Sicher ist das Aussterben von Sprachen nicht nur ein Phänomen bei indigenen Völkern, sondern in Teilen auch bei uns - aber in einer anderen Dimension.
Natürlich ist es bedauerlich, dass die Dialektvielfalt der ehemals deutschen Ostgebiete verschwindet - warum haben die Vertriebenen sie eigentlich nicht an ihre Kinder weiter gegeben? - umso bedauerlicher ist dabei aber für mich der Verlust jener eigenständigen Kultur, die diese Gebiete bis vor dem Naziterror kenn/auszeichnete, das Gemisch aus verschiedenen Volksgruppen mit eigenen Kulturen, in dem aber zahlreichen Quellen zufolge ein übergreifendes Gemeinsamkeitsgefühl herrschte. Dies zu zerstören, ist den Deutschen - und ich sage bewusst nicht "den Nazis" - trefflich gelungen.
Was den edlen Wilden betrifft, ich bin fern jeder romantischen Verklärung. Ich bin nur mit dem Schicksal geschlagen, durch Zweisprachigkeit in die Erkenntnis hinein gewachsen zu sein, wie sehr Sprache Ausdruck ist von kultureller Individualität und von Weltbildern. Versuch mal, Kant ins Englische zu übersetzen, nur mal so...
Zitat von Maglor:In Afrika waren es ja eher die afrikanischen Krankheiten, die die Kolonisten ausmerzten.
Die erst zum Problem wurden, als die Kolonialisten versuchten, europäische Besiedelungsmuster auf die tropischen Landschaften zu übertragen und damit geradezu in die Malariafalle rannten. Die Bewohner Zentralafrikas hatten längst schon herausgefunden, dass man die Niederungen als Siedlungsplätze meiden sollte. Und die Hirtenvölker hatten immer versucht, außerhalb des Verbreitungsgebietes der Tsetsefliege zu leben, zumindest durch Wanderungen zeitweise auszuweichen.
Auch bei den Ejak klingt es ja so, als wäre die Verdrängung durch benachbarte indigene Völker ein entscheidender Faktor!
Nun, Verdrängungen hat es sicher immer gegeben, das ist das, was ich mit "Umsatz" bezeichnet habe. In Europa waren es die Goten, die solche Verschiebungen anstießen. Nur ist der kleine Unterschied heute der, dass die Verdrängung keinen Raum mehr hat, die Verdrängten können nicht mehr ein paar Kilometer die Küste hinab ziehen, denn dort haben heute die Holzkonzerne abgeräumt oder stehen so seltsame Betonansammlungen, die wir "Städte" nennen.
Ähnliche Prozesse gab es ja auch heute noch in der Neuzeit, etwa Afrikans, das aus dem Holländischen entstand, oder die Pidgin-Sprachen Südostasien, die dem Englischen nahestehen.
Natürlich sind Sprachen als Merkmal Mittel zur Kategorisierung von Menschen, sowohl im Sinne oktroyierter wie auch selbst angenommener Kategorisierungen, und es ist eine interessante Frage, was dazu führt, dass die eine Sprechergruppe sich von außen oktroyierte (Minder)wertigkeitsurteile selbst zu eigen macht und sich darauf hin an die äußere Macht assimiliert oder dass in einer anderen Sprechergruppe derartige Urteile zur Stärkung eines inneren Eigenwertempfindens führen - was war bei den Kelten anders als bei den Kurden oder den Basken?
Das Afrikaans ist ein Beispiel eines neu entstandenen Dialekts, oder Sprache, wenn man will, infolge Ablösung von der Hauptsprechergemeinschaft. Vergleichbar dem amerikanischen oder Australischen, oder jenem Küchenlatein, aus dem das (Süd)Französische (Langues d'oc), Spanische und Portugiesische wurde.
Sicher entstehen auf diese Weise neue Sprachen, aber doch in deutlich geringerem Maße, als heute Vielfalt verschwindet.
Pidgin würde ich als Fall eines sprachlichen Synkretismus ansehen, den Einbau fremder Kategorien und Begriffe in das eigene System, parallel zum religiösen Synkretismus, den der Cargo-Kult IMHO darstellt.
Ich erinnere mich, einen interessanten Pidgin-Begriff gelesen zu haben, der einen für die Polynesier neuen Gegenstand bezeichnet, die Schraubenmutter:
Mama bilong skru.
Der Begriff beinhaltet die Kategorie des zu-etwas bzw. des jemandem gehörens (was für einige der Völker in der westlichen Intensität der Kategorieverwendung neu gewesen sein dürfte) und die Übersetzung Mutter-Mama und dem Xenologismus skru aus engl. Schraube. Wie weit die Art der Wortkoppelung dem Polynesichen entspricht, wie es sich dort mit dem Genetiv verhält, weiß ich nicht.
Jedenfalls könnte ich mir vorstellen, dass das Nordfranzösiche (Langue d'oil) ursprünglich auch aus einer Art "Kelto-Pidgin" hervorgegangen ist.
Aber derartige Fälle - in denen ja ein Teil der ursprünglichen Identität erhalten bleibt - sind eher die Ausnahme in meinen Augen, es dominiert die Ausrottung und das lautlose Verschwinden.
Um dem Vorwurf eines zu einseitigen Euramerikoskeptizismus zuvor zu kommen, natürlich ist es in gleichem Maße bedauerlich, wie dergleichen auch in Russland und China passiert. Nur - wir hofieren deren Machthaber, denen wir als Vorbilder dienen, bis dahin, dass wir es zulassen, dass sie sich mit Dingen wie einer Olympiade schmücken dürfen.