Obdachlosen/Bettlern Geld geben?

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e-noon
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Fr 9. Apr 2010, 15:01 - Beitrag #1

Obdachlosen/Bettlern Geld geben?

Entgegen eurer Erwartungen soll es in diesem Thread nicht darum gehen, OB man einem Obdachlosen oder einem Bettler (oder jemandem, der beides ist) Geld geben sollte. Mich würde lediglich interessieren, WARUM man das macht oder nicht macht.

Wenn ihr Obdachlosen Geld gebt: Aus guter Laune? Mildtätigkeit? Besser fühlen? Gerechtigkeit? Erhöhung von dessen Freiheitsgrad?
Wenn ihr Obdachlosen kein Geld gebt: Aus schlechter Laune? Einsicht in Nutzlosigkeit? Besorgnis um ihn? Gerechtigkeit? Eigener Geldmangel? Desinteresse? Möglicher Missbrauch? Fehlende Zuständigkeit?
Ich habe überlegt, eine Umfrage zu starten, mich dann aber dagegen entschieden.

Ich fange mal an: In der Regel gebe ich Bettlern kein Geld, aus verschiedenen Gründen. Erstmal habe ich als Student selber nicht viel. Zweitens gebe ich es lieber für mich oder meine Freunde aus, als für Unbekannte. Drittens besteht eine imo nicht geringe Gefahr, dass es für Zigaretten und Drogen genutzt wird (ich verabscheue Zigaretten und Drogen). Viertens habe ich das Gefühl, dass es ein bodenloses Loch ist, in das ich willkürlich Geld schmeiße. Hätte ich mehr Geld, würde ich es lieber in eine Einrichtung der Bildungsförderung investieren, oder meinetwegen auch der Obdachlosenprävention, womit wahrscheinlich deutlich mehr Menschen geholfen würde.

Manchmal gebe ich aber doch einem Bettler Geld. Am wahrscheinlichsten ist das, wenn ich eine Gegenleistung bekomme; wenn derjenige sich die Mühe gemacht hat, ein Instrument zu lernen, und das auch vorspielt. Oder singt. Manchmal einfach nur, um einen Bettler loszuwerden, der mich belästigt. Das finde ich aber nicht gut. Auf Kinder bin ich einmal reingefallen :rolleyes: Das eher nicht mehr. Manchmal reicht mir hingegen ein nettes Lächeln aus einem hübschen Gesicht.

Was sind eure Gründe, Unbekannten Geld zu schenken oder nicht?
Welche Gründe vermutet ihr allgemein hinter solchen Geschenken oder deren Ausbleiben?

Lykurg
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Fr 9. Apr 2010, 16:34 - Beitrag #2

Ich gebe sehr selten Bettlern Geld, was damit zusammenhängt, daß nach meinem Dafürhalten dies eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist und nicht von Zufallsgaben einzelner abhängen darf. Es gibt Hilfsmaßnahmen von Sozialämtern, Kirchen und Intiativen, die weit besser helfen können als ich mit meiner Spende von Kleinbeträgen. Zu diesen trage ich über Steuern und Kirchensteuern bzw. Kollekten bei.

Dagegen weiß ich von einem verkrüppelten Bettler, dem ich ab und zu in der Stadt begegne, daß er wirklich Hunger hat, und gebe ihm gern ein Stück Obst, wenn ich welches dabei habe. Seine gezeigte Dankbarkeit dafür ist keine Selbstverständlichkeit, neulich sah ich morgens einen schlafenden Obdachlosen, neben den jemand einen Apfel gelegt hatte; als ich wiederkam, lag nur noch der Apfel da.

Musikern gebe ich regelmäßig nichts, weil sie mich (insbesondere die in der S-Bahn) meist massiv stören und nicht im geringsten erfreuen. Allerdings gibt es hier einen (stationären) Hackbrettspieler, der ziemlich gut ist, und es eigentlich verdient hätte. Es geht noch nicht so weit, daß er mir damit wirklich einen Genuß bereitete, es wäre eher Anerkennung für seine Könnerschaft und Anstrengung. Bei Gelegenheit vielleicht.

e-noon
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Fr 9. Apr 2010, 16:41 - Beitrag #3

