Zitat von mine'S^:[...]Ich nehme an soweit sind wir uns einig, wir sehen nur die Reaktion auf die Ausnahme von der Regel unterschiedlich. Ich persönlich bin nicht per se für Strafe nur weil ein Polizist gegenüber einem Gefangenen Gewalt angewandt hat, sondern nur dann wenn diese Gewalt nicht notwendig war, während du meinst es könne keine solche Notwendigkeit existieren.
Ich kann mir idT kaum Fallkonstellationen vorstellen, in denen es notwendig ist, Gefangene zu töten. Gegen Herzinfarkt ist man machtlos, aber wenn ein Gefangener in den Händen von Polizisten erstickt, ist etwas krass schief gegangen, das darf einfach nicht passieren. Schwere Verletzungen können natürlich passieren, sie müssen aber entsprechend behandelt und dokumentiert werden.
Der Fall Daschner ist da ein perfektes Beispiel. Der Ermittler ging davon aus, dass der Junge noch zu retten sei und sah daher die Notwendigkeit gegen geltendes Recht zu verstoßen um das Leben des Jungen zu retten. Ich bin in diesem Fall klar gegen eine Strafe für Daschner sei sie symbolisch oder hart, ich wäre sogar dann gegen eine Strafe, wenn Gäfgen tatsächlich misshandelt worden wäre, weil die Notwendigkeit nach bestem Wissen gegeben war.
Dann hätten wir allerdings eine Fall von ungleicher Rechtsanwendung, im einen Fall führt ein Rechtsbruch zur Sanktion, im anderen Falle soll dies nicht geschehen.
Außerdem ist das mit dem "besten Wissen" mehr als zweifelhaft, weil 1. hinterher nicht unbedingt rekonstruiert werden kann, was wer in welcher Minute gewusst hat und 2. das Wissen auch die Ideen einschließt, wie in einer bestimmten Tatsachenkonstellation verfahren werden könnte - damit wird die Sache zum Gegenstand, ob jemand im Krisenstab auf den Gedanken gekommen ist, z.B. mal eine wichtige Bezugsperson des Angeschuldigten herbeizuschaffen, die vielleicht etwas erreichen kann. Eine Lösung, die zielführend sein könnte, ohne dabei Grenzverletzungen zu begehen.
Natürlich kann ich mich in Daschners Lage hinein versetzen, vielleicht gibt es Situationen, die so äußerst verzweifelt sind, in denen man sich über Gesetze hinweg setzen muss...ohne daß hierfür eine a priori-Regel geschaffen werden kann. Allerdings hätte er das selbst durchziehen müssen und nicht noch einen Untergebenen mit rein ziehen, und dann vor Gericht wirklich klar sagen, mit was er denn gedroht hatte.
Ich denke mal wir sehen das so grundverschieden, dass eine Diskussion da kaum zu einer Einigung führen wird ]
Naja, ich kann schon verstehen, warum Du so denkst wie Du denkst, für mich wäre das nur zu gefährlich, weil jede Ausnahme von Verbotstatbeständen sofort ausgenützt werden würde. Bedenke dabei immer, es kann jeden treffen, sei nur zur falschen Zeit an einem Ort, wo ein Verbrechen begangen wurde und falle der Polizei auf, die Dich dann auf Biegen und Brechen als Täter präsentieren will...da finde ich es schon beruhigend, daß hierzulande gewisse Standards gelten.
@Padreic:
Zitat von Padreic:Ich denke, dass die Thematik der Folter seitens der Polizeit etwas am Thema dieses Threads vorbeigeht]
Naja, man kann andererseits aber nicht umhin, festzustellen, daß die rechtliche Auseinandersetzung mit der RAF einiges zur Durchdringung rechtsstaatlicher Prinzipien bei Polizei und Strafvollzug und zur Stärkung der Normen durch höchstrichterliche Urteile beigetragen hat. Die Leute von der RAF wollten eine andere Republik, und am Ende war die Republik eine andere, wenn auch nicht ganz so wie angestrebt.
