Guantanamo - Quälerei oder Mittel zum Zweck?

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Wie beurteilt ihr die Behandlung auf Guantanoma Bay?

Eine grausame Quälerei
10
71%
notwendig
1
7%
eine gerechte Strafe
3
21%
eine zu lasche Behandlung
0
Keine Stimmen
 
Abstimmungen insgesamt : 14

Ipsissimus
Dämmerung
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Fr 3. Jan 2014, 15:13 - Beitrag #21

Na ja, ich weiß nicht, ob Guantanamo als Einrichtung der sozialen Fürsorge nicht doch etwas zu hoch bewertet wird. Es hat den Amerikanern nichts ausgemacht, diese Menschen zu brechen - soweit zu brechen, dass ihnen jetzt noch nicht mal mehr der Prozess gemacht werden kann - und jetzt schließen sie das Lager nicht, weil sie befürchten, den verbliebenen Opfern könne in deren Heimatländern noch Schlimmeres widerfahren?

Mir erscheint das besser damit erklärt, dass in Guantanamo die Kontrolle über den Informationsfluss von den Gefangenen zur Öffentlichkeit gewährleistet ist.

Malte279
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Fr 3. Jan 2014, 16:07 - Beitrag #22

Na ja, ich weiß nicht, ob Guantanamo als Einrichtung der sozialen Fürsorge nicht doch etwas zu hoch bewertet wird.
So wollte ich es auch auf gar keinen Fall werten. Ich hoffe ich habe keinen Zweifel an meiner grundsätzlichen Ansicht zu Guantanamo gelassen (u.a. als jeden rechtlichen Normen widersprechend und als große Schande besonders für ein Land, dass Anspruch erhebt Freiheit und Menschenrechte zu verteidigen) und glaube, dass unsere Haltungen da gar nicht so unterschiedlich sind.
Die Diskussion die ich aber anstoßen möchte ist nicht so sehr die um die Unrechtmäßigkeit dieses Lagers sondern darum was jetzt getan werden muss / soll / kann um diese Situation zu beenden.
Ein Prozess vor einem internationalen Gericht für die inhaftierten wäre wünschenswert (wenn auch kaum wahrscheinlich).
Gerade für diejenigen die ähnlich wie im Fall Murat Kurnaz zu unrecht einsaßen sollte die Möglichkeit geschaffen werden so schnell wie möglich die Haftbedingungen von Guantanamo hinter sich lassen zu können. Wo es dann aber hingeht, dass ist auch eine Frage die ebenso beantwortet werden muss wie die nach finanziellen Entschädigungen (von "wieder gut Machung" kann bei Jahren verlorenen Lebens und gegebenenfalls Folter schwerlich die Rede sein). Wie ist die Situation wenn die Heimatländer sich bei der Aufnahme ihrer Häftlinge quer stellen (wie Deutschland im Fall Kurnaz) oder wenn ihnen dort trotz Freispruch vor einem hypothetischen Internationalen Gericht wieder inhaftierung Folter oder Hinrichtung droht (ich möchte hier nochmals betonen, dass es mir nicht darum geht Guantanamo zu relativieren sondern nur darum dass diese Frage es wert ist angesprochen zu werden wenn eine solche Gefahr tatsächlich besteht)? Werden die Häftlinge selber eigentlich gefragt was sie im Falle einer Entlassung wollen? Haben einige von ihnen überhaupt eine Vorstellung davon wie ein Leben nach Guantanamo aussehen kann?
Last but not least kommt hinzu dass man die Insassen von Guantanamo nicht über einen kamm scheren darf und nicht so tun sollte als würde das einsitzen in diesem rechtsfreihen Raum und Schandfleck für die Demokratie jeden Insassen automatisch zu einem unschuldigen Opfer machen. Es ist übrigens das Fehlen der Differenzierung zwischen den Insassen und der Art der Behandlung die mich davon abhält in der Abstimmung zu wählen. Es gibt unter den Guantanamo Insassen diejenigen die mit großer Sicherheit auch vor einem internationalen Gerichtshof zu lebenslanger Haft oder ähnlichem verurteilt würden. Da eine solche Verhandlung aber erneut die (eigentlich schon längst bekannten) Folterungen in Guantanamo ins Licht der Öffentlichkeit rücken würden wird es zu einem solchen Prozess wohl nicht kommen.
Was sind eure Meinungen dazu was geschehen sollte um dieses Lager schließen zu können bzw. an diejenigen die der Ansicht sind, dass dies nicht geschehen sollte, was sind eure Ansichten dazu was getan bzw. nicht getan sollte?

