Alice Schwarzer schreibt zu Kachelmann-Prozess&Kindesmißbrauch

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Do 17. Feb 2011, 18:46 - Beitrag #1

Alice Schwarzer schreibt zu Kachelmann-Prozess&Kindesmißbrauch

Vermuitliche bekanntermaßen begleitet Alice Schwarzerfür die Bild-Zeitung den Kachelmann-Prozess kommentierend als Prozeßbeobachterin.

Das sie, die sich wohl weiterhin als ernsthafte Journalisten sieht und dafür auch gelten werden will gerade in der Bild publiziert ist nur der erste bemerkenswerte bereits breit diskutierte und kritisierte Aspekt. Als Feministin mit dem Boulevard, und so in einem "redaktionellen" Umfeld mit (größtenteils nackten) Fraunkörpern zu veröffentlichen finde ich auch gelinde gesagt seltsam.

Aber statt darauf oder ihren bisherigen Kolummnen und den damit zusammenhängenden Aspekten zum Kachelmann-Prozess will ich mich nur mit ihrer (lt. ihrer Webseite; bild.de ignoriere ich genausoe wie die gedruckte BIld) letzten Kolumne beschäftigen, auf die ichhingewiesen wurde und bei mir letztlich leichtes Entsetzen auslöste.

Unter dem Titel Die Kulissen hinter dem Prozess scheint sie mir letztlich einen unrühmlichen Blick hinter ihre eigenen Kulissen zu gewähren.

Im Vergleich noch harmlos finde ich den mindestens mißverständlichen Einstieg:
Am Mittwoch musste ich im Kachelmann-Prozess die Pressebank gegen den Zeugenstuhl tauschen. Kachelmann-Verteidiger Schwenn wollte das so.
Denn was Verteidiger wollen ist das eine, nur wenn es auch zum Willen des Richters wird, folgen tatsächlich die entsprechenden Konsequenzen.


Der mich eigentlich beschäftigende Teil des Textes, auch wegen seinem Aufbau/Gedankenganz als Vollzitat:
Doch die Zeit, in der ich darauf gewartet hatte, vom Richter gerufen zu werden, war für mich eine der interessantesten Stunden des gesamten bisherigen Prozesses.

Während auf der Bühne des Verhandlungssaals der x-te Sachverständige der Verteidigung gehört wurde, saß ich nämlich in den Kulissen: Im „Vernahmeraum“ 18; 15 qm, ein Tisch, vier Stühle, eine auf mich gerichtete Videokamera und ein Schrank.

Und in dem Schrank? Stofftiere – Bären, Löwen, Hasen – Bauklötzchen, Malstifte und Bilderbücher. Spielzeug für Kleinkinder. „Die sind für die Kinder, die hier vernommen werden“, erklärt mir Herr Loreth, der Verwaltungschef. „Jeden Monat mindestens zwei, drei. Aber das interessiert niemanden.“

Wenn die Kinder da sind, zieht der freundliche Herr Loreth „was Helles“ an und nicht das dunkle Jackett wie heute: „Das macht ihnen Angst.“

Die Kinder, die hier aussagen, sind vermutlich Opfer von sexuellem Missbrauch. Durch einen Nachbarn, Onkel – oder gar den eigenen Vater.

Es sind Kinder, die die Angst meist nur zu gut kennen. Oft geht es um das Sorgerecht, weil die Mutter sich getrennt hat. Aber da hat das Kind als „Opferzeuge“ von vornherein ganz schlechte Karten. Denn beim Kindesmissbrauch gilt in Deutschland seit dem 1.9.2009 der so genannte „Strengbeweis“.

„Schlüssige Hinweise auf Missbrauch“ aus Sicht von Psychologen zum Beispiel oder eindeutig scheinende Zeichnungen eines Kindes genügen nicht mehr.
Der „Strengbeweis“ bedeutet, so die Vorsitzende des „Vereins Alleinerziehender Mütter und Väter“ und Familienrechtlerin Edith Schwab, „dass Kinder unter vier, fünf Jahren schutzlos sind, weil sie nicht als ‚gerichtsfeste‘ Zeugen gelten“.

Da steht dann Aussage gegen Aussage. So wie im Fall Kachelmann.