Vielleicht ist das auch ein Problem für "uns" heute, je nach dem, wie alt und damit nah am Geschehen wir sind, daß wir auf das Geschehene mit unseren heutigen Augen blicken, wo aber damals die Uhren noch ein wenig anders gingen. Manches in der jüngeren Vergangenheit sieht etwas anders aus, wenn man selbst die Umstände erlebt hat, unter denen es stattgefunden hat.
Man muss dazu sagen, dass Holger Meins, hätte er eine Waffe und eine Chance zur Flucht gehabt, vermutlich bereit gewesen wäre, jeden von ihnen umzunieten, um seine Vorstellungen von Recht und Unrecht, insbesondere seine eigene persönliche Freiheit, durchzusetzen. Das soll keine Rechtfertigung sein; nur die Polizisten als feige Bastarde hinzustellen, die RAF dagegen zu Helden, die ein paar Fehler gemacht haben, zu stilisieren, finde ich, mit Verlaub gesagt, widerlich.
Hätte er vielleicht gemacht, wie jeder gewöhnliche Bankräuber oder bewaffneter Räuber es bei Gelegenheit tun würde, aber das ist das Berufsrisiko der Polizisten, dafür werden sie ausgebildet, dagegen schützen sie sich wo es nur geht.
Ich weiß nicht...Du hast Ipsi wirklich ganz zerrissen wiedergegeben, hast Du ihn denn so falsch verstanden?
Es geht um folgendes:
Daß die RAF schlimme Verbrechen begangen hat, ist eine Tatsache, die so ist, und über die man sich trefflich moralbasiert erregen kann. Nur führt das nicht allzu weit.
Ipsi befasst sich denn auch gar nicht mit diesem Aspekt, sondern tut das, was jene jeden Tag tun, die mit dieser Materie zu tun haben, er sucht nach den Hintergründen.
Und da kommt man nicht dran vorbei, daß die RAF aus einem recht ausgedehnten Feld an Unzufriedenheit mit den staatlich-gesellschaftlich-politischen Verhältnissen Ende der 60er Jahre erwachsen ist, das sich einem zunehmend gewalttätigen staatlichen Handeln gegenüber sah - Polizeieinsatz beim Schah-Besuch, Ermordung Benno Ohnesorgs als wichtige Eckpfeiler der Entwicklung.
Es ist bekannt, daß in dieser Phase im linken Spektrum sehr intensiv diskutiert wurde, wie verfahren werden sollte, und die aufgebrachten Strategien - natürlich war es eine Strategiedebatte! - reichten von gewaltfreiem Widerstand à la Gandhi oder King über Gewalt gegen Sachen bis hin zu Übergriffen gegen Spitzen von Staat und Wirtschaft.
Betrachtet man den Diskurs als eine Strategiedebatte, will man ergründen, wie das geschehen ist, was geschehen ist, muss es erlaubt sein, die Vorgänge in ihrer strategischen Bedeutung zu bewerten. Das tun jene jeden Tag, die unsere Steuergelder verwalten und über uns Gesetze erlassen, die moralische Bestürzung eines Politikers über einen Anschlag dauert eine Minute dreißig in der Tagesschau, überspitzt formuliert.
Und da ist es IMHO völlig richtig, festzustellen, daß die Entscheidung zur Gewalt gegen Menschen eine strategische Fehlentscheidung erster Güte war.
Und daß sie wohl wesentlich auf Andreas Baader zurückzuführen ist.
Daß es eine moralisch verwerfliche Entscheidung war, bedarf keiner näheren Erörterung.
Ich denke, Ipsi hat über die Zeit hinreichend eine friedfertige und Gewalt ablehnende Haltung an den Tag gelegt, um eigentlich gegen das Hineinlesen eines gewaltapologetischen Dralls in seinen Beitrag gefeit zu sein.