Maglor, was ist mit meiner freien Entfaltung? Ich fühle mich milde gesagt verunsichert, wenn ich mit jemandem kommunizieren soll, bei dem ich bestenfalls die Augen sehe. Zusammenleben ist das Resultat von Kompromissen. Die können aber nie einseitig sein.
Bei allem Respekt für dieses Unbehagen, das ich verstehe und teile - wenn Unbehagen Grund wäre, die Freiheit anderer einzuschränken, könnten wir unsere Grundrechte gleich über Bord werfen. Der eine würde dann Unbehagen bei schwarzen oder bärtigen Männern anmelden, der andere bei Burkas, ein Dritter bei stark tätowierten Leuten mit Ohrlöchern epischen Ausmaßes, einige bei Frauen, andere bei Männern, ich persönlich bei Kindern. Menschen haben Selbstbestimmungsrechte, die unveräußerlich sind und ihre Grenzen nur in den Rechten (nicht den persönlichen Vorlieben und Abneigungen) Anderer finden.
Burkas machen (zurecht) Angst. Die enge Verbindung zur Frauenunterdrückung, zur Fanatisierung und zum Terrorismus lässt es nicht rein zufällig erscheinen, dass eine Burka deutlich mehr Angst macht als z.B. ein Bärenkostüm, eine Capirote (
http://www.barrymead-photography.com/fi ... pirote.jpg) oder ein Imkeranzug. Es gibt auch viele Schwierigkeiten im sozialen Miteinander, wenn man Burka trägt, keine Frage. Aber alles, was Angst macht oder anders ist, zu verbieten, ist ja gerade der Teil vieler nicht-demokratischer Staaten, von dem wir uns distanzieren wollen.
Ich wäre froh, wenn das Burkatragen der Vergangenheit angehörte. Dennoch bin ich gegen ein Burkaverbot. Das Verbot ist sowohl illegitim als auch kontraproduktiv. Illegitim deswegen, da wie oben geschrieben dem Verbot der Selbstentfaltung kein ähnlich hoher Wert gegenübersteht, der dadurch geschützt werden würde. 'Schutz vor unangenehmen Gefühlen' ist kein Grundrecht. Ich sehe auch keinen anderen Wert, der dadurch beeinträchtigt würde, dass wie von aleanjre beschrieben drei verschleierte Damen hinter einem Mann durchs Museum wandeln.
Kontraproduktiv ist es aus den von Maglor beschriebenen Gründen. Die wenigsten Frauen werden hier zur Burka gezwungen, nehme ich stark an (schwer nachzuprüfen). Wer sein Gesicht verschleiert, ist entweder Teenager und will auffallen oder sich Blicken entziehen, kommt von außerhalb, oder ist radikalisiert. In allen drei Fällen ist ein Verbot nicht hilfreich, was die dahinterliegenden Motive angeht. Der Teenager freut sich vielleicht über die zusätzliche Aufmerksamkeit des Verbots oder fühlt sich bestätigt in seiner überlegenen Kleidungsweise. Ausländische Besucher fühlen sich ausgegrenzt und gehen nach Hause mit der gefestigten Überzeugung, dass man dann auch im Heimatland Besuchern die eigenen Bräuche aufzwingen darf. Radikalisierte können nicht am öffentlichen Leben teilnehmen, verlieren dadurch vielleicht die letzte Möglichkeit zur Relativierung ihrer Ansichten und fühlen sich noch als Märtyrer und in ihrem Feindbild bestätigt. Auch gemäßigtere Muslime können sich durch das Burkaverbot getroffen fühlen.
Zwei Ausnahmen sehe ich, die das Burkaverbot in eingeschränkten Bereichen rechtfertigen. Zum einen der Jugendschutz: Schulkinder dürfen keine Burkas tragen, da zu erwarten ist, dass sie dadurch in vielen insbesondere sozialen Bereichen eingeschränkt werden. Das gilt ja im Übrigen für viele Arten der Bekleidung und ist keine spezifische Diskriminierung. Und Vertreter öffentlicher Stellen sollten in ihrer Stellung als Vertreter keine Burka tragen dürfen (Arbeitgeber haben ja vermutlich ohnehin eine Art Weisungsrecht bezüglich Dresscodes).
Richtig schwierig (aber auch in gewisser Hinsicht leichter) wird es erst, wenn Burkas wie in einigen Ländern vermehrt als Tarnung von terroristischen Akten genutzt werden. Dann kann man sie mit Hinweis auf die öffentliche Sicherheit verbieten und schauen, ob das was bringt - wahrscheinlich eher nicht.