Musicals

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Padreic
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Sa 7. Feb 2009, 00:31 - Beitrag #1

Abgetrennt aus dem Wmig 3 - Traitor

Gerade feststellen, dass "My favorite things" ursprünglich gar nicht von Coltrane oder ein alter Standard ist, sondern aus einem 50er-Jahre-Musical stammt. Ist auch als ursprünglicher Song nicht schlecht. Eine Frau singt halt von ihrem Lieblingssachen und dann in den Zwischenstrophen singt sie davon, dass, wenn es ihr mal nicht gut geht, sie einfach daran denkt; sozusagen ein harmloser Text, aber die Musik ist dabei auf schön subtile Weise düster. Ich glaube, man müsste gar nicht viel verändern, damit der Song ein 'ultimative feeling of terror' ausdrücken würde, denn was ist besser dazu geeignet als ein nicht aufgelöster musikalischer Kontrast. Ich glaube, ich habe die musikalische Form des Musicals bisher immer unterschätzt; wenn es auch sein mag, dass mir kein existierendes Musical gefallen würde (weil es so süßlich klingt und alle Melodien gleich), glaube ich doch, dass man mit genügend existentiellem Sarkasmus da so einiges rausholen und den Hörer völlig verstört nach Hause schicken könnte.

janw
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Sa 7. Feb 2009, 01:34 - Beitrag #2

Padreic, ich glaube, das ist vielleicht ähnlich wie bei der Operette, auch sie könnte aufrütteln, verstören, provozieren,... wenn das nur in der Intention ihrer Macher läge bzw. mit deren Intention vereinbar wäre. Aber es sind eben beides Formen zur Unterhaltung und Zerstreuung, das Musical dazu noch mit kommerziellen Motiven.
Oder sehe ich hier die Operette zu kritisch, hatte sie in ihrer Zeit doch eine Wirkung, die heute nicht mehr so empfunden wird?

Melianawe
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Sa 7. Feb 2009, 09:54 - Beitrag #3

Eigentlich ist es schade dass Musicals immer nur derart "leicht" dargestellt werden. Wie Padreic schon sagte, man KÖNNTE so einigen aus einer derartrigen Aufführung machen - also kann man auch einen guten Horror-Plot schreiben. Allerdings ist da die Gefahr des kommerziellen Flop wohl so groß, dass sich kaum jemand daran wagen würde. Und wenn man es schreibt, so würde es vermutlich niemand auf die Bühne bringen. =/

Naja. Ich mag auch die seichten Musicals von Zeit zu Zeit ;D

Traitor
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Sa 7. Feb 2009, 17:43 - Beitrag #4

Mit der klassischen Broadway-Ausprägung der Musicals - Standardmelodien und Schmalzhandlung, überspitzt ausgedrückt - konnte ich noch nie etwas anfangen. Auch die meisten Andrew-Lloyd-Webber-Sachen und Epigonen sind musikalisch ganz hübsch, rangieren für mich aber zwischen zu albern und "naja, ganz nett". Dabei möchte ich allerdings keineswegs ausschließen, dass es hier ordentliche oder sogar richtig gute Vertreter gibt, für die ich bisher nur zu ignorant war.

An modernen Pop-Musicals, Pop-Opern, Rock-Opern und wie die Mischformen so alle heißen, kann ich aber einigen Gefallen finden. Hier kenne ich jedoch ausschließlich Filme und CD-Aufnahmen, keine Live-Aufführungen. Allerdings erscheinen mir erstere auch als das deutlich geeignetere Medium für dieses Genre, da Aufführungen doch trotz einiger möglicher Spielereien letztlich auf die üblichen Tänzeleien beschränkt sind, während sich im Film visuell grandioses leisten lässt.

