Original geschrieben von janw
Gibt es vielleicht bestimmte Stücke und / oder Interpreten, die für Dich Jazz "in Reinform" repräsentieren oder sozusagen essentials sind?
Gibt es vielleicht gar so etwas wie einen Kanon?
Jazzfans sind Sektierer. Nichts ist ihnen lieber als der Streit um den einen einzig wahren Kanon.
Aber mal abgesehen von den vielen bitteren und oft auch sehr akademischen Fehden über Grenzen und Größen des Jazz gibt es natürlich eine Anzahl herausragender, immens einflussreicher Köpfe, deren Genie und prägende Kraft allseits anerkannt werden. Manche Namen - Duke Ellington zum Beispiel - hat wohl fast jeder Jazzmuffel schon mal gehört, andere - Charles Mingus zum Beispiel - sind bei weitem nicht so bekannt.
Den Begriff 'reiner Jazz' verwende ich hier in einem sehr speziellen Sinne - als eine Form von Jazz, die ohne Blues existieren könnte. Es gibt viele Praktiker und Hörer, die nur das als 'reinen' Jazz akzeptieren, was von Blues durchtränkt ist. Alles andere ist für sie von europäischer Musik verwässerter Jazz. Solche Diskussionen zeigen, wie sehr die jeweilige Idee von Jazz mit der gesellschaftlichen Entwicklung der USA verknüpft ist und mit der ökonomischen Misere. Manche afroamerikanische Musiker würden den Jazz gern ganz für sich reklamieren, manche europäische Musiker die afroamerikanische Verwurzelung gern klein reden.
Aber um auf die Frage nach einem Beispiel einzugehen: der weiße Pianist Keith Jarrett beispielsweise kommt viel stärker von der europäischen Kunstmusik und der amerikanischen Liedkunst des Broadway als vom Blues.
Original geschrieben von Traitor
Wie sieht es als aktuellem Beispiel mit Norah Jones aus - die wird ja manchmal ohne Pop-Zusatz als Jazz bezeichnet.
Darüber schlagen sich Leute in Jazzforen die Köpfe ein. Als Jones nach New York kam und ihren Vertrag mit dem legendären Jazzlabel Blue Note unterschrieb, war sie als Jazzpianistin aktiv. Aber im Studio traten dann viele andere Einflüsse zutage - darunter Country und die lebendige Tradition der Singer/Songwriter, der US-Liedermacher.
Beim zweiten Album waren diese Einflüsse dann so stark, dass der Jazzanteil mir nur noch eine ganz milde Würze zu sein scheint. Was für mich noch kein Werturteil ist. Dazu muss man aber wissen, dass es in USA lebendige Gesangstraditionen neben Jazz und Pop gibt, die sich mehr oder weniger stark mit Jazz überlagern, aber bei uns nicht richtig wahrgenommen werden.
Da ist der rauchigere Bargesang, das 'saloon singing', das erdiger ist als der Cocktailbargesang. Da ist das 'cabaret singing', das viel mit dem Chanson zu tun hat. Da ist der Musicalgesang, also die Kunst des Broadway. Und da sind diverse ethnische Traditionen wie der Belcanto-Pop der italienischen Tenöre oder überhaupt die Gemütsschmeichelei der sogenannten 'crooner', deren Kunst man nicht mit der Plumpheit deutscher Schlagergröhler vergleichen darf.
Jazzbeeinflusst zu singen, ohne den Anspruch zu erheben, Jazz zu liefern, das ist in USA keine Besonderheit.
Womit wir natürlich bei der Frage angelangt wären: was ist denn eigentlich Jazz. Zögerliche Antwort: Musik mit einem gewissen Improvisationsanteil, einem immanenten Freiraum. Musik mit einer bestimmten Grundbeziehung zur Zeiteinteilung, mit einer Spannung von gezähltem und gespieltem Beat, mit einer Abweichungsfreude, die man Swing nennt. Für manchen Jazz trifft beides zu, für manchen nur eines von beidem.
Fargo