Die einflussreichsten Denker des 20. Jahrhunderts

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Ipsissimus
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Mo 3. Jan 2011, 15:04 - Beitrag #21

was spricht noch mal dagegen, die großen politischen Verbrecher des 20sten Jahrhunderts in die Liste der Einflussreichen aufzunehmen? Oder ist das als logisches "und" zu verstehen, nur wer einflussreich ist UND ein "bester" Denker ist, gehört dazu? Aber selbst dann hätte ich Probleme, weil im Sinne ihrer Zielsetzungen das Denken von Hitler, Stalin und Konsorten durchaus zum "Besten" gehörte.

Ein ernst gemeinter Vorschlag noch, auch wenn es vielleicht überrascht, dass ich ihn vorschlage: Angelo Giuseppe Roncalli. Die Welt wurde durch ihn eine andere.

e-noon
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Mo 3. Jan 2011, 16:51 - Beitrag #22

Zum grundsätzlichen Listenaufbau würde ich nahelegen, nicht nach Schwerpunkt der Lebensjahre, sondern nach Schwerpunkt der Werkjahre zu gehen, um vielleicht einige Grenzgänger auszuschließen.
Den Gedanken hatte ich auch gleich nach dem Lesen des Eingangsposts.

Was ist mit Literatur? Häufig reflektiert sie ja eher auf Änderungen, als diese einzuläuten. Dennoch, was ist mit, beispielsweise, G.B. Shaw oder Henri Bergson, im weiteren dann Pirandello, Mann, Lewis, Hesse... aber meist sind diese Persönlichkeiten natürlich vor allem für die Literatur relevant und nicht für das Selbst- und Weltverständnis des Menschen an sich. Ich vermisse Neurobiologiker in der Liste, oder sie entgehen mir aus Unkenntnis. Die These, dass unser Gehirn etwas entscheidet, Zehntelsekunden bevor wir uns der Entscheidung bewusst werden, könnte bei stärkerer Verbreitung und Bewusstmachung durchaus unser grundlegendes Verständnis von uns selbst ändern, wenn nicht die Abwehrmechanismen unseres Selbstbildes stärker sind ^^

Aus reiner Neugier, Marie Curie wäre dann aus Altersgründen nicht drauf, oder war sie nie so einflussreich?

Martin Luther King könnte noch drauf.

@Ipsi: Ich hatte es so verstanden, dass insbesondere auch der Einfluss auf das Denken durch das Denken der Person bewertet wird. Durch den Erfinder der Pille z.B. (um an die vielen Prägungsthreads anzuknüpfen) hat sich vieles verändert, der Einfluss ist unbestreitbar, aber es war keine intellektuelle Leistung, die unser Denken beeinflusst hätte (dies erst indirekt durch die praktischen Langzeitfolgen). Allerdings würde ich das für die Ingenieure der Atombombe auch geltend machen; die Erkenntnis, dass einzelne mit einem Knopfdruck die Menschheit auslöschen könnten, ist zwar beeindruckend, aber nicht direkt mit der gedanklichen Leistung der Bombenentwicklung verbunden.

Edit: Roncalli würde ich auch in die Liste aufnehmen.

Padreic
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Mo 3. Jan 2011, 19:18 - Beitrag #23

Stalin oder Hitler haben wenig neues an Gedanken geprägt, so weit ich das überblicken kann; wenn würde ich da eher noch Lenin und Mao nennen. Zu diesen habe ich aber schon Stellung in meinem Eingangspost genommen. Der Einfluss ihres Denkens rührt zu nicht unwesentlichen Teilen von ihren Taten her. Insgesamt hat natürlich ihr Denken einen sehr wesentlichen Einfluss auf das 20. Jahrhundert genommen. Insgesamt ist aber ihr Einfluss mittlerweile drastisch gesunken. [wie übrigens auch von Henri Bergson, denke ich]
Insgesamt geht es mehr um die Qualität des Denkens und den Einfluss auf anderes Denken (von Denkern) als den allgemeinen Einfluss. Der Einfluss auf die gesamte Gesellschaft wäre sicherlich auch ein interessantes Thema - läuft aber dem Gesamtcharakter der hier vorgestellten Liste eher entgegen, denke ich.