In der S-Bahn würden sie mich auch massiv stören, dagegen in der Fußgängerzone weniger. Kommt natürlich auf den Geschmack an, aber gegen ein paar Geiger oder eine Panflötenband habe ich nichts ^^
Das wichtigere ist für mich bei den Leuten mit Instrumenten, dass man daran den Willen erkennt, auch etwas zu geben, nicht nur durch schlechtes Gewissen zu erpressen. Das ist natürlich eine persönliche Wertung und kann jemand anderen zu ganz anderen Bewertungen und Handlungen bewegen. Prinzipiell kann man sagen: Ich bin nicht bereit, jemandem zu helfen, der nicht mal den Wunsch hat, Hilfe zu honorieren (das kann ein Lächeln sein, ein Danke, oder schlicht die Annahme einer anderen Form der Hilfe, als der gewünschten, siehe Apfel. Auch wenn jemand eigentlich Geld für Zigaretten wollte, kann der Apfel indirekt dabei weiterhelfen und war auf jeden Fall nett gemeint).

Ipsissimus
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Fr 9. Apr 2010, 17:28 - Beitrag #4

ich folge darin ausschließlich der Willkür meiner situativen Befindlichkeiten, keinen konzeptuellen oder gar pädagogischen Absichten. Früher habe ich auf diese Weise recht häufig etwas gegeben, mittlerweile bin ich gleichgültiger gegenüber diesem Leid geworden, aber es kommt immer noch vor, dass ich etwas gebe. Wofür das verwendet wird war und ist dann nicht mehr meine Sache.

Anaeyon
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Fr 9. Apr 2010, 21:40 - Beitrag #5

Ich gebe ihnen nahezu nie Geld, aus mehreren Gründen:

- 5 Zigaretten machen mich glücklicher, als es eine 1€-Spende tun würde.

- Ich arbeite teilweise 6 Tage die Woche + Nachtdienste für einen recht geringen Lohn. Ich bin nicht der Meinung, dass Obdachlose sich für sieben Tage rumsitzen auch nur einen Cent verdient haben. Zumindest nicht die, die körperlich gesund sind. Hat jemand ein Bein verloren oder so, sieht die Sache natürlich anders aus.

- Ich bin durch ihr bloßes Dasein verunsichert, vor allem weil ich mich aufgrund des schlechten Gewissens dann auch noch mit differenzierten Bewertungen "rumschlagen" muss und mir nicht einfach ein Spontanurteil zurechtlegen kann, á la Stammtisch. Während ich da (meist recht zügig) durch die Stadt laufe, ist es einfach leichter, weiter zu laufen, als stehenzubleiben, über Pro und Contra nachzudenken usw..

- Ich bin der Meinung, dass jeder Mensch, der von A nach B laufen kann, auch Geld verdienen kann in diesem Land. Egal wie es mit dem Arbeitsmarkt aussieht.

Klingt vielleicht alles recht Mitleidslos (ganz kalt lässt es mich nicht), aber seit ich unseren Dorfpenner gefragt habe, warum er immer draußen rumsitzt und bettelt und er meinte "Kein Bock nach Arbeit zu suchen" habe ich gewisse Vorurteile..


Editiert, weil es zu böse klang Bild

blobbfish
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So 11. Apr 2010, 13:08 - Beitrag #6

Ziemlich grundsätzlich nicht, und das wo ich sogar Bettler und Obdachlose unterscheide, insofern ich Verständnis aufbringen den einen nichts, den andren schon etwas zu geben.
Grundsätzlich befinde ich da die Solidargemeinschaft in der Pflicht, durch ihre ganzen Institutionen, nicht nur staatliche, sondern auch kirchliche (oder besser diakonische), und schließe mich insofern Lykurg an.

Maglor
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So 11. Apr 2010, 22:34 - Beitrag #7

Den Punkern mit ihren großen Hunden will ich ihren dekadenten Lebenstil nicht finanzieren. Auch die übrigen Obdachlosen, die wohl wegen psychischer Auffäligkeiten nicht mehr zu einem Leben in geschlossenen Räumen in der Lage sind, wirken auf Grund diverser Abhängigkeiten wohl eher abschreckend auf die Kundschaft und erzeugt meist wenig Mitleid.

