Normalisierung klassischer Musik

Diskussionen zu allen Musikrichtungen und Künstlern, von der Klassik bis zu den aktuellen Charts.
Traitor
Administrator
Administrator

Benutzeravatar
 
Beiträge: 17500
Registriert: 26.05.2001
Mi 29. Dez 2010, 01:29 - Beitrag #21

Nein, kein anatomischer Mangel, aber auch nicht die gleiche Stufe wie Analphabetismus. Sondern "Talent" im klassischen, angeborenen Sinne hat ziemlich sicher etwas damit zu tun. Das Äquivalent zum reinen Lesen- und Schreibenlernen wäre ein rudimentäres Beherrschen von Tonleitern etc. und die Fähigkeit, Laute zu erzeugen, die zumindest grob anhörbar sind. Aber im Gegensatz zum Lesen und Schreiben bringt einem das keine praktischen Vorteile, und auch ersteinmal keinen Spaß. Hat man kein Talent, ist das Erlernen mühsam, meinetwegen wie bei Analphabeten, aber ohne Belohnung eben den Aufwand viel weniger wert. Und auf die Stufe, bei der man sich eine Belohnung erarbeitet, kommt man ohne ein gewisses Talent wohl auch mit viel hartem Üben nicht.

Und bei mir war es im Gegenteil zu deinen Erfahrungen eher so, dass man mir (gelegentlich) einzutrichtern versuchte, ich müsse doch musikalisch sein, weil mathematische und musikalische Begabung doch oft zusammenfallen. Sorum funktioniert es aber auch nicht. ;)

Lykurg
[ohne Titel]
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 6865
Registriert: 02.09.2005
Fr 31. Dez 2010, 10:32 - Beitrag #22

Der heutige xkcd befaßt sich mit unserem Nebenthema...
Zitat von Traitor:@Lykurg: Künstlicher Nachhall, ist das nicht auch eine Sünde? ]Eine pragmatische und für Studioaufnahmen naheliegende Lösung. Natürlich gibt es (quer durch alle Lager^^) Hörer, die Live-Aufnahmen meilenweit über jedes Studioalbum stellen; und auch ich habe natürlich einige Liveaufnahmen, die ich nicht missen möchte. Aber die Möglichkeiten des Tonstudios sind zu faszinierend, um darauf ganz verzichten zu wollen. -
Ich sehe das Problem nicht; der Bereich, in dem ich ein Geräusch wahrnehme, ohne etwas über seinen Klang aussagen zu können, ist recht klein, denke ich. Oder was meintest du?
Zitat von Ipsissimus:Was aus meiner Sicht gegen jegliche Form digitaler Aufzeichnung und Wiedergabe alter Musik spricht ist die Beschneidung des Frequenzspektrums. Das mag für ein MP3-Player-Ohrbuchsen-geschultes Ohr überhaupt kein Kriterium sein, Leute mit gut geschultem Gehör, die tatsächlich hören, was sie hören, können daran verzweifeln. Und selbst für MP3-Hörer dürfte es überraschend sein, was aus einer Anlage für Töne herauskommen können, wenn sie einmal auf einer Analog-Anlage mit Röhrenverstärker, Röhren-Vorverstärker, adäquatem Analog-Plattenspieler und entsprechenden Analog-Boxen eine gut aufgenommenen Langspielplatte anhören
Eine zufriedenstellende Anlage liegt für mich wohl noch in einiger Ferne, immerhin bewahre ich meine Plattensammlung (die auch einige kaum gespielte Testobjekte enthielte). Mein derzeitiger Plattenspieler ist jedenfalls zu ungleichmäßig im Abspielen, um einen ungetrübten Genuß zuzulassen. - Die psychologische Komponente der Hörsituation, das Auflegen der Platte, das Bewegen und Aufsetzen des Tonarms, das leise Knistern etc. machen das Plattenhören zu einem bewußteren Reproduktionserlebnis (obendrein der leicht elitäre Charakter, den es angenommen hat), ich finde es daher schwierig, ein klares Urteil zu fällen, es handelt sich deutlich um getrennte Medien.
Wie hältst du es mit Tonbändern?