Roncalli, Martin Luther King und Gandhi fallen vom Verhältnis von Tat und Gedanken wohl in eine ähnliche Kategorie wie Lenin und Mao - obgleich ich sie sicher mehr bewundere. Es ist auch bei ihnen immer die Frage, inwieweit sie nur vorher schon Gedachtes kombiniert und gelebt haben und inwiefern sie neue Gedanken entwickelt haben - letzteres sehe ich am ehesten noch bei Gandhi. Martin Luther King hat wohl sehr gerne auch fremde Texte und Gedanken einfach in eigene Reden montiert. Zum Zirkusdirektor - eigentlich steht in meiner Liste schon Rahner stellvertretend fürs Konzil und auch ist die Frage, ob das Konzil nicht mindestens ebenso die Gedanken Pauls des Sechsten wie die Johannes des 23. wiedergibt und Johannes nur schlicht energischer gehandelt hat. So wichtig es ist, dass die Klugen und Herzensguten energisch agieren, so ist es doch nicht unbedingt ein Kriterium für diese Liste von Denkern.

Marie Curie ist übrigens schon drauf. Bei Neurobiologen wüsste ich nicht so recht, wen ich nehmen sollte. Auch glaube ich nicht, dass sie so wesentlich an unserem Selbstbild rütteln kann; zumindest wenn wir auch vorher schon keine abstrusen Thesen über unser Selbst vertreten haben, wie z. B. dass alles, was wesentlich in unserem Geist abläuft, bewusst abläuft. Letzteres dürfte aber schon Jahrhunderten eigentlich obsolet sein. Auch wüsste ich nicht genau, wen ich unter den Neurobiologen aussuchen sollte.

Es stimmt übrigens sicherlich, dass ich in meiner Liste auch nicht immer konsequent war. Gerade bei experimentell tätigen Wissenschaftler ist immer die Frage, inwieweit man ein Experiment als Gedanken und inwieweit als Tat einstufen sollte. Bei Bardeen z. B. will ich aber einwenden, dass er nicht nur (zusammen mit anderen) den ersten (Bipolar-)transistor konstruiert hat, sondern auch wichtige theoretische Entwicklungen beeinflusst hat; so hat er beispielsweise (mit anderen) die grundlegende Theorie über Supraleitung aufgestellt. Auch bei demjenigen, den ich stellvertretend für die Atombombe hingeschrieben habe, Enrico Fermi, muss gesagt werden, dass er auch wichtige theoretische Leistungen in der Physik erbracht hat; mitunter wird gesagt, dass er der einzige Physiker des 20. Jahrhunderts war, der sowohl theoretisch als experimentell brillant gewirkt hat. Auch Wernher von Braun steht nicht einzig und allein aufgrund seiner ingeneurstechnischen Leistung auf der Liste, sondern weil er wie wenig andere auch die bemannte Raumfahrt propagiert hat. [dass er auch stellvertretend dafür steht, mag die Auslassung von Asimov, Clarke, Lem und Konsorten verständlicher erscheinen lassen, auch wenn ich einsehe, dass man es anders sehen kann]

Dass Courant maßgeblich an der Finite-Elemente-Methode beteiligt war, wusste ich bisher nicht und gibt ihm sicherlich zumindest ein approximatives Recht, auf der Liste zu stehen. Bisher steht stellvertretend für die Numerik nur von Neumann drauf.

Milton Friedman ist sicherlich ein guter Kandidat als Ergänzung zu Keynes.

Traitor
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Do 6. Jan 2011, 23:43 - Beitrag #24

@e-noon: Die Geschichte mit den vorbewussten Entscheidungen halte ich für eine Fehlinterpretation. Dennoch hatte die Neurobiologie sicher einen großen Einfluss auf unser aktuelles Menschenbild, für sie gilt aber umso mehr, was ich für die Physik sagte: die Leistung verteilt sich auf zu viele Köpfe, um listentauglich zu sein. Und letztlich sind die meisten Befunde ja auch eher experimentelle Bestätigungen von Vermutungen, die es schon vorher gab.