Der offensichtliche Fachkräftemangel in deutschen Innenstädten ruft natürlich ausländische Saisonkräfte auf den Plan. Erkennbar sind sie leicht an ihrer mediterranen Physiognomie ihrer unterwürfig knieenden Körperhaltung mit flehend nach vorn gestreckten Händen. Südosteuropäische Schlepperbanden werben das Personal in der Heimat an, bringen es illegal nach Deutschland und verdingen es dort, erhalten ihren Teil der Abmachung. Stets sind sie auf der Suche nach besonders Mitleid erregenden Gestalten wie alten Mütterchen, kleinen Kindern oder Behinderten. Natürlich wählen sie nur die besten Stellen der Innenstädte, an denen sie die Profi-Bettler verteilen und nach getaner Arbeit wieder einsammeln.
Auch diese Art Gewerbe findet bei mir keinen Anklang, genausowenig wie der lustige Straßenmusikant. Der kann natürlich trotzdem zu den entsprechenden Uhrzeiten mit 20 Euro Stundenlohn rechnen. :crazy:
Im Grunde funktioniert das Almosengeschäft nach den Gesetzen der Marktwirtschaft, Angebot und Nachfrage. Da dieses Gewerbe natürlich außerhalb staatlicher Regelungen ist, haben wir hier die Marktwirtschaft in Reinform. :crazy:

Milena
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So 11. Apr 2010, 23:11 - Beitrag #8

...ich gebe, wenn ich gebe, einfach so und ohne grosser überlegung, wer oder was dahinter stecken könnte...ich gebe gerne, aber nicht immer und wenn ich mal vorbeigelaufen bin, kehre ich meist wieder um, und wenn nicht, tut es mir lange noch leid...
ich gebe, aber niemals um es gross an die glocke zu hängen,...und ohne abschätzung, ob und welche lebensgeschichte dahinter steckt und es in irgendeiner weise gerechtfertigen würde....
was ich niemals aus dem kopf bei dem anblick auf kalten böden sitzenden menschen bekomme ist das wissen darum, dass auch ich stattdessen da sitzen könnte...,
deswegen gebe ich.

Amy
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Mo 12. Apr 2010, 00:42 - Beitrag #9

Manche Gründe, die hier genannt wurden, bereiten mir wirklich Magenschmerzen ... aber in solchen Dingen ist wohl wirklich jeder Mensch anders. Hm.


Ich gebe Bettlern hin und wieder Geld, meistens bitte ich sie jedoch zu warten und kaufe ihnen stattdessen Essen. Denn auch ich bin kein naives Kind und weiß, dass die Versuchung für manchen Obdachlosen groß ist, die eigene Sucht anzukurbeln. Ich bin nicht mit Vorurteilen beladen, aber ich meine, ich sehe es ja. Und soetwas möchte ich nicht unterstützen.
Anstatt sich Alkohol zu kaufen, möchte ich lieber, dass sie wieder richtige Nahrung zwischen den Zähnen haben und bitte sie daher auch ruhig, mit mir zur nächsten Bäckerei zu gehen, wo ich ihnen gerne etwas kaufe. In den meisten Fällen komme ich aber sowieso gerade vom Einkaufen. Neulich sprach mich auch ein Obdachloser wegen Geld an, als ich gerade auf dem Weg vom Supermarkt zur Straßenbahn war. Die meisten Menschen sehen weg und ignorieren ihn, winken ab, was ich nicht verstehen kann. Ich bin stehengeblieben und hab ihn gefragt, ob er sich denn auch über Essen freuen würde - und ja, das hat er. Mir hat das deutliche Lächeln in den Augen dieses Mannes genügt, um ihm einen Teil meiner Einkäufe abzugeben.

Aber ich unterscheide auch. Es gibt hier auch immer wieder einen Mann, der in der Straßenbahn bettelt. Der werte Herr ist gepflegt, trägt Markenschuhe, die nicht einmal ich mir leisen kann, geschweigedenn die Lederjacke, die er trägt. Sicherlich sollte man nicht nach dem Äußeren entscheiden, aber wenn es mir richtig schlecht ginge und ich mich um zig Kinder kümmern müsste, würde ich als erstes meine Lederjacke verkaufen ...