Traitor
Administrator
Administrator

Benutzeravatar
 
Beiträge: 17500
Registriert: 26.05.2001
Fr 31. Dez 2010, 13:42 - Beitrag #23

Ich sehe das Problem nicht; der Bereich, in dem ich ein Geräusch wahrnehme, ohne etwas über seinen Klang aussagen zu können, ist recht klein, denke ich. Oder was meintest du?
Bei ansteigender Lautstärke gibt es einen Bereich, in dem man irgendetwas hört, aber es nicht identifizieren kann (deine Interpretation), der klein sein mag, aber dann noch einen recht relevanten Bereich, indem man etwas hört und "etwas über seinen Klang aussagen kann", aber nicht feine Details herausdifferenzieren kann. So, wie man aus einer Hintergrunddiskussion nur heraushört, dass da Leute miteinander reden, aber nicht, was jeder einzelne sagt, hört man bei leiser mehrstimmiger Musik die Gesamtmelodie, vielleicht auch noch, dass mehrere Stimmen dabei sind, aber nicht, was die einzelnen gerade spielen oder wie sie im Raum verteilt sind.

Lykurg
[ohne Titel]
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 6865
Registriert: 02.09.2005
Fr 31. Dez 2010, 15:08 - Beitrag #24

Den Vergleich finde ich schwierig, weil es, um beim Gespräch zu bleiben, in erster Linie darauf ankommt, wieviele Leute insgesamt reden, dann, ob die Leute unterschiedliche Stimmen haben und deutlich sprechen, und erst deutlich später, wie laut es insgesamt ist. In einer Umgebung mit viel Hintergrundlärm oder einer halligen Akustik, in der lauter Leute herumschreien, verstehst du deinen Nachbarn nur, weil er näher dran ist als die anderen, damit also durch Lautstärke und Richtungshören sowie Mimik und Lippenlesen hervorgehoben, aber nicht etwa besser, weil insgesamt lauter gesprochen würde.

Mit echten Raumklang-Aufnahmen (Wellenfeldsynthese, Ambiophonics) habe ich keine hinreichenden Erfahrungen; die Idee dahinter, die Hörerposition frei wählen zu können, ist schon spaßig und sollte hinsichtlich Klangrichtungsdifferenzierung über das Konzerterlebnis hinausgehen (denn wer, einschließlich die Mitwirkenden, würde währenddessen frei dazwischen herumgehen, abgesehen von manchen eher avantgardistischen Veranstaltungen?). Ohne dieses Mittel wird man aber bei einer Aufnahme weitgehend unabhängig von der Lautstärke das nehmen müssen, was man geboten bekommt und die heimische Anlage/Kopfhörer wiedergeben.

janw
Moderator
Moderator

Benutzeravatar
 
Beiträge: 8488
Registriert: 11.10.2003
Sa 1. Jan 2011, 13:27 - Beitrag #25

Wobei sich mir dann die Frage stellt, welch Höreindruck eigentlich intendiert war. Wenn wir heute Transparenz und Identifizierbarkeit der einzelnen Instrumentalstimmen schätzen, war dies die Absicht der Komponisten, oder ging es ihnen eher um ein Verschmelzen der Stimmen, einen Gesamtklang? War so gesehen Karajan näher dran oder weiter weg von der ursprünglichen Intention?

Zitat von Ipsissimus:Jan, ich kann mir gut vorstellen, dass das ein Teil der Problematik ist. Einer konzertanten Aufführung zu folgen hat etwas Kontemplatives, mensch ist im Prinzip für diese anderthalb Stunden völlig auf sich und die Musik zurückgeworfen, weder mit der Möglichkeit, seinen eigenen inneren Impulsen zu entkommen noch sie auszuleben (zumindest stehen dieser letzten Möglichkeit starke Konventionen und ein gerüttelt Maß Gruppenzwang entgegen, die erst mal überwunden werden wollen).

Wenn ich mir dann die insgesamt gemächlichere Lebensart der Vor-Dampfmaschinen-Ära vor Augen führe, könnte die Kontemplation, also der Grad der Reduktion äußerer Aktivität, für uns vielleicht noch extremer sein?

Hm, ist der Gruppenzwang Teil des Spiels?
Oder sehen wir den heute so, nach der Erfahrung kollektiver Vereinnahmung und nachfolgender Atomisierung?