Dessen Prozess, dank der Manöver und Spielchen der Verteidigung längst zum Schauprozess verkommen, währt schon sieben Monate. Und es ist gut möglich, dass das Spektakel bis zur Sommerpause so weitergeht.

Das wäre dann fast ein Jahr, mit vier Richtern (inklusive Reserverichter), vier Schöffen (inkl. zwei Ersatzschöffen), zwei Staatsanwälten, einer Armada von Anwälten auf Verteidigerseite sowie Aber- und Aberdutzenden von Journalisten.
Während dieses Spektakel auf der Bühne des Verhandlungssaales 1 läuft, sitzen die Kinder im Zeugenraum 18. Und niemand hört sie.


Einerseits frage ich mich, ob dieser Vernahmeraum wirklich nur für Kinder, die Opfer von sexuellem Mißbrauch geschaffen wurde und genutzt wird.

Andererseits sind derartige Verbrechen gewiss abscheulich, die von Schwarzer geschilderte juristische Handhabung solcher Fälle sicherlich hinterfragbar, aber es wirkt am Ende denn nur auf mich so, als würde Alice Schwarzer den Prozess gegen Kachelmann als weniger wichtig und medial zu sehr betrachtet einstufen, während sich die Kapazitäten der Justiz und die öffentliche Wahrnehmung aus ihrer Sicht mehr auf die Opfer von Kindesmißbrauch richten müssten?
Will sie damit (zu ihrem offenbar bestehenden Meinungsbild passend) sagen, Kachelmann sei nun gefälligst mit einem schnellen Prozeßende zu bestrafen und sich dann anderen Prozessen zuzuwenden? Wenn ich gewagter und extremer vorgehe erkenne ich den Ansatz, zwischen den Zeilen Täter, die sich gerade auch das gegebene Machtgefälle ausnutzen an Kindern vergehen, mit Kachelmann, der sich eben lt. Anklage an einer ihm wohl unterlegenen bzw, sich unterkegen fühlenden, vegangen haben soll?

e-noon
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Do 17. Feb 2011, 19:00 - Beitrag #2

Ich verstehe weder, warum Schwarzer, die sich ja schon mit Erfolg für viele sinnvolle Sachen eingesetzt hat, für die Bildzeitung schreibt, noch, warum sie DAS schreibt. Völlig abstrus der Sprung vom Warteraum zu den Kuscheltieren und zum Kindesmissbrauch; ich hoffe doch sehr, dass mehr Kinder von familienbedingten oder eben scheidungsbedingten Dingen als von Kindesmissbrauch betroffen sind. Und zum anderen sind die Kinder, die in diesem Zeugenwarteraum sitzen, ja doch vermutlich die, die darauf warten, ihre Zeugenaussage zu machen, also gerade die, die gehört werden, und nicht die, denen niemand zuhört, sodass zumindest der letzte Satz,
sitzen die Kinder im Zeugenraum 18. Und niemand hört sie.
, für mich unverständlich und etwas peinlich ist. Erstens würde ich ganz klar sagen: Thema verfehlt. Es ging um Kachelmann und nicht um Kindesmissbrauch, und die Art und Weise, wie beides vermischt wurde, wird keinem von beiden gerecht. Zum zweiten ist es eine Aneinanderreihung von zusammenhanglosen Satzfetzen, deren Aussage und Richtung völlig unklar bleibt. Und schließlich kann ich nicht verstehen, wie diese Erkenntnis im Warteraum eine der "interessantesten Stunden des Prozesses" sein kann; das drückt ein solches Desinteresse am Fall aus, dass man sie doch vielleicht lieber mit einer anderen Aufgabe betrauen sollte.

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Do 17. Feb 2011, 19:26 - Beitrag #3

Sie schreibt übrigens nicht nur für die Bild, sondern liess sich vor nunmehr fast 4 Jahren schon als Werbefigur einspannen. Rechnt nett, incl. der auch da eher verstörenden denn erklärenden Worte Schwarzers nachzulesen im Bildblog.

Den nicht direkt ersichtlichen Unterschied zu den da aufgeführten anderen Promis der Kampagne arbeitet Stefan Niggemeier in einem Blogbeitrag heraus.