Mein Lieblingsvertreter ist hier ganz sicher The Who's "Tommy". Bei den Beatles-Filme, vor allem natürlich "Yellow Submarine", aber auch "A Hard Day's Night", wäre zu diskutieren, ob sie schon als Musical zählen oder nur als musikbegleiteter Film. Die "Rocky Horror Picture Show" enttäuschte mich etwas, ist aber allemal sehr spaßig. Von "Hair" und "Jesus Christ Superstar" habe ich viel gutes gehört, aber habe die Verfilmungen bisher nicht gesehen.

Aus den letzten Jahren gefielen mir das Anti-Anti-Drogen-Satire-Wirrfug-Meisterwerk "Reefer Madness" und die Beatles-Hommage "Across the Universe" ausnehmend, das Gothic-Horror-SciFi-Machwerk "Repo - The genetic opera" recht gut. "Chicago" fand ich trotz der amüsanten Handlung eher enttäuschend, da es stilistisch im Tanz-Glitter-Einheitsbrei blieb.

Um spezifischer auf Padreics Gedanken einzugehen: einige der genannten Vertreter erreichen meines Erachtens durch ungewöhnliche Settings, abgedrehte Texte und visuelle Genialität die künstlerische Ebene, die dem klassischen Träller-Musical fehlt. Wenn ich dich richtig verstehe, verfehle ich aber mit meiner Fixierung auf Film-Musicals etwas deine Intention, das Besondere, vielleicht gar Schockierende, rein im Lied zu suchen. Was meinst du, geht "Tommy" in seiner ursprünglichen Alben-Inkarnation in diese Richtung, oder ist es dazu viel zu humoristisch? Genesis' "The Lamb lies down on Broadway" wäre eine eher düster-verstörende Rockoper, die aber mangels Verfilmung oder -bühnung aber natürlich weiter vom eigentlichen Musical entfernt und letztlich eher ein normales Album ist.
In diesem Bereich könnte ich mir ansonsten noch gut vorstellen, dass es Vertreter gibt, die deinem Ansatz richtig entsprechen. Dass es davon aber je einer auf eine große Bühne geschafft hat, steht kaum zu vermuten, da man es sich im kleinen und festgelegten Bühnen-Musical-Markt eben viel weniger als bei Filmen oder Alben erlauben kann, den Massengeschmack zu provozieren.

Lykurg
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Sa 7. Feb 2009, 20:45 - Beitrag #5

Musicals mit kritischen Inhalten hat es gelegentlich schon gegeben, z.B. geht es in "South Pacific" unter anderem um rassistische Stereotype; und die "West Side Story" läßt sich auch sehr gut als gescheiterte Einwanderung aufführen. Das illusionäre "There's a place for us" (kurz vor Tonys Tod) ist in meinen Augen eines der schönsten und faszinierendsten Stücke daraus; für mich schwingt da automatisch auch die genaue Verneinung in "Who wants to live forever" mit (übrigens nicht unähnlich harmonisiert, ich bezweifle, daß zufällig...)

Je nach Umsetzung könnte natürlich auch "Sweeney Todd" ziemlich bösartig geraten; die Filmfassung hat das Potential noch nicht ganz ausgereizt, wenn auch beeindruckende Bilder dabei waren. Genau das wäre doch immerhin ein Horror-Plot, der es viele Jahre auf die Bühne und in jüngerer Vergangenheit auf die Leinwände geschafft hat...

Die Beatles-Filme sind mir zu skurril, um als Musical durchzugehen, aber das ist zugegebenermaßen kein besonders aussagekräftiges Kriterium.^^ Immerhin verbinden sie sehr schöne Musikstücke zu einer ... Handlung, die ... gelegentlich einige Kohärenz aufweist - nennen wir es lieber Oper. Bild

janw, die Operette hat meines Wissens kaum je ein solches kritisches Potential entfalten wollen/können, immer nur unterhalten wollen - mit einer halben Ausnahme bei den Gesellschaftssatiren Offenbachs, aber auch die zielten wohl grundsätzlich eher auf Belustigung als auf Veränderung ab.

