Mythos Burka

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Maglor
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Sa 13. Aug 2016, 14:18 - Beitrag #1

Mythos Burka

Über Jahre wurde das Feindbild aufgebaut. Der Islam unterdrückt die Frauen. Deutschland schafft sich ab. Kopftuchmädchen bedrohen unsere Zukunft. Burkas bestimmen das Straßenbild.

Fabian Köhler hat sich auf die Suche nach dem geheimnisvollen blauen Kleidungsstück gemacht, dass angeblich unserere Werte untergräbt.
Gibt es überhaupt Burka-Trägerinnen in Deutschland?

Zitat von Bento:Ein kleines Stück Stoff steht für den "Kulturkampf" zwischen dem liberalen Westen und dem konservativen Islam: die Burka. In Frankreich, Belgien und der Schweiz ist sie schon verboten. In Deutschland sagte zuletzt der CDU-Bundestagsabgeordnete Jens Spahn der "Welt": "Ich will in diesem Land keiner Burka begegnen müssen. In diesem Sinne bin ich burkaphob."
...
Aber eine Frau, die eine echte afghanisch-pakistanische Burka trägt, habe ich noch nie gesehen. Ist das Zufall?
...
Bei den einzigen beiden belegten Burka-Trägerinnen in Deutschland handelt es sich um zwei Dominas in einem S/M-Studio.


Burkaphobie gilt als die politisch korekkte Form der Islamophobie, aber im Grunde ist es auch nur eine gefährliche Verschwörungstheorie.

Feuerkopf
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Sa 13. Aug 2016, 21:58 - Beitrag #2

Die Gleichsetzung der verschiedenen Ganzkörperverhüllungen unter dem Oberbegriff "Burka" hat m. E. mit dem Wort zu tun, das man sich leicht merken und ebenso leicht aussprechen kann.
Bei Niqab kommt man schon eher ins Grübeln.

Meine Meinung? Ich finde es traurig, dass Frauen sich zu formlosen und austauschbaren Wesen reduzieren bzw. reduzieren lassen, wenn sie Tschador, Niqab und Burka tragen. Zudem behindert Gesichtsverschleierung die Sicht auf die Welt. Autofahren geht damit z. B. gar nicht, obwohl die Frauen das in Deutschland dürfen.
Gesichtsverschleierung finde ich persönlich ganz schrecklich. Einmal wg. s. o., und außerdem möchte ich das Gesicht meiner Gegenüber sehen. Mimik ist Bestandteil der Kommunikation.

aleanjre
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So 14. Aug 2016, 01:00 - Beitrag #3

Mir sind einmal in München 3 Frauen in Burka begegnet, also selbst die Augen waren "hinter Gittern". Die drei Damen trabten laut und fröhlich schwatzend hinter einem einzelnen jungen Mann her, alle vier besuchten das Deutsche Museum. Jede hatte eine elegante, sichtbar teuere Handtasche am Gelenk, eine tippte mit lackierten langen Fingernägeln auf einem sehr teuer aussehenden Handy herum und sie trugen Riemchensandalen, die vermutlich mehr gekostet haben als ich in einem halben Jahr verdiene. Sie wirkten in ihrer Körperhaltung und mit ihren Stimmen äußerst entspannt und achteten nicht weiter auf das klein und dick geratene Männchen, mit dem sie vermutlich alle drei verheiratet waren. Es war die erste und einzige Begegnung dieser Art und hinterließ in mir das Gefühl, dass ich weder Recht noch Qualifikation habe, ihr Leben be- oder gar verurteilen zu können. Diese 3 Damen mögen sich in der Öffentlichkeit verschleiern müssen, vermittelten mir aber trotzdem das Gefühl, das sie mit ihrer Lebenssituation zufrieden waren. Und dass das Kerlchen ihnen tatsächlich nicht gewachsen war.
Unterdrückung von Frauen lässt sich imho nicht an einem Kleidungsstück festmachen. Gesellschaftliche Entmachtung ist auch wieder etwas anderes als individuelle häusliche Gewalt.
Und genauso gefährlich wie all das ist Unwissenheit. Angst oder Phobie vor dem "Islam" entsteht durch Unwissen, Gerüchte, Halbwissen und Fehlableitungen von Beobachtungen. Das Burka-Dings ist nur ein Symptom davon.