Wenn ich einmal nicht die Möglichkeit habe, etwas "richtiges" abzugeben [meistens in Berlin der Fall, wenn ich als Tourist in der S-Bahn sitze], gebe ich auch ohne Probleme ein paar Euro ab. Auch wenn ich weiß, dass das Geld wohl nicht immer für das richtige eingesetzt wird ...

Warum ich Obdachlosen Geld gebe?
Weil nicht alle eine Null-Bock-Einstellung haben, wie Ana es erwähnte und nicht alle Obdachlosen dieser Welt für ihr Schicksal verantwortlich sein. Ich gebe ihnen Geld und Essen, weil ich mir wünsche, dass auch andere es täten, wenn ich an dieser Stelle wäre. Weil ein ehrliches "Danke" so viel kostbarer ist, als die Euromünzen, von welchen man sich trennt.

Und nein, ich bin nicht stinkreich - ich habe kein Einkommen, bekomme kein Bafög und versuche mit dem wenigen Geld, das mir meine Eltern geben, den Monat rumzukriegen. Aber lieber ernähre ich mich ein paar Tage von Cornflakes, anstatt ignorant wegzusehen.

Ipsissimus
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Mo 12. Apr 2010, 12:39 - Beitrag #10

ich halte es für anmaßend, für andere Menschen entscheiden zu wollen, wie die mit geschenktem Geld umgehen sollen; ihnen statt Geld Waren zu geben, ist meines Erachtens auch nur eine schöne Fassade vor dieser Anmaßung.

Milena
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Mo 12. Apr 2010, 13:24 - Beitrag #11

..sehe ich genauso....
entweder ich schenke und fertig aus oder aber ich lasse es bleiben....
diese menschen sind eh schon weit abgestürtzt und jenseits von sozialer integration, so dass ich demjenigen wahrhaftig seine zigaretten oder sonstwas gönne...., aber allerwenigsten würde ich mir anmassen ihn deswegen masszuregeln...
denn ich und alle drum herum, die nicht auf kalten böden sitzen und betteln, sind mit schuld an seinem dilemma...
oder habt ihr nicht gecheckt was hierzulande und sonst wo auf der welt abgeht?

Lani
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Mo 12. Apr 2010, 13:30 - Beitrag #12

Auf dem Weg zur Uni, bzw. in die Stadt/zur Haltestelle sitzt immer ein Mann, der sehr nett und dankbar ist und mich immer nett grüßt, auch wenn ich gerade nichts dabei habe [was mir immer ein schlechtes Gewissen macht. :S]. Da gebe ich gern mal ein paar Münzen, zum Nikolaus mal einen 5€ Schein [die Weihnachtszeit macht mich halt herzlicher >:] oder etwas zu essen. Warum auch nicht? Allerdings kann ich ihm leider nicht immer wenn ich vorbeikomme, etwas geben, sonst wäre ich bald pleite, hm. v.v
Auch wenn jemand schön ein Instrument spielt, gebe ich ich gern etwas - außer einmal, da fing jemand am Abend in einer Passage, in der nur er und ich waren, plötzlich an auf seinem Akkordeon irgendeine Grabesmusik zu spielen, als ich vorbeilief. Da bin ich zusammengezuckt und weiter gegangen. xD

Bei Leuten mit zig schön glänzenden Piercings im Gesicht und Zigarettenschachteln daneben oder Leuten die nach Alkohol riechen und einen dann teilweise echt dumm anquatschen und auch pöbeln bin ich misstrauisch und habe nicht wirklich Lust etwas abzugeben. Auch wenn mich mein Näschen und meine Auffassung natürlich auch täuschen können. ._.'

Allerdings würde ich wegen solchen Leuten nicht gleich alle Bettler unter einen Hut stecken, das ist doch absolut affig. Schon allein der Gedanke daran, dass ich mit meiner Ukulele irgendwann mal in der Fußgängerzone spielen müsste [aus welchem Grund auch immer] und mir jemand kein Geld gibt, weil ich ja - wie natürlich alle Anderen auch - ein arbeitsfauler Penner bin, hält mich davon ab.

Lykurg
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Mo 12. Apr 2010, 13:34 - Beitrag #13

Ipsissimus, das hängt meines Erachtens davon ab, ob man ihren Zustand als ursprünglich und derzeit selbstgewählt betrachtet oder nicht. Wenn man das als eine Entscheidung bzw. Lebensweise neben anderen versteht, sind auch Geldspenden als totale Unterstützung dieser Entscheidung folgerichtig.

