Heyne ohne Jeschke

Literatur und Medien, die die Grenzen der bekannten Welt sprengen - die Zukunft der Menschheit und ihre Abenteuer in fantastischen Welten.
Marc Effendi
Newromancer
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 3031
Registriert: 11.12.2000
Mi 25. Dez 2002, 19:29 - Beitrag #1

Heyne ohne Jeschke

Wolfgang Jeschke, seines Zeichens jahrzehntelang verantwortlich für den Bereich SF bei Heyne ist nun im Ruhestand und ich finde die Veränderungen spürbar. Wie seht ihr das? war so eine Veränderung nötig oder hätte alles so bleiben sollen wie es war?

Traitor
Administrator
Administrator

Benutzeravatar
 
Beiträge: 17500
Registriert: 26.05.2001
Mi 25. Dez 2002, 19:59 - Beitrag #2

So aktiv beobachte ich deren Programm eigentlich nicht, dass ich eine Personaländerung bemerken würde, zumal ich wenn eigentlich eh nur ältere Bücher lese und selten Neuerscheinungen. Insgesamt finde ich es aber eigentlich schade, dass so ein großes Genre wie die SF in Deutschland fast vollständig von einem einzigen Verlag abhängt...

Fargo
VIP Member
VIP Member

Benutzeravatar
 
Beiträge: 1461
Registriert: 30.10.2002
Sa 28. Dez 2002, 11:43 - Beitrag #3

Es war ja leider länger schon klar, dass nach Jeschke die Buchhalter einrücken würden. Also keine Herausgeberpersönlichkeit, sondern der reine Kostenkalkulator. Schließlich ist Heyne kein mittelständischer Verlag mehr, sondern Teil eines größeren Medienbetriebs geworden, wo für jeden investierbaren Euro der optimale Rücklaufkanal vorausberechnet wird. Und ein Serienkillerthriller, eine Irlandschnulze oder ein schal dahinwitzelnder Frauen-und-Männer-sind-so-unterschiedlich-Ratgeber hat nun mal höhere Amortisationschancen als ein preisgekrönter SF-Roman.

Das eigentlich Beängstigende ist ja, dass auch das Rumpfprogramm von Heyne nur im Markt bleibt, weil der Verlag im Moment auf dem SF-Feld mehr oder weniger Monopolist ist. Konkurrenz, wenn man das überhaupt so nennen kann, bekommt er nur von vertriebsschwachen Kleinst- und Selbstverlagen.

Wenn sich aber wieder andere Häuser für SF interessieren und intressante Titel engagiert vermarkten würden, hätten wir eventuell gar keine Vielfalt des Angebots und Marktbelebung. Heyne zöge sich dann schnell aus dem endgültig unkalkulierbar gewordenen Marktsegment zurück, und basta.

Ach, waren das noch Zeiten, als Fischer, Goldmann, Heyne, Ullstein, Suhrkamp parallel große SF-Reihen unterhielten - Ihr zu spät Geborenen wisst gar nicht mehr, wie die Drehständer Buchhandlungen damals aussahen, unvorstellbar, das goldene Zeitalter, Jungs und Mädels. Lasst Euch das mal von Eurem Opa erzählen.

(Aber mal ganz unter uns und ohne Nostalgie: die Leute waren schon damals zu doof, die guten Titel herauszupicken. :shy: )

Fargo

Marc Effendi
Newromancer
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 3031
Registriert: 11.12.2000
Sa 28. Dez 2002, 16:16 - Beitrag #4

Also ich hab ein paar Suhrkamp und glaub sogar einen Ullstein in meiner Sammlung. War nie das, was ich unter großartiger Literatur verstand. Auch Goldmann spielte in der zweiten Liga und Bastei selten in der ersten.

Ich muß sagen, ich hab den Weggang von Jeschke mit einem weinenden Auge begrüßt. Ich hab mich nämlich mal mit Heyne angelegt und dafür bitterbösen Mecker von Jeschke höchstselbst kassiert.

