Ok, jetzt wird mir das ein wenig klarer.
Ich kann nur nicht anders, als dir weiterhin zu widersprechen, dass diese Geschichte hier mit körperlicher Gewalt vergleichbar wäre im Ausmaß des Schadens. Ich gehe nochmal auf Eltern/Peergroup ein, weiter unten dann auf das andere, was du erwähntest: Brüche mit Eltern sind sicher öfter emotionaler als zum Beispiel Brüche mit der Gesellschaft, aber z.B. auch Brüche mit der Peergroup können extrem schmerzhaft sein.
Mit 11 vielleicht nicht so sehr wie mit 14, aber wenn ich mich zurückerinnere, wie sehr es mir jedes mal weh getan hat - und heute noch - wenn ich mich gezwungen fühlte, mich von meinem gleichaltrigen Umfeld abzugrenzen (und sie regelrecht aufzugeben), dann sehe ich darin fast einen genauso großen oder sogar größeren und unnötigen Schaden wie bei diesen Eltern. Ein paar Seiten Nietzsche und 2-3 Jahre Matrix haben es mir komplett umöglich gemacht, in einem Großteil meiner Mitschüler mehr als hirnlose Zombies zu sehen.
Meine Jugend war geprägt von dem Gefühl, gegen eine Wand zu reden. Dieser Bruch war insofern unnötig, als dass er mir dadurch aufgezwungen wurde, dass andere sich weigerten, die Schwäche emotionaler Argumente zu erkennen. Was diese Wut und Ohnmacht in mir angerichtet hat, das darf ich jetzt noch ausbaden. Ich bin isolierter und introvertierter als ich gerne wäre, aber wenn ich mich öffne werde ich enttäuscht. Ich habe geradezu eine Unfähigkeit entwickelt, mich gehen zu lassen, weil das in meinem Kopf all die Hirnlosigkeit symbolisiert, die ich so hasse.
Ich hatte da auch nur zwei Möglichkeiten:
1. Hirn ausschalten
2. Isolation (weil es mir als 14-15jähriger nicht möglich war, die Entwicklung selbstzerstörerischer Abwehrmechanismen zu erkennen und zu unterbinden)
Sowohl die Geschichte mit der Jungfräulichkeit, als auch meine beinhalten aber immerhin Entscheidungsmöglichkeiten. Neben der Anpassung die Möglichkeit, sich von anderen zu distanzieren und seinen eigenen Weg zu wählen, ob dieser nun gesund ist oder nicht.
Ich habe eine Wahl getroffen, die mir zwar schadet, die mir aber durch die Wahl das Gefühl gegeben hat, dass ich mich dadurch bewusst definieren konnte und neben dem Schmerz auch vieles dazugewonnen habe. Es ist ein Stück "ich" in all dem Schmerz, nicht nur Fremdeinwirkung. Das macht es erträglicher. Destruktiv UND konstruktiv zugleich, sozusagen.
Bei körperlicher Gewalt (oder psychischer Gewalt der keine "Ansichtssache" zu Grunde liegt, von der man sich abgrenzen könnte, sich selber durch eine andere Meinung definieren könnte, wie es beim Jungfrauenthema der fall ist, bei Sadismus oder Überforderung der Eltern aber z.b. nicht) sehe ich diese Wahlmöglichkeit nicht. Ob ich es über mich ergehen lasse oder so stark wie möglich dagegen kämpfe, ich kann an der Situation nichts ändern. Ich kann mich von der Faust des betrunkenen Vaters nicht distanzieren. Wenn ich nicht glücklicherweise von Natur aus resistent bin, kann ich die Grausamkeit nur erträglicher machen, indem ich mich selber stärker zerstöre als der Täter es bereits tut. Dies empfinde ich nicht als Wahlmöglichkeit.
Also kurzgefasst:
Von Peergroup abgrenzen oder nicht: Möglichkeit auf Gewinn an Individualität/Stolz, dadurch Verarbeitung der Schmerzen und nicht in die Opferrolle gezwungen
Von Religiösen eltern abgrenzen und Versprechen brechen: Schmerzhafter, weil ein Teil davon aufgezwungen ist (das Versprechen). Aber immernoch Möglichkeit auf Individualität/Stolz
Scheinbar zusammenhanglose Gewalt: Am schlimmsten, weil komplett aufgezwungen und meist ohne jegliche Möglichkeit auf eine wenigstens partiell konstruktive, freie Entscheidung.
Allerdings ist das nur meine Vorstellung davon, wie sich körperliche Gewalt auswirkt bzw. welche Wahlmöglichkeiten man da hat. (Zudem war es bei dir eine andere Situation, als es in vielen Kinderzimmern der Fall sein dürfte. Die Freunde und Freundinnen, bei denen es Gewalt in der Familie gab, haben es allesamt als die psychisch schmerzhaftesten Dinge in ihrem Leben beschrieben, zumindest habe ich ihre Schilderungen so empfunden. Also..die Gewalt aber natürlich auch gerade die Wirkung der fehlenden "heilen Familie")
Edit: Wenn jetzt jemand sagt, dass ich hier Opfern von körperlicher Gewalt unfairer Weise die Fähigkeit abspreche, individuelle Entscheidungen zu treffen, stehe ich im Schach Matt. Mist
War auch stark verallgemeinert und simplifiziert..