Wer dagegen Obdachlose als Opfer einer vermutlich zerstörten Psyche bzw. Drogenkonsums wahrnimmt und darüber zum Ergebnis kommt, ihr derzeitiger Zustand sei schuldlos und jedenfalls aus eigener Kraft nicht zu verlassen, kann zum Ergebnis kommen, im derzeitigen Zustand sei Geld für sie nicht nützlich, da im Ergebnis in die Selbstzerstörung führend, dagegen Nahrung überlebenssichernd. Ebenso gut wie in Drogen investiertes Geld könnte man den Betroffenen eine Kugel geben. Eine zynische Feststellung sicherlich - aber dieses Handeln stünde, angenommen, der Wille des Empfängers ist nicht frei, der Geldgabe im Ergebnis näher als eine Essensspende.

Und beides, Geld- wie Essensgabe, sind Formen des Freikaufs von einer Verantwortung gegenüber dem Mitmenschen, die nach einer weitergehende Hilfe verlangen würde - ob im christlichen Sinne als Kleidung, Nahrung, Unterkunft etc., oder im Sinne der Solidargemeinschaft als Hilfeleistung gegenüber dem Notleidenden. Wer ihm aber seinen offensichtlichen Willen als Individuum und seine Würde nicht nehmen will (offenbar deine Sorge bei der Warenspende?), ist in letzter Konsequenz dazu gezwungen, ihm jede Gabe zu verweigern. Auch diese greift schließlich in seine selbstgewählte Existenz ein und trifft damit eine Entscheidung über ihn.

Ipsissimus
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Mo 12. Apr 2010, 13:55 - Beitrag #14

du bietest zwei Optionen an, oh Lykurge, wie Obdachlose aufzufassen seien, als Adepten einer Lebensweise und als Opfer einer zerstörten Psyche. Das, was sie wirklich sind, Opfer einer sie zerstört habenden Gesellschaft, scheinst du nicht in Betracht zu ziehen. Die Lebensweise genauso wie die Verwüstungen an ihrer Psyche sind Folgen, keine Ursachen.

Ich stimme allerdings zu, dass Geld- wie Gütergabe in vielen Fällen Formen des Freikaufs sind, außer bei jenen, die noch wissen, wie dicht auch ihr eigenes Leben neben die Brücke gebaut ist und die deswegen geben. Und außer bei denjenigen, die echtes Mitgefühl nicht nur empfinden.


Schätzle, ich sehe das genauso wie du^^

Padreic
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Mo 12. Apr 2010, 14:18 - Beitrag #15

Ich möchte nur kurz darauf hinweisen, dass 'von der Gesellschaft zerstört' erstmal eine Ursache und kein Zustand ist. Lykurgs "Einteilung" richtet sich nach dem momentanen Zustand. Dass es dabei einige Leute gibt, die Leuten mit kaputter Psyche und Alkoholsucht, die auf der Straße leben, geschadet haben, und ein Haufen Leute, die ihnen wohl nicht genügend geholfen haben, steht außer Frage.

Zur ursprünglichen Frage:
Ich gebe Bettlern auch üblicherweise nichts - außer, wenn mir gerade im besonderen danach ist oder wenn jemand z. B. nette Musik macht. Die Gründe dafür wurden größtenteils genannt: es gibt Leistungen vom Staat und ich sehe wenig Grund, warum diejenigen, die betteln, mehr haben sollte als die, die es nicht tun. Hinzu kommt das folgende: wie einige andere bin ich der Meinung, dass die helfende Wirkung von Geld in vielen Fällen gering ist. Es würde aber einiges von meinen Kräften und meiner Zeit benötigen, jemanden wirklich zu helfen, in vielen Fällen würde es sicherlich sogar meine Kräfte übersteigen. Dieses Gefühl von moralischer Verpflichtung, Hilflosigkeit und einer gewissen Kälte in meinem Herzen bei solchen Fällen sorgt dafür, dass ich nicht allzu gründlich über so etwas nachzudenken pflege....