Maglor
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So 14. Aug 2016, 18:26 - Beitrag #4

Wichtiger als die Begriffsverwirrung finde ich auch die zahlenmäßige Relevanz und des fehlenden Zusammenhangs zum Thema fehlende Integration von Migranten und Flüchtlingen.
Bei den in Deutschland anzutreffenden Damen in Vollverschleierung scheinen Touristinnen aus den Golfstaaten eine wichtige Rolle zu spielen. Auch aleanjras Sichtung klingt stark nach Touristinnen. (Sichtbare Hände sprechen im übrigen auch gegen die Burka im eigentlichen Sinne. Es gibt auch Formen der Nigab, die die Augen weitgehend verdecken.)

Ich selbst habe in der Straßenbahn einmal zwei Frauen mit schwarzer Vollverschleierung (Niqab) angetroffen. Sie unterhielten untereinander sich auf Deutsch. Aufgrund der Sprache und nicht zuletzt auch wegen der extremen Form der Verschleierung habe ich sie der stadtbekannten Konvertitenszene zugeordnet.
Die größte Ansammlung von vollverschleierten Frauen sah ich jedoch auf der Expo 2000 Hannover. In einer Art Völkerschau präsentierten sich jemenitische Frauen mit schwarzen Schleier und exotischer Gesichtsmaske. Jene naiven Tage sind jedoch lange vorbei.

Ich gehe davon aus, dass ein Großteil der vollverschleierten Frauen in Deutschland zu diesen beiden Gruppen (morgenländische Touristinnen und abendländische Sektiererinnnen) gezählt werden können.

Zitat von Feuerkopf:Zudem behindert Gesichtsverschleierung die Sicht auf die Welt. Autofahren geht damit z. B. gar nicht, obwohl die Frauen das in Deutschland dürfen.

Eine Folge der Vollverschleierung mit Burka ist, dass die Frau der Teilnahme Erwerbsleben vollständig ausgeschlossen ist. Nicht nur das Gesichtsfeld ist stark eingeschränkt, auch die Bewegung der Arme wird behindert. Mit ein Grund, warum die Burka in afghanischen Dörfern nie stark verbreitet war, ist, dass sie den Frauen die Feldarbeit unmöglich macht. Es handelt sich um eine Art Statussymbol paschtunischer Stadtbewohner, an dem man ablesen kann, dass diese Frau es nicht nötig hat zu arbeiten.
Im Diskurs spielen solche prophanen Symboliken jedoch keine Rolle. In der politischen Debatte wird die Verschleierung meist auf eine religiöse Symbolik reduziert, obwohl eine solche Symbolik eigentlich gar nicht existiert. Symbole gelten als Zeichen, genauer Erkennungszeichen. Tatsächlich ist die Verschleierung kein Erkennungszeichen für Musliminnen. Im Iran, Saudi-Arabien u.a. werden Formen der Verschleierung aufbauend auf den dortigen Gesetzen auch Nicht-Musliminnen abverlangt. Formen der Verschleierung werden auch in diversen orientalischen Christentümern und im orthodoxen Judentum praktiziert. Auf der anderen Seite praktiziert der Großteil der Musliminnen keine Form der Vollverschleierung, sodass von einer Symbolik im Sinne eines Erkennungszeichens des Islams gar keinen Sinn ergibt. Die einfarbige Vollverschleierung drückt vielmehr den Wunsch aus nichts auszudrücken.


Was die Debatte um ein Verbot der Vollverschleierung oder gar des einfachen Kopftuches geht, so bin aus einem einfachen Grund klar dagegen. Ein solches Verbot schließt Frauen eines bestimmten stark religiösen Spektrums aus dem öffentlichen Leben aus und fördert nur noch die Verfestigung einer Parallelgesellschaft und schließt jene Frauen von der Teilhabe an Bildung und Berufsleben kategorisch aus.
Im Kern der Debatte spielen vernünftige Argumente jedoch gar keine Rolle. Es geht gar nicht um Feminismus, das Grundgesetz oder innere Sicherheit. Es geht darum, es den Musliminnen heimzuzahlen.
Zitat von Bayern Wirtschaftsministierin Ilse Aigner:Als ich in den Iran gereist bin, habe ich die Gebote des Landes befolgt und ein Kopftuch getragen. Ebenso erwarte ich von Frauen aus dem arabischen Raum, dass sie hierzulande auf die Vollverschleierung verzichten. Solche Gesetze gelten nicht nur für Menschen mit deutscher Staatsangehörigkeit. Welt

