Seite 1 von 1

NaPolA

BeitragVerfasst: So 16. Jan 2005, 04:01
von janw
Ich habe mir heute den Film NAPOLA angesehen, ein Film, der sich als durchaus berichtens- und sehenswert herausgestellt hat.

NAPOLA war in der Nazizeit die Bezeichnung für eine Reihe von Eliteschulen, in denen der Führungsnachwuchs für Partei und Staat herangebildet werden sollte, das Kürzel stand für Nationalpolitische Lehranstalt.

Am Beispiel des aus einer Arbeiterfamilie stammenden Schülers Friedrich wird das Wesen dieser Schulen nachgezeichnet, läßt sich ergründen, wie durch eine vorwiegend paramilitärisch geprägte Ausbildung Führungskräfte geprägt wurden, die bei Erreichen des Ausbildunsgzieles blind gehorchten und jeden Verantwortungsgefühls entbehrten.

Aber kurz zur Handlung:
Friedrich wird aufgrund guter Leistungen im Boxsport an eine NAPOLA empfohlen und dort angenommen. Gegen den Willen seiner gegen die Nazis eingestellten Eltern tritt er in die Schule ein und erfährt dort eine vornehmlich durch paramilitärischen Drill und auf militärische Fähigkeiten ausgerichteten Sportunterricht geprägte Ausbildung. Fächer wie Deutsch, "Rassenkunde" und Geschichte runden den Kanon auf der "geistigen" Seite ab.
Nach einem gewonnenen Boxkampf werden Friedrich besondere Ehren zuteil, gleichzeitig freundet er sich mit dem weniger kräftigen und etwas empfindsamen Sohn des Gauleiters an.
Eine Wende im Idealismus Friedrichs deutet sich an, als der Gauleiter Friedrich zum ungleichen Kampf gegen seinen eigenen Sohn auffordert und die Schüler bei einem bewaffneten Einsatz gegen flüchtige Kriegsgefangene erstmals Menschen töten, Jugendliche in ihrem Alter...

Eindrucksvoll wird der nationalsozialistische Kult um "Führer" und das Kriegswesen dargestellt und das damit verbundene Menschenbild, in dem jede Form von Menschlichkeit mit Schwäche gleichgesetzt wurde.

Gleichfalls zeigt das Beispiel des aus einer Arbeiterfamilie stammenden Friedrich das Maß an sozialer Umgestaltung der Gesellschaft, welches mit der gesellschaftlichen Militarisierung in der Nazizeit einher ging.

Der Film behandelt mit diesen Schulen ein wichtiges Bindeglied zur Erklärung der Festigung der nationalsozialistischen Machtstrukturen in der allgemeinen Verwaltung; am Ende stellt sich einem die Frage, was wäre gewesen, wenn die Schüler tatsächlich ihre angestrebten Laufbahnen erreicht hätten, nicht zur Hälfte im Volkssturm umgekommen wären.

Ein sehenswerter Film.

BeitragVerfasst: So 23. Jan 2005, 00:30
von Traitor
Urteil: viel negatives, das sich aber eigentlich als nicht schlimm herausstellt, somit also insgesamt sehenswert.

Schade war, dass die Charaktere leider sehr typisiert waren. Friedrich war der 1:1 typische Hauptcharakter einer solchen Erzählung - nicht zu helle, aber freundschaftstreu und zwischen Autoritätsglauben und Menschlichkeit hin- und hergerissen - wie man ihn aus zig Büchern über die Jugend im Dritten Reich kennt. Albrecht, der empfindsame Funktionärssohn, ebenfalls ein typischer Charakter. Die Lehrer und Aufseher nur funktional, ohne Privatzüge. Von den Erwachsenen war nur der Gauleiter durch seine Besäufnisfeier menschlich.

Aber seltsamerweise stören diese Charakterisierungsschwächen nicht sonderlich. Vermutlich eben, weil man das aus Behandlungen dieses Themas so kennt: es geht eben darum, zu zeigen, wie ein "ganz normaler Junge" in diesem System leben musste. Die Hauptfigur soll eine Leerstelle sein, in die sich der Zuschauer hineindenken kann. Der Effekt, dass man das Kino verlässt und denkt, wie dankbar man doch sein muss, soetwas nicht erlebt zu haben, tritt so perfekt ein.

Was schwerer wiegt, war für mich das Fehlen weiterer gesellschaftlicher Bezüge. Ein wenig Eingehen auf Friedrichs Familie wäre interesant gewesen, vielleicht einige Konfrontationen der Napola-Schüler mit den Bewohnern des nahen Dorfes, oder derartiges. Etwas, das klarer macht, dass es sich hier um die Elitenbildung des Dritten Reiches handelt und nicht um irgendein Militaristen-Internat.

