Stummfilm - wie und warum?

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Lykurg
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Di 18. Aug 2009, 13:20 - Beitrag #1

Stummfilm - wie und warum?

Da Traitor gerade mit Berichten von einem diesbezüglichen Festival neidisch macht, doch noch einmal allgemeiner gefaßt die Frage, was es eigentlich ist, das Stummfilme für uns heute noch so faszinierend macht, wo doch die Entwicklung des Kinos mit Surroundsound, immer höherer Bildauflösung und 3D-Filmen in die entgegengesetzte Richtung weist, und auch die Handlung zumindest der wenigen mir bekannten Stummfilme sich in ihrer Komplexität nicht mit anspruchvollen jüngeren Filmen messen kann.

Ich habe von einer Nosferatu-Vorführung im März mit Live-Improvisation dazu (in einer Kirche -> Klavier+Orgel) tiefe Eindrücke empfangen, die aber eben nur in Teilen auf den Film selbst zurückgingen, durch die Musik geschah teilweise eine Neuausdeutung des Films, die über seine verstaubteren Passagen hinweghalf. Außerdem gab die Verbindung von Raum, Vortrag, Film und Musik der Veranstaltung einen eigenartig weihevollen Charakter, das Bewußtsein, sich einem historischen Kunstwerk anzunähern, was vielleicht den Impuls, ihn mit neueren Filmen zu vergleichen, teilweise unterdrückte. Nun, verzögert, also die Frage, warum diesen Anfängen so ein Zauber innewohnt.^^

Noriko
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Di 18. Aug 2009, 13:49 - Beitrag #2

Ich denke es ist zu großen Teilen de Fasziantion einer Verlorenen kunst zuzuschauen, viel zu sagen ohne viel zu reden. Der Ausdruck durch gestus und Mimik war damals viel stärker und nötiger. Heutzutage würde man vieles als Overacting bezeichnen, aber es geht auch ohne wie man zum Beispiel in Mikio Naruses "Yogoto no yume" sehr deutlich sieht.

Damals war das Schauspiel viel stärker eine Darstellende Kunst, und man merkte sehr viel deutlicher den Unterscheid zwischen guten und schlechten Schauspielern.

Insbesonders der Fokus auf die Augen war damals ein ganz anderer Teilweise, wie man zum Beispiel in Beggars of Life sehr deutlich sehen kann, ich habe das Gefühl, heutzutage gibt es sowas garnicht mehr, zumidnest nimmt man es vor lauter rkachbumm weniger war.

Der Mangel an Effekten, liess einen viel deutlicher die wahren qualitäten der Filme erkennen.

Ipsissimus
Dämmerung
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Di 18. Aug 2009, 14:35 - Beitrag #3

ist so ähnlich wie bei neueren Computerrollenspielen. Früher waren das gut erzählte Geschichten, heute sind es gut fotografierte Bildershows.

Viele Stummfilme sind auch alles, nur nicht simpel gestrickt. Dabei steht nicht die Handlung im Zentrum der Aufmerksamkeit, sondern Regiesseurskunst als solche. Wie erziele ich mit welcher Maßnahme eine optimale Wirkung, d.h. Vermittlung eines Affektes. Nicht nur Leute wie Eisenstein haben regelrecht in ihren Filmen experimentelle Kunst betrieben, ich erinnere an die bekannte Regiearbeit von Chaplin, der in endlosen Wiederholungen noch das letzte Quentchen Ausdruck aus seinen Schauspielern holte; noch dramatischer, wenn auch weniger bekannt war das bei Buster Keaton der Fall.

Außerdem sind viele Menschen verkappte Mystiker^^ und dieses Bedürfnis wird vom Stummfilm wesentlich besser bedient als vom Tonfilm. Im nicht-Expliziten kann sich die Phantasie sehr viel besser austoben^^

Traitor
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Di 18. Aug 2009, 16:28 - Beitrag #4

Einige Ansatzpunkte zum Thema dürfte der alte Panzerkreuzer-Thread liefern.

