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Antarktische Algen-Allergiker

BeitragVerfasst: Do 15. Jan 2009, 13:19
von Lykurg
(im Themenfeld zwischen Politik, Wissenschaft und Natur)

Wie unter anderem Spiegel Online gestern berichtete, gibt es kräftigen Wirbel um ein Forschungsprojekt des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung. Die haben ein Forschungsschiff in den Südatlantik geschickt, das mit 6 Tonnen Eisensulfat ein Stück Meer (20 km², nach anderen Quellen immerhin 300 km²) düngen will. Ziele: Das Algenwachstum stimulieren, um die dabei erfolgende CO2-Aufnahme zu untersuchen; damit nebenbei auch die in der Region gefährdeten Krillbestände aufpäppeln, was, so die Forscher, entsprechend größeren Lebensformen nicht unwillkommen sein dürfte.

Nun regt sich Protest verschiedener Umweltorganisationen, einerseits gegen das Durcheinanderbringen der natürlichen Nahrungskreisläufe überhaupt, insbesondere aber auch gegen verhältnismäßig billige Projekte, dem Klimawandel entgegenzutreten. Sie hatten den Erfolg, Umweltminister Gabriel zum Einschreiten gegen das Projekt zu bewegen. - Was steckt dahinter? Mangelnde Risikenbewertung, oder Angst davor, eine Lieblingskuh könnte teilgeschlachtet werden?

BeitragVerfasst: Do 15. Jan 2009, 14:53
von janw
Erstmal zur Dimension: Ein Gebiet mit 20 km Durchmesser hat eine Fläche von 314,16 km², was auf die angegebene Fläche von 300 km² hinausläuft.
Auf dieser Fläche sollen nun 20 t Eisensulfat ausgebracht werden, wäre noch zu klären, ob es Fe II oder Fe III ist.

Die Diskussion zu dem Forschungsvorhaben geht schon eine Weile, und mich verwundert schon etwas, daß die AKN, eine Arbeitsgemeinschaft verschiedener Umweltorganisationen mit Focus auf die Nordsee, erst jetzt aktiv wird.

Aber erstmal zum Vorhaben an sich.
Wenn wir uns die Ozeane aus der Luft betrachten, so erscheinen riesige Bereiche mit blauer Farbe. Wenn wir in diesen Bereichen nach Leben suchen, so finden wir praktisch nichts, blau gilt als die "Wüstenfarbe des Wassers". Ähnliche Beobachtungen können wir an manchen unserer Seen machen, die im Frühjahr blaugrüne Farben zeigen, im Juni dann blau erscheinen.
Der Grund für diese Erscheinung ist, daß diese Gewässer dauernd oder zeitweise extrem nährstoffarm sind, so daß im Falle unserer Seen nur im Frühjahr, wenn die Nährstoffe aus der im Winter abgestorbenen Biomasse freigesetzt werden, Nährstoffe vorhanden sind, die dann sofort ein rasches Wachstum von Plankton zur Folge haben ->grüne Farbe von Phytoplankton. Das Angebot ist dann schnell aufgezehrt, die Algen werden von räuberischen Arten gefressen, und zurück bleibt klares Wasser, das eben blau erscheint.
In ähnlicher Weise, wie unsere Landpflanzen vor allem bei Stickstoff Mangel haben, ist im Meer für die Blau- und Grünalgen Eisen ein Mangelnährstoff, was sich z.B. darin zeigt, daß im Bereich von Eisenquellen (Eisberge, Küstengewässer) plötzlich ein reges Algenwachstum auftritt.
Diese Algen nehmen Kohlendioxid auf und bauen damit ihre Zellsubstanz auf, und wenn sie absterben, so gelangen die Zellen am Meeresboden in einen Bereich, in dem kaum ein weiterer Abbau stattfindet. Es liegt also nahe, von einer Kohlendioxid-Senke im Bereich des Tiefseebodens zu sprechen.
Ob dies so funktioniert, sollte mit dem Experiment untersucht werden.

Aus meiner Sicht ist das Experiment zum Verständnis der Stoffkreisläufe prinzipiell sinnvoll, und die Dimensionen sind IMHO vertretbar.