Maglor
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Sa 4. Jan 2014, 00:17 - Beitrag #23

Egal ob ein internationales Gericht oder nicht. Das eigentliche Problem ist, dass erst gar keine Prozesse geführt wurden - auch nicht vor amerikanischen Gericht und vor den Militärtribunalen höchstens im Schneckentempo.
Sie stellen irgendwann fest, dass sie die Leute nicht mehr gebrauchen können bzw. nicht länger festhalten wollen. Dann versuchen sie die Gefangene an irgendwelche Länder zu vermitteln bzw. in möglichst gute Hänge zu geben – ähnlich wie ein Tierheim. Sie machen dabei nicht deutlich, dass die Gefangenen unschuldig sind. Es gibt keine Urteile, kein öffentliche Beweisaufnahme oder gar ein Eingeständnis, dass es sich um willkürliche Verhaftungen oder ein Versehen gehandelt hat. Bekannt wird nur, dass eine weitere Inhaftierung nicht mehr zu rechtsfertigen ist – so nach 5 oder 10 Jahren. Weiteres bleibt geheim. Von daher spricht eigentlich nichts dagegen, dass den ehemaligen Guantanamo-Häftlingen in der Heimat der Prozess gemacht wird - irgendeiner muss ja mal das Gericht einschalten.

Im Fall Murat Kurnaz wurde von der US-Justiz auch nur festgestelllt, dass es für die weitere Inhaftierung keine formelle Grundlage gab. Die Sachlage, etwa z. B. ob z. B. Mitglied einer terroristischen Vereinigung etc. ist, wurde durch die US-Justiz nie überprüft. Murat Kurnaz wurde nie freigesprochen. Murat Kurnaz wurde gefesselt von Guantanamo nach Ramstein ausgeflogen. Er hat Kuba nicht als freier Mann verlassen, sondern als Gefangener – womöglichmit den gleichen Fesseln, im gleichen Flugzeug. In Deutschland ermittelte anschließend die Staatsanwaltschaft Bremen gegen Kurnaz, stellte das Verfahren aber ein.

Guantanamo kann nie Mittel zum Zweck gewesen. Die Gefangenen, gegen die ernst zunehmender "Terrorverdacht" besteht und die nicht einfach willkürlich verhaftet wurden, sind erst sehr spät in Guantanomo gelandet. Zuvor wurde sie zum Teil jahrelang in amerikanischen Geheimgefängnissen im befreundeten Ausland besonders behandelt. Frische Informationen können bei Verhören im Endlager gar nicht mehr herausgekommen sein.
Der Unglückspilz Khaled Al Mazri, der wohl nur falschen Namen hatte, wurde auch nur nach Afghanistan verschleppt. Nach ein paar Monaten Isolationshaft und Folter im Geheimnisgefängnis wurde er wieder am Balkan ausgesetzt. Beim Casting für Guantanamo ist Khaled Al Mazri wohl anders als Kurnaz schon in der ersten Runde rausgeflogen.

Ipsissimus
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Sa 4. Jan 2014, 14:11 - Beitrag #24

was jetzt getan werden muss / soll / kann um diese Situation zu beenden


Das Problem bei dieser Frage ist ja gerade, dass sie nur machtrelativ beantwortet werden kann. "Eigentlich" - in einer ideal gerechten Welt - dürfte es Guantanamo als Einrichtung gar nicht geben, das war von Anfang an nur als Mittel zur Rechtsbeugung gedacht. Und sollte eine ideale Welt Guantanamo von ihrem weniger idealen Vorgänger geerbt haben, hätte der erste Akt darin bestehen müssen, das Lager aufzulösen und die Gefangenen in vernünftigen Unterkünften unterzubringen, bis über ihr weiteres Leben entschieden ist. Und dieser Entscheid hätte natürlich vor einem internationalen Gericht gefällt werden müssen.