Die Totalität der Islamischen Republik ist jetzt also das Vorbild für die Bundesrepublik. :crazy:

Lykurg
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Mo 15. Aug 2016, 13:06 - Beitrag #5

Zitat von Maglor:Ich gehe davon aus, dass ein Großteil der vollverschleierten Frauen in Deutschland zu diesen beiden Gruppen (morgenländische Touristinnen und abendländische Sektiererinnnen) gezählt werden können.
Möglicherweise auch ein paar Crossdresser...?

Aber ja, aleanjres Sichtung finde ich auch kurios - die sichtbaren Riemchensandälchen genauso wie die Hände/Fingernägel. Sehr anschaulich beschrieben übrigens! :)
Und natürlich ist schön, daß sie mit ihrer Situation augenscheinlich^^ so zufrieden waren - wobei andererseits die Frage sich aufdrängt, inwieweit ein solches Kerlchen gleich drei lebenslustige Frauen verdient hat, die da hinter ihm herlaufen - gleich wie gut sie sich mit der Lage arrangieren und inwieweit das Hinterherlaufen auch eine Formalie sein mag. Aber auch wenn man Lebensumstände fremder Kulturen nicht für sich als wunschgemäß sieht, kann man natürlich nicht für diejenigen sprechen, die sich darin befinden.

Darüber hinaus ist Maglors Argument des Ausschlusses aus der Öffentlichkeit gewichtig, auch ganz abgesehen von den Umständen und Beweggründen, unter und aus denen der Ruf nach Verboten laut wird. So gesehen also - ja, es wäre schöner, wenn sie hier nicht damit herumliefen, aber wenn sie es tatsächlich selbst wollen...

aleanjre
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Mo 15. Aug 2016, 15:19 - Beitrag #6

Ich denke schon, dass es Burkas waren ... Die Riemchensandalen konnte man nur sehen, wenn sie Treppen gestiegen sind und das Teil dafür raffen mussten und die Nägel kamen zum Vorschein, als die betreffende Dame ihren Handschuh ausgezogen hat, um besser auf dem Handy herumtippen zu können. Sie sind mir im Museum immer mal wieder über die Füße gelaufen, trotz der Weitläufigkeit dort, dadurch hatte ich sie mehr als einmal im Blick.
Ja, es waren sicherlich Touristinnen und nein, keiner der vier sah aus, als wäre harte körperliche Arbeit ein Thema, das sie je in ihrem Leben beschäftigt hat. Ob das Männchen es "verdient" hat, gleich drei Prachweiber sein Eigen nennen zu dürfen, sei dahingestellt. Und das "so" das Leben der durchschnittlichen Muslimin in radikal-diktatorisch regierten Ländern nicht aussieht, ist auch keine Frage.
Es ist einfach so lächerlich - in Ländern, wo Burkas oder sagen wir mal "Vollverschleierung" Pflichtprogramm ist, werden die Frauen zu Tode gepeitscht, sollten sie die Dinger nicht tragen. Kommen sie hierher, dann selten ohne männliche Begleitung. Warum sollte man ihnen das verbieten, was für ihr bisheriges Leben eine Überlebensnotwendigkeit war? Es muss erst einmal im Kopf ankommen, dass sie nicht gleich mit Gefängnis, Tod und Folter rechnen müssen, sollten sie eine einzelne Haarspitze zeigen. Umgekehrt droht europäischen Frauen Schlimmes, wenn sie in solche Länder reisen und sich nicht ebenfalls verhüllen. Es ist also kein Tribut an Landesgepflogenheiten, sondern Selbstschutz, sich anzupassen. Wer das nicht kapiert, soll gefälligst zu Hause bleiben ... Und verstehen, dass "Freiheit" ein Konstrukt ist, das in Köpfen zusammengebastelt wird. Wie leicht ist es, "Freiheit" und "Gleichheit" zu fordern und wie schwer, es auch zu leben.