Gleichwohl bin ich skeptisch, ob sich daraus eine Möglichkeit zur Festlegung von Kohlendioxid gewinnen ließe, denn das Modell klammert IMHO zu viele Dinge aus:
Wo immer wir natürliche Eisenquellen betrachten, treten neben den Algen auch deren Fressfeinde auf, d.h. nur ein, möglicherweise geringer, Anteil der Algenbiomasse gelangt tatsächlich auf den Meeresboden.
Unsere Landwüsten erscheinen uns nur leblos, in Wirklichkeit sind sie Lebensraum für eine Vielzahl hochangepasster Arten - warum sollte das nicht auch in den "Wüstenbereichen" der Meere so sein? Wie würde sich die Artenzusammensetzung des Planktons ändern, wenn im großen Maßstab mit Eisen gedüngt würde?
Welche Folgen hätte ein großflächiger Farbwandel des Meeres von blau zu blaugrün auf die Lichtabsorption? Wäre eine stärkere Erwärmung zu erwarten oder eine Abkühlung?

Letztlich, wir wissen noch viel zu wenig um die Zusammenhänge zwischen den Stoffkreisläufen und ihren Beziehungen zu Lebensgemeinschaften, als daß wir im großtechnischen Maßstab damit spielen sollten.
Versuche wie der vorliegende können aber zum besseren Verständnis beitragen, und gerade auch Begründungen liefern, es bei den Experimenten zu belassen.

BeitragVerfasst: Do 15. Jan 2009, 17:33
von Lykurg
Danke für die Klärung der Dimensionen! Ein bißchen genaueres Lesen hätte mir sicherlich nicht geschadet (allerdings hätte ich auch präziser formuliert, wäre mir nicht gerade die Zeit ausgegangen). Bleibt die Frage nach den Gewichtsangaben - entsprechen etwa die bei SpOn und Welt angegebenen 6 t Eisen dem entsprechenden Eisenanteil in 20 t Eisensulfat? Und wenn, wird diese geringfügige Verschwefelung in jedem Fall so selbstverständlich umgesetzt, daß also tatsächlich nur der (über-)kompensierte Eisenmangel eine Veränderung bewirkt?

@blaue Wüste: Richtig, die Quellen thematisieren ja auch am Rande, daß eben die Frage, ob derartiges in Küstenregionen oder auf hoher See stattfindet, den ökologischen Unterschied ausmachen. Wichtig ist hier natürlich auch, daß das Versuchsgebiet isoliert genug ist, um getrennt beobachtet zu werden und die sonstige Umwelt nicht übermäßig zu beeinflussen (was der SpOn-Artikel mit dem Reagenzglasvergleich andeutet). Immerhin wäre aber doch aufgrund des genannten Eisenmangels in der "blauen Wüste" anzunehmen, daß das Experiment auch lokal ohne langfristige Folgen bleibt? Die Algen blieben ja letztlich auf weiteres Düngen angewiesen... möglich wäre natürlich, daß sich lokal das Gleichgewicht der Freßfeinde aufhebt, aber auch in diesem Fall sollte doch die Veränderung lokal begrenzt bleiben.

Mit der großtechnischen Anwendung meinst du im Zweifel die Möglichkeit, tatsächlich im großen Ausmaß und wiederkehrend zu düngen. Unabhängig davon, ob man dies letztlich vertretbar findet, kann man die Machbarkeit und Folgen ja wohl kaum anders als durch Experimente im kleineren Maßstab überprüfen... Besonders 'spannend' fand ich, daß die AKN offenbar insbesondere das wirtschaftliche Interesse an dem Projekt als Grund sieht, es abzulehnen. Reine Wissenschaft im antarktischen Eis? Darf/sollte/muß man eine Forschung ablehnen, die wirtschaftlich nutzbar ist? ;)

BeitragVerfasst: Do 15. Jan 2009, 22:20
von janw
Genauere Informationen zu dem Projekt gibt es hier , wo auch das Problem der Algenflorenveränderung angesprochen und als berücksichtigt dargestellt wird.
Es geht demnach eben gerade um die Frage, was tatsächlich mit dem fixierten Kohlendioxid passiert, wieviel wird über die Nahrungsnetze wieder freigesetzt, wieviel wirklich in die Tiefe exportiert. Außerdem soll untersucht werden, wie Krill auf ein durch Eisendüngung gesteigertes Nahrungsangebot reagiert, eine wichtige Fragestellung im Zusammenhang mit dem wirklich besorgniserregenden Rückgang dieser wichtigen Nahrungsressource.

Die Menge an Eisen muss ich noch ausrechnen, das Sulfat dürfte schnell aufgenommen werden, zumindest in der Menge ist es IMHO unschädlich.

