Sprachverfall

Seiet gegrüsst, werte Edelmänner, die ihr unter meinem vorwaldten Einfluss stehet.
So redete man in etwa vor 300-400 Jahren. Keine Sau würde auf die Idee kommen, sowas raushängen zu lassen (ausser er spielt Theater). Die Sprache hat sich seitdem radikal verändert, sowohl im lautlichen als auch im lexikalischen und morphosyntaktischen Bereich.
Jetzt schliesse ich den Bogen: warum zum Henker machen dann einige Leute so einen Aufstand, wenn sie Anglizismen hören oder (in ihren Augen) unkorrekte Grammatik v.a. bei jüngeren Sprechern?
Anlass dazu war, dass ich gehört habe, dass ein Arbeitgeber jemanden nicht eingestellt hatte, weil der dummerweise Posts von diesem gelesen hatte, die nicht gerade durch "richtigen" Sprachgebrauch glänzten. Ihr seht schon an meiner Wortwahl und den Satzzeichen, dass ich den Begriff "richtig" jetzt gleich relativieren werde.
Was ist denn richtiger Sprachgebrauch?
Gehen wir mal auf das erste Argument ein, die Anglizismen. Es gibt ja Leute, die interpretieren "ich habe gesurft" bereits als Pidgin-Auswüchse. Naja, mal abgesehen davon, dass diese Leute scheinbar gar nicht wissen, was Pidgin ist... Lehnwörter (lautlich und grammatikalisch angepasst wie das obige Beispiel) und Lehnprägungen, die vom Bedeutungsgehalte her in wortwörtlicher Art her übertragen werden, sehe ich zunächst mal als Sprachbereicherung. Wenn man sich ansieht, wo Lehnwörter eine Presche schlagen, so sind das Bereiche, wo es oftmals kein adäquates deutsches Pendant gibt. Aber auch Wörter, die neben deutsche Wörter treten, sind zunächst einmal ein Zuwachs am Lexikon. Warum wird das als Fremdkörper gesehen? Sehen wir uns das Englische an: es hat seinen Erfolg dadurch zu verdanken, dass es Ausdrücke aus anderen Sprachen wie ein Schwamm aufsaugt (75% seines Lexikons sind wortgschlichtlich in romanischen Sprachen verwurzelt!!!). Keiner von uns käme auf die Idee zu sagen, das Englische wäre eine vom Spanischen, Französischen und Italienischen verhunzte Sprache oder? Wir empfinden den englischen Wortschatz als englisch, obwohl er es eigentlich gar nicht ist. Und den Engländern und Amis fällt das auch net auf, genausowenig wie künftige Generationen die Anglizismen als Fremdkörper im Deutschen ansehen werden, wahrscheinlich sogar nicht mal mehr als aus dem englischen stammend erkennen. Tja, nun stellt sich die Frage, ob man den deutschen Wortschatz besonders schützen soll. Gegenfrage: verwendet heute noch jemand den Ausdruck "vorwaldten"? Die Konsequenz einer konservatorischen Sprachpolitik wäre nur, dass sich Archaismen beilden, die gesprochene Sprache, die man nicht diktieren kann, sich noch weiter von der Schriftnorm wegentwickelt und somit der Bezug zum Deutschen mehr als vorher verloren geht. Eigentor! Lassen wir die Sprache entwickeln, sie hat uns immer ein ökonmisches Verständigungsmittel bereitgestellt.
Genauso kann man auch für die Veränderungen in der Grammatik argumentieren. Sprache tendiert dazu, sich zu vereinfachen, denn Basis der Sprache ist nicht die Schrift, sondern der alltägliche Gebrauch, und da ist Zeit bekanntlich Geld. Ist es schlimm, wenn der Konjunktiv langsam verloren geht, wenn sich Imperfekt und Perfekt immer mehr mischen? Wenn man anstelle des Konjunktiv Imperfekts eine eigentlich falsche Kondizionalform setzt ("ich würde backen" statt "ich büke"). Ist doch gut, das eliminiert unregelmässige Formen und macht die Sprache nicht nur für Ausländer leichter verwendbar. Das Englische hatte früher auch eine reiche Flexion und ist auch deshalb so erfolgreich, weil es durch Vereinfachungen leichter in richtiger Weise zu verwenden ist. Da würde auch niemand auf die Idee kommen, und das Englische als Pidgin oder sonstwas zu bezeichnen. Ich weiss auch gar nicht, wie manche Leute auf die Idee kommen, Sprache würde immer gleich bleiben. Wenn dem so wäre, gäb's überhaupt kein Deutsch.
