Unmusik

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Lykurg
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Do 19. Mai 2011, 15:54 - Beitrag #21

Es versteht sich von selbst, dass Lykurg mir diese Charakterisierung von Leittönigkeit um die Ohren hauen kann^^ ich bin mir ihrer Unzulänglichkeit selbst bewusst. Trotzdem vermittelt sie vielleicht einen ersten Eindruck von dem Gemeinten.
Will er aber gar nicht ;) ich finde das eine sehr erfrischende Darstellung, die sich den letztlich unbefriedigenden formaleren Versuchen elegant entzieht. Ergänzen würde ich die Notwendigkeit einer feststehenden Tonart als Ziel für den Leitton (bis hin zu Wagner, mit ein paar Ausnahmen zuvor^^), während wir es bei modaler Musik eben wirklich mit einem Vorrat und bestimmten Charakteristika zu tun haben.

Zum Verstehen modalen Denkens hilft Praxis immens, speziell zum Verständnis von Gregorianik aber kein Instrument außer der Stimme. Wenn man ein paar^^ Hymnen und Antiphonen mit klarer modaler Zugehörigkeit wirklich kennt, will sagen, über ein paar Jahre im Zyklus wechselnd gesungen hat, stellt sich ein Gefühl dafür ein, was eigentlich die Klangvorstellung dahinter ist, bis hin zum Gespür für Echtheit oder spätere Hinzufügung von einzelnen Wendungen, auch wenn sich das im Einzelnen nur unter großem Aufwand analytisch begründen läßt, wenn überhaupt.

Von Stockhausen haben wir uns damit allerdings ein kleines bißchen entfernt, ins andere Extrem, allerdings wäre ohne diese Grundlage natürlich auch der Zugang zu seiner Musik ein anderer.

Ipsissimus
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Do 19. Mai 2011, 16:46 - Beitrag #22

danke^^

ja, das mit der feststehenden Zieltonart hätte ich noch explizieren müssen, aber das war mir so selbstverständlich, dass ich nicht daran dachte^^

wobei ich es faszinierend finde, dass in diesem Moment, das der Tonalität ihren definierenden Rahmen gibt, der Kern zu ihrer Auflösung schon angelegt ist. Der Rahmen wurde offensichtlich im Laufe des 19ten Jahrhunderts zunehmend als zu eng empfunden; und dieser Enge wurde mit Modulationen entgegengewirkt (Modulationen: Bereiche eines Musikstücks, die sich auf eine andere Grundtonart beziehen als die eigentliche Grundtonart), die immer weiter ausuferten, bis es irgendwann keinen richtigen Sinn mehr machte, überhaupt mit einer Grundtonart zu komponieren. Und in der Situation hatte Schönberg seinen großen Auftritt.

Lykurg
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Do 19. Mai 2011, 18:24 - Beitrag #23

ja, das mit der feststehenden Zieltonart hätte ich noch explizieren müssen, aber das war mir so selbstverständlich, dass ich nicht daran dachte^^
Hat ja auch gewisse tautologische Züge, tonale Musik mit dem Vorhandensein einer Tonart zu erklären^^ - ist nur für den Leittongedanken mehr oder weniger erforderlich. Das erklärt dann auch das selbstenthaltende Auflösungsmoment und seine Folgen, bis zu Schönberg und darüber hinaus.

Traitor
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Sa 21. Mai 2011, 21:55 - Beitrag #24

Erlernen eines Instrumentes ist bei mir bekanntermaßen hoffnungslos. Eine Herunterbrechung in Umgangssprache erwarte ich hier auch gar nicht, eigentlich fehlt mir zum Verständnis der Wikipedia-Tonalitäts-Artikel gerade eher die Umsetzung auf die mathematische Ebene - ich versuche, zu verstehen, inwiefern atonale und tonale Musik verschiedene Töne enthalten. Und da erscheint mir genau der von Ipsi zitierte Absatz ("sind keine Tonleitern") ein Widerspruch dazu zu sein, dass beispielsweise im Artikel Äolischer Modus eine Tonleiter abgebildet ist.

