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e-noon
Sterbliche
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Mi 19. Mai 2010, 23:27 - Beitrag #1

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Eine Diskussion (Erörterung, Zwiegespräch, von lat. discutio, -cussi (quatio) = 1. zerschlagen, zertrümmern, 2. abschütteln, 3. (gerichtlich) prüfen, untersuchen, verhören) ist ein Gespräch zwischen zwei oder mehreren Diskutanten, in dem meist über ein oder mehrere bestimmte Themen gesprochen (diskutiert) wird, wobei jede Seite ihre Argumente vorträgt.


Eine Diskussion. Für mich ist das klar abgegrenzt von der Unterhaltung, dem Informationsaustausch, dem Liebesgesäusel und dem Tratsch. Eine Diskussion zerschlägt und zertrümmert, und zwar Argumente oder ganze Meinungen, denn wenn sie das nicht tut, ist sie wie eine Fläche, auf der Steinklötze sinnlos hin- und hergeschoben werden, anstatt dass sie jemand aufeinander stapelt und ein Haus daraus baut.

Dennoch ist es im realen Leben (und damit meine ich auch virtuelle Diskussionen) mit äußerst seltenen Ausnahmen so, dass eine von drei Situationen bei einer Diskussion entstehen:

1) Es werden nur Meinungen ausgetauscht, es findet gar keine Diskussion mit Argumenten und deren Abwägung statt.
2) Man tauscht wenige Argumente aus und findet, dass man gleicher Meinung ist --> die Diskussion endet.
3) Man tauscht beliebig viele Argumente aus, bleibt dennoch verschiedener Meinung und die Diskussion verläuft sich früher oder später.

Woran liegt das? Sind die Themen zu abstrakt? Zu subjektiv? Zu komplex? Vielleicht einfach zu theoretisch? Vielleicht langweilt der Konsens und ärgert der Dissens? Vielleicht liegt es an der mangelnden praktischen Relevanz - Vielleicht könnten wir uns auf ein Gesellschaftsmodell einigen, wenn wir eine Supersimulation hätten, in der wir es umsetzen könnten? Vielleicht ist es leichter, einem Einzelnen in Liebesdingen zu raten, als generell Liebe zu definieren?
Keine Ahnung...

Ipsissimus
Dämmerung
Lebende Legende

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Do 20. Mai 2010, 09:44 - Beitrag #2

die Reichweite von Argumenten ist so oder so begrenzt

innerhalb eines streng sachbezogenen Kontextes - sagen wir: zwei Physiker diskutieren die Ergebnisse eines Experimentes und einigen sich hinsichtlich der Deutung - sind Argumente das A und O, und selbst da gibt es Schwankungen hinsichtlich der der Wichtung einzelner Argumentes, die schließlich zu beträchtlich differierenden Positionen der Diskussionsteilnehmer trotz identischer Faktenbasis führen können. In einer hierarchischen Umgebung erfolgt an dieser Stelle üblicherweise ein Machtentscheid, letztlich also ein sachfremder Eingriff, in einer nichthierarchischen Situation bleibt das Ergebnis offen.

In einer eher sachunspezifischen Diskussion, z.B. über Weltanschauungsfragen, politische Themen und dergleichen, ist von vornherein gar keine einheitliche Wichtungsgrundlage der Argumente gegeben. Es obliegt mehr oder weniger persönlichem Gusto, ob ein Argument als bedeutsam gilt oder als irrelevant eingestuft wird. Wenn die implizite persönliche Axiomenbasis eines Diskutanten nicht erreicht wird, kann das Argument für andere Diskutanten noch so stringent sein, diesen speziellen Diskutanten lässt es kalt.

Verstärkt wird dieses komunikationstheoretische Problem noch durch Persönlichkeitsmerkmale. Ist ein Mensch eher konservativ, eher progressiv, eher zögerlich, eher forsch, eher stur, eher offen - diese und viele weitere Merkmale beeinflussen ganz massiv die Art und Weise und das Ausmaß, wie sich Menschen von Argumenten erreichen lassen. "Ich verstehe, wie du die Welt in diesem speziellen Punkt siehst, aber ich sehe sie anders, und warum sollte ich einwilligen, sie mit deinen Augen zu sehen." Die sachliche Dimension eines Argumentes ist jedenfalls beinahe das Unwichtigste Detail im Rahmen einer Diskussion.

Nimmt man noch hinzu, dass viele Diskussionsteilnehmer ohnehin schon von vornherein mit unterschiedlichen Ansichten darüber, was Ziel und Zweck einer Diskussion sein sollen, in selbige einsteigen, siehst du recht mühelos, warum Luhmann Kommunikation als das unwahrscheinliche Ereignis bezeichnet.

Dann gibt es natürlich auch noch den Unterschied zwischen den Absichten und den Aussagen. Die Aussagen mögen noch so logisch sein innerhalb ihrer Aussagenbasis. Trotzdem können sie verworfen werden, wenn die mit ihnen verbundenen Absichten nicht geteilt werden. Innerhalb der Axiomenbasis eines Betriebswirtschaftlers sind Entlassungen ein logisches Mittel der Wahl, aufgrund seiner erlernten betriebswirtschaflichen Prinzipien ganz klar begründbar. Der Gewerkschaftler und erst recht die Entlassenen sehen das etwas anders, selbst wenn die Argumente des Betriebswirtschaftlers auf der Ebene, in der sie angelegt sind, nicht widerlegt werden können.

Diskussionen im von dir erhofften Sinne sind also nur dann möglich, wenn alle Beteiligten sich auf dieselbe Grundlagen-Ebene einlassen, eine nahezu ausschließbare Hoffnung ohne massive a priori Selektion der Diskussionsteilnehmer. Und bei massiver a priori Selektion bestätigt der Gruppenkonsens sich selbst, die Diskussion gerät also zur Selbstbestätigung.

