Zitat von "Die Welt" vom 9.9.2005:Thomanerchor fühlt sich benachteiligt
Der Leipziger Thomanerchor sieht sich durch Auflagen von Behörden bei seinen Konzerten benachteiligt. Die Gewerbeaufsicht habe die Zahl der Aufführungen erstmalig auf 31 pro Saison begrenzt, klagte Geschäftsführer Stefan Altner in Leipzig. Zur Begründung hätten die Behörden auf den Jugendarbeitsschutz verwiesen. Vom sächsischen Landesjugendamt sei sogar eine Betriebserlaubnis für den fast 800 Jahre alten Chor gefordert worden. Der Chor werde künftig gleichwohl öfter in kleineren und wechselnden Besetzungen auftreten müssen, kündigte Thomaskantor Georg Christoph Biller an.
Das ist doch der reine Wahnsinn. Da findet sich eine große Gruppe von Knaben, um in einer festen Gemeinschaft mit Musik aufzuwachsen, nebenbei die Weiterführung einer beeindruckenden Tradition - und unser aller Bürokratiemonster wirft mit Stolperknüppeln nach allen Beinen, die sich noch bewegen.
Als intensiver Chorsänger seit meiner Kindheit kenne ich die Beanspruchung sehr gut, die die regelmäßigen Auftritte bedeuten. Wir hatten in Spitzenzeiten schätzungsweise zwischen vierzig und fünfzig Auftritten jährlich, zum Teil auswärtige Konzerte mit halbtägigen Anfahrten, von denen man erst spätabends wiederkam. Für besondere Anlässe war es selbstverständlich, daß man aus der Schule fehlte, wenn man nicht gerade eine Klassenarbeit schreiben mußte. Man stand füreinander ein, das war - und ist bis heute - einfach selbstverständlich. Die Frage, ob es zuviel wäre, stellte sich nie, ich habe es immer als Bereicherung empfunden und als Chance gesehen, zusammen mit anderen etwas Schönes zu erzeugen.
In diesem Zusammenhang ist die Anwendung von Jugendarbeitsschutzrichtlinien absurd. Der Thomanerchor zählt zu den bedeutendsten Knabenchören des Landes, eine kulturelle Institution von besonderem Wert. Der Chor ist aber nicht nur als Klangkörper, sondern auch als Lernform und Stätte musikalischer Elitenförderung bedeutend. Es handelt sich bei der Thomanerschule um ein Internat, das in besonders gelungener Weise Musikausbildung und Schule verbindet. Nicht ganz zufällig können eine Reihe von heute bedeutenden Sängern am Anfang ihres Lebenslaufes die Thomaner nennen.
Die Gegenmaßnahmen, zu denen der Chor gezwungen wird, sind künstlerisch und menschlich fragwürdig. Es ist schwierig, Teile eines Chores von einem Konzert auszuschließen, für das sie geübt haben - und pädagogisch ungünstig, nur in den Teilgruppen zu proben, die mit einem bestimmten Programm auftreten werden. Es fehlt der persönliche musikalische Überblick, und es leidet die Gemeinschaft.
Ich verliere mich in Einzelfragen. Aber was ist eure Meinung dazu? (Habt ihr eine?)