@Padreic: Bei Gandhi und King sehe ich die Worte als einflussreicher als die Taten an. Es sei denn, man sieht eine Rede, obwohl aus Worten bestehend, im Gegensatz zu einem Buch bereits als Tat an.

e-noon
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Do 6. Jan 2011, 23:57 - Beitrag #25

Zitat von Traitor:Bei Gandhi und King sehe ich die Worte als einflussreicher als die Taten an. Es sei denn, man sieht eine Rede, obwohl aus Worten bestehend, im Gegensatz zu einem Buch bereits als Tat an.

Volle Zustimmung. Natürlich könnte man auch hier sagen, die Worte und Gedanken sind nicht neu, aber welches literarische Werk besteht schon rein aus neuen Gedanken und Worten? Man müsste einen Großteil der Geisteswissenschaften komplett streichen...

Das mit den vielen Köpfen der Neurobiologie stimmt sicherlich, ich kenne da keinen einzigen Namen, das sieht für die anderen Wissenschaften anders aus.

Maglor
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Fr 7. Jan 2011, 14:21 - Beitrag #26

Der einflußreichste Denker des 20. Jahrhunderts ist der Soziologe.

aimless
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Fr 7. Jan 2011, 23:52 - Beitrag #27

Friedrich August von Hayek schlage ich hiermit noch als bedeutenden Ökonom vor.

Und dann noch

Pierre Bourdieu - Ein Soziologe, der verschiedene wissenschaftliche Bereiche miteinander gekoppelt und neue Begrifflichkeiten geschaffen hat (z.b. kulturelles Kapital,...)

Maria Montessori - Pädagogin, die erstmals offenes und freies Lernen propagierte

Padreic
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Sa 8. Jan 2011, 21:58 - Beitrag #28

@Traitor: Natürlich ist jede Äußerung eines Gedankens eine Tat und viele Taten bestehen in Äußerung von Gedanken (im weiteren Sinne). Manche Äußerungen von Gedanken haben starken Tatcharakter, wie beispielsweise ein Befehl, andere weniger, wie z. B. das Schreiben eines wissenschaftlichen Artikels oder Buches. Eine Rede, gerade eine politische, liegt irgendwo dazwischen. Natürlich ist sie Äußerung eines Gedanken; sie will aber auch oft die Zuhörenden zu irgendeinem Handeln bewegen. Ihr Handeln ist gewissermaßen die Tat des Redners.
Insgesamt nimmt so die Bedeutung, Qualität und Neuheit der Gedanken den Hauptstellenwert ein. Eine Rede mag sehr viel einflussreicher sein als ein Buch in einem spanischen Provinzverlag, die Qualität der geäußerten Gedanken und Neuheit der geäußerten Gedanken kann die gleiche sein.
Dabei sehe ich Gandhi durchaus als plausiblen Kandidaten; Martin Luther King Äußerungen waren dabei insgesamt weniger neuartig in ihrem Gehalt, mehr neuartig in der Art der Äußerung.

@e-noon: komplette Neuartigkeit ist sicherlich viel zu viel verlangt. Auch eine neue Zusammenstellung und Kombination mag eine beträchtliche Leistung sein. Für eine außergewöhnliche Leistung sollten aber zumindest neue Elemente und Teilgedanken enthalten sein....

@aimless: Bordieu wurde schon einmal genannt; die anderen beiden, besonders Montessori, finde ich sehr interessante Kandidaten, insbesondere, weil wir noch keinen rechten Pädagogen hatten, glaube ich.

Padreic
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So 9. Jan 2011, 22:09 - Beitrag #29

Ich habe mal (so ziemlich) alle Namen aufgeschrieben, die jetzt insgesamt vorgeschlagen wurden:

Sprach-, Gesellschafts- und Geisteswissenschaften (23)