Traitor
Administrator
Administrator

Benutzeravatar
 
Beiträge: 17500
Registriert: 26.05.2001
So 2. Jan 2011, 19:29 - Beitrag #26

@Lykurg: Der Gesprächsvergleich soll natürlich nicht gleiche Ursachen, sondern nur gleiche Auswirkungen herausstellen.
Dann noch eine Antwort auf 2 Beiträge zurück, ganz vergessen:
Wie hältst du es mit Tonbändern?
Schon lange gar nicht mehr. Schrecklich unfähige Technik, die schon zu ihren Hochzeiten eher nervig war. Schon im Idealzustand viel schlechtere Qualität als Platten oder CDs und mit abartiger Verschleißgeschwindigkeit. Für Kinderhörspiele und Partymischungen war sie noch ok, für ernsthafte Musik nie.

@Jan: Sowohl unterscheidbare Details als auch verschmelzende Gesamteindrücke haben doch ihre Berechtigung und werden beide bei verschiedenen Stücken verschieden stark intendiert. Als Laie würde ich nicht vermuten, dass es da eine historische Verschiebung gab, sondern einfach, dass es sowohl zur Entstehungszeit als auch heute beides nebeneinander gab, jenachdem, was gerade besser passt.

Lykurg
[ohne Titel]
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 6865
Registriert: 02.09.2005
Mo 3. Jan 2011, 00:27 - Beitrag #27

Nö, Traitor. Ich meinte tatsächlich Magnettonbänder, nicht wie in Kassettenspielern, sondern breite Tonbänder auf Spulen, wie sie in Tonstudios bis zur Durchsetzung der digitalen Aufnahmetechnik benutzt wurden. Qualitativ waren sie der Schallplatte gleichwertig oder überlegen, obendrein mehrspurfähig (die Studiogeräte bis zu 48 Spuren), so daß man aus einem solchen Tonband auch heute noch komplett neue Remixes anstellen kann. Anspruchsvolle Hörer hatten bzw. haben manchmal auch heute noch ein (einfacheres) Tonbandgerät (ich kenne zumindest zwei). Meine Frage richtete sich daher auch eher an Ipsissimus. ;)
Ein Überbleibsel quasi der Folgegeneration ist der DAT-Recorder, also digitale Tonaufzeichnung auf Magnetband. Profimusiker meiner Bekanntschaft, die selbst aufnehmen, schwören noch immer darauf, weil die Qualität hoch und die Technik quasi störungsfrei war, allerdings sind die Bänder nicht mehr so leicht zu bekommen. Wenn einem ein mit einem Festplattenrecorder aus irgendwelchen Gründen ein Konzertmitschnitt mißglückt ist, weiß man, was man an einem gut klingenden, funktionssicheren Halbdigitalgerät hat(te). Bild

@Schmelzklang vs. Spaltklang: Nein, das ist tatsächlich im Lauf der Zeit mehrfach verändert worden. Die Begriffe hier werden im Orgelbau benutzt, um die Klangästhetik der barocken von der romantischen Orgel abzugrenzen; grob gesagt also im 19. Jahrhundert ein symphonisches Verschmelzen wie im großen Orchester, dagegen im 17. und 18. klare Trennung charakteristischer Einzelstimmen. In der Orchesterbehandlung vieler Komponisten des 20. Jhs. hat man dann wieder eine ausgesprochene Spaltklangästhetik, zugleich mit der Wiederentdeckung der heterogenen ästhetischen Prinzipien Alter Musik, was zu sehr verschiedenartigen Aufnahmen führt. Karajans Klangbild wäre hier noch weitestgehend auf die Seite der Romantiker zu rechnen.

Ipsissimus
Dämmerung
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 10251
Registriert: 29.10.2004
Mo 3. Jan 2011, 12:05 - Beitrag #28

Lykurg, ich bin mit analogen Aufzeichnungsmethoden für alte Musik durchaus einverstanden. Es war ein Schlüsselerlebnis für mich, als ich auf einer Messe für Highend-Musiksysteme auf zwei 150k-Anlagen ein paar Hörtests machen durfte. Die eine Anlage war ein reines Analog-System, inklusive Röhrenverstärkern, Röhrenvorverstärkern, Plattenspieler, Nadel, Boxen, die andere ein reines Digitalsystem mit adäquaten digitalen Elementen. Testobjekt war die besagte Muti-Einspielung, einmal auf Audiophil-CD, einmal auf Audiophil-LP. Ich kann nur sagen, die CD klang unbeschreiblich brilliant, besser als alles, was ich bis dahin gehört hatte. Als aber dann die LP abgespielt wurde - ich bekomme heute noch Tränen in die Augen, wenn ich daran denke. Das war nicht einfach nur brillianter, das war ... ich weiß nicht ... herzerschütternd. Als würde nicht einfach nur die Zeitgestalt der Musik offenbart, sondern ihr Geist selbst.