Da gings um "Die Schmiede Gottes" und "Amboss der Sterne" von Greg Bear. Ich hab mir den Amboss gekauft weil der Text hinten drauf gut klang. Hab dann aber beim Anlesen festgestellt, das das die Fortsetzung von der Schmiede war. Bin also rumgerannt und hab die Schmiede gesucht und nix gefunden. In normalen und Fachgeschäften schon ausverkauft, für Antiquariate zu jung. Also hab ich einen Brief an Heyne geschrieben, man möge mir doch bitteschön mein Geld inklusive Auslagen erstatten, denn was nützt mir eine Foirtsetzung, wenn ich das Original nicht hab? Und das das eine Fortsetzung war, stand nirgendwo, nur innen drin. Hab mich leicht verschaukelt gefühlt. Irgendwann kam dann ein Brief vom Lagermeister mit einer Entschuldigung und einem ksotenfreien Exemplar der Schmiede. Und später dann ein Brief vom Jeschke höchstselbst in einem Ton unter aller Sau. So er sei erstaunt, das ich so einen Brief schreiben würde, denn normalerweise wären die SF-Leser doch eigentlich gebildete Leute mit Abitur etc. und so weiter.

Vielleicht kann man nachvollziehen, das ich Jeschke nicht wirklich hinterher weine.....

Fargo
VIP Member
VIP Member

Benutzeravatar
 
Beiträge: 1461
Registriert: 30.10.2002
Sa 4. Jan 2003, 11:39 - Beitrag #5

Marc Effendi, was Du da mit Jeschke erlebt hast, ist ärgerlich, keine Frage. Lass mich trotzdem versuchen, dafür eine Erklärung zu finden, die auf anderem als eventueller Arroganz und Selbstherrlichkeit fußt.

Jeschke stand sicher unter enormem Druck bei Heyne - nicht nur durch die schiere Menge der Arbeit, sondern weil deren Sinn und Konzept hausintern wohl immer stärker - vielleicht auch immer aggressiver und intriganter? - in Zweifel gezogen wurde.

Jeschke musste, da bin ich mir sicher, Konferenz um Konferenz, Memo um Memo, Gutachten um Gutachten bittere Abwehrschlachten gegen den Vorschlag führen, das SF-Programm doch bitte auf einige wenige 'Bringer', auf 'Schnelldreher' zu reudzieren. Vielleicht auch, SF als eigenständige Reihe ganz aufzulösen, die mainstreamtauglichsten Autoren schlicht ins Allgemeine Programm zu integrieren und dann nur noch diejenigen weiter zu verlegen, die sich dort in der allmonatlichen Konkurrenz mit den anderen Neuerscheinungen mit halbwegs rentablen Zahlen durchsetzen würden.

Genau das haben einige Verlage, unter anderem Heyne, mit ihren Krimireihen bereits gemacht. Das bedeutete jeweils das Aus für die Mehrzahl der Autoren, besonders für die von anspruchsvollen, nicht ganz so leicht verdaulichen Werken. Von den SF-Autoren wäre wohl gar keiner übrig geblieben.

Erst recht unter Druck dürften in dieser Situation die Zyklen geraten sein: also die Politik Jeschkes, zusammenhängende Werkreihen auch dann übersetzen zu lassen und zu publizieren, wenn der Absatz der vorigen Bände nicht berauschend war. Diese an sich sehr löbliche Politik führt nicht nur zu roten Zahlen beim Verlag, sondern zu einer kuriosen Marktsituation, deren Opfer Du geworden bist. Wer den Einstiegsband gekauft hat, kann sicher sein, dass er - falls er nicht gerade der einzige Käufer weit und breit war - auch den Fortgang des Zyklus verfolgen darf. Wer aber mitten im Zyklus einsteigt, hat es schwer, an die gefloppten Vorgängerbände heranzukommen. Die sind ja als Ladenhüter längst verramscht und werden ihres im Computer verbürgten Status als Umsatzgurke wegen auch nicht wieder aufgelegt.