Lykurg
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Mo 12. Apr 2010, 14:27 - Beitrag #16

Ipsissime, was du als Ursache hinter den von mir angebotenen Diagnosen siehst, ist eine mögliche Erklärung im Vorfeld der derzeitigen Situation, die ich beschrieb - aber je verbindlicher man sie annimmt, desto banaler wird sie, denn wenn man ihre gesamte Umgebung als die Gesellschaft, in der sie leben, begreift und sie als vollständig diesem Kontext unterworfen sieht, ist zwar die Gesellschaft unbegrenzt verantwortlich, aber auch unmöglich zur Verantwortung zu ziehen, da keine Einzelentscheidungen mehr zu isolieren sind, die diese Lage herbeigeführt haben. Gerade in diesem Rahmen wäre dann auch denkbar, daß sich die Individuen unbegrenzt verpflichtet sehen könnten, ihrem Opfer zu helfen, sich ihr anzugleichen, indem sie ihm die materiellen Voraussetzungen eines angepaßten Lebens geben - in nicht konvertierbarer Form, um die Durchführung der Anpassung sicherzustellen, oder auch in konvertierbarer, wenn der Obdachlose als ein Teil der Gesellschaft ex negativo verstanden wird, als solcher erforderlich und sein endgültiger Niedergang gewünscht ist. Auch das ist und wäre ein komplementärer Teil des gesellschaftlichen Prozesses, und zugleich eine Weiterführung der Opferrolle.

.Lani, dein Statement kann ich gut nachvollziehen, ich gehe bei meinen Entscheidungen nach ähnlichen Kriterien vor, wenn ich auch aus genannten Gründen weit seltener mildtätig bin. - Die von Maglor genannten 'Stundenlöhne' halte ich an geeigneten Standorten nicht für zu hochgegriffen, allerdings ist natürlich auch damit zu rechnen, daß ein organisierter Bettler zwei Drittel oder einen ähnlich großen Anteil der Einnahmen abgeben muß.
Mein Verhalten gegen Musiker ist sicherlich hart, wird aber von vielen anderen mehr als ausgeglichen. Ich höre zu viel und zu gern Musik, um an den üblicherweise gebotenen Straßenversionen von Popsongs Gefallen zu finden. Und wenn ich in der Bahn sitzend mich auf ein Buch oder Noten zu konzentrieren versuche, werde ich sicherlich nicht dem Akkordeonisten Geld geben, der dort seit vier Jahren tagein tagaus immer dieselbe Melodie miserabel herunterspielt, und dem ich längst schon auszuweichen versuche.

Maglor
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Mo 12. Apr 2010, 20:36 - Beitrag #17

Ihr stellt die Frage der Schuld einfach falsch!
Ipsi hat schon rictigerweise mit dem Finger auf die Gesellschaft gezeigt. Schuld sind jene, die geben. Würde denn jemand betteln, wer er nie etwas bekommen würde? Würde sich jemand wirklich erniedrigen, stundenlang auf dem Bürgersteig knien, sich dabei womöglich "entwürdigend" zur Schau stellen, wenn es dafür nicht Bahres gebe?

Ein interessantes Phänomen ist, dass ausländische Fachkräfte durch die geschickte Zurschaustellung oder Vortäuschung körperlicher Gebrechen offenbar mehr erreichen. Sollte da nicht gemeinnützige Organisationen Hilfe zur Selbsthilfe bieten und den autochtonen Bettlern beibringen, wie man den Krüppel spielt und etwaige psychische Probleme verdeckt, die ja nur dazu führen, dass liquide Kunden denken, er würde sein Alkohol ausgeben oder sei gar selber schuld.

Wenn es um Mahlzeiten ginge: Ist das in diesem Schlaraffenland überhaupt ein Problem? Gibt es nicht in jeder größeren Stadt sogenannte "Tafeln", in denen man leichter zu Nahrung gelangt.

Und was wollen eigentlich diese irren Menschen, die sich in drittklassige Kostüme werfen, sie durch das auftragen metallischer Farben versauen, auch noch ihr Gesicht anstreichen, um dann irgendwo bewegungslos rumzustehen? Ja, ne Geld, Bewunderung, Aufmerksamkeit... :crazy:

Ipsissimus
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Di 13. Apr 2010, 10:41 - Beitrag #18

... ist zwar die Gesellschaft unbegrenzt verantwortlich, aber auch unmöglich zur Verantwortung zu ziehen, da keine Einzelentscheidungen mehr zu isolieren sind ...

