Nun, ich hab bewusst etwas über den Hintergrund des Zitats im Dunkeln gelassen, um die Diskussion nicht gleich zu anfang sich in anderen Fragen verheddern zu lassen.
Senta Berger hat den Glücks-Satz in der talkshow bei Kerner mit Eva Herman gesagt, und zwar in folgendem Zusammenhang:
Es gab einen Satz, den hatten wir Frauen, dieser Generation damals, uns auf die, wie soll man sagen, wir haben ja keine Manifeste veröffentlicht – einfach eine veröffentlichte Meinung – und die hieß: „Glück ist, seinen Anlagen gemäß gebraucht zu werden.“
Und dieser Satz war dringend notwendig damals. Und wenn wir heute sehen, was daraus entstanden ist, wie viele Studentinnen in den Sälen der Universitäten sitzen. Wieviel Ärztinnen es mittlerweile gibt, wie viele Journalistinnen. Wie die Frauen sich eine Welt erobert haben, die Ihnen zusteht
Mir ist dieser Satz meiner Erinnerung noch nie untergekommen, und ich finde ihn im 68er-Zusammenhang in zweifacher Hinsicht interessant:
1. Der Glücksbegriff wird hier mit einer Wertstiftung durch Gebrauchtwerden gekoppelt und auf eine soziale Ebene gehoben.
Der Begriff des Gebrauchtwerdens erscheint mir recht ambivalent zu sein.
2. Der Glücksbegriff steht damit in einem Spannungsverhältnis zu dem, was verbreitet als
das Ideal der Zeit angesehen wird, nämlich Selbstverwirklichung, genau genommen weist das Zitat einen Widerspruch in seinem Verhältnis dazu auf. Man lese die Selbstverwirklichung als Selbst-Verwirklichtwerdung - eine interessante neue Sicht auf diesen Begriff.
Zu 1.: Gebrauchen, gebraucht werden hat im allgemeinen Sprachgebrauch eine deutlich utilitaristische Konnotation, es steht, wie Milena andeutet, sinnverwandt für "benutzen". Ein Mensch, der in diesem Sinne von einem anderen "gebraucht" würde, wäre für diesen ein nützliches "Werkzeug", Erfüllungsgehilfe, wertvoll und glücklich nur so lange er eben nützlich, "verwendbar" wäre.
Die Einschränkung durch "seinen Anlagen gemäß" weist für mich jedoch auf eine andere Bedeutungsnuance, welche vor allem im Spanischen hervor tritt - "querer" bedeutet "brauchen", gleichzeitig aber auch einen Ausdruck für "lieben", hängt also eng mit Wertschätzung zusammen.
So gesehen verstehe ich den Satz so, als sei es Glück, wertgeschätzt, als wertvoll wahrgenommen zu werden, und zwar nicht wegen mehr oder weniger begrenzter Nützlichkeit, Brauchbarkeit für den Wertschätzenden, auch nicht wegen irgendeines Merkmals einer Gruppe, zu der Wertgeschätzter gehört (also, weil Wertgeschätzte eine Frau ist und Frauen als gut brauchbar angesehen werden, um Kinder groß zu ziehen und für ein warmes Mittagessen zu sorgen, sondern aufgrund dessen, was den Wertgeschätzten selbst ausmacht, seine individuellen Anlagen, "Gaben".
Ich denke, gerade in dieser Focussierung auf die individuellen Anlagen, "Gaben" eines Menschen gegenüber der damals gängigen schematischen Gruppenzuordnung - Mann/Frau und Untergliederungen - liegt das Neue dieses Glückbegriffes in seiner Zeit, in der es nun endlich als relativ gleichgültig gelten konnte, welchen Geschlechts oder Gruppenzugehörigkeit ein Mensch war. Wenn nun endlich seine Gruppenzugehörigkeit einen Einzelnen betreffend gleichgültig war für seine Wertgeschätztwerdung, war dies demnach "Glück".
Zu 2.: Ein tradierter Satz lautet "Jeder ist seines Glückes Schmied". Jeder wird damit als für sein Wohlergehen, was hier wohl mit "Glück" gleichbedeutend ist, im Wesentlichen allein verantwortlich bezeichnet, würde man Glück als eigenen Begriff neben dem Wohlergehen auffassen, wäre jeder zudem allein verantwortlich, seinem wie auch immer gearteten Zustand ein Glücksempfinden abzugewinnen.
Nun ist zur Zeit der Entstehung dieses Satzes Wohlergehen sicher vor allem materiell gemeint gewesen, dennoch habe ich den Eindruck, daß dieser Satz im Begriff der Selbstverwirklichung fortlebt, gewissermaßen erweitert auf das Haben im Sinne von Anlagen, "Gaben".
Selbstverwirklichung erscheint mir so gesehen ein Begriff der Macher, ein vorwiegend maskuliner Begriff
Hier liegt nun eine Schwierigkeit in Bergers Zitat, denn der Begriff des "gebraucht werdens", mit der Beschwerung durch die wertstiftenden Anlagen, weist sehr deutlich auf eine soziale Dimension, Glück entsteht aus dem Faktum einer bestimmten Interaktion mit einem anderen, nicht aus einer Selbst-Darstellung oder -Umsetzung, -Verwirklichung durch den Betreffenden selbst. "Selbst-Verwirklichtwerdung" könnte man dies nennen.
Andererseits weist der zweite Teil des Zitats genau in die andere Richtung, in eine individualistische, nach der jeder durch Umsetzung seiner eigenen Anlagen, "Gaben" sich selbst brauch-bar und damit beglück-bar macht - und zwar in herkömmlicher maskuliner Weise: Berger spricht von "Eroberung" einer Welt durch die Frauen, einer Welt, die den Frauen zustehe.
Das rührt an der Frage, ob die Emanzipation der Frau wirklich etwas Neues geschaffen hat, einer alternativen, "femininen" Weltsicht und Umgangsweise mit Problemen und Gegenständen bahn gebrochen hat, oder ob nicht doch die vielfach konservativen Kritiker der Emanzipation recht haben, die ausschließlich "Mann-Weiber" sehen - die es, so der konservative Duktus, aber doch nicht so gut können wie die Männer, und deshalb doch lieber in ihre eigentliche Domäne zurückkehren sollten.
Maurice, ich hätte es beinahe in den Philo-Bereich gepackt, aber die Fragen der zeitlichen Einbindung und Bedeutung des Zitats geben dem Thema doch eher eine gesellschaftlich-zeitgeschichtliche Note - zu der Deine Darstellung der Glückstheorien aber viel beigetragen hat