Traitor
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So 8. Feb 2009, 13:28 - Beitrag #6

Ich wusste doch, dass ich einen Kandidaten vergessen hatte - Sweeney Todd war es, genau. Hat davon je jemand die Bühnenfassung live oder aufgenommen gesehen? Im Film war die Musik ja eher dünn und Inhalt und Bilder die tragenden Elemente, da frage ich mich, wie gut das Original rüberkam.

Melianawe
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So 8. Feb 2009, 14:30 - Beitrag #7

Traitor: Hast du "Repo" einmal komplett gesehen/gehört? Mein Bruder schwärmt mir sehr davon vor, ich kam aber noch nicht in den Genuss. Habe nur ein paar (sehr angenehme) Teaser zu hören bekommen.

Ich habe mir immer gewünscht einmal in den Genuss der Sweeney Todd-Bühnenfssung zu kommen. Alles was ich mir bisher ansehen konnte waren jedoch der Film (welchen ich wirklich gut fand, entsprach doch sehr meinem Geschmack) und die Texte der Bühnenfassung, die teilweise noch weit länger und auch weit kritischer und boshafter waren als im Film. Mal sehen ob sich irgendwo eine Aufnahme der Bühnenversion auftreiben lässt...


PS: Danke fürs Thema :)

Traitor
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So 8. Feb 2009, 16:41 - Beitrag #8

Ja, habe ich, auf dem letzten Fantasy-Film-Fest. Mal meine Rezension von damals rauskramen:
Zitat von Traitor:Eine dystopische Welt, in der ein allmächtiger Konzern für Organnachschub sorgt, säumige Ratenzahler von "Repo Men" ausgeweidet werden, Schönheitsoperationen und eine von Grabräubern aus Leichen extrahierte Substanz die großen Süchte sind.
Der Konzernchef steht kurz vor dem Tod, seine Kinder streiten um das Erbe, und ein mit einer schweren Krankheit in ihr Haus gesperrtes Mädchen versucht, diese Welt zu erkunden.
Das alles präsentiert als Rockoper.

Repo erweist sich in Kreativität und schriller Optik als würdiger Erbe von Tommy und Rocky Horror Picture Show. Blut und Eingeweide gibt es hier nicht als Goreporn, sondern der reinen Absurdität zuliebe. Geniales Stilmittel sind dazu noch die in Pulp-Comic-Form (inklusive Einzelpanels und Erzählertext-Boxen) erzählte Einleitung und Hintergrundgeschichten.

Was das Ganze aber überhaupt erst sehenswert macht, ist natürlich die Umsetzung als Rockoper. Leider liegen hier auch die Schwächen des Films. Die Musik rockt zwar ordentlich und die Lieder sind teils auch sehr eingängig. Leider wird aber viel zu viel Handlung und Dialog in sie hineingequetscht, sodass sich selten eine starke Melodie über mehr als ein paar Sekunden entfalten kann und es oft nur Sprechgesang gibt, wo man richtige Rocksongs erwartet hätte.

Somit letztlich sehenswert, aber nicht von der Klasse der Vorbilder. 7 Punkte.

Lykurg
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So 8. Feb 2009, 23:21 - Beitrag #9

Melianawe, ganz einfach: youtube! Ich guck mir da gerade die Broadway-Fassung an (soweit ich sehe, gibt es die da komplett). - Korrektur: Qualitativ viel besser und sehr genial gemacht ist die Fassung "Sweeney Todd in Concert" (ebenfalls youtube; enthält Sprechtexte, ist erstaunlich stark gespielt dafür, daß sie sich konzertant nennt, macht richtig Spaß!) - Das Libretto liest sich gut, ist aber doch für den Film noch erstaunlich wenig verändert worden (wenn auch um nicht ganz unwichtiges gekürzt.)

