Zitat von Lykurg:Das ist richtig, janw, aber eben diese Lebensraumpolitik wird heute, scheint mir zumindest, im öffentlichen Diskurs weniger wahrgenommen, ist ein Teilaspekt der Verbrechen, aber nicht das schwerwiegendste. Möglicherweise hat sich angesichts der stalinistischen und maoistischen Umsiedelungen einfach die Wahrnehmungsschwelle verändert.
Cesaire hat in dem Zitat aufgrund des thematischen Kontextes seiner Äußerung weniger den Holocaust, als den Komplex der Arbeitsausbeutung der Menschen in den eroberten Gebieten im Blick.
Ob dieser im Rahmen einer Gesamtbetrachtung des Nationalsozialismus dem Holocaust nachzuordnen ist, ist IMHO schwer zu entscheiden und läuft zwangsläufig Gefahr, die eine oder andere Gruppe nachträglich selbst mit einem Werturteil zu belegen]Dass es immer Menschen gibt, die dies zu ihrem eigenen wirtschaftlichen Vorteil nutzen, ist relativ klar, Ipsi; aber es war keineswegs das eigentliche Ziel des Holocaust, billige Arbeitskräfte zu haben, anders als bei der Verschleppung von Afrikanern nach Amerika.
1955 war die Wahrnehmung vielleicht noch anders, aber auch da, denke ich, hat eher die zeitliche Nähe und das Miterleben sowie das schiere Ausmaß den Ausschlag gegeben. Es gab auch vorher schon schreckliche Gräueltaten, beispielsweise im dreißigjährigen Krieg, in jedem Bürgerkrieg seitdem, im 1. Weltkrieg auch, und hier waren ebenfalls immer Europäer gegen Europäer im Spiel.[/QUOTE]
e-noon, der Holocaust bezeichnet im engeren Sinne die Vernichtung der Juden; hier war es durchaus Ziel, sich vor ihrer Vernichtung noch an ihrem Besitz und ihrer Arbeitskraft zu bereichern, und iirc Götz Aly hat gezeigt, wie der NS-Staat tatsächlich davon profitiert und daraus bestimmte staatliche Leistungen finanziert hat - die teilweise noch heute bestehen, wie z.B., wenn ich es richtig erinnere, das Kindergeld.
Wenn Industrielle sich an der Arbeitskraft bereichern wollten, war das den Nazis nur recht, besonders, wenn diese Industriellen dafür die Nazis unterstützten.
1955 wurde zumindest in Deutschland die Nazizeit in weiten Teilen verdrängt; man hatte hohe Ex-Nazis in der Bundesregierung, war im Wiederaufbau und begrüßte die letzten Spätheimkehrer.
Der Vergleich der NS-Verbrechen mit den anderen von Dir genannten Auseinandersetzungen trifft nicht ganz, da es bei den anderen Aueseinandersetzungen um Kriege (30jähriger Krieg noch weit vor der frz. Revolution) oder um Revolten bzw. Revolutionen ging, aber eben nicht um eine gezielte Ausbeutung bis Ausrottung einer Gruppe durch eine andere.
Solche Vorgänge waren bis dahin tatsächlich praktisch immer außerhalb Europas angesiedelt. Der Burenkrieg, wo die Briten die Buren in Lagern umkommen ließen, war ebenso ein Krieg.
Cesaire hat von daher nicht unrecht, das Vorgehen der Nazis in Russland war ein kolonialistischer Akt und als solcher bezüglich der Art der Unterworfenen neuartig, und die öffentliche Meinung hätte sicher weniger Probleme damit gehabt, wären die Opfer anderer Hautfarbe oder ähnliches gewesen.
Diesen Punkt im Blick zu haben und weniger den Holocaust im engeren Sinne, war neben Cesaires Herkunft sicher ein Zug der Zeit, wo der Kolonialismus zuerst auf breiterer Ebene kritisch diskutiert wurde, dieser Diskurs war damals am anlaufen.