Feuerkopf
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Mi 17. Aug 2016, 07:33 - Beitrag #7

Vielleicht war "das Kerlchen" auch nur ihr Anstandswauwau. :cool: Btw, unsere deutsche Bauleiterin musste in Saudi-Arabien zwar so ein schwarzes Ganzkörperdingsbums tragen (das sie schon im Flieger anlegen musste), unter dem sie zudem schwitzte wie verrückt, aber das Gesicht durfte frei bleiben. Sah unfreiwillig komisch aus, so mit Bauhelm...

Ich frage mich, welches Selbstbild haben Männer, die von ihren Frauen verlangen, sich komplett zu verbergen.

Lykurg
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Mi 17. Aug 2016, 08:55 - Beitrag #8

Zitat von Feuerkopf:Ich frage mich, welches Selbstbild haben Männer, die von ihren Frauen verlangen, sich komplett zu verbergen.
"Ich bin nicht das Problem, aber alle anderen!"

Aber ja, aleanjre - genau so sehe ich das auch.

Maglor
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Di 23. Aug 2016, 23:45 - Beitrag #9

Die Thematik ist wirklich voller Märchen. Das neuste Märchen baut auf einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts Osnabrück auf.

Einer Schülerin wurde der Besuch eines Abendgymnasiums in Vollverschleierung untersagt. Sie klagte vor dem Verwaltungsgericht.
Zitat von taz:Das Verwaltungsgericht entschied gegen die Schülerin, die ihrer Schule gegenüber zwar zugestimmt hatte, sich vor dem Unterricht von einer weiblichen Lehrkraft identifizieren zu lassen, aber nicht auf den Niqab verzichten wollte. Sie war zur Verhandlung wegen des Medieninteresses nicht erschienen.

Sie habe den Konflikt, in den sie geriete, wenn sie den Niqab nicht tragen könne, schriftlich nicht ausreichend dargelegt, sagte ein Gerichtssprecher. Deshalb entschied das Gericht gegen sie. „Mit der Diskussion um ein Burka-Verbot hat das nichts zu tun.“ taz

Das Verwaltungsgericht Osnabrück entschied jedoch gar nicht in der Sache!
Die unzureichende Beteiligung am schriftlichen Vorverfahren und das Fernbleiben der Klägerin beim Gerichtstermin führten zu dieser Entscheidung des Gerichts!
Eine Entscheidung in der Sache, ob ein Verbot der Vollverschleierung für Schülerinnen zulässig ist oder nicht, wurde aus formellen Gründen gar nicht getroffen, aber das will niemand hören.

Entsprechend dem Zeitgeist stimmt die Überschrift des Zeitungsartikels natürlich nicht mit dem Inhalt überein: "Eine Abendschule in Osnabrück hat eine Schülerin mit Niqab rausgeworfen. Das örtliche Verwaltungsgericht findet die Entscheidung richtig."
Nein, nein und nochmals nein. Das örtliche Verwaltungsgericht findet, dass die Klägerin ihre Klage nicht begründet hat! Versäumnisurteile sind übrigens keine Geschmacksurteile. :crazy:

Weniger beachtet wurden die Gründe für ihr Scheitern vor Gericht. Offenbar fühlte sie sich durch das öffentliche Interesse so sehr eingeschüchtert, dass sie den Verhandlungstermin sausen ließ. Supersache: Die Hetze gegen die Burka war also erfolgreich und führt tatsächlich zur Einschüchterung ihrer Trägerinnen! :crazy:
Die Schülerin stammte übrigens aus dem ehemaligen Jugoslawien. Dort hat Vollverschleierung keine Tradition. Der Schluss liegt nahe, dass der Hintergrund ihrer Vollverschleierung eine Hinwendung zu einer speziellen Richtung des Islams ist. Des weiteren ist zu beachten, dass dieser Prozess, der üblicherweise als "Radikalisierung" bezeichnet wird, wahrscheinlich in Deutschland stattfand.

Feuerkopf
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Mi 24. Aug 2016, 06:45 - Beitrag #10

Dieser Artikel aus der Online-Version des SPIEGEL formuliert in etwa mein Unbehagen:
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/burka-warum-das-verbot-nicht-nur-ein-thema-der-union-sein-darf-a-1108922.html

Maglor
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Mi 24. Aug 2016, 11:41 - Beitrag #11

Ich habe den verlinkten Kommentar bei Spiegel-Online gestern gelesen. Die drei genannten populären Argumente gegen ein Burka-Verbot werden dort mehr oder weniger widerlegt, aber es fehlen mir schlicht die Argumente für ein Verbot.