Obdachlose haben normalerweise eine Geschichte des Abstiegs hinter sich, und diese Geschichte des Abstiegs hangelt sich entlang nachvollziehbarer Sachverhalte. Ob dahinter Einzelentscheidungen oder strukturelle Maßnahmen stehen, nimmt sich letztlich nichts. Es ist für den Obdachlosen ziemlich gegenstandslos, ob ihn sein Chef feuerte (isolierbare Einzelentscheidung) oder ob ihm ein anonym bleibender Mitarbeiter irgendeines Amtes die amtliche Unterstützung verweigert (isolierbare strukturelle Entscheidung), weil irgendwelche Bedingungen, an die diese Unterstützung geknüpft ist, von ihm gar nicht mehr erfüllbar sind.

Es ist erkennbar, wenn Menschen in eine Abstiegsspirale geraten sind, und diese könnte auch aufgehalten werden. Allerdings ist Solidarität auf gesellschaftlicher Ebene heute nur noch ein Wort, ohne Inhalt, und von daher der Irrealis^^



- in nicht konvertierbarer Form, um die Durchführung der Anpassung sicherzustellen, oder auch in konvertierbarer, wenn der Obdachlose als ein Teil der Gesellschaft ex negativo verstanden wird, als solcher erforderlich und sein endgültiger Niedergang gewünscht ist.

das ist in der Tat ein Spannungsfeld. Bislang plädiere ich allerdings dafür, dem Obdachlosen diese Entscheidung selbst zu überlassen. Ich bezweifele nicht, dass es Menschen geben wird, die den Totalabsturz wählen. Aber auch das kann man vielleicht zu tun wünschen, wenn man im Trockenen und Warmen sitzt, statt wettergepeitscht unter einer Brücke. Für die Mehrzahl der Obdachlosen dürfte allerdings ihr Dasein weit weniger von der Idylle geprägt sein, die ihnen zuhauf unterstellt wird; eine echte Hilfe - in Entgegensetzung zu den Almosen privater oder staatlicher Seiten, die bisher als solche ausgegeben werden - dürfte da etliches Veränderungs- und Verbesserungspotential freisetzen



Dass es dabei einige Leute gibt, die Leuten mit kaputter Psyche und Alkoholsucht, die auf der Straße leben, geschadet haben, und ein Haufen Leute, die ihnen wohl nicht genügend geholfen haben, steht außer Frage.

schön^^ was machen wir nun mit dieser Einsicht? weiter wie bisher, mutmaßlich^^ weniger unschuldig vielleicht?



Schuld sind jene, die geben. Würde denn jemand betteln, wer er nie etwas bekommen würde?

ein wirklich schönes Motto, oh Maglore^^ in die Sprache der ARGE und der Arbeitspolitik übersetzt hieße das wohl "einen Anreiz geben"^^ gemeint wäre natürlich die gute alte brutale Erpressung, bei ARGE zur Akzeptanz von Sklavenarbeit, in unserem Kontext hier zu systemkonformem Verhalten^^

übrigens können auch unsere einheimischen Fachkräfte in der genannten Hinsicht einiges vorweisen, wir sind diesbezüglich schon lange kein Entwicklungsland mehr^^

die "Tafeln" sind auch so ein schönes Beispiel tätiger Milde, wem gegenüber, darf noch hinterfragt werden. Jedenfalls werden die Aldi und Co auf diese Weise ihren abgelaufenen Krempel los, den sie sonst teuer entsorgen müssten. Ist es nicht schön, dass Obdachlose auf diese Weise doch noch etwas für unsere Wirtschaft tun?