Ipsissimus
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Fr 27. Mai 2011, 13:43 - Beitrag #25

in dem Artikel über den äolischen Modus ist keine Tonleiter abgebildet sondern eine Skala. Skalen und Tonleitern können sich optisch ähneln bis zur Identität, sie sind aber etwas völlig Unterschiedliches. Die Formulierung "Tonleiter in A-Äolisch", die sich in dem Artikel findet, ist falsch und irreführend.

Der Unterschied zwischen einer Tonleiter und einer Skala besteht, etwas vereinfachend ausgedrückt, darin, dass die Töne einer Tonleiter implizite Funktionen tragen, die in Akkordfolgen explizit werden, während eine Skala einfach ein Tonvorrat ist. Außerdem sind modale Skalen ursprünglich nicht frei transponierbar; da sie auf der reinen Stimmung aufbauen fallen bei Transpositionen die Kommata immer stärker ins Gewicht. Die durch die Kommata verursachte Quintenunreinheit macht sich klanglich äußerst negativ bemerkbar. In der Zeit der wohltemperierten Stimmungen haben die Kirchentonarten dieses Problem dann nicht mehr, aber da hatte sich das musikalische Denken schon so weit verändert, dass diese barocken und deutlich stärker harmonisch gedachten Skalen und die ursprünglichen modalen Skalen nicht mehr so recht aufeinander beziehbar sind.

Erschwerend kommt hinzu, dass der Unterschied zwischen Skala und Tonleiter sprachlich heute kaum noch gemacht wird. In salopper Sprache gehen die modalen Skalen heute also auch als Tonleitern durch, obwohl sich einem Fachmann dabei die Gedärme verknoten.

e-noon
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Di 22. Nov 2011, 17:38 - Beitrag #26

Zumindest von Ligeti habe ich in letzter Zeit einiges gehört, das ich zwar interessant und auch gut zu ertragen fand, anders als Stockhausen, aber es war (noch) kein Genuss wie der klassischer Stücke. Ich könnte mir auch vorstellen, dass ich nach jahrelangem Einhören in diese Musik die klassische, "einfachere" Musik dann als langweilig empfinden würde.

Ipsissimus
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Di 22. Nov 2011, 17:56 - Beitrag #27

was hast du denn von Ligeti gehört?

diesen Gewöhnungsprozess musste ich damals auch erst hinter mich bringen^^

e-noon
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Di 22. Nov 2011, 18:03 - Beitrag #28

Was man auf youtube so findet, musica ricercata (Frühwerk wohl, hat mir am besten gefallen), coloana infinita, Etüde 1/Désordre, Etüde 4/Fanfares, und noch ein paar.

Wie hat sich durch die Eingewöhnung dein Blick auf klassische Musik verändert?

Lykurg
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Di 22. Nov 2011, 19:23 - Beitrag #29

"Artikulation" finde ich gerade sehr spannend, besonders mit Kopfhörern - um die Stereophonie besser rauszuarbeiten, wobei man wohl eigentlich auch hier einen Vierkanalton brauchen würde.

Mein Blick auf Klassik... ich erwarte mehr von ihr, und ich denke auch, daß unsere Alte-Musik-Bewegung zum Teil durch Erfahrungen mit neuer Musik geprägt ist, was einen anderen Blickwinkel auf das Instrument und um authentische Umsetzung von Notentext angeht.

Ipsissimus
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Mi 23. Nov 2011, 16:54 - Beitrag #30

na ja, die alte Musik - als "klassische" Musik bezeichnet man nur die Musik der Wiener Klassik zwischen ungefähr 1770 und 1830, man kann auch noch die Frühklassik ab 1730 dazunehmen - hat ihren Charakter als Klang-Referenz verloren. Und sobald das geschafft war, fiel mir so richtig auf, wie uneinheitlich diese alte Musik doch tatsächlich war, nur durch träge Gewohnheit zu einer vereinheitlichten Masse zusammengefasst

Lykurg
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Mi 23. Nov 2011, 18:19 - Beitrag #31

Das sehe ich ähnlich, in meinen Augen ist es ein Bewußtwerden der Bandbreite dessen, was Musik sein kann, so wäre das Aufbrechen der spätklassisch-romantisch geprägten Spielkonventionen teilweise der Neuen Musik zu verdanken. Zum Teil dürfte das allerdings auch unabhängig davon in einem reinen Neuheits-/Modendenken zu begründen sein, aber die Richtung und das Ausmaß wurde mit davon beeinflußt.

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