Selbstredend liegen derartige Anlagen privat weit außerhalb meiner Möglichkeiten^^

Bezüglich Tonbandmaschinen weiß ich nicht, wie gut die besten verfügbaren Geräte sind, aber bei einer vollständig analogen Aufnahmekette kann ich mir durchaus hervorragende Ergebnisse bei der analogen Wiedergabe vorstellen. Immerhin sind alte Masterbänder oft genug so gut, dass sich digitales Remastering auf ihrer Grundlage lohnt^^

------------

Hm, ist der Gruppenzwang Teil des Spiels?
seit jeher, und nicht nur in der Musik^^

ob es in der Vor-Dampfmaschinen-Ära wirklich gemächlicher zuging, kann ich nicht richtig beurteilen. Jedenfalls waren Konzerte vor der Erfindung des Grammophons die einzige Möglichkeit, Musik in größeren Besetzungen klanglich zu erleben, und also wurde Musik auch für diese Situation geschrieben. Die Leute waren also daran gewöhnt, waren als einzige gegebene Möglichkeit daran gewöhnt (abgesehen mal von der Möglichkeit für Musiker, sich anhand von Klavier- oder Orgelauszügen einen Eindruck von dem Werk zu verschaffen). Aus meiner Sicht ist es daher in jedem Fall ein Verlust, sich dieser Musik nicht in ihrer "natürlichen Umgebung" zu nähern

Traitor
Administrator
Administrator

Benutzeravatar
 
Beiträge: 17500
Registriert: 26.05.2001
Do 6. Jan 2011, 23:53 - Beitrag #29

@Lykurg: Als Privatabspielmedium war mir das völlig unbekannt, sicher preis- und verbreitungsbedingt. Dass sie als Studiomedium hinreichend waren, ist natürlich rückwirkend klar. Aber da sind die Anforderungen eben auch andere, insbesondere muss keine Haltbarkeit unter andauerndem Abspielen gewährleistet sein.

Wie ändert man denn nachträglich die Homogenität eines Stückes? Primär durch die Verteilung der Instrumente im Konzertsaal bzw. Hoch- und Runterregeln der Einzelmikros bei Aufnahmen, oder auch durch minimale gezielte Abweichungen in Synchronizität, Stimmung oder woran auch immer man etwas drehen kann, ohne gleich fiese Dissonanzen zu bekommen?

@Ipsissimus: Solche euphorischen Schilderungen von sogenannten Audiophilen oder eben jetzt von dir klingen für mich dann aber irgendwie immer danach, als seien perfekte Aufnahmen auf perfekten Anlagen besser als Live-Konzerte. Was deinen Grundannahmen nach aber niemals passieren könnte...

Ipsissimus
Dämmerung
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 10251
Registriert: 29.10.2004
Mo 10. Jan 2011, 14:18 - Beitrag #30

zunächst mal, "audiophil" meint in diesem Kontext lediglich eine Bezeichnung für Klangträger überragender Qualität, bei denen hinsichtlich der gesamte Kette von Aufnahme bis zur Reproduktion auf dem Tonträger optimale Verfahren eingesetzt wurden. Besser als "audiophil" geht nicht, es bezeichnet den state-of-the-art der Tonträger-Technologien.