Maglor
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Do 17. Feb 2011, 21:48 - Beitrag #4

Das dort nur Kinder vernommen werden, die Opfer sexueller Gewalt wurden, ist eine Unterstellung, und auch als solche mit vermutlich kenntlich gemacht.
Ansonsten, ja Boulervard eben ... Frau Schwarzer hat ihr Urteil ja bereits gefällt. Dass Kachelmann ein polygames Wesen ist, steht zumindest außer Frage ud in der Sache dürfte er im Sinne Schwarzer schon des Verbrechens überführt.

Ansonsten erscheinen mir die von ihr in letzten Jahren vertretenen Positionen im wesentlichen grotesk - irgendwo zwischen wertkonservativ und rechtem Rand.

Ipsissimus
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Fr 18. Feb 2011, 11:22 - Beitrag #5

ich denke, dass der Kachelmann-Prozess längst entgleist ist; egal, was am Ende dabei herauskommt, Kachelmann ist als Person der Öffentlichkeit damit erledigt. Die Enthüllungen bezüglich seiner sexuellen Neigungen bzw. deren Natur machen ihn so oder so untragbar; BDSM ist der Öffentlichkeit derzeit und wohl noch auf lange Zeit hinaus nicht als einfache Variante sexueller Orientierungen zu vermitteln. Und im Rahmen der durch diese Unvermittelbarkeit auch gegebenen Unkenntnis erscheint es auch um so plausibler, dass im Rahmen derartiger erotischer Rollenspiele auch schnell mal die Grenze dessen überschritten ist, was vorher zwischen den Beteiligten vereinbart wurde. Nicht, dass dies öffentlich differenziert betrachtet werden würde, Kachelmann ist offensichtlich ein Perverser, fertig.

Die Schwarzer haut m.E. ganz gezielt in diese Kerbe; sie tut das wohl aufgrund ihrer grundlegenden Überzeugung, dass alle Männer Vergewaltiger sind und es somit, gleichgültig ob im speziellen Fall eine Vergewaltigung vorliegt oder nicht, verdienen, als solche verurteilt zu werden. Dafür ist sie offenbar auch bereit, mit dem Teufel zu paktieren. Oder sie hat einen Gehirntumor, der ihr grundlegendes Wertesystem umgekrempelt hat, denn vor 30 Jahren wäre sie lieber gestorben, als mit Bild zu paktieren. Egal was es ist, sie scheint nicht mehr zu erkennen, dass sie selbst bei denen, die ihren Kampf um Gleichberechtigung der Frauen unterstützen, zunehmend im Narrenparadies verortet wird. Hinsichtlich ihrer Strategie ist es jedenfalls durchaus konsistent gedacht, über Assoziationen Zusammenhänge zu stiften, gleichgültig, ob die sachlich gegeben sind oder nicht.

Sie macht dabei mit ihren Mitteln nichts anderes als Kachelmanns Anwalt mit seinen Mitteln und umgekehrter Zielsetzung auch. Dieser gesamte Prozess dient mittlerweile m.E. schon lange nicht mehr der Wahrheitsfindung sondern nur noch der Urteilsfindung.

Im Rahmen eines solchen Urteils wird es wohl so sein, dass beide Seiten ihr Ziel erreicht haben, die jeweils andere Seite zu diskreditieren. Egal wie das Urteil lauten wird, es werden Zweifel bleiben, was nun wirklich passiert ist und wie es zu bewerten ist; damit wird Kachelmann für alle Zeit als möglicher Vergewaltiger gebrandmarkt bleiben, und die Frau ebenfalls als möglicher Racheengel, die aus Kränkung einen bekannten und beliebten Prominenten ans Messer geliefert hat.

Sie sind beide angetastet. Und alle anderen drumherum machen ihr Geschäft damit.

janw
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Fr 18. Feb 2011, 13:24 - Beitrag #6

Mir kommt die Schwarzer schon länger so vor, als hätte sie ihren eigentlichen Gegenstand verloren, qua erfolgter Emanzipation der Frauen, und würde dessen nicht recht gewahr werden oder könne dies nicht akzeptieren, deshalb das abdriften in untiefe Gefilde. Ein tragischer Fall, für alle Betroffenen.

Für Kachelmann bleibt wohl nur zu hoffen...