Jeschke scheint da etwas getan zu haben, was man aus guten Gründen für unlauter, eventuell aber auch für pfiffig halten könnte. Er hat bei den Folgebänden von erfolglosen Zyklen verschleiert, dass es sich um Teile von Zyklen / Sagas / Space Operas / whatever handelte. So hat er verhindert, dass das neue Buch nur von der (viel zu kleinen) Gruppe gekauft wird, die sich schon für den Vorgänger interessiert hat. Und sich darauf verlassen, dass ein Leser, der den Fortsetzungsband dann nicht wirklich zugänglich, aber irgendwie anregend, herausfordernd, interessant findet, sich den zum Verständnis nötigen Vorgänger auf dem relativ gut organisierten deutschen SF-Antiquariatsmarkt beschaffen wird. Und dass dieser Leser ihm bei seinem Projekt des Wegtauchens unterm Kostenkontrollradar der Verlagsbuchhalter komplizenhaft verbunden sein wird. Weil dieser Leser begreift, dass es nur noch unter diesen Bedingungen überhaupt eine deutsche Ausgabe des jeweiligen Zyklus geben kann.

In diese Situation platzt Dein eventuell recht deutlich formulierter Leserbrief mit der - ebenfalls völlig berechtigten - Sichtweise, dies sei Rosstäuscherei, Kundenverarsche und schädige das Verlagsimage insgesamt - falls Heyne nicht bereit sein sollte, einen kostenkalkulatorisch sowieso verheerenden und eventuell böse Kreise ziehenden ("Bei Nichtgefallen Geld zurück") Rückerstattungsservice für Zyklenfallenopfer einzurichten. Der Brief mag Jeschke wie ein Brandpfeil seiner Gegner mitten auf seinen Schreibtisch vorgekommen sein. Der Brief ist Jeschke vielleicht nebst einer Doublette des Verbuchungszettels des Lagermeisters und einer Porto-, Verpackungs-& Mannarbeitsstundenauflistung des Kostencontrollers hausintern bei Debatten um die Programmpolitik unter die Nase gerieben worden. Je nach dem, wie giftig die Diskussionen im Haus abliefen, mag Jeschke Deine Beschwerde gar für einen 'bestellten' Leserbrief gehalten haben, also
für eine Provokations- / Munitionsbeschaffungsmaßnahme seiner Gegner. Auf jeden Fall wird er Deine Reaktion - falls ich mir die Rahmenbedingungen korrekt ausmale - für Verrat eines Fans an der gemeinsamen Sache, für einen fiesen Dolchstoß, für den Fußtritt von hinten in die Kniekehle des einsamen Kämpfers gehalten haben. Und da ist ihm dann das saure Herz übergegangen, und er hat Dir einen rüpeligen Brief geschrieben.

Vielleicht ist das ja alles Weltenbau, und es war ganz anders, aber ich bin ziemlich überzeugt, dass es so gelaufen ist. Was nicht heißt, dass ich mich als Empfänger solch eines Jeschke-Briefes nicht auch furchtbar ärgern würde.

Ganz kurz noch zu Suhrkamp, Ullstein, Fischer, Goldmann: welche Autoren meinst Du, wenn Du von 2.Liga sprichst?

Fargo

Marc Effendi
Newromancer
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 3031
Registriert: 11.12.2000
So 5. Jan 2003, 15:53 - Beitrag #6

Es kann gut sein, das Du mit Deiner These zu nahezu 100% ins Schwarze getroffen hast. Ich sah mich halt in der Rolle des Kunden: zuerst übern Tisch gezogen und dann noch beschimpft. Fand ich nicht in Ordnung. Ich hab ihm dann auch zurückgeschrieben, das es ihm nicht zustehe über meine Bildung zu urteilen und so. Naja, egal. Ist erledigt.

Als zweite Liga meine ich Leute wie etwa James Morrow, Jack L.Chalker (wobei die Romane über den Warden-Diamanten echt gut sind) oder Dale G.Gier. Die Ullstein-Bücher sind mittlerweile sogar aus meinem Regal verschwunden. Eines der Bücher hieß glaub SpaceWar Blues oder so.


Zurück zu Science Fiction & Fantasy

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 9 Gäste

cron