Ich fürchte also, wir haben hier eine Anwendung des alten Problems vorliegen, dass die eigenen Prämissen nie, die der anderen aber jederzeit zur Debatte stehen^^

Traitor
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Mo 24. Mai 2010, 12:32 - Beitrag #3

In den meisten Fällen wird eine Diskussion eines der drei genannten Enden nehmen, ja. Beim an sich interessantesten Punkt 3 liegt es daran, dass oft wiederum eine von zwei Ausgangslagen vorliegt:
1.) Beide Seiten haben gefestigte, logisch durchdachte Argumentationsketten, die sich jedoch in den zugrunde liegenden Axiomen oder Erfahrungswerten zu sehr unterscheiden.
2.) Mindestens eine Seite ist unfähig oder unwillens, eindeutige Fehler der eigenen Argumentation anzuerkennen oder zu ändern.
Manchmal kann es jedoch aber auch die abgewandelte Version von (2) geben, bei der eine Seite einen elementaren logischen Fehler in ihrer Argumentationskette hat, den die andere Seite ihr aufzeigt, und tatsächlich die Größe hat, dies anzuerkennen, und dementsprechend ihre Argumentation ändert. Vielleicht rettet sie damit nur ihre ursprüngliche Ansicht, vielleicht kommt sie aber tatsächlich auch zum gegenteiligen Ergebnis, und die Diskussion hatte ein praktisches Ergebnis, das über deine drei Szenarien hinausgeht.
Idealerweise verfahren sogar beide Seiten so, und es findet sich ein Kompromiss, der für beide Seiten eine Verbesserung darstellt, da beide Seiten vorherige Probleme ihrer Argumentationsketten beheben konnten.
Im Gegenteil kann ein Kompromiss aber natürlich auch darin bestehen, dass beide Seiten valide und ihnen teure Aspekte aufgeben, um sich irgendwie zu einigen. Bei praktisch relevanten Diskussionen ist dies meist notwendig und wünschenswert, bei theoretischen oft eher enttäuschend.

Diskussionen können also tatsächlich zur Folge haben, Meinungen zu ändern und/oder Resultate zu erzielen. Davon abgesehen ist es für sie meines Erachtens aber auch schon Existenzberechtigung genug, wenn man an ihnen ganz egoistisch die Tragfähigkeit der eigenen Argumentationsweise und auch Rhetorik überprüfen, schulen und verbessern kann. Besonders der rhetorische Aspekt sollte dabei aber nie die Überhand gewinnen, sonst verleidet man den anderen Teilnehmern die Diskussion allzu schnell.

Und schließlich dienen Diskussionen auch dazu, Meinungen, Stil und Charakter anderer Personen kennenzulernen. Auf einer anderen Ebene, als das im Smalltalk möglich ist. (Sowohl für RL als auch für's Internet gültig.)

Ipsissimus
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Mo 24. Mai 2010, 14:25 - Beitrag #4

1.) Beide Seiten haben gefestigte, logisch durchdachte Argumentationsketten, die sich jedoch in den zugrunde liegenden Axiomen oder Erfahrungswerten zu sehr unterscheiden.
2.) Mindestens eine Seite ist unfähig oder unwillens, eindeutige Fehler der eigenen Argumentation anzuerkennen oder zu ändern.
als letztes gäbe es da noch die Möglichkeit - die meines Erachtens die übergroße Zahl aller Fälle ausmacht - dass eine Frage einfach keine eindeutige Antwort hat, weil die Bedeutung der Fakten immer interpretationsabhängig ist. Das gilt natürlich nur für diskussionswürdige Fragen, für die es keinen echten Sachentscheid gibt, nicht für Fragen der Art, die mittels eines mathematischen Beweises entschieden werden können

Traitor
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Mo 24. Mai 2010, 21:34 - Beitrag #5

Das ist doch genau mein erster Punkt. Denn sind die allseits zur Verfügung stehenden Erfahrungswerte ("Fakten") absolut eindeutig, so kann es gar keine zwei sich widersprechenden, aber völlig korrekten Argumentationsketten geben. Ist die Frage aber uneindeutig, also die Antwort und die Wahl äquivalenter Argumentationsketten von den persönlichen Axiomen und Erfahrungen abhängig, so liegt der genannte Fall vor.

Ipsissimus
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Di 25. Mai 2010, 10:15 - Beitrag #6

ach so, dann hatte ich dich missverstanden, sorry. Das, was ich als "Wichtung" bezeichnete, sind dann bei dir anscheinend die Erfahrungswerte

Traitor
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Sa 29. Mai 2010, 13:27 - Beitrag #7

Ganz äquivalent sind die Begriffe wohl nicht, ich würde die Erfahrungswerte als einen dominanten Wichtungsfaktor kategorisieren. Daneben gibt es sicher auch angeborene Charaktereigenschaften, die die Bewertung von Diskussionsargumenten in die eine oder andere Richtung schieben. Dazu äußere Umstände, etwa Überlegungen, ob eine harsche Schlussfolgerung sozialverträglich genug ist, um sie tatsächlich zu äußern. Und schließlich billige ich dem menschlichen Verstand auch die Fähigkeit zu, sich (in begrenztem Maße) von seinen Erfahrungen zu lösen und rein logisch-abstrakte Überlegungen durchzuführen, die zu anderen Ergebnissen kommen, als man es sich eigentlich wünscht. Diese dann auch tatsächlich bekanntzugeben und nach ihnen zu handeln, ist dann aber nochmal eine seltenere Fähigkeit.


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