Was die wirtschaftliche Verwendung der Ergebnisse betrifft, kann ich die AKN verstehen, es wird ja wirklich auf billige Kohlendioxid-Senkungsverfahren gegeiert. Allerdings dürfte diese Methode im Großmaßstab auch nicht mehr so günstig sein, wenn man die Energie zur Herstellung des Eisensulfats und die Transportlogistik hinzu nimmt in den dann benötigten Dimensionen.

BeitragVerfasst: Fr 16. Jan 2009, 01:22
von Lykurg
Danke für die weitere Quelle (bzw. die offensichtlich wesentliche Quelle der beiden von mir verlinkten Artikel). Tatsächlich wird die Krillpopulation als Forschungsziel ja weit prominenter genannt, als das im SpOn-Artikel klang.
Was die wirtschaftliche Verwendung der Ergebnisse betrifft, kann ich die AKN verstehen, es wird ja wirklich auf billige Kohlendioxid-Senkungsverfahren gegeiert. Allerdings dürfte diese Methode im Großmaßstab auch nicht mehr so günstig sein, wenn man die Energie zur Herstellung des Eisensulfats und die Transportlogistik hinzu nimmt in den dann benötigten Dimensionen.
Das finde ich nur pragmatisch. Wenn die derzeit untersuchten Maßnahmen zum CO2-Abbau so teuer sind, daß diverse Staaten lieber auf Totalverweigerung schalten, als sich zu beteiligen, außerdem aber die Wirksamkeit sehr zweifelhaft ist (beispielsweise die Einlagerung in Bergwerksstollen unter Hochdruck - in meinen Augen sicherheitstechnisch langfristig ein Alptraum; viel bedenklicher als radioaktive Abfälle)... sollte man sich unbedingt Lösungen ausdenken, die bezahlbar und wirksam genug sind, um (wenn es denn funktioniert und von den Folgen her vertretbar ist) schnell durchgeführt zu werden. Ich denke, die Bewohner von Banghladesh, Tuvalu u.a. werden sich nicht beschweren, daß die Maßnahme "zu billig" ist, wenn sie denn dazu beitragen kann, ihre Länder vor dem buchstäblichen Untergang zu bewahren. Richtig Geld ausgeben kann man dann auch noch für andere Projekte.

BeitragVerfasst: So 18. Jan 2009, 18:25
von janw
[quote="Lykurg"]Wenn die derzeit untersuchten Maßnahmen zum CO2-Abbau so teuer sind, daß diverse Staaten lieber auf Totalverweigerung schalten, als sich zu beteiligen, außerdem aber die Wirksamkeit sehr zweifelhaft ist (beispielsweise die Einlagerung in Bergwerksstollen unter Hochdruck - in meinen Augen sicherheitstechnisch langfristig ein Alptraum]
Das Problem ist nur, daß es im Grunde um ein "weiter so", business as usual geht, das durch die CO2-Festlegung ermöglicht werden soll, wo es eigentlich um effizientere Technologien gehen müsste und grundsätzlich um einen anderen Umgang mit Ressourcen, mit den Menschen in ihren Gewinnungsgebieten und mit der Umwelt. Das "von den Folgen her vertretbar" wird notfalls so hingerechnet, daß es passt, von Planern, die darin einen ökologischen Gewinn herbeischreiben, eine vor Mio Jahren aus Flußsedimenten gebildete Landschaft erneut mit Sedimenten zu überschütten, die ein Fluss abgelagert hat - hochgiftige Bergwerksschlämme.
Davor haben Leute wie die AKN angst, und das kann ich grundsätzlich nachvollziehen, wobei die Einzeläußerungen "Unmengen von Eisensalz" u.ä. natürlich nicht mit den Verdünnungseffekten rechnen.

Letztlich geht es hierbei aber um ein Experiment, das dem Verständnis von Stoffkreisläufen dienen soll, und bei dem in meinen Augen auch gut verdeutlicht werden kann, daß die Nutzung der biologischen CO2-Fixierung rein technisch kein Mittel zur Lösung unserer Probleme darstellen wird.
Die Entwicklung der Krillbestände ist ein wirklich wichtiges Thema, da Krill ein wirklich zentraler Faktor in den antarktisch-marinen Nahrungsnetzen ist und die Bestandsentwicklung dementsprechend weitreichende Folgen hat.

Was Bangladesh und andere betrifft, habe ich das unangenehme Gefühl, daß ihre Uhr bereits tickt. Die Schmelze der großen Inlandseismassen ist in vollem Gange, und sie wird sich aufgrund der Fließdynamik des Eises noch verstärken. Wenn dann noch die Permafrostböden tauen, wird Methan freigesetzt, das dreimal so stark wirkt wie CO2...
Vielleicht sollte jemand mal Angela und Sigmar einen Tipp geben, Häuser bauen für Klimaflüchtlinge wäre mal ein tolles Konjunkturprogramm...