Die Burka wirkt verstörend. Das trifft meiner Meinung auch auf gedehnte Ohrläppchen, Oberflächenpiercings und künstliche Fingernägel zu. Für die Einschränkung von Grundrechten reicht aber ein derartiges Geschmacksurteil oder Unbehagen meiner Meinung nach nicht einmal im Ansatz aus.

Zitat von Spiegel:Gesellschaftliche und soziale Teilhabe, Interaktion - ja Integration - sind unter dem Stoff kaum vorstellbar.

Das ist eine selbsterfüllende Prophezeiung. Der Verbotsdiskurs verhindet die soziale Teilhabe.

Zitat von Spiegel:Weil aber kaum jemand Zweifel daran hat, dass die meisten Frauen Burka oder Nikab eben nicht aus eigener Entscheidung tragen, und der Gegenbeweis nicht verlässlich angetreten werden kann, könnte man mit einem Verbot eben jenen Frauen, die die Vollverschleierung als Ausdruck der Selbstbestimmung postulieren, signalisieren: Deutschland ist dann vielleicht nicht das Land, in dem ihr leben solltet. Auch dann nicht, wenn ihr Deutsche seid.

Am Ende geht es also doch nur um Ausgrenzung. :|

Feuerkopf
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Mi 24. Aug 2016, 22:12 - Beitrag #12

Letztlich geht es um gedeihliches Miteinander. Wenn in einer Kultur Usus ist, sich ins Gesicht zu schauen, weil Kommunikation als Kombination von Wort und Mimik begriffen wird, dann geht die eigene Freiheit nur so weit, bis sie die Freiheit anderer behindert, finde ich. Es gilt als unhöflich, die Sonnenbrille im Gespräch aufzubehalten, weil man die Augen des anderen nicht sehen kann. Es gibt Regeln, nicht unbedingt Gesetze, die common sense sind und zum Leben hier dazu gehören. Ich fühle mich unwohl, wenn mein Gegenüber nicht sein Gesicht zeigt, ob Frau oder Mann, weil ich eben Kommunikation wie oben beschrieben begreife.
Die Religion als Begründung zieht hier nicht mal, denn es gibt kein generelles Verschleierungsgebot im Islam.

Maglor
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Do 25. Aug 2016, 19:47 - Beitrag #13

Zitat von Feuerkopf:Die Religion als Begründung zieht hier nicht mal, denn es gibt kein generelles Verschleierungsgebot im Islam.

Selbst wenn deine Fatwa generelle Anerkennung finden würde, verkennst du, dass es auch um das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit geht.

Endlich: Bei Bento kommen deutsche Niqab-Trägerinnen zu Wort!
Ich trage den Niqab, seitdem ich 17 bin. Ich mag die Vorstellung, selbst zu bestimmen, wer was von meinem Körper sehen kann.

Ich kann nicht verstehen, warum Menschen nur Wert auf das Äußere legen: Wer trägt die schönsten und teuersten Kleider? Wer besitzt die schönsten Schuhe? Der Fernseher sagt uns, was die neuste Mode ist und wir laufen direkt ins nächste Kaufhaus, um sie uns zu holen. Ich will das alles nicht. Ich will nicht, wie die ganzen Frauen auf der Straße sein. Alle sehen gleich aus, keinen interessiert es, was eine Person ausmacht.

Ich liebe den Niqab schon lange. In meinen Augen sieht er edel und wertvoll aus. Mit ihm fühle ich mich wie eine Perle in ihrer Muschel. Das ist natürlich nur ein Aspekt: Mir geht es um die Liebe zu Gott. Ich will ihm noch näher sein, und die Bedeckung ist ein Dienst an ihm. Mit dem Niqab fühle ich mich sicher und behütet.

Natürlich muss man sich viele Beleidigungen anhören. Von "Geh zurück in dein Land" bis "Terrorbraut" ist alles dabei. Einmal versuchte eine Frau mir mitten in Stuttgart, den Niqab vom Gesicht zu reißen. Niemand griff ein. Ich wurde des Öfteren angespuckt, ein Mann warf einmal eine Flasche nach mir.

