesem gesellschaftlichen Druck. Sind gar nicht so viele, die sich davon frei machen können^^
Es sind nicht viele, Ipsissimus, und sie leben gefährlich, so scheint es mir. :)

Der falsche gesellschaftliche Druck entsteht nur dort, wo es eine falsche Gesellschaft gibt.

(Nee, ich cruise jetzt nicht in Richtung Scientology.)

Ipsissimus
Dämmerung
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 10251
Registriert: 29.10.2004
Do 26. Jul 2007, 14:45 - Beitrag #18

vielleicht ist das mit dem leeren Kern nicht ganz so schwer nachvollziehbar, wenn man sich den Menschen nicht als Zustand, sondern als Prozess vorstellt. Wir haben bis heute Schwierigkeiten, zu begreifen, was "Bewußtsein", "Seele", "Geist", "Psyche" überhaupt ontologisch sein sollen. Sind es "semitranszendente" Energie/Kraftfelder, die locker mit Materie verknüpft sind, sind es Funktionszustände hochkomplexer Materie, Computersoftware während der Laufzeit nicht unähnlich, oder irgendwas ganz anderes?

Wenn es, wie religiöse Menschen wohl am ehesten meinen werden, Energie/Kraftfelder oder etwas in dieser Art sein sollten, also eigene Entitäten mit doppeltem ontologischen Status, dann wäre des weiteren die Frage, sind diese Felder nur Trägermedium, oder sind sie das Wesentliche? Tragen sie eine "Quintessenz meiner Selbst", mein Ichbewußtsein in sich, eventuell auch über meinen biologischen Tod hinaus? Dann wären wir bei der klassischen Seelenvorstellung, und ich täte gut daran, mich noch ein bißchen in Frömmigkeit zu üben, damit ich in irgendeinen der vielen möglichen Himmel der Gläubigen komme^^

Sind es Funktionszustände hochkomplexer Materie? Dann sind wir biologische Super-von-Neumann-Maschinen. Und dann wäre der Kern leer, denn solche Maschinen benötigen keinen Wesenskern, um vielfältige Programm- (=Bewußtseins-)Zustände herauszubilden, warum nicht auch ein Ichbewußtsein als besonders guten Trick der Natur, eine solche Maschine zum Selbstschutz zu motivieren^^

Aber es sind natürlich auch Zwischenstufen zwischen diesen Extremen möglich; so könnte die SvN-Maschine z.B. die besagten Energiefelder als Arbeitspeicher für ihre Zustände nutzen. Das würde zu Reinkarnationstheorien passen^^


Nöö, wissen im emphatischen Sinne tut es derzeit noch niemand. Aber gemäß Ockhams Raziermesser könnten wir uns die Energiefelder sparen^^

Maurice
Analytiker
Lebende Legende

 
Beiträge: 5166
Registriert: 14.01.2003
Do 26. Jul 2007, 15:15 - Beitrag #19

@Selbst und Materialismus: Eine materialistische Position kann natürlich nicht von einem Selbstkern sprechen, wie es Pluralisten tun. Es gibt ja nicht ein Elementarteilchen als letzten materiellen Kern, der das Selbst darstellt. Aber wenn man Persönlichkeit als eine Funktion materieller Lebewesen betrachtet, könnte man "das Selbst" als eine Gruppe von Programmcodes einstufen, die für die Persönlichkeit von besonderer Bedeutung sind. Die Gruppe dieser Codes müssten dabei auch nicht mal festgeschrieben sein, sondern zeitabhängig betrachtet werden. Ein Mensch hat demnach nicht von Anfang bis eine ein festumrissendes Selbst, sondern sein Selbst verändert sich im Laufe seines Lebens in einem begrenzten Rahmen. Wird dieser Rahmen irgendwo gesprengt, stellt dies der Verlust der Identität dar.

Das waren jetzt recht spontane Überlegungen. Ist schon länger her, dass ich mir über das Thema Gedanken gemacht habe, weil mir eine ungefähre Vorstellung eines teilbaren Selbst reicht.

e-noon
Sterbliche
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 4576
Registriert: 05.10.2004
Do 26. Jul 2007, 23:14 - Beitrag #20

Ich stimme Maurice zu. Es geht mir nicht darum, vor mir selbst die Illusion eines unumstößlichen Kerns des Ichs unabhängig von Zeit und Funktionen zu wahren; aber ich denke doch, dass noch einiges übrig bleibt, wenn man die Rollen weglässt, eben der Kern. Allerdings würde ich nicht alle Rollen weglassen; die, die man um ihrer selbst willen einnimmt - also nicht nur spielt, um etwas damit zu erreichen - gehören zum Kern des Ich, würde ich sagen, denn was wir sein wollen um seiner selbst willen und sein können, um uns wohl zu fühlen, das macht imo einen Großteil dieses Kerns aus. Rollen, die ich spiele, um anderen zu gefallen - untertäniger Angestellter, cooler Typ, was auch immer - würde ich lassen, wenn ich auch so mein Ziel erreichen könnte, also ist das nicht grundlegender Bestandteil des Selbst.

Die Seele als externer Speicher des Ich würde mich verwundern, denn entweder müsste alles doppelt vorhanden sein, oder es ist zum Beispiel nur im Gehirn vorhanden und wird im Augenblick des Todes auf mysteriöse Weise von Materie zu Energie umgewandelt - dann müssten Tote aber heftig explodieren oder so.

Nächste

Zurück zu Diskussion

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 1 Gast