Insgesamt handelte es sich aber trotz, oder (s.o.) gerade wegen seiner Schablonenhaftigkeit, um einen der annehmbareren Filme über diese Zeit, der deren Bild nicht unbedingt etwas neues hinzufügt, es aber definitiv farbiger macht.

BeitragVerfasst: So 23. Jan 2005, 02:51
von janw
Dasselbe Empfinden habe ich auch gehabt hinsichtlich der Ausgestaltung der Personen, aber ich denke, daß der Effekt erwünscht war.

Aus dem, was meine Großeltern mir über ihre Zeit damals vermittelt haben, ergeben sich einige Züge des Friedrich gewissermaßen als Psychogramm "des" damaligen Arbeiterklassejugendlichen. Die Bedeutung väterlicher Autorität und Autorität Höhergestellter hatte damals einen Stellenwert, der heute unvorstellbar ist, wie auch gerade Sport damals ein Ventil zum Aufstieg war für jene, deren Schullaufbahn unabhängig von ihrer Intelligenz mit der Volksschule zuende war - mehr konnte sich die Familie nicht leisten. Und so bedienten sich eben die Nazis dieses Potentials an Jugendlichen, die sozusagen "weiter wollten", Leistungswille und Unterordnungsbereitschaft wurden gegen sozialen Wertgewinn und Karriereaussichten gehandelt.
(Wobei sicher ein gewisses Maß an Klischeebildung vorhanden ist, andererseits kann für die damalige Zeit auch eine größere schichtspezifische Gruppenhomogenität angenommen werden als heute)

Die Erlebnisse in der NaPoLa geben Friedrichs Perspektive wieder, indem der Zuschauer sozusagen in seine Rolle hinein gezogen wird - das Wort der "Leerstelle" ist wirklich gut gewählt.
Daß die Lehrkräfte dabei nur funktional erscheinen, ist nur konsequent.

Die gesellschaftlichen Hintergründe kommen in der Tat zu kurz, mir erschließen sie sich aus der Übertragung zeitgenössischer Schilderungen.


Mir ist nach dem Film eine Sache durch den Kopf gegangen, nämlich die Frage nach den Auswirkungen des kulturellen Hintergrundes von Führungskräften auf ihr Wirken.
Anders gesagt, was wäre passiert, wenn diese Schüler Führungskräfte geworden wären?

Wenn wir die Situation bis 1933 betrachten, so haben wir eine Führungsschicht, die sich überwiegend aus adeligen Kreisen und solchen des höheren Bürgertums rekrutierte. Diese Menschen waren autoritätsgläubig und zugleich meist relativ hoch gebildet.
Der Erfolg der Nazis war IMHO demgegenüber u.a. eine Folge dessen, daß diese Führungskräfte sukzessive durch andere ausgewechselt wurden, die nur als Gefolgsleute zu Ansehen gekommen waren und durch ihre Abhängigkeit und eben vielleicht auch geringere Bildung bedingungslose Befehlsempfänger darstellten.
Schützt eine humanistische Bildung vor Diktatur? So könnte man fragen...

BeitragVerfasst: So 23. Jan 2005, 14:40
von Traitor
das Wort der "Leerstelle" ist wirklich gut gewählt.
Danke, aber die Lorbeeren gebühren nicht mir ;). Den Begriff habe ich aus einem Vortrag über dieses Stilmittel in der Fantasy-Literatur, den ich mal bei einem Kongress der Inklings-Gesellschaft gehört habe.

Anders gesagt, was wäre passiert, wenn diese Schüler Führungskräfte geworden wären?
Was mich vor der Suche nach einer Antwort auf diese Frage interessiert: was sind sie geworden? Wenn 50% von ihnen im Volkssturm gefallen sind, ist das auch nicht mehr als in den Jahrgängen normaler Schulen, und 50% haben überlebt und haben sich nach dem Krieg in die Gesellschaft eingefügt. Es wäre interessant, zu sehen, inwieweit manche von ihnen nicht eben doch Führungskräfte geworden sind, und inwieweit sie diesen Einfluss losgeworden sind. Kennst du da irgendwelche Quellen?

Schützt eine humanistische Bildung vor Diktatur? So könnte man fragen...
Wenn sie wirklich humanistisch ist, würde sie dies mit Sicherheit tun. Doch das, was im Allgemeinen unter "humanistische Bildung" hofiert(e), ist (war) nicht humanistisch, sondern eher spießbürgerisch und damit autoritätstreu, was dem Humanismus elementar widerspricht. Das klassische preußische Bildungswesen hat zwar eine breite Wissensbildung produziert, aber Diktaturen hat es eher begünstigt. (Siehe Heinrich Manns "Der Untertan")