Aber all diese Blicke und Angriffe können mir die Liebe zum Schleier nicht nehmen. Ich bin stolz darauf, mich zu verschleiern.

Feuerkopf
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Fr 26. Aug 2016, 06:54 - Beitrag #14

Maglor, was ist mit meiner freien Entfaltung? Ich fühle mich milde gesagt verunsichert, wenn ich mit jemandem kommunizieren soll, bei dem ich bestenfalls die Augen sehe.
Zusammenleben ist das Resultat von Kompromissen. Die können aber nie einseitig sein.
Die Argumente der jungen Frau sind nur auf sich selbst bezogen. Sie beklagt, angegriffen zu werden, also Opfer von Intoleranz zu sein. Sie verschwendet aber keinen Gedanken daran, was ein verdecktes Gesicht für eine Wirkung auf andere haben kann. Ich empfinde Vollverschleierung als zumindest verstörend, kann das aber noch irgendwie rationalisieren. Nein, ich mag es überhaupt nicht, um ehrlich zu sein. Mit der Geschichte der Frauenbewegung im Hinterkopf (irgendwann mal das Korsett wegwerfen, Hosen und Badeanzug tragen zu dürfen, das mussten Frauen erkämpfen, das war nicht selbstverständlich!) ist es mir zutiefst suspekt, wenn Menschen einer Ideologie folgen, die so extreme Einschränkungen mit sich bringt.

Maglor
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Fr 26. Aug 2016, 14:36 - Beitrag #15

Jeder Mann, der beim Beten oder Weissagen eine Kopfbedeckung trägt, entehrt sein Oberhaupt. Und jede Frau, die ihren Kopf beim Beten oder Weissagen nicht verhüllt, entehrt ihr Oberhaupt, denn das wäre so, als ob sie kahl geschoren herumliefe. Wenn eine Frau sich also nicht verhüllt, kann sie sich auch gleich die Haare abschneiden lassen. Wenn es für sie aber entehrend ist, das Haar abgeschnitten oder den Kopf rasiert zu bekommen wie ein Mann, dann soll sie sich verhüllen. Der Mann freilich darf sich den Kopf nicht verhüllen, denn er ist Gottes Abbild und spiegelt seine Herrlichkeit wider. In der Frau spiegelt sich die Herrlichkeit des Mannes. Denn der Mann stammt nicht von der Frau, sondern die Frau vom Mann; denn der Mann wurde ja nicht für die Frau geschaffen, sondern die Frau für den Mann. Deshalb soll eine Frau mit Rücksicht auf die Engel das Zeichen ihrer Vollmacht auf dem Kopf tragen.

Milena
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Fr 26. Aug 2016, 14:45 - Beitrag #16

..da kommt mir irgendwie doch glatt die galle hoch....
kann ernsthaft nicht glauben, dass es menschen gibt, die ernsthaft an so was glauben :crazy:

Feuerkopf
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Sa 27. Aug 2016, 14:12 - Beitrag #17

Das Schöne ist ja, wir leben in einem überwiegend säkulären Staat. Wir müssen uns nicht an solche Regeln halten. :pro:

Ipsissimus
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Sa 27. Aug 2016, 22:12 - Beitrag #18

Wir müssen uns nicht an solche Regeln halten.

Wir tun aber auch nichts dagegen, dass wenigstens zwei große und mehrere kleinere Organisationen, die bei uns zugelassen sind, derartige Thesen in ihren Grundlagentexten vertreten^^ ich bin besorgt^^

Maglor
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Mo 29. Aug 2016, 17:19 - Beitrag #19

Für alle, die es nicht bemerkt haben:
Beitrag #15 ist ein Zitat aus dem Neuen Testament: 1. Korinther 11.4-10
:crazy:

e-noon
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Mo 29. Aug 2016, 19:56 - Beitrag #20

Maglor, was ist mit meiner freien Entfaltung? Ich fühle mich milde gesagt verunsichert, wenn ich mit jemandem kommunizieren soll, bei dem ich bestenfalls die Augen sehe. Zusammenleben ist das Resultat von Kompromissen. Die können aber nie einseitig sein.