Guantanamo war von Anfang an nicht auf Gerechtigkeit hin konzipiert, sondern auf eine krude Mischung von illegitimer Informationsgewinnung, Brechung und Verwahrung. Mit diesem Konzept ist die Mehrzahl der Amerikaner einverstanden - die Auflösung des Lagers müsste also nach innenpolitischen Maßgaben betrieben werden. Gleichzeitig ist die Mehrheit internationaler Partner demgegenüber gleichgültig - oder sagen wir: thematisieren Probleme von Menschenrecht und internationaler Gesetzgebung, die ihnen in Wirklichkeit egal sind, solange sie mit der Scheiße nichts zu tun haben müssen - die Auflösung des Lagers müsste also in milder Form nach außenpolitischen Maßgaben betrieben werden.

Kein Wunder, dass sich die sehr viel härteren innenpolitischen Maßgaben durchsetzen.

Es ist zweifellos richtig, dass in Guantanamo und anderen Lagern beileibe nicht nur freundliche Menschen behandelt werden. Aber auch unfreundliche Menschen haben ein Recht, gemäß Menschenrechtskonvention behandelt zu werden. Dummerweise ist diese Aussage immer noch machtrelativ, die Amerikaner haben schon oft genug demonstriert, was sie davon halten. Es ist wahrscheinlich für die relevanten Teile der amerikanischen Administration eine völlig akzeptable Geschichte, Guantanamo solange offen zu halten, bis dort der letzte Gefangene eines mehr oder weniger natürlichen Todes gestorben ist - und das ist es für die Regierungen anderer Staaten auch, sonst müssten sie nämlich die Nato aufkündigen und die diplomatischen und geschäftlichen Beziehungen zu den USA einstellen.

Falls - ein in Großbuchstaben fett, kursiv und in Neonfarben blinkendes "falls" - es der amerikanischen Administration doch irgendwann einmal ein Anliegen werden sollte, aus der Kiste raus zukommen, wird ihnen nicht viel mehr übrigbleiben, als entweder den Internationalen Gerichtshof zu beauftragen, oder die Gefangenen in den USA zu ver/entsorgen. Beides wäre eine Verlängerung der Ungerechtigkeit, weil die meisten Gefangenen schon viel mehr ertragen mussten, als in 50 Jahren einfachen Verwahrgefängnis. Ihre Strafe ist mit ihrer Behandlung längst entgolten. Falls es aber doch ein ernsthaftes Anliegen werden sollte, sehe ich darin die einzigen beiden Möglichkeiten.

Ich vermute aber, dass alle diese verbliebenen Gefangenen ein Blutopfer bleiben werden, das die USA und alle desinteressierten Staaten im Namen ihrer Auffassungen von nationaler Sicherheit und sonstigen Interessen zu bringen bereit sind. Es mag noch ein paar einzelne geben, die von der Schippe springen können, der große Anteil wird in Guantanamo sterben. Auf formal legitime oder formal illegitime Weise, zu Recht oder zu Unrecht - völlig gleichgültig. Diese Begriffe haben im Kontext ihren Sinn verloren.

Maglor
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Di 7. Jan 2014, 00:17 - Beitrag #25

Zitat von Ipsissimus:Es ist zweifellos richtig, dass in Guantanamo und anderen Lagern beileibe nicht nur freundliche Menschen behandelt werden. Aber auch unfreundliche Menschen haben ein Recht, gemäß Menschenrechtskonvention behandelt zu werden.

Eines der wesentliche Probleme ist auch die unfreundlichen Menschen in Guantanomo größtenteils sich keiner Verbrechen schuldig gemacht haben, über die die USA richten dürfte. Es gibt höchstens ein dutzend Gefangene, die wirklich mit der Planung von Anschlägen in den USA etwas zu tun haben. All die anderen, die wirklich auf Seiten der Taliban, gegen die USA gekämpft haben, haben eigentlich nichts verbotenes gemacht. Sie kämpften im Krieg das ist alles.

Die US-Regierung hat schnell den Entschluss gefasst, diese Leute nicht als Kriegsgefangene zu behandeln. Sie gaben ihnen den "Status" ungesetzlicher Kombatant und nahmen ihnen somit die Rechte eines Kriegsgefangenen. Gleichzeitig wollte man sie aber nicht zu gewöhnlichen Kriminellen, sondern eine Art Sonderjustiz mit den Militärtriubnalen errichten.