Übrigens ist es wohl kein Zufall, daß Sweeney Todd (Text und Musik) von Stephen Sondheim, dem Textdichter der West Side Story, stammen - der hat, wie es scheint, noch mehrere eher unkonventionelle Musicals geschrieben (komponiert auch reizvoll und technisch anspruchsvoll).

"Repo" klingt aber auch interessant...

edit2: Die fantastische konzertante Fassung (San Francisco Symphony Orchestra 2001) ist teilweise drastischer als der Film - die Szene, in der Judge Turpin Johanna durchs Schlüsselloch beobachtet und sich zur Strafe für sein Verlangen selbst kasteit - die ziemlich explosive Mischung hatte ich aus dem Film so gar nicht mehr in Erinnerung. Sie wird allerdings im Konzert etwas später aufgeführt als im Libretto angegeben.

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So 25. Jul 2010, 21:57 - Beitrag #10

Inzwischen ließe sich zur ursprünglichen Fragestellung ergänzen: Neben den Broadway-Musicals gibt es in New York auch die Off-Broadway-Musicals, die oft kritische Töne anschlagen, gesellschaftlich aktuelle Fragen aufgreifen, den Broadway-Musical-Betrieb parodieren oder sonst andersartig sind - kleinere Bühnen mit geringerem Budget, aber eben auch mehr Experimentierfreude. Darüber hinaus gibt es die noch kleineren Off-Off-Broadway-Bühnen, auf denen für ein entsprechend interessiertes Publikum z.B. avantgardistische Programme laufen, die so ziemlich alles enthalten können, was sich rein aufgrund der Wort-Ton-Verbindung Musical nennen mag. ;)

Traitor
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So 25. Jul 2010, 23:41 - Beitrag #11

Mit der weiteren Ergänzung, dass der Off-Broadway inzwischen längst als ebenso durchkommerzialisiert gilt wie der eigentliche Broadway, und der Unterschied höchstens noch ein stilistischer ist, und einer in der Zuschauerkapazität der Säle. Standard-Karriere für neue, gute Musicals scheint es inzwischen zu sein, irgendwo sonst im Land zu starten, dann an den Off-Broadway zu kommen, und irgendwann vielleicht sogar mal an den richtigen. Am Off angekommen, ist man aber schon ziemlich sicher im Mainstream.
Off-Off-Broadway kann dann wohl so ziemlich alles sein, bis zu reinen Amateurproduktionen. Wie auch bei Filmen denke ich aber, dass reine Mainstreamferne sicher kein Qualitätsmerkmal ist, und die "Avantgarde" also auch nicht gerade immer einen Blick wert ist. Vielleicht sogar gerade bei Musicals, die eine sehr sinnliche Kunstform sind und daher besonders stark von ihren Produktionswerten leben. Schulaufführungen von Musicals gehören ja z.B. dringend per Menschenrechtscharta verboten...

Lykurg
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So 25. Jul 2010, 23:57 - Beitrag #12

Stimmt, mit der Einschränkung allerdings, daß Off- meines Erachtens schon meist deutlich weniger mainstreamig ist als Broadway. Die Programme, die ich sah, gaben das von der Prominenz der Darsteller und teilweise der angedeuteten Handlung her schon recht deutlich wieder. Daß es sich aber nicht um einen wirklichen Gegensatz handelt und auch die übliche Karriere eines Stückes die Trennung infragestellt, ist richtig.
Immerhin: Wenn einer der ganz großen mal wieder ein neues Musical schreibt, startet das im Zweifel nicht Off-Broadway.

Und ja, daß Experimentierfreude auch Schund beinhaltet und viele Stücke an kleinen Bühnen auch keine Chance auf ein größeres Publikum haben (sollten), stimmt - trotzdem gibt es dort auch die Möglichkeit zu interessanten neuen Ansätzen, die in großen Häusern weniger gewagt werden.
Schulmusicals werden wohl nur noch getoppt von Filmen darüber.


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