Und jetzt zu dem Arbeitnehmer. Ein typisches Beispiel dafür, dass jemand sich überlegen fühlt und doch nichts weiss.
1. hat Kommunikation im Netz eine ganz andere Pragmatik und einen anderen Kontext als ein Bewerbungsschreiben. Hier wird möglichst versucht, reale Gespräche nachzuahmen (Emoticons usw.) und imitiert daher auch i.d.R. die Vereinfachungen des alltäglichen Sprachgebrauchs. Jedenfalls bei Smalltalk-Themen ist das absolut legitim.
2. passe ich meine Stilebene immer der Situation an. Mit monoceros im Netz rede ich anders als mit meinem Chef. In einem Referat verwende ich andere Sprache als in einem persönlichen Brief. Auch die Kommunikationsabsicht spielt eine Rolle. Der aufmerksame Leser hat bereits bemerkt, dass ich in die Kiste der klassischen Rhetorik gegriffen habe und diesen Post, wie schon Aristoteles die "gute Rede" festlegte, mit einem Aufmerksamkeit erregenden Einleitungssatz begann, eine Erzählung anschloss, daraufhin eine Präsentation und Abwägung der Argumenten, die mit einer "peroratio" schliesst. Zweck ist, durch Rückgriff auf rhetorische Mittel euch besser überzeugen zu können. Also das richtige Register zum passenden Zeitpunkt gezogen. Wie kommt also dieser Arbeitgeber darauf, diesen Menschen nach einem Post im Internet zu bewerten? Dass er hier unsauberes Deutsch schreibt, heisst noch lange nicht, dass es es nicht beherrscht. Wenn ich hohe Stilebenen beherrsche, dann kan ich leicht niedere nachahmen, umgekehrt ist das schon viel schwieriger! Und warum sieht dann der Typ nicht das Bewerbungsschreiben an und gibt ihm ein Vorstellungsgespräch? Wenn der wirklich kein Deutsch kann, dann kann er es auch nicht so gut imitieren, dass das Bewerbungsschreiben korrekt ist.
Schliessen möchte ich mit der Bemerkung, dass natürliche Sprachentwicklung immer die beste ist und Diskussionen darüber im Grunde völlig unfruchtbar sind, da Sprache ohnehin ihren eigenen Weg macht.
Ich danke für die Aufmerksamkeit!
So redete man in etwa vor 300-400 Jahren. Keine Sau würde auf die Idee kommen, sowas raushängen zu lassen (ausser er spielt Theater). Die Sprache hat sich seitdem radikal verändert, sowohl im lautlichen als auch im lexikalischen und morphosyntaktischen Bereich.
Jetzt schliesse ich den Bogen: warum zum Henker machen dann einige Leute so einen Aufstand, wenn sie Anglizismen hören oder (in ihren Augen) unkorrekte Grammatik v.a. bei jüngeren Sprechern?
Anlass dazu war, dass ich gehört habe, dass ein Arbeitgeber jemanden nicht eingestellt hatte, weil der dummerweise Posts von diesem gelesen hatte, die nicht gerade durch "richtigen" Sprachgebrauch glänzten. Ihr seht schon an meiner Wortwahl und den Satzzeichen, dass ich den Begriff "richtig" jetzt gleich relativieren werde.
Was ist denn richtiger Sprachgebrauch?
Gehen wir mal auf das erste Argument ein, die Anglizismen. Es gibt ja Leute, die interpretieren "ich habe gesurft" bereits als Pidgin-Auswüchse. Naja, mal abgesehen davon, dass diese Leute scheinbar gar nicht wissen, was Pidgin ist... Lehnwörter (lautlich und grammatikalisch angepasst wie das obige Beispiel) und Lehnprägungen, die vom Bedeutungsgehalte her in wortwörtlicher Art her übertragen werden, sehe ich zunächst mal als Sprachbereicherung. Wenn man sich ansieht, wo Lehnwörter eine Presche schlagen, so sind das Bereiche, wo es oftmals kein adäquates deutsches Pendant gibt. Aber auch Wörter, die neben deutsche Wörter treten, sind zunächst einmal ein Zuwachs am Lexikon. Warum wird das als Fremdkörper gesehen? Sehen wir uns das Englische an: es hat seinen Erfolg dadurch zu verdanken, dass es Ausdrücke aus anderen Sprachen wie ein Schwamm aufsaugt (75% seines Lexikons sind wortgschlichtlich in romanischen Sprachen verwurzelt!!!). Keiner von uns käme auf die Idee zu sagen, das Englische wäre eine vom Spanischen, Französischen und Italienischen verhunzte Sprache oder? Wir empfinden den englischen Wortschatz als englisch, obwohl er es eigentlich gar nicht ist. Und den Engländern und Amis fällt das auch net auf, genausowenig wie künftige Generationen die Anglizismen als Fremdkörper im Deutschen ansehen werden, wahrscheinlich sogar nicht mal mehr als aus dem englischen stammend erkennen. Tja, nun stellt sich die Frage, ob man den deutschen Wortschatz besonders schützen soll. Gegenfrage: verwendet heute noch jemand den Ausdruck "vorwaldten"? Die Konsequenz einer konservatorischen Sprachpolitik wäre nur, dass sich Archaismen beilden, die gesprochene Sprache, die man nicht diktieren kann, sich noch weiter von der Schriftnorm wegentwickelt und somit der Bezug zum Deutschen mehr als vorher verloren geht. Eigentor! Lassen wir die Sprache entwickeln, sie hat uns immer ein ökonmisches Verständigungsmittel bereitgestellt.