Ipsissimus
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Fr 18. Feb 2011, 13:53 - Beitrag #7

ja, für Kachelmann bleibt nur zu hoffen ... für die Frau bleibt auch nur zu hoffen ... und für die Richter genauso ... und vor allem für die Sache, falls es noch irgendwo und irgendwem um Gerechtigkeit gehen sollte

janw
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Fr 18. Feb 2011, 18:53 - Beitrag #8

Hm ja, wenn Gerechtigkeit per se existiert, oder ist sie nicht eher immer auf etwas oder jemanden bezogen - dem Gerechtigkeit widerfahren könnte?
Gerechtigkeit, ist das so etwas wie ein universelles Prinzip hinter der Gesetzeskraft, als "mystischer Urgrund der Autorität" im Sinne Benjamins? dharma?

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Mo 21. Feb 2011, 23:12 - Beitrag #9

In der Süddeutschen gibt es eine größere Abhandlung über Alice Schwarzer und ihre Rolle als "Prozeßbeobachterin".

Sooo lang, das ich den selber noch lese, aber von der ersten Seite schonmal was zitieren mag:
Für einen Menschen oder für eine Idee Partei zu ergreifen, ist eine ehrenwerte Sache. Wer Partei ergreift für Menschen, die nicht oder nicht hinreichend für sich selbst sorgen können, für Opfer von Krieg, Gewalttaten oder Diskriminierung, für Flüchtlinge, für Hungernde, für misshandelte Kinder, ganz allgemein: für Benachteiligte, der kann Respekt und Unterstützung erwarten.

Aber eines kann er (oder sie) nicht: In einem Streit, der seine (ihre) "Partei" betrifft, unparteiisch sein.

Alice Schwarzer, 68, Gründerin, Verlegerin und Chefredakteurin der feministischen Zeitschrift Emma, hat Partei ergriffen, ein für alle Mal, für die Sache der Frauen. Seit Jahrzehnten kämpft sie dafür, aufrecht, unerschrocken, gegen vielerlei Widerstände - aber nun will sie in einem erbitterten Streit zwischen einer Frau und einem Mann unparteiisch sein. Die "Journalistin und Feministin" (so firmiert sie auf ihrer Homepage im Internet) kommentiert in der Bild-Zeitung den Prozess gegen Jörg Kachelmann, der beschuldigt wird, seine langjährige Geliebte Claudia D. unter Todesdrohungen vergewaltigt zu haben. Sie tut das erklärtermaßen in der Rolle der Journalistin, die sich der Objektivität verpflichtet fühlt. Konnte das gutgehen?

Mittlerweile sind 17 Kommentare erschienen. Es ist nicht gutgegangen.

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Di 5. Apr 2011, 15:53 - Beitrag #10

Hier hat es einen weiteren Blogbeitrag, in dem der Autor - m.E. nachvolziehbar - seine Schwierigkeiten hat, positives an Schwarzers Äußerungen zum Kachelmann-Prozeß zu finden und sie letztlich auch nicht mehr als Journalistin einzustufen vermag.

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Fr 20. Mai 2011, 10:25 - Beitrag #11

Auch wenn es noch nichts aktuelle von Schwarzer zum Plädoyer der Staatsanwaltschaft gibt, so bin ich doch besonders gespannt, wie ihre Sicht darauf sein wird. Denn im Spiegel kommentiert dessen renomierte Gerichtsreporterin Gisele Friedrichsen unter der Überschrift Das Glaubensbekenntnis u.a. folgendes:
Am Mannheimer Landgericht geht ein Mammutprozess in die Schlussphase, und die ist ebenso befremdlich wie das gesamte Verfahren: Das Plädoyer der Staatsanwaltschaft geriet zum spitzfindigen Kunststück, reich an Spekulationen, arm an Fakten.

Da sage noch einer, die Staatsanwaltschaft Mannheim habe doch nur ihren Job gemacht. Nein, es ist nicht die Aufgabe der angeblich objektivsten Behörde der Welt, blind und taub gegenüber jedem Zweifel - vor allem dem Selbstzweifel - einen Angeklagten öffentlich vorzuführen. Im Wissen, dass man dabei Fakten unterschlägt und verdreht.

[...]

