Schätzle und ich waren gestern abend in der Spätvorstellung und waren beide sehr angetan.
Ich war ursprünglich ziemlich skeptisch gewesen; die Art und Weise, wie der Film besprochen wurde, ließ mich vorab das Schlimmste befürchten; glücklicherweise entsprach der Film nicht seinen Besprechungen.
Der Film zeichnet sehr akkurat die Geschehnisse zwischen der Eskalation der (Anti-)Schah-Demonstration / der Ermordung Benno Ohnesorgs und dem Tod der Gefangenen in Stammheim / der Tötung Schleyers nach, soweit sie durch die Beweislage bestätigt sind; daneben zeigt er "plausible" private Szenen, die so oder so ähnlich stattgefunden haben. Das Ganze ist eingebunden in Originalaufnahmen, Fotos, Filme, Fernsehaufnahmen, der damaligen Zeit. Ein paar Trickeffekte sind etwas schiefgegangen, was aber den Gesamteindruck nicht sonderlich störte, der Film überzeugte durch die erzählte Geschichte, nicht durch unwesentliche Details der Regie- und Trickkunst.
Moritz Bleibtreu hatte die undankbare Aufgabe, das Arschloch Andreas Baader so darzustellen, dass zum einen die nahezu "animalische" Ausstrahlung und Energie dieses Mannes transportiert wurde, andererseits klar wurde, wieso unter einer großen Zahl hochkarätiger Intellektueller ausgerechnet der tumbe Macho zum Chef aufstieg, sich dieser intellektuell eher minderbemittelte Mann dann aber im Gefängnis zu einem Taktiker und Strategen entwickelte, der die Nation das Fürchten lehrte. Bleibtreu hat diese Gradwanderung einigermaßen manierlich hinbekommen, ohne dass seine Schauspielkunst mich wirklich vom Hocker gerissen hätte.
Martina Gedeck als Ulrike Meinhoff war eine Offenbarung; die Zerrissenheit dieser Frau, die sie letztlich in Stammheim in die Isolation und in den Selbstmord trieb, wurde derart intensiv dargestellt, dass mir die Tränen in den Augen standen. Ich bin mir nicht sicher, ob die wirkliche Meinhoff DERART zerrissen war, aber in Gedecks Darbietung haben wir den seltenen Fall einer Kunst, die wirklicher als die Wirklichkeit ist. Auch wurde ziemlich deutlich, dass die Meinhoff im Prinzip die einzige in der Gruppe war, mit der der Staat hätte verhandeln können, vielleicht sogar hätte verhandeln müssen, weil sie die einzige war, die realistische Ziele verfolgte, was im Taten-Getümmel der anderen aber zunehmend unter die Räder geriet.
Johanna Wokalek als Gudrun Ensslin war für mich eine Überraschung, weil sie es vermochte, die Ensslin als Vereinigung des koketten Sexpüppchens und der ernstzunehmenden Revolutionärin überzeugend zu vermitteln, ohne dass die Darstellung beider Aspekte zum Klischee geriete. Im Prinzip ist die Bezeichnung "Baader-Meinhoff" für die Gruppe ein Missverständnis, "Baader-Ensslin" entspräche sehr viel mehr den Sachverhalten.
Der Film überzeichnet nicht, noch beschönigt er. Er macht klar, dass die Anfänge aus berechtigten Anliegen hervorgingen, auf die der Staat in völlig unangemessener und bösartiger Weise reagierte, während die spätere Zeit sich überwiegend aus der Eigendynamik der Aktionen und Reaktionen speiste, und das Anliegen sowohl im Wust der Theorie als auch des Aktionismus verreckte. Er macht die Tragik der Ulrike Meinhoff deutlich. Und er verschweigt das, was in der Auseinandersetzung mit der RAF bis heute verschwiegen wird, was nicht öffentlich ausgesprochen werden darf, will Mensch sich nicht der Gesinnungstäterschaft bezichtigen lassen, ein Vorwurf, der heutzutage in Deutschland wieder gefährlich geworden ist. Er richtet sich also nach der offiziellen Geschichtsschreibung. Und lässt doch, durch die Hintertür, ein kleines Fragezeichen offen, denn er stellt nur das Ergebnis der Selbstmorde dar, nicht die Nacht und die Selbstmorde selbst. Dafür bin ich Ulli Edel dankbar.
Dass der Film lediglich darstellt, und nichts erklärt, ist selbstverständlich^^