BeitragVerfasst: Mi 21. Jan 2009, 23:13
von Lykurg
Nun ja, natürlich geht es auch um schonenderen Umgang mit begrenzten Ressourcen, um effizientere Technologien etc. - Aber wenn die Reduzierung des CO2-Ausstoßes auch ein ernstgemeintes Ziel an sich ist (und nicht nur ein Vehikel zur Durchsetzung der obigen oder vielleicht sogar ganz anderer Absichten - weltweite Deindustrialisierung oder sogar kontrolliertes Ausbremsen der Wirtschaften der Entwicklungsländer, wie dort gelegentlich behauptet wird), sollte jedes nicht nur kurzfristig wirkende Mittel in Erwägung gezogen werden. Gerade die unterirdische Einlagerung dagegen scheint mir eine "business as usual"-Lösung zu sein, obgleich (inklusive Abscheideanlagen) mutmaßlich um ein Vielfaches teurer.
bei dem in meinen Augen auch gut verdeutlicht werden kann, daß die Nutzung der biologischen CO2-Fixierung rein technisch kein Mittel zur Lösung unserer Probleme darstellen wird.
Wenn das dabei 'rauskäme, schade, aber immerhin ein klares Ergebnis. Es stattdessen gar nicht erst zu versuchen, scheint mir typisch für gewisse scheuklappentragende Pseudoumweltfreunde (erinnert mich ein bißchen an den Gegensatz zwischen Gesinnungs- und Verantwortungsethik).

Darüber hinaus eben noch die Sache mit dem Krill. Das Problem sollte wirklich weiter untersucht werden.

BeitragVerfasst: Do 22. Jan 2009, 12:52
von janw
Zitat von Lykurg:Aber wenn die Reduzierung des CO2-Ausstoßes auch ein ernstgemeintes Ziel an sich ist

Das ist der springende Punkt, daran glaubt so mancher nicht mehr wirklich, und auch ich hege da ernste Zweifel. Vielleicht macht die Selbsthingabe der Staaten an die Wirtschaft etwa seit 1990, was etwa den Kern der Globalisierung ausmacht, es nur etwas offensichtlicher, daß in Wirklichkeit immer nur der wirtschaftliche Gewinn und dessen Maximierungsmöglichkeiten Maßstab politischen Handelns gewesen sind. Falamaleitum, was machts, so lange die Stahlkonzerne glänzend verdienen^^

BeitragVerfasst: Do 22. Jan 2009, 18:31
von Lykurg
Das Lustige daran ist ja, daß ich - wie mein Satz weitergeht - es durchaus nicht für undenkbar halte, daß auch auf der 'anderen' Seite die Reduzierung des CO2[size=84]-Ausstoßes möglicherweise nur Vehikel und Scheinziel ist...[/size]

BeitragVerfasst: Do 22. Jan 2009, 19:28
von janw
Ja, denken kann man das, nur...cui bono?^^
Ich sehe nicht so recht, wem ein ungebremster CO2-Anstieg oder eine Deindustrialisierung nützen könnte...oder ersteres etwa der Atomlobby? Hm... :rolleyes:

BeitragVerfasst: Fr 23. Jan 2009, 01:06
von Lykurg
Ersterer würde sicherlich der Atomlobby nützen (außer in Deutschland, da hierzulande ja diesbezüglich quasi Denkverbote bestehen). - Eine Möglichkeit wäre aber auch die große Verschwörung westlicher Industrieunternehmen, die kein Interesse an billiger produzierender Konkurrenz in Entwicklungsländern haben und dementsprechend scharfe, allgemeingültige Umweltrichtlinien erzwingen wollen, die an weniger weit entwickelten Produktionsstandorten nicht eingehalten werden können - was also ihre Vormachtstellung sichert.

Im Umkehrschluß wäre auch eine fortschrittskritische Haltung als Erklärung denkbar, die letztlich eine radikale Deindustrialisierung wünscht, diese nicht durchsetzbare Forderung aber mit einer kaum erfüllbaren Scheinforderung bemäntelt - und auf diesem Weg durch jede neue Naturkatastrophe in enie moralisch stärkere Position gerät.

BeitragVerfasst: Fr 23. Jan 2009, 13:07
von janw
Letzteres wäre IMHO denkbar, aber doch eher deutlich splittergruppiger, als die AKN es ist.