Claude Lévi-Strauss (Ethnologe)
Niklas Luhmann (Soziologe)
Noam Chomsky (Linguist)
Carl Schmitt (Jurist)
Sigmund Freud (Psychater)
Carl Gustav Jung (Psychater)
John Maynard Keynes (Ökonom)
Aby Warburg (Kunsthistoriker)
Max Weber (Soziologe)
Joseph Greenberg (Linguist)
Arnold Schönberg (Musiktyp),
Walter Gropius (Architekturtyp)
Wassily Kandinsky (Kunsttyp)
Walter Benjamin (Philosoph/Literaturtheoretiker)
Pierre Bourdieu (Soziologe)
Ferdinand de Saussure (Linguist)
Hans-Ulrich Wehler (Historiker)
Neil Postman (Medienwissenschaftler)
Jacques Lacan (Psychoanalytiker)
Muhammad Yunus (Ökonom)
Friedrich August von Hayek (Ökonom)
Maria Montessori (Pädagogin)
Milton Friedman (Ökonom)


Mathematik und Natur- und Informationswissenschaften (38)

Albert Einstein (Physiker)
Erwin Schrödinger (Physiker)
Alexander Grothendieck (Mathematiker)
Marie Curie (Physikerin/Chemikerin)
Linus Pauling (Chemiker)
John von Neumann (Mathematiker)
Enrico Fermi (Physiker)
Alexander Fleming (Mediziner)
Claude Shannon (Informationstheoretiker)
Wernher von Braun Wernher von Braun
Andrei Dmitrijewitsch Sacharow (Physiker)
Frederick Sanger (Biochemiker)
John Bardeen (Physiker/Ingeneur)
Ed Witten (Physiker/Mathematiker)
Alan Turing (Computerpionier)
David Hilbert (Mathematiker)
Richard Feynman (Physiker)
Stephen Hawking (Physiker)
Robert Oppenheimer (Physiker)
Max Planck (Physiker)
Emmy Noether (Mathematiker)
Felix Hausdorff (Mathematiker)
Francois Jacob (Biologe)
Jacques Monod (Biologe)
Craig Venter (Biologe)
Josias Braun-Blanquet (Biologe)
Paul Dirac (Physiker)
Werner Heisenberg (Physiker)
Nils Bohr (Physiker)
Wolfgang Pauli (Physiker)
Kurt Gödel (Mathematiker)
Andrei Nikolajewitsch Kolmogorow (Mathematiker)
Richard Courant (Mathematiker)
Ernst Mayr (Biologe)
Konrad Lorenz (Biologe)
Carl Sagan (Exobiologe)
Hermann Weyl (Mathematiker)

Philosophie und Theologie (26)

Martin Heidegger (Philosoph)
Ludwig Wittgenstein (Philosoph)
Jean-Paul Sartre (Philosoph und Schriftsteller)
Simone de Beauvoir (Schriftstellerin und Feministin)
Hannah Arendt (Philosophin/Politikwissenschaftlerin)
Karl Rahner (Theologe)
Theodor W. Adorno (Philosoph/Soziologe/Musiktyp)
Michel Foucault (Philosoph/Soziologe),
Jacques Derrida (Philosoph)
Judith Butler (Philosophin/Literaturtheoretikerin)
Bertrand Russell (Philosoph/Mathematiker)
Rudolf Carnap (Philosoph)
Willard Quine (Philosoph)
Karl Popper (Philosoph)
Edmund Husserl (Philosoph)
Jürgen Habermas (Philosoph)
Max Horkheimer (Philosoph)
Herbert Marcuse (Philosoph)
Hans-George Gadamer (Philosoph)
Paul Watzlawick (Philosoph/Kommunikationswissenschaftler)
Albert Camus (Philosoph/Literat)
Angelo Giuseppe Roncalli (Papst)
Henri Bergson (Philosoph)
Rudolf Steiner (Philosoph/Esoteriker)
Rudolf Bultmann (Theologe)
Karl Barth (Theologe)


Sonstige (12)

Albert Schweitzer (Musikwissenschaftler, Philosoph, Mediziner,...)
Mutter Theresa (Helfende)
Mahatma Gandhi (Theoretiker und Praktiker des gewaltlosen Widerstands)
Isaac Asimov (Science-Fiction-Autor/Visionär/Universalgelehrter)
Arthur Clarke (Science-Fiction-Autor/Visionär)
Martin Luther King (Kämpfer gegen Rassendiskriminierung)
George Bernard Shaw (Literat und Politiker)
Henry Ford (Industrieller)
Adolf Hitler (Böser Diktator)
Joseph Stalin (Böser Diktator)
Lenin (Kommunist)
Mao (Kommunist)