Konnte Jörg Kachelmann erwarten, ihm ergehe es in Mannheim besser? [Anmerkung 009: im Vergleich zum anderen im Kommentar beschriebenen Fall, wo die Staatsanwaltschaft ein durch inzwischen erfolgten Freispruch in Revision offensichtlich schon im Plädoyer-Zeitpunkt völlig unzutreffendes Plädoyer hielt] Schon der überraschende Auftritt der Hauptbelastungszeugin an der Seite der Staatsanwaltschaft signalisierte: Hier war ein Tribunal gegen den Angeklagten zu erwarten. Schließlich hatte Staatsanwalt Lars-Torben Oltrogge im Berliner "Tagesspiegel" schon angekündigt, dabei "pikante Details" - natürlich zu Lasten des Angeklagten - zur Sprache zu bringen.

[...]

Immer wieder war vom Glauben die Rede im Plädoyer der Staatsanwaltschaft, mehr als in so mancher Kirche, und von Spekulationen und Vorstellungen, kaum hingegen von Beweisen und handfestem Wissen. Ein rabulistisches Kunststück war es, wie Oltrogge gar die auf dem angeblichen Tatmesser befindlichen Nicht-Spuren zu einem Beweis von Kachelmanns Täterschaft umfunktionierte: Da der Angeklagte auf diesem Messer viele Spuren hinterlassen haben müsste, seien diese wohl verlorengegangen. Aber wie? "Unbewusst" vielleicht. Oder der Angeklagte wischte das Messer ab. Für die Staatsanwaltschaft ist es jedenfalls undenkbar, dass die Nebenklägerin "manipulativ die nur geringen Spuren angebracht" habe. Kein Wort, dass das von ihr geschilderte Tatgeschehen zur mageren Spurenlage so gar nicht passen will.

[...]

Die Frau ist eben Opfer. Und zu einem Opfer bekennt man sich. Da wird mit einem anderen Maß gemessen: Das Privatleben des Angeklagten darf öffentlich seziert werden. Doch um Himmels willen kein Zweifel am Opfer.

Vier Jahre, drei Monate - das ist lächerlich gering, sollte die Vergewaltigung stattgefunden haben. Und ziemlich viel, wenn Kachelmann unschuldig sein sollte. Aber vielleicht steckt Strategie dahinter. Ein solcher Strafantrag eröffnet einer verurteilungswilligen Kammer den schlüpfrigen Pfad zu einer Bewährungsstrafe. Die hätte den Vorteil, dass der Angeklagte nicht im Saal festgenommen werden müsste. Dann kann man sich die Hände im trüben Wasser der Unschuld waschen und die Verantwortung an den Bundesgerichtshof delegieren. Und glauben, der werde es schon richten.

Ipsissimus
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Fr 20. Mai 2011, 12:38 - Beitrag #12

Vier Jahre, drei Monate - das ist lächerlich gering, sollte die Vergewaltigung stattgefunden haben. Und ziemlich viel, wenn Kachelmann unschuldig sein sollte.
Das ist der Punkt. Der Staatsanwalt ist sich selbst nicht sicher, denn sonst müsste er 10 Jahre fordern.

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Fr 20. Mai 2011, 13:03 - Beitrag #13

Wenn man seinem Plädoyer traut, dann ist er überzeugt - um seine doch nicht Überzeugung im beantragten strafmaß auszudrücken. Oder ihm hat der Praktikant gerade seine Preisliste, äh der Übersicht, was es wofür üblicherweise gibt, entwendet ;-)

Milena
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Di 31. Mai 2011, 10:13 - Beitrag #14

Kachelmann ist freigesprochen worden...
im zweifel des angeklagten...
find ich okay soweit....
wie bei allen anderen vergewaltigungen ist meist kein dritter (zeuge) dabei und es steht aussage gegen aussage, wobei es natürlich auf die indizien ankommt...
die waren in diesem fall zu schwach...

Ipsissimus
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Di 31. Mai 2011, 11:20 - Beitrag #15

ja, die waren deutlich zu schwach; und wie vorhergesehen bleibt ein schlechter Geschmack zurück, ist eben nur ein Freispruch zweiter Klasse. Aber ich fürchte, der Geschmack wäre aufgrund der Berichterstattung so oder so zurückgeblieben, die sind beide beschädigt, Kachelmann und die Frau. Die Rolle der Medien ist der eigentliche Makel dieses Prozesses.

Lykurg
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Di 31. Mai 2011, 11:52 - Beitrag #16

Richtig, ja. Angesichts der Vorverurteilung in den Medien und insbesondere durch Frau Schwarzer bin ich nicht unzufrieden, daß es zu einem Freispruch gekommen ist, auch wenn mir Kachelmann unsympathisch bleibt und ich von seiner Schuldlosigkeit nicht überzeugt bin.