Bei allem Respekt für dieses Unbehagen, das ich verstehe und teile - wenn Unbehagen Grund wäre, die Freiheit anderer einzuschränken, könnten wir unsere Grundrechte gleich über Bord werfen. Der eine würde dann Unbehagen bei schwarzen oder bärtigen Männern anmelden, der andere bei Burkas, ein Dritter bei stark tätowierten Leuten mit Ohrlöchern epischen Ausmaßes, einige bei Frauen, andere bei Männern, ich persönlich bei Kindern. Menschen haben Selbstbestimmungsrechte, die unveräußerlich sind und ihre Grenzen nur in den Rechten (nicht den persönlichen Vorlieben und Abneigungen) Anderer finden.

Burkas machen (zurecht) Angst. Die enge Verbindung zur Frauenunterdrückung, zur Fanatisierung und zum Terrorismus lässt es nicht rein zufällig erscheinen, dass eine Burka deutlich mehr Angst macht als z.B. ein Bärenkostüm, eine Capirote (http://www.barrymead-photography.com/fi ... pirote.jpg) oder ein Imkeranzug. Es gibt auch viele Schwierigkeiten im sozialen Miteinander, wenn man Burka trägt, keine Frage. Aber alles, was Angst macht oder anders ist, zu verbieten, ist ja gerade der Teil vieler nicht-demokratischer Staaten, von dem wir uns distanzieren wollen.

Ich wäre froh, wenn das Burkatragen der Vergangenheit angehörte. Dennoch bin ich gegen ein Burkaverbot. Das Verbot ist sowohl illegitim als auch kontraproduktiv. Illegitim deswegen, da wie oben geschrieben dem Verbot der Selbstentfaltung kein ähnlich hoher Wert gegenübersteht, der dadurch geschützt werden würde. 'Schutz vor unangenehmen Gefühlen' ist kein Grundrecht. Ich sehe auch keinen anderen Wert, der dadurch beeinträchtigt würde, dass wie von aleanjre beschrieben drei verschleierte Damen hinter einem Mann durchs Museum wandeln.
Kontraproduktiv ist es aus den von Maglor beschriebenen Gründen. Die wenigsten Frauen werden hier zur Burka gezwungen, nehme ich stark an (schwer nachzuprüfen). Wer sein Gesicht verschleiert, ist entweder Teenager und will auffallen oder sich Blicken entziehen, kommt von außerhalb, oder ist radikalisiert. In allen drei Fällen ist ein Verbot nicht hilfreich, was die dahinterliegenden Motive angeht. Der Teenager freut sich vielleicht über die zusätzliche Aufmerksamkeit des Verbots oder fühlt sich bestätigt in seiner überlegenen Kleidungsweise. Ausländische Besucher fühlen sich ausgegrenzt und gehen nach Hause mit der gefestigten Überzeugung, dass man dann auch im Heimatland Besuchern die eigenen Bräuche aufzwingen darf. Radikalisierte können nicht am öffentlichen Leben teilnehmen, verlieren dadurch vielleicht die letzte Möglichkeit zur Relativierung ihrer Ansichten und fühlen sich noch als Märtyrer und in ihrem Feindbild bestätigt. Auch gemäßigtere Muslime können sich durch das Burkaverbot getroffen fühlen.

Zwei Ausnahmen sehe ich, die das Burkaverbot in eingeschränkten Bereichen rechtfertigen. Zum einen der Jugendschutz: Schulkinder dürfen keine Burkas tragen, da zu erwarten ist, dass sie dadurch in vielen insbesondere sozialen Bereichen eingeschränkt werden. Das gilt ja im Übrigen für viele Arten der Bekleidung und ist keine spezifische Diskriminierung. Und Vertreter öffentlicher Stellen sollten in ihrer Stellung als Vertreter keine Burka tragen dürfen (Arbeitgeber haben ja vermutlich ohnehin eine Art Weisungsrecht bezüglich Dresscodes).

Richtig schwierig (aber auch in gewisser Hinsicht leichter) wird es erst, wenn Burkas wie in einigen Ländern vermehrt als Tarnung von terroristischen Akten genutzt werden. Dann kann man sie mit Hinweis auf die öffentliche Sicherheit verbieten und schauen, ob das was bringt - wahrscheinlich eher nicht.

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