Lykurg
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Di 13. Apr 2010, 14:29 - Beitrag #19

Es ist für den Obdachlosen ziemlich gegenstandslos, ob ihn sein Chef feuerte (isolierbare Einzelentscheidung) oder ob ihm ein anonym bleibender Mitarbeiter irgendeines Amtes die amtliche Unterstützung verweigert (isolierbare strukturelle Entscheidung), weil irgendwelche Bedingungen, an die diese Unterstützung geknüpft ist, von ihm gar nicht mehr erfüllbar sind.
Aber wenn du die Schuld für den Abstieg "der Gesellschaft" zuweist, kann es doch unmöglich an der Einzelentscheidung eines Sachbearbeiters oder Personalchefs liegen, schließlich war diese doch gesellschaftlich unabdingbar. Wie du selbst sagst, die Einzelentscheidungen wären dann gegenstandslos, also praktisch nicht vorhanden.
Allerdings ist Solidarität auf gesellschaftlicher Ebene heute nur noch ein Wort, ohne Inhalt, und von daher der Irrealis^^
War Solidarität jemals etwas anderes als ein Wort? In sozialistischen Regimes war es zweifellos, nämlich ein mißbrauchtes Wort. Aber das steht wieder auf einem anderen Blatt...
Für die Mehrzahl der Obdachlosen dürfte allerdings ihr Dasein weit weniger von der Idylle geprägt sein, die ihnen zuhauf unterstellt wird; eine echte Hilfe - in Entgegensetzung zu den Almosen privater oder staatlicher Seiten, die bisher als solche ausgegeben werden - dürfte da etliches Veränderungs- und Verbesserungspotential freisetzen
Ein Idyll sehe ich darin keinesfalls, sondern bitteres Leid; das wird aber nicht dadurch substantiell besser, daß ich dem Menschen eine Münze in den Pappbecher werfe (auch wenn es mein Gewissen vielleicht beruhigt). Und auch emotional hilft die Gabe nicht, wenn sie eben dieses Abhängigkeitsverhältnis verdeutlicht und unterstreicht, überdies sogar - als konventionalisierte Handlung - auf der Gegenseite bei manchem professionellen Bettler nicht einmal mehr die Empfindung von Dankbarkeit hervorruft (selbstverständlich klar geschieden von den Äußerungen). Denke nicht, daß ich darin einen erstrebenswerten oder gar glücklichen Zustand sähe...
die "Tafeln" sind auch so ein schönes Beispiel tätiger Milde, wem gegenüber, darf noch hinterfragt werden. Jedenfalls werden die Aldi und Co auf diese Weise ihren abgelaufenen Krempel los, den sie sonst teuer entsorgen müssten. Ist es nicht schön, dass Obdachlose auf diese Weise doch noch etwas für unsere Wirtschaft tun?
So teuer ist die Entsorgung nicht, zur Not ginge das vermutlich auch ins Tierfutter (wenn hierzulande nicht legal, dann eben im Ausland). Und wie bei anderen milden Gaben ist natürlich eine gewisse Entwürdigung damit verbunden. Also, wenn du das möchtest, tritt für die Abschaffung dieser Institutionen ein (das verträgt sich dann auch gut damit, unsere Gesellschaft als unsozial zu verurteilen).

Ipsissimus
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Di 13. Apr 2010, 15:44 - Beitrag #20

Aber wenn du die Schuld für den Abstieg "der Gesellschaft" zuweist, kann es doch unmöglich an der Einzelentscheidung eines Sachbearbeiters oder Personalchefs liegen, schließlich war diese doch gesellschaftlich unabdingbar. Wie du selbst sagst, die Einzelentscheidungen wären dann gegenstandslos, also praktisch nicht vorhanden.

mit dem Konzept der strukturellen Gewalt ist offenbar nicht jedermensch konzeptuell vertraut, wenn er ihm auch alltäglich unterliegt^^ auch gesellschaftlich unabdingbare Entscheidungen können anders getroffen werden, als die Unabdingbarkeit verlangt



War Solidarität jemals etwas anderes als ein Wort?

ich freue mich, dass du das mal so deutlich ausdrückst und den dahinterliegenden Sachverhalt offenbar doch anerkennst, auch wenn du ihn so oft bestritten hast^^



Und auch emotional hilft die Gabe nicht, wenn sie eben dieses Abhängigkeitsverhältnis verdeutlicht und unterstreicht ...

ich glaube, den meisten Obdachlosen ist das Abhängigkeitsverhältnis scheissegal



Also, wenn du das möchtest, tritt für die Abschaffung dieser Institutionen ein (das verträgt sich dann auch gut damit, unsere Gesellschaft als unsozial zu verurteilen)

wie so oft, wäre es unglaublich einfach, das teure Richtige zu machen^^ da ändern alle billigen falschen Alternativen nichts dran^^

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