Formal gibt es selbstverständlich keinen "Freispruch zweiter Klasse". Und auch die seitens der Staatsanwaltschaft angestrebte Revision wurde in den Nachrichten erstaunlich direkt als reine Formsache bezeichnet.

janw
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Di 31. Mai 2011, 12:20 - Beitrag #17

Ich bin angesichts der Faktenlage froh über das Urteil. Nichtbewiesene Schuld muss zu Freispruch führen.

Die Verarbeitung des Falles in den Medien war unsäglich, und ist leider noch nicht vorbei - bereits gestern wurden in der ARD zwei talkshows zu dem Thema in dieser Woche angekündigt. Ich denke, da sollte wirklich einmal nachgedacht werden, wieviel Aufmerksamkeit dem Fall angemessen wäre und ob nicht auch andere Probleme zu diskutieren wären.

Man könnte natürlich die Frage aufwerfen, ob nicht die mediale Bearbeitung gerade zu dem Freispruch geführt hat - das Gericht wäre andernfalls in den Ruf gekommen, der medialen Meinung hinterher zu laufen, was eine unabhängige Justiz nicht unbedingt wollen kann.

Ist Kachelmann mir sympathisch oder nicht? Ich fand seine Darstellung der Wetterberichte immer recht gut, ein Weg zwischen wisenschaftlicher Exaktheit und der Vermittlung an ein überwiegend wissenschaftlich ungebildetes Publikum.
Sein Privatleben sollte sein Privatleben bleiben, wie das von jedem.

e-noon
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Di 31. Mai 2011, 14:12 - Beitrag #18

Medien kann man weitestgehend entgehen, ich bin diesen Weg gegangen. Insofern kann man sagen, ja, im Zweifel für den Angeklagten; wenn die Indizien nicht ausreichend waren, ist es wohl so.

Allgemein gesprochen kann ich mir vorstellen, dass schwierige Situationen entstehen können, wenn man Sex mit Menschen hat, denen man nicht vertrauen kann. Schwierig für beide Seiten und es mag Grauzonen geben. Ohne genaue Kenntnis dessen, was wirklich passiert ist, konnte das Urteil dann eigentlich nicht anders ausfallen also so, wie es jetzt ist.

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Di 31. Mai 2011, 14:32 - Beitrag #19

bemerkenswertes Statement des Richters, Michael Seidling

Der Richter beendet seine Urteilsbegründung deshalb mit einigen bemerkenswerten Sätzen: "Wir sind überzeugt, dass wir die juristisch richtige Entscheidung getroffen haben, Befriedigung verspüren wir dadurch nicht. Wir entlassen den Angeklagten und die Nebenklägerin mit einem möglicherweise nie mehr aus der Welt zu schaffenden Verdacht, ihn als potentiellen Vergewaltiger, sie als potentielle rachsüchtige Lügnerin. Wir entlassen beide mit dem Gefühl, ihren jeweiligen Interessen durch unser Urteil nicht ausreichend gerecht worden zu sein."

Und dann fügt Seidling einen Appell an die Öffentlichkeit und die Medien hinzu: "Unterstellen Sie die jeweils günstigste Variante für Herrn Kachelmann und die Nebenklägerin. Nur dann haben Sie den Grundsatz in dubio pro reo verstanden. Nur dann kennt er nicht nur Verlierer, sondern neben dem Rechtsstaat auch Gewinner."
http://www.stern.de/panorama/kachelmann-urteil-sekt-traenen-und-ein-freispruch-1690842.html

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Di 31. Mai 2011, 15:14 - Beitrag #20

Wirklich bemerkenswert. An dem Verfahren hat wohl kaum jemand gewonnen, außer natürlich mediale Verwerter. Fraglich, inwieweit sich das auf das Verhalten von (echten? bzw.) Grauzonen-Vergewaltigungsopfern auswirkt.

e-noons Aussage hat auf jeden Fall Gültigkeit, und eben das ist dann wohl auch das Problem eines in sexueller Hinsicht so sprunghaften^^ Menschen wie Kachelmann: man macht sich angreifbar, ganz unabhängig davon, wie berechtigt die Vorwürfe sein mögen. Der Fall Assange hat es ja auch gezeigt.

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