Zweck der klassischen Komposition

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Lykurg
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Di 25. Apr 2006, 11:43 - Beitrag #21

Ja, richtig, eine nicht vollständig gerechtfertigte Wertung, ich schätze durchaus etwa die Musik eines CPE Bach. Zugleich stelle ich aber auch eine Entwicklung dar, die mit "wollen" wohl wenig zu tun hat und so einfach nicht zu fassen ist. In den Grundzügen dürfte das aber so hinkommen.

Rokoko ist schon in der Kunst umstritten genug, in der Musik mE noch schwieriger zu fassen. Den empfindsamen Stil sehe ich als Späterscheinung des Barock, man berichtige mich.

Ipsissimus
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Mi 26. Apr 2006, 12:16 - Beitrag #22

sehe ich im wesentlichen genauso, Lykurg.

Ich möchte nur ergänzend darauf hinzuweisen, daß der musikalische Rokoko erst im Nachhinein fragwürdig wurde. Seine Komponisten waren damals durchaus anerkannt und renommiert, und erst die musikhistorische Betrachtung stellte sie in die zweite oder dritte Reihe.

janw
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Mi 26. Apr 2006, 13:05 - Beitrag #23

Was wasren die treibenden Hintergründe für diesen Wahrnehmungs-shift?
Dieselbe wie heute, kommerzielle, solche der Marktmacht? Oder Moden?

Ipsissimus
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Mi 26. Apr 2006, 14:50 - Beitrag #24

na ja, da werden wohl einige Sachen gleichzeitig eine Rolle spielen; zum ersten gibt es keine eigenständige Gattung, deren Entwicklung im Rokoko stattgefunden hat (gibt es natürlich doch, aber als Erfinder des Streichquartetts wird im deutschsprachigen Raum Joseph Haydn, ein Klassiker, und nicht Luigi Boccherini angesehen, der schon vor Haydn Streichquartette schrieb, das aber nur nebenbei). Dann dürfte die heraufziehende Entwicklung des Geniekultes von den sich tendentiell noch eher als Kunsthandwerkern verstehenden Rokokokomponisten nicht genügend bedient worden sein.

Zum dritten, und das ist am fraglichsten, oder sagen wir, am stärksten bloße Meinung von mir, hat sich die Sprache der Musik vom Tänzerischen abgewandt. Es ist nicht falsch, bis etwa 1750 Musik im wesentlichen als sublime Tanzmusik aufzufassen, dann tritt dieses Element immer mehr zurück. Rokokomusik hält diese alte Musiksprache eine Zeit lang hoch, galt dann aber gegenüber den "ernsten Werken" der Klassiker als hoffnungslos seicht. In gewisser Weise drückt sich darin ein Unterschied zwischen mediterraner und mitteleuropäischer Kultur aus.

Lykurg
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Mi 26. Apr 2006, 15:38 - Beitrag #25

Zu den ersten beiden Punkten meine volle Zustimmung, Ipsissimus, zum dritten würden die Wiener dir was husten, ich bin dennoch deiner Meinung.^^

Ganz banal würde ich aber auch Moden dahinter vermuten, die gelegentlich eben doch wieder einen Komponisten (und in seinem Gefolge eine Richtung) wieder aufleben lassen. Die Barockoper ist ja auch erst im Rahmen der historisierenden Aufführungspraxis allmählich wieder aus der Versenkung aufgetaucht.

janw
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Do 27. Apr 2006, 01:26 - Beitrag #26

Dann wäre die alte Musik als primär Tanzmusik grundsätzlich anders zu bewerten als das spätere Schaffen, das gezielt für aufmerksame Zuhörer geschaffen wurde und dementsprechend detailreicher mit Stilmitteln, Assoziationen usw. ausgestattet ist - die beim tanzen gar nicht weiter auffallen würden.
Wurde bis 1750 überwiegend U-Musik geschaffen, mit einigen "Ausreißern" von Bach und singularen anderen?
Hat also das Ende des Absolutismus, das Aufkommen des Bürgertums und damit des Konzertsaales technisch aufwändiger und künstlerisch hochwertiger Musik erst den Raum gegeben, in den hinein sie sich entfalten konnte?

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Do 27. Apr 2006, 08:06 - Beitrag #27

Könnte man so sehen - auch wenn eine solche Trennung erst dem späteren 19. Jh. entstammen dürfte. Allgemeiner gültig ist "Gebrauchsmusik", ob nun bei Tisch oder im Gottesdienst (mit gerade dort herausragenden Abweichungen), von der sich eine für sich stehende Musik in einem langwierigen Prozeß mehr oder weniger emanzipieren konnte.

Ipsissimus
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Do 27. Apr 2006, 16:04 - Beitrag #28

ich würde es nicht so stark ausdrücken, daß die Musik bis 1750 pauschal als Tanzmusik aufgefaßt werden solle. Aber sie ist "vom Geist des Tanzes" inspiriert, sie ist allergrößtenteils tanzbar, selbst wenn sie für einen ganz anderen Kontext gedacht war. Satztechnisch extrem schwere mehrstimmige kontrapunktische Sätze wie Proportionskanons zeigen eine "beschwingte" Leichtigkeit, sobald sie erklingen, und wenn sich durch ein paar Jahrhunderte hindurch mehr als nur ein paar Vertreter der reinen Lehre der Kirchenmusik dagegen ereifern, daß der Einfluss der weltlichen Musik zu groß geworden sei, weist dies darauf hin, daß auch die Kirchenmusik vom Teufelswerk des Tanzes nicht verschont blieb.

Ich glaube nicht, daß die alte Musik technisch oder künstlerisch zweitrangig ist, weder in den Spitzenleistungen noch im Durchschnitt; sie ist eben von einem anderen Geist beseelt - wir können eh nichts gegen Pest, Not und Fürsten machen, last uns singen, tanzen, den Rausch pflegen.

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Do 27. Apr 2006, 16:24 - Beitrag #29

Eine Zweitrangigkeit ist aus der Verwendung ("Gebrauchsmusik") keinesfalls zu schließen, da war ich mißverständlich. Mit "für sich stehend" meinte ich nur, daß bestimmte Werke ab dem genannten Zeitraum angehört wurden, ohne daß man währenddessen aß, kartenspielte, sich unterhielt, tanzte oder eine Andacht hielt. Die Änderung ist genausogut sitten- wie gattungsgeschichtlicher Natur.

Aber die beschwingte Leichtigkeit von Proportionalkanons scheint mir doch (teilweise) als eine aufführungspraktische Frage (Tempo?) - vielleicht eine Geschmacksfrage. Und wieweit etwa unsere Wahrnehmung von Dreierrhythmen als tänzerisches Element übertragbar ist - ich weiß nicht.^^

Ipsissimus
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Do 27. Apr 2006, 16:36 - Beitrag #30

mein Statement war nicht als Antwort auf dein letztes Statement gedacht, Lykurg (das ich teile), sondern auf Jans letztes Posting

janw
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Do 27. Apr 2006, 17:14 - Beitrag #31

Dank Euch beiden, einiges ist mir klarer geworden :)

Der eigentliche Wandel scheint also im Verschwinden der tänzerischen Elemente zu bestehen. Fragt sich, warum...geänderte Präferenzen im aufkommenden Bürgertum, die gesellschaftliche Normierung des Tanzes, seine Beschränkung letztlich auf Walzer und den vom aufkommenden Berufsmilitär und der Militarisierung der Gesellschaften eingebrachten Marsch?

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