Im Nachhinein stellte sich aber heraus, dass dies nach amerikanischen Recht unzulässig ist und man den Gefangenen nicht den Zugang zur gewöhnlichen Juszit verwehren durfte. So besteht inzwischen die Gefahr (oder eher die Sicherheit), dass Urteile der Militärtribunale durch die zivile Gerichtsbarkeit aufgehoben werden.

z. B.
"Ein US-Berufungsgericht hat die Verurteilung eines Helfers von Terrorchef Osama Bin Laden aufgehoben. Salim Hamdan war als Kriegsverbrecher schuldig gesprochen worden - zu Unrecht, da zur Tatzeit die "materielle Unterstützung von Terrorismus" noch kein Kriegsverbrechen war." Spiegel


Salim Hamdan wurde Ende 2001 gefangen genommen. Der Choffeur wurde wegen seiner Fahrten für Osama bin Laden 2008 vom Militärtribunal als Kriegsverbrecher zum 5 1/2 Haft verurteilt und anschließend in den Jemen abgeschoben, wo er nur weitere 2 Monate in Haft blieb. Eigentlich hatten die USA gedacht, dass die jemenitischen Behörden den Familienvater für immer festhielten, seitdem wurde zumindest keine Häftlinge mehr in den Jemen abgeschoben. Die 2012 wurde das Urteil vom Berufungsgericht wegen non poena sine legis aufgehoben - also Freispruch.

Es war eines der ersten Verfahren, dass durchgeführt wurde - quasi als Test. Das System dieser Sondergerichtsbareit ist durchgefallen. Man hatte gehofft, dass Salim Hamdan schon vom Militärgericht zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilt wird, aber der Freispruch in der Berufung setzt der Sache natürlich die Krone auf.
Salim Hamdan ggehörte zum dirketen Umfeld Osama bin Laden. Er wusste sehr wohl, dass er bei einem gesuchten Top-Terroristen angestellt war, denn er schon früh Jihadist und kam bereits in in den 90ern zu Al Kaida nach Afghanistan, wo er als Kämpfer ausgebildet wurde. Erst später wählte er den harmlosen Job des Choffeurs.
Das ist es wohl das naheliegendste, die wichtigen Prozesse so lange in die Länge zu ziehen, bis die Angeklagten ins Gras gebissen haben und sich die Sache von selbst erledigt hat.

Lykurg
[ohne Titel]
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Di 1. Apr 2014, 13:58 - Beitrag #26

Zitat von Malte279:Im Zusammenhang mit Guantanamo wurde von Befürwortern oft argumentiert, dass durch die hier gewonennen Informationen Anschläge verhindert worden seien. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass dies wahr ist aber die Behauptung bleibt nicht nachprüfbar.
Wie ein aktueller Bericht im Spiegel zeigt, wurde seitens der CIA systematisch die Bedeutung von unter Folter erlangten Informationen überhöht, um Foltermethoden zu rechtfertigen. Der neue Bericht des US-Geheimdienstausschusses, der die entsprechenden Vorwürfe erhebt, dürfte es in sich haben. Das ist im Zweifel auch auf das System Guantanamo anwendbar - und bestätigt so gesehen die schwärzesten Annahmen.
Zitat von SpOn:In dem Bericht heißt es der [Washington Post] zufolge, dass die CIA ihr [Folter-]Programm mehrfach sowohl gegenüber dem Justizministerium als auch dem Kongress gegenüber so dargestellt habe, dass damit einzigartige, ansonsten nicht zu erzielende Informationen erhalten würden. Diese sollten dabei helfen, angebliche Terrorpläne zu vereiteln und Tausende Leben zu retten. Die Zeitung zitiert einen US-Beamten, der den Bericht gelesen hat, mit der Frage: "Und war das so? Nein."

Zudem sollen sich Agenten den Erfolg für wichtige Informationen zugeschrieben haben, die allerdings Inhaftierte schon längst vorher zugegeben hatten.

Maglor
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Do 3. Apr 2014, 21:18 - Beitrag #27

Der Sinn der Geheimgefängnisse in Thailand, Afghanistan oder Rumänien mag ja noch ersichtlich sein, kann aber Guantanamo als das öffentliche Lager nicht erklären. Die wichtigen Verhöre der wichtigen Gefangenen fand in Geheimgefängnissen statt. In Guantanomo lief nur die Show.
Was in Geheimgefängnissen passiert soll niemand erfahren. Blöde ist es natürlich, wenn die Privatfotos der Gefängniswärter von Abu Graib an die Öffentlichkeit gelangen. Die Fotos aus Guantanamo waren jedoch für die Öffentlichkeit bestimmt. Die Bilde hatte ihre Wirkung im Inland wie im Ausland.

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