Das von dir gesehene Problem habe ich schon öfter mit Laien wie Fachleuten diskutiert; letztlich sind wir dabei nie zu einer Einigung, einem endgültigen Ergebnis gekommen. Wenn das Klangerlebnis einer Aufführung den Referenzklang gibt, scheint es auf den ersten Blick tatsächlich abstrus, eine Wiedergabe vom Tonträger könne identisch oder gar besser sein als die Wiedergabe. Allerdings scheint es bei dieser Frage nicht nur um die Qualität des Referenzklanges zu gehen, sondern in gleicher Weise um die Hörgewohnheiten und auch um die Wiedergabe-Geometrie. Ein Lautsprecher-Klang ist nie identisch mit dem Naturklang, allein deswegen schon, weil bei der Wiedergabe der Klang normalerweise auf einen viel kleineren Raum konzentriert ist und daher seine Details deutlicher zu hören sind. Wenn man lange Zeit an einen derartigen Klang aus einem absoluten Sptzen-Lautsprecher ohne Korrektur durch reale Konzerte gewohnt ist, kann es meines Erachtens schon passieren, dass der Lautsprecher-Klang als besser empfunden wird, obwohl es sachlich eigentlich unmöglich ist.

Lykurg
[ohne Titel]
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 6865
Registriert: 02.09.2005
Mo 10. Jan 2011, 16:59 - Beitrag #31

@Tonband vs. Kassette: Schon klar, für das ständige Abnudeln im Autoradio wäre so ein Band nicht geeignet (und die Kassette auch nur dann, wenn man eben sehr geringe Ansprüche hat).

@Abmischung: Ich bin nun kein Tontechniker, aber spontan sehe ich da mehrere Möglichkeiten. Die Plazierung der Musiker ist vor allem dann wichtig, wenn man nur mit wenigen Mikrophonen den Raumklang abnimmt. Ansonsten beeinflußt es natürlich auch ihr Spiel, wie gut sie sich gegenseitig hören und sehen, das ist aber für die Aufnahme letztlich eher eine Frage der Qualität als der nicht-wertenden Andersartigkeit. Wenn man aber mit vielen Mikrophonen einzeln oder in kleinen Gruppen abnimmt und in seperaten Spuren speichert, kann der Tonmeister einerseits beim Abmischen mit den Stereokanälen arbeiten, außerdem aber über die dynamische Feinsteuerung sehr viel machen (solistische Instrumente klanglich hervorheben etc.). An Stimmung und zeitlicher Positionierung innerhalb eines Kanals sollte man allerdings nicht ohne Grund schrauben, das wird, wenn es gut war, eher selten besser.

Ipsissimus, ich stimme dir in Teilen dahingehend zu, daß bei idealer Technik ein Aufnahmeklang besser als Konzertklang sein kann. Zu den Faktoren, die das Klangerlebnis Konzertsaal negativ beeinflussen, gehören für mich auch in jeder Hinsicht störendes Publikum, ungünstiger Sitzplatz, schlechte Raumakustik, Lärm von außen... Eine ideale Aufnahme kann mit direkter Abnahme des Instrumentalklangs und gutem Mastering und abgespielt unter idealen Bedingungen wirklich, wie von dir dargestellt, ein Ergebnis erzielen, das den Hörer weinen läßt (was er sich im Konzertsaal selten erlaubt^^). Eines fernen Tages...

Allerdings fehlt mir selbst das von dir so eindrucksvoll geschilderte einschneidende Vergleichserlebnis, um den Vorzug von analog vor digital wirklich bis ins letzte nachvollziehen zu können. Bei den unvollkommenen Möglichkeiten, die ich zuhause und in der Uni nutzen kann, bevorzuge ich aus praktischen Gründen CDs, wenn ich denn überhaupt eine Wahl habe.

janw
Moderator
Moderator

Benutzeravatar
 
Beiträge: 8488
Registriert: 11.10.2003
Mo 10. Jan 2011, 21:31 - Beitrag #32

Spricht etwas gegen eine Aufnahmetechnik, bei der der Klang in einem Konzertsaal über ein optimal platziertes Mikrophon im Zuschauerraum abgenommen wird? Wäre es eine Option, das Publikum durch entsprechende Füllmaterialien zu ersetzen, wenn man Störeffekte durch realen Publikum vermeiden will?

Letztlich ist doch das der Klang, den wir hören, nicht ein synthetisch aus Einzelspuren zusammengesetztes Konstrukt.