Für mich ist es in erster Linie einmal ein "Warum nicht?". So fundamental ist der Unterschied zwischen Stumm- und Tonfilmen nicht, dass man bei allgemein hohem Filminteresse und bereits eingetretener Gewöhnung an prä-60er-Klassiker die richtig alten Frühwerke ignorieren könnte. Eigentlich würde ich die größten Übergänge sogar nicht 1928, beim Beginn der Stummfilmära, sehen, sondern einen etwas früher, Mitte der 20er, beim endgültigen Durchsetzen flüssiger Filmdramaturgien gegenüber theaterartigeren Strukturen, und einen irgendwann in den Dreißigern mit dem allmählichen Aussterben des Overactings. Späte Stumm- und frühe Tonfilme ähneln sich stilistisch noch sehr, manche, wie The Jazz Singer oder Beggars of Life, existierten wohl auch sowohl in Stumm- als auch Ton-Fassungen.

Dann ist da der von Noriko erwähnte Aspekt der "verlorenen Kunst", verbunden mit dem erhebenden Wissen, (bis auf wenige Ausnahmen) Filme zu sehen, die heute nur wenige andere Menschen kennen. Eine Aufführung in Prachtsaal oder Arkadenhof mit Live-Musik dazu ist auch nochmals viel atmosphärischer als ein modernes Kino.

Inhaltlich und qualitativ dagegen habe ich nach wie vor keinen Stummfilm gefunden, den ich als genauso gut oder gar besser als modernere Meisterwerke ansehe. Viele haben großartige Ideen, sind technisch erstaunlich gut, zeigen starke Regie- und Kameraeinfälle. Aber letztlich scheint mir all das nach wie vor eine Experimentierphase gewesen zu sein, in der sich das echte Meisterkönnen noch nicht ganz herausgebildet hatte. Oder, besser ausgedrückt, im Kopf der zweifelsohne späteren Kollegen mindestens ebenbürtigen Meister wie Lang, Eisenstein, Murnau oder Lubitsch schon voll ausgeprägt war, aber durch die Beschränkungen der Technik und die Konventionen von Handlungs- und Schauspielerwartungen noch an der vollen Entfaltung gehindert wurde.

Als die größten kollektiven Schwächen dieser Filmära erscheinen mir also die Handlungen und die Schauspieler.

Erstere sind oft noch sehr grob, platt und klischeehaft. Letzteres kann man in vielen Fällen gut dadurch rechtfertigen, dass mancher dieser Klassiker das Klischee, das man in ihm sieht, eben erst begründet hat, selbst also noch frisch und neu war. Die mangelnde Komplexität eines "Metropolis" oder "Potemkin" gegenüber einem "Es war einmal in Amerika" oder "1984" ist aber einfach nicht wegzudiskutieren, hier hat sich die Filmbranche einfach erst spät daran gewöhnt, auf das Niveau von Literatur vordringen zu können. Und vieles wäre eben mit reinen Zwischentiteln nur sehr schwer umzusetzen gewesen.

Den Schauspielern nehme ich ihr Overacting tatsächlich übel, auch wenn es damals theater-bedingt halt Mode war. Denn es gab eben auch Beispiele, dass es auch schon damals einen anderen, realistischeren Stil gab, und trifft man auf diesen, wirkt er sofort weitaus besser. Beispiele wären der von Noriko genannte Naruse, Beggars of Life, oder sehr oft die Nebencharaktere im Gegensatz zu den übertreibenden Hauptdarstellern.
(Ausnahmen sind natürlich der Slapstick, zu dem Overacting aus Prinzip dazu gehört, und manch so richtig expressionistisches Werk, in dem es schon Overoveracting und damit tatsächlich künstlerisch beeindruckend sein kann.)

Um wieder zu den Faszinationen zu kommen, ist es, wie Ipsi sagt: historisch wie kunstanalytisch ist es faszinierend, Regisseuren, Kameraleuten und Beleuchtern zuzusehen, wie sie aus beschränktem Material grandiose Szenen herausholen konnten.

Nur unterscheide ich mich im Urteil von ihm, mir können diese Finessen die mangelnden Inhalte nicht ganz ausgleichen. Letztlich ist der Stummfilm für mich eine historische Skurrilität, die auch manchen zu Unrecht vