Zum Tod von Dietrich Fischer-Dieskau

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Ipsissimus
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Fr 18. Mai 2012, 19:07 - Beitrag #1

Zum Tod von Dietrich Fischer-Dieskau

http://www.sueddeutsche.de/kultur/zum-tod-des-saengers-dietrich-fischer-dieskau-der-wundermann-1.1360771

oh Gott

Er war mein Einstieg in die Welt des Kunstlieds, dafür werde ich ihm für immer dankbar bleiben. Er war für mich der allerbeste, seine eigene Kategorie, crossover nur noch mit Jordi Savall vergleichbar.

http://www.youtube.com/watch?v=l5QrkQtyvDo
http://www.youtube.com/watch?v=sIIS-UgixGE&feature=endscreen&NR=1
http://www.youtube.com/watch?v=5XP5RP6OEJI
http://www.youtube.com/watch?v=Kdb1SUzsIgc
http://www.youtube.com/watch?v=lYoIYZ-7Y1w&feature=related

Ruhe in Frieden. Ein Diamant ist unvergänglich.

janw
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Mi 23. Mai 2012, 21:36 - Beitrag #2

Wieder hat ein Großer uns verlassen.
Seine Art zu singen sucht ihres Gleichen.

Ich muss gestehen, daß ich das Kunstlied etwas an der Seite gelassen habe, sein "Tod und das Mädchen" stellt dies als Fehler heraus, zutiefst berührend.

Lykurg
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Do 24. Mai 2012, 16:17 - Beitrag #3

Ich bin gespalten... natürlich trauere ich um einen großen Musiker, einen der wichtigsten Liedinterpreten überhaupt. Seine Aufnahmen habe ich von Kindheit an in großer Zahl gehört. Und doch verkörpert er für mich eben nicht das Ideal, das viele in ihm sehen. In seiner Stimme schwingt etwas mit, das ich als unkontrolliert und störend wahrnehme, irgendwie (und das zieht sich von den ganz frühen bis in die ganz späten Aufnahmen durch) etwas unfertiges und unkultiviertes. Darüber hinaus ist er oft sehr unsauber, was Tonhöhen angeht, - und da bin ich empfindlich.

Gerade der Leiermann in der verlinkten Aufnahme ist ein Beispiel dafür; hier ist es wahrscheinlich sogar zum Teil beabsichtigt (2:14ff., vielleicht auch gegen 3:24), und das mag ich nicht. Ohnehin sind mir viele seiner Interpretationen zu stark - wie oft habe ich diese Aufnahme des Erlkönigs über die Jahre gehört, und immer noch schwanke ich, ob es eine fast vollkommene Umsetzung als schizophrene Miniaturoper ist, oder aber ein überaffektiertes Stück Stimmungsmalerei, an der Grenze zum Kitsch.

Trotzdem, zweifellos ein sehr bedeutender Musiker und enorm wichtig für mehr als eine Generation von Hörern, für die nur er das Kunstlied ausmacht. Mögen andere ähnlich erfolgreich sein, aber weniger beherrschend.

janw, da gibt es so unheimlich viel zu entdecken... Die Winterreise allein schon, aber auch viele von den Goethe-Liedern. Schumann, Brahms, Mahler... genug für mehr als ein Leben.

Ipsissimus
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Fr 25. Mai 2012, 09:53 - Beitrag #4

In seiner Stimme schwingt etwas mit, das ich als unkontrolliert und störend wahrnehme, irgendwie (und das zieht sich von den ganz frühen bis in die ganz späten Aufnahmen durch) etwas unfertiges und unkultiviertes.


Kannst du das präzisieren? Gefällt dir einfach die Grundcharakteristik der Stimme nicht oder meinst du, er sei gesangstechnisch nicht auf der Höhe der Kunst gewesen? Und gerade Fischer-Dieskau warnte doch immer wieder vor einer übertrieben emotionalen Darstellung. Wäre natürlich nicht das erste Mal, das der Mahner sich dessen selbst schuldig gemacht hätte, wogegen er mahnt. Aber ich empfand die meisten seiner Liedinterpretationen als nur sehr dezent mit Emotionen spielend

janw
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Fr 25. Mai 2012, 15:40 - Beitrag #5

Mag sein, daß da gelegentlich etwas gebrochen klingt, aber ich empfinde das eher als "authentisch", das trägt für mich zur anrührenden Wirkung bei, die sonst nicht da wäre, technische Präzision ist kalt.

Lykurg
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Fr 25. Mai 2012, 19:06 - Beitrag #6

Nehmen wir mein absolutes Lieblingsstück seit vielen Jahren, Gustav Mahlers Vertonung von Friedrich Rückerts "Ich bin der Welt abhanden gekommen" - passend sowohl hinsichtlich des Textes als auch angesichts des Zufalls, daß Fi-Di auf den Tag genau 101 Jahre nach Mahler gestorben ist. Gesungen von Dietrich Fischer-Dieskau, ist durchgängig ein für ihn typischer knarziger Klang dabei, abgesehen von den Höhen, die silbrig rausfallen, aber wie auch die mittleren und tiefen Abschnitte für mein Empfinden zu weit hinten sitzen.

Aber ja, ich finde gerade seinen frühen Erlkönig extrem emotionalisiert, Fischer-Dieskau griff zB stärker zum Sprechgesang als die meisten Sänger, die ich kenne.

Eigentlich müßte ich jetzt einen großen Quervergleich anstellen, aber dafür fehlt mir die Zeit und teilweise auch die richtigen Aufnahmen. Manches von Thomas Quasthoff ist mir lieber, vieles von Olaf Bär, auch von Bo Skovhus, und wenn man Tenöre dazunimmt, sowieso (ganz besonders Ian Bostridge und Werner Güra), aber das geht am besten mit Liedern, die von möglichst vielen davon in guten Aufnahmen online stehen.

janw, das kann im Extrem stimmen, aber Präzision ist ein riesiger Grenzbereich, der sich seit etwa einem Jahrhundert massiv verschoben hat bzw. verschiebt, hin zu einer immer größeren Präzision als 'Grundanforderung', über die hinaus man kommen muß, bevor Interpretation überhaupt ins Gewicht fällt. Berufsorchester des frühen 20. Jahrhunderts spielten unpräziser als es sich gute Laienensembles heute erlauben würden, und auch im Gesang haben sich die Anforderungen deutlich gewandelt - mal ganz abgesehen von geschmacklichen und technischen Veränderungen.

Ipsissimus
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Fr 25. Mai 2012, 21:09 - Beitrag #7

wie erklärst du dir dann seine Karriere?

Lykurg
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Sa 26. Mai 2012, 00:01 - Beitrag #8

Zweifellos war er zu jedem Zeitpunkt seiner Karriere besser als viele andere, hat den Geschmack vieler getroffen und das riesige, eher vernachlässigte Repertoire des romantischen Kunstlieds wieder ins öffentiche Bewußtsein gehoben, entgegen vielen eher auf die Oper fokussierten Größen seiner Anfangsjahre. Ab einem bestimmten Bekanntheitsgrad wird eine Künstlerkarriere aber auch fast zwangsläufig zum Selbstläufer, das Publikum kauft und die Szene orientiert sich an einem, gleich wie man sich entwickelt und was ein paar Kenner davon halten. Denn auch unter den Sängern in meiner Bekanntschaft sind die Meinungen zu ihm gespalten, mein letzter Gesangslehrer führte ihn häufiger als Negativbeispiel an. Ein Beispiel für eine Extremkarriere weit über die stimmliche Grundlage hinaus ist übrigens Anna Netrebko - was bei ihr hervorragend funktioniert, ist die PR-Abteilung. Damit würde ich Fischer-Dieskau nicht vergleichen wollen, künstlerisch befand er sich immer auf weit höherem Niveau, und hatte Werbung auch daher nicht nötig, aber irgendwann lief es halt.


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