Genauso kann man auch für die Veränderungen in der Grammatik argumentieren. Sprache tendiert dazu, sich zu vereinfachen, denn Basis der Sprache ist nicht die Schrift, sondern der alltägliche Gebrauch, und da ist Zeit bekanntlich Geld. Ist es schlimm, wenn der Konjunktiv langsam verloren geht, wenn sich Imperfekt und Perfekt immer mehr mischen? Wenn man anstelle des Konjunktiv Imperfekts eine eigentlich falsche Kondizionalform setzt ("ich würde backen" statt "ich büke"). Ist doch gut, das eliminiert unregelmässige Formen und macht die Sprache nicht nur für Ausländer leichter verwendbar. Das Englische hatte früher auch eine reiche Flexion und ist auch deshalb so erfolgreich, weil es durch Vereinfachungen leichter in richtiger Weise zu verwenden ist. Da würde auch niemand auf die Idee kommen, und das Englische als Pidgin oder sonstwas zu bezeichnen. Ich weiss auch gar nicht, wie manche Leute auf die Idee kommen, Sprache würde immer gleich bleiben. Wenn dem so wäre, gäb's überhaupt kein Deutsch.
Und jetzt zu dem Arbeitnehmer. Ein typisches Beispiel dafür, dass jemand sich überlegen fühlt und doch nichts weiss.
1. hat Kommunikation im Netz eine ganz andere Pragmatik und einen anderen Kontext als ein Bewerbungsschreiben. Hier wird möglichst versucht, reale Gespräche nachzuahmen (Emoticons usw.) und imitiert daher auch i.d.R. die Vereinfachungen des alltäglichen Sprachgebrauchs. Jedenfalls bei Smalltalk-Themen ist das absolut legitim.
2. passe ich meine Stilebene immer der Situation an. Mit monoceros im Netz rede ich anders als mit meinem Chef. In einem Referat verwende ich andere Sprache als in einem persönlichen Brief. Auch die Kommunikationsabsicht spielt eine Rolle. Der aufmerksame Leser hat bereits bemerkt, dass ich in die Kiste der klassischen Rhetorik gegriffen habe und diesen Post, wie schon Aristoteles die "gute Rede" festlegte, mit einem Aufmerksamkeit erregenden Einleitungssatz begann, eine Erzählung anschloss, daraufhin eine Präsentation und Abwägung der Argumenten, die mit einer "peroratio" schliesst. Zweck ist, durch Rückgriff auf rhetorische Mittel euch besser überzeugen zu können. Also das richtige Register zum passenden Zeitpunkt gezogen. Wie kommt also dieser Arbeitgeber darauf, diesen Menschen nach einem Post im Internet zu bewerten? Dass er hier unsauberes Deutsch schreibt, heisst noch lange nicht, dass es es nicht beherrscht. Wenn ich hohe Stilebenen beherrsche, dann kan ich leicht niedere nachahmen, umgekehrt ist das schon viel schwieriger! Und warum sieht dann der Typ nicht das Bewerbungsschreiben an und gibt ihm ein Vorstellungsgespräch? Wenn der wirklich kein Deutsch kann, dann kann er es auch nicht so gut imitieren, dass das Bewerbungsschreiben korrekt ist.
Schliessen möchte ich mit der Bemerkung, dass natürliche Sprachentwicklung immer die beste ist und Diskussionen darüber im Grunde völlig unfruchtbar sind, da Sprache ohnehin ihren eigenen Weg macht.
Ich danke für die Aufmerksamkeit!