Ipsissimus
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Mo 10. Jan 2011, 10:31 - Beitrag #30

wie wäre es noch mit Rudolf Steiner (1861-1925), als Begründer der Anthtoposophie, sowie Rudolf Bultmann (1884-1976), um das Übergewicht von Philosophen im Bereich "Philosophie und Theologie" etwas zu mildern. Die Bedeutung von Bultmann für die Theologie kann überhaupt nicht hoch genug eingeschätzt werden, er ist für die Theologie das, was Einstein und Planck zusammen für die Physik sind (Stichwort: "Gott ist tot"-Theologie). Und Steiner dürfte selbst den hartgesottensten Atheisten ein Begriff sein^^

Padreic
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Mo 10. Jan 2011, 13:38 - Beitrag #31

Steiner und Bultmann habe ich hinzugefügt. Dazu noch Karl Barth, da dieser, so weit ich das überblicke, in der protestantischen Theologie eine ähnliche bedeutende Stellung einnimmt wie Bultmann; manche würden wohl sogar sagen, eine noch größere.

Traitor
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Di 11. Jan 2011, 01:19 - Beitrag #32

"Böser Diktator" ist eine großartige Berufsbezeichnung. Hat was von "Evil, a growth industry - we're always hiring!". ;)

Dietrich Bonhoeffer hat bei den Evangelen auch noch einen recht herausragenden Ruf. Seine theologischen, also abstrakt denkerischen, Leistungen kann ich aber nicht beurteilen, würde von der Rezeption her dazu tendieren, ihn eher in Richtung Tat einzuordnen, wenn auch natürlich wiederum viel Tat durch Wort.

Ehrlich gesagt glaube ich aber auch nicht, dass man das Übergewicht der Philosophen gegenüber den Theologen korrigieren muss, schließlich ist die Theologie doch gesellschaftlich eher zur Randdisziplin geworden.

Ipsissimus
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Di 11. Jan 2011, 01:30 - Beitrag #33

schließlich ist die Theologie doch gesellschaftlich eher zur Randdisziplin geworden.
schwierig^^ vielleicht in Deutschland und einigen Industrieländern, und selbst da würde ich gerne erst genauer hinschauen. Für sehr viele Länder: definitiv nicht (und schon gar nicht, wenn man zur Theologie auch die Theologien anderer Religionen zählt)

Bonhoeffer ist idT sehr renommiert, aber als Denker nicht wirklich in Sichtweite von Bultmann und Barth

Traitor
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Di 11. Jan 2011, 01:43 - Beitrag #34

Genaueres Hinsehen in westlichen Ländern wäre wohl ein Extra-Thread.

Theologen anderer Religionen wären ein sehr relevanter Punkt für die Liste - wer kennt führende Islamgelehrte? Gibt es aktive Denkschulen in Hinduismus und Buddhismus, oder wird dort nur Tradition reproduziert?
Und wie sieht es außerhalb der Religionen, aber ebenfalls in anderen Kulturkreisen aus? Akademische Forschung in den meisten Bereichen hängt dort natürlich hinterher, aber Soziologen oder Politologen könnten durchaus Relevanz und Einfluss für ein paar Milliarden haben, ohne dass wir viel davon mitbekommen...

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Di 11. Jan 2011, 01:51 - Beitrag #35

Daß die Liste in vieler Hinsicht deutschlandzentriert ist, hatte ich zu Anfang als Fast-Unabwendbarkeit gesehen. Es geht ja letztlich um unsere Perspektive dabei. Das wird sonst extrem schwierig, jeweilige Bedeutung abzuwägen (ist es ja auch so schon).

Aus dem Lager der Literaturwissenschaften könnte man z.B. Gérard Genette (Narratologie) und Martin Esslin (Dramentheorie) dazunehmen, auch diverse Russen, wie Wladimir Propp (Folklorismus/Märchen), Michail Bachtin (Intertextualität), Juri Tynjanow (Systemtheorie) und Juri Lotman (Semiotik) wären zu bedenken; Georg Lukácz für die marxistische Literaturwissenschaft, Peter Szondi (Komparatistik), mit Roman Jakobson noch ein Strukturalist...

