Da ich inzwischen glücklicherweise Gelegenheit hatte, sowohl das Buch zu lesen als auch den Film zu besuchen, kann ich mich endlich auch hier einschalten, ohne
Spoilerdiskussionen anderer fürchten zu müssen, sondern sie nun selbst zu führen.
Vorangestellt sei die Anmerkung, daß ich hoffnungslos voreingenommen bin. Ich hatte schon sehr positive Rezensionen gelesen, darunter eine, es handle sich wohl um die beste Literaturverfilmung der letzten zehn Jahre; meine Erwartungen waren also dermaßen hoch, daß ich überrascht war, sie nicht enttäuscht zu sehen.
Zitat von Ipsissimus:worin besteht eigentlich der Reiz solcher Filme? Ist der identisch mit dem Reiz der Bücher?
Nach meinem Eindruck war dies die erste mir bekannte Literaturverfilmung eines ernstzunehmenden Textes, die ich als in fast jeder Hinsicht klar besser als die Vorlage fand. Der Reiz war also tatsächlich größer. Das liegt an einigen massiven Schwächen des Romans, die diese Verfilmung konsequent vermeidet, zum Beispiel die große Bedeutung von Zufällen. Im Buch bricht Jane Eyre zufällig halbverhungert auf der Türschwelle des äußerst abgelegenen Hauses zusammen, in dem ihr Vetter und ihre Cousinen leben (wie sich später durch einen weiteren Zufall herausstellt) - von deren Existenz sie aber bis dahin nichts wußte. Sie ist identitäts- und mittellos, da sie ihr Gepäck in der Postkutsche liegenließ. Sie mußte fliehen, da durch ihren Brief an ihren unbekannten Onkel auf
Madeira der ihn gerade (als guter Freund und Geschäftspartner) von
Jamaika aus besuchende Bruder von Mrs. Rochester rechtzeitig von den (sehr kurzfristigen und im Stillen erfolgenden) Hochzeitsplanungen erfährt, um genau im Moment der Eheschließung in die Kirche zu kommen - in Begleitung eines Anwalts und mit allen Belegen. Diesen ganzen Unsinn läßt der Film weg bzw. entfernt alle überflüssigen Zufälle darin, und ich bin sehr dankbar dafür.
Darüber hinaus versieht der Film die Handlung mit wunderschönen Bildern und bringt mir die Geschichte in einer Weise nahe, die das Buch so nicht leisten kann, darüber hinaus enorm zeitsparend - ich habe mit dem Buch mehrere (zugegebenermaßen sehr schöne) Abende verbracht und mit dem Film nur einen]für mich stellen solche Verfilmungen letztlich eine mehr oder weniger starke Absage an den Gehalt der Vorlage dar, insbesondere an durch subtextuelle Anteile vermittelte Vorstellungsbereiche. All das, was durch variiertes Erzähltempo, Wortwahl, Ausdrucksweise, situative Schilderungen vermittelt wird, wird weitgehend zugunsten filmspezifischer Inszenierungsregeln und mutmaßlicher Verständnisfähigkeit eines heutigen Publikums verändert oder entfernt.
Wenn dies nicht sogar schon aufgrund der Verständnisfähigkeit der Filmemacher geschieht.[/QUOTE] Da muß ich in diesem Fall klar widersprechen. Der Gehalt der Vorlage wurde klar bewahrt, aber in einen höheren Kontext überführt. Gerade die Erzählweise ist hier ein ganz wesentliches Merkmal: Der Roman erzählt streng linear von Janes Kindheit bis zu ihrer Hochzeit und schließt mit einem etwas rührseligen Epilog zur Geburt ihres Kindes und wundersamen Teil-Gesundung ihres Mannes. So weit, so hübsch, so langweilig. Ganz großartig dagegen der Film, der aus einem Schlüsselmoment, dem ihrer Flucht aus Thornfield heraus, die Handlung in mehreren Rückblenden erzählt, die jeweils durch den weiteren Ablauf der Ereignisse in der Haupthandlung motiviert sind.
An dieser Stelle haben Drehbuchautor und Regisseur das Buch ganz hervorragend verstanden, nämlich besser als die Autorin selbst. Und das geht noch weiter. Neben der bereits erwähnten Reduzierung von Zufällen wird an verschiedenen Stellen überaus interessant psychologisiert. Wo etwa im Buch sie ein Bild versehentlich mit ihrem richtigen Namen unterzeichnet statt mit dem angenommenen und deswegen ihre Identität enthüllt wird, benutzt sie im Film den Freiraum unter dem Bild dazu, immer wieder mit verschnörkelten, ineinander verschlungenen Buchstaben ihren Namen zu schreiben, offensichtlich ringt sie um ihre wahre Identität. Das wird nicht weiter thematisiert, es ist nur eine winzige Szene, die auch kaum jemandem aufgefallen ist, mit dem ich bisher über den Film sprach, aber ich finde es ein wunderschönes Beispiel dafür, mit wieviel Feingefühl die Filmemacher hier die Person Jane Eyre durchdacht haben.
Ein paar Dinge, die dem Buch leicht fallen, kann der Film nicht leisten, vor allem die inneren Monologe der Hauptfigur, die etwa ihr schwieriges Verhältnis zu St. John Rivers betreffen, den sie bewundert und in gewisser Weise auch verehrt, dazu noch brüderlich liebt und seine marmorne Schönheit bewundert, aber eben nicht als einen Partner lieben kann, da ihr Herz vergeben ist und er typmäßig für sie nicht infragekommt. Der Film geht darüber in weiten Teilen hinweg, indem er einerseits äußerlich nicht besonders attraktiv ist und andererseits die Szenen, die ihn als rücksichtslos zeigen, sehr stark aufgetragen sind. Hier hätte ich mir vielleicht etwas mehr Differenzierung gewünscht.
Unzufrieden war ich mit dem Schauplatz der Schlußszene (also nur hier negativ abweichend vom Roman) - daß in dieser Brandruine noch Bücher stehen und die Haushälterin mit einem makellosen Kleid in halber Höhe erscheint, wirkte irgendwie surreal und angesichts des zeitlichen Abstands, den das Geschehen haben mußte, unglaubwürdig. Möglicherweise war es auch die Absicht des Regisseurs, eine Deutung des Schlusses als Traumsequenz zu ermöglichen, ähnlich dem Wunschtraum Jane Eyres im Schulhaus (der auch nicht dem Buch entstammt, obwohl er perfekt hineinpaßt)? Das würde der Perfektion des Films noch die absolute Krone aufsetzen - den unrealistisch-positiven Ausgang der Geschichte als Traum entlarvt, oder eben auch nicht, in jedem Fall aber mit offenem Ende - ich muß ihn irgendwann noch einmal sehen, um nach weiteren Anzeichen für diese Lesart des Filmschlusses zu suchen, die, wenn, nur sehr subtil angedeutet wird. - Ich hoffe aber, gezeigt zu haben, daß in diesem Fall sehr wohl der Film mehr bieten kann als das Buch, und das jedenfalls nicht aus Unfähigkeit seiner Ersteller.^^
Amy, du bezeichnetest die Mia Wasikowska als zu blaß, vor allem neben dem wirklich großartig spielenden Michael Faßbender. Ich meine aber, daß sie ganz vorzüglich in die Rolle paßt, sie tatsächlich in herausragender Weise verkörpert. Denn Jane Eyre
ist so blaß und unansehnlich, ein Mauerblümchen, im Buch wird ihr immer wieder und von verschiedensten Leuten sehr deutlich gesagt, daß sie im Leben keine Chancen hat, weil sie ja leider nicht hübsch ist. Sie zeichnet sich durch ihr zurückhaltendes Wesen und ihre absolute Selbstlosigkeit aus, mit der sie als dienende Figur neben Rochester, aber beinahe auch schon neben Rivers verschwindet. Man kann seine Probleme mit diesem viktorianischen Frauenbild haben, aber das entspricht nun einmal haargenau dem Geist der Vorlage. Ich finde es erstaunlich, daß der Film das so weitgehend umsetzt, und habe nur Respekt und Bewunderung für diese großartige filmerische und darstellerische Leistung.