Traitor
Administrator
Administrator

Benutzeravatar
 
Beiträge: 17500
Registriert: 26.05.2001
Mo 10. Jan 2011, 23:54 - Beitrag #33

@Ipsi: Audiophil in deinem Kontext war mir klar. Allgemein kenne ich das Wort aber inzwischen leider fast schon als Schimpfwort, da es neben ernsthaften Enthusiasten mit vernünftiger Beurteilungsgabe ja auch die Leute gibt, die doch arg esoterischem Zubehör vom CD-Entmagnetisierer bis zum Luftmolekülumordner anhängen. ;)

Dass eine Aufnahme umwerfender wirken kann, könnte ich mir auch damit erklären, dass man sich stärker noch auf die pure Musik konzentriert. Dabei meine ich nicht nur reine Live-Störeffekte wie die von Lykurg genannten, sondern auch an sich nicht negative, aber doch ablenkende Aspekte wie die optische Beobachtung des Orchesters.

@Lykurg: Spannend fand ich die (Dis-)Homogenisierungsfrage vor allem auch für nicht aufgenommene Konzerte, also in Bezug auf die Aussage, dass sich die Dirigentenpraxis in dieser Hinsicht mehrfach geändert habe.

@Jan: Bei einem optimal an den Konzertsaal angepassten Mikro hast du dann wieder das Problem, dass der Abspielraum des Hörers das Ergebnis verzerrt.
Und wenn du Publikum durch Füllmaterial ersetzt, kannst du die Teile des Publikums, bei denen der Platz zwischen den Hörorganen eben nicht gefüllt ist, doch gar nicht angemessen simulieren... ;)

Lykurg
[ohne Titel]
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 6865
Registriert: 02.09.2005
Di 11. Jan 2011, 00:34 - Beitrag #34

Traitor, mir war nicht klar, daß du dich auf meine Bemerkungen zur Klangästhetik bezogst. Die genannten Unterschiede liegen prinzipiell weniger in der Hand des Dirigenten als vielmehr des Komponisten - welche Instrumente verwendet werden und wie sie kombiniert werden. Das große romantische Orchester ist dahingehend optimiert, für alle Klangfarben und alle Lagen spezifische Instrumente bereitzustellen; die Komponisten nutzen dies oft für eher flächige Wirkung. Im deutlich kleiner besetzten Barockorchester sind die Klangfarben der Instrumente noch charakteristischer, da stechen eher Einzelstimmen hervor bzw. auch der Hintergrund besteht erkennbar aus Einzelstimmen. - Der Dirigent kann in ähnlicher Weise wie der Tonmeister dynamische Hervorhebungen bewirken, und auch die Dirigierpraxis hat sich stark geändert bzw. ist hochgradig individuell. Dazu kommt allerdings auch, daß es von der Wiederentdeckung der Barockmusik Mitte des 19. bis zur Durchsetzung der historischen Aufführungspraxis über hundert Jahre später völlig selbstverständlich war, Barockmusik ausschließlich gemäß romantischer Klangvorstellung aufzuführen, will sagen die Instrumentierung und die Spielweisen anzupassen.

janw, Aufnahmen in der von dir beschriebenen Art gibt es schon länger, etwa den Tonkopf. Dabei geht es genau um ein realistisches Abbild dessen, was ein Konzertbesucher hören würde, mit Mikrophonen in Position und Ausrichtung der Ohren. Allerdings geht damit genau der von mir erwünschte Vorteil der Vielspurenaufnahme, Mikrophone an Stellen unterzubringen, an denen der Konzertbesucher unmöglich sitzen kann (z.B. im Flügel oder direkt an der Mündung des Fagotts), und dann nachher zu definieren, was wie stark gehört werden soll.
Das, was wir hören, setzt sich letztlich immer aus Einzelereignissen zusammen. Kritisch ist die Veränderung des Schalls durch Reflektion und Teilabsorption bestimmter Frequenzbereiche an den verschiedenen Oberflächen im Konzertsaal (was bei einem gut klingenden Saal gewünscht ist), derartiges geht natürlich bei Direktabnahme verloren. Ist eben die Frage, wieviel direkten Klang und wieviel Optimierungsspielraum man haben will.

Ipsissimus
Dämmerung
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 10251
Registriert: 29.10.2004
Di 11. Jan 2011, 01:41 - Beitrag #35

ein Thema beinahe für die Ewigkeit

Vorherige

Zurück zu Musik

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 24 Gäste