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Di 11. Jan 2011, 03:11 - Beitrag #36

Wieso ist'n Mao kein "Böser Diktator" oder zumindest ein "Böser Kommunist"?
Sehr bezeichnend :|

Lykurg
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Di 11. Jan 2011, 10:26 - Beitrag #37

Lenin ist der Liste zufolge auch keiner. 'Böser Kommunist' würde aber implizieren, daß es auch den 'Guten Kommunisten' gibt, während in der gegebenen Anordnung der Versuch einer Trennung von theoretischen Tatmenschen und Theoretikern gegeben ist.^^

(Da gab es, glaube ich, eine DDR-Anekdote über ein Lexikon, in dessen verschiedenen Auflagen Mao zunächst als "bedeutender Marxist und Führer der KPC" bezeichnet wird, später als "marxistischer Theoretiker" und zuletzt als "Theoretiker".)

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Di 11. Jan 2011, 10:58 - Beitrag #38

[ot ]ich denke auch, dass Lenin und Mao wirklich disputabel sind hinsichtlich ihrer Bösartigkeit. Ohne sie im geringsten mit der rosaroten Brille sehen zu wollen, verkennt man sie und ihre Taten m.E. aber doch, wenn man sie nicht vor dem Hintergrund dessen sieht, wovon sie ihre Nationen losgerissen haben. Das zaristische System Russlands war genauso ein Unrechtssystem wie das kaiserliche Feudal-System Chinas, und auf jeden Toten, den Lenin und Mao direkt zu verantworten haben, kommen 10 bis 100, die der letzte russische Zar bzw die Strukturen der Feudalgesellschaft Chinas im Laufe der 50 Jahre vor Lenin bzw Mao zu verantworten haben. Lenins großes Versagen liegt aus meiner Sicht darin begründet, dass er Stalin falsch eingeschätzt hat, nicht darin, dass er die zaristische Gesellschaft auseinander genommen hat. Und bei Mao bin ich mir nicht sicher hinsichtlich der Balance aus Verdiensten und Verbrechen. Nicht dass ich seine Verbrechen in irgendeiner Weise rechtfertigen will, aber ich denke auch, dass wir Heutigen Schwierigkeiten haben, uns die Lebenswirklichkeit des vorrevolutionären Chinas wirklich so zu vergegenwärtigen, dass wir eine realistische Einschätzung der Schwierigkeiten bekommen, die von Mao überwunden werden mussten. Idyllen waren weder Russland noch China. [/ot]

aus dem Islam ist der Einfluss der Imame ja bekannt, aber bei uns sind weniger die Namen einzelner Personen bekannt als vielmehr die von Institutionen wie der Kairoer Al-Azhar-Universität, die erheblichen Einfluss auf islamische Theologie hat. Im Hinduismus sind einzelne Sadhu (heilige Männer) von großer theologischer Bedeutung, im Buddhismus die Meister.

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Di 11. Jan 2011, 12:03 - Beitrag #39

die Neuro-Biologen Humberto R. Maturana (1928 - ) und Francisco J. Varela (1946-2001) wären noch zu nennen, sowohl als Vorschlag für die Liste (mit unklarer Einordnung, sie sind gleichermaßen relevant für Sozialwissenschaften wie für Philosophie, Biologie und Kognitionswissenschaften) als auch als Beispiel für akademische Forschung höchster Relevanz außerhalb des westlichen Kontexts (beide sind Mitbegründer des radikalen Konstruktivismus und Entwickler des Konzepts der Autopoiesis, das für Luhmann entscheidend wurde)

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Di 11. Jan 2011, 12:22 - Beitrag #40

Sicherlich interessante Vorschläge.

Angeregt von diesen würde ich auch noch die Namen Jakob Johann von Uexküll (Zoologe, Wegbereiter der Ökologei - ganz davon abgesehen: cooler Name) und Jean Piaget (Entwicklungspsychologe und Epistemologe) ins Spiel bringen.

Zusätzlich scheint es mir so, als ob wir noch keinen Astronomen in der Liste haben. Für eine Auswahl wäre sicherlich Traitor hier am kompetentesten. Mir scheint hier aber Edwin Hubble definitiv einer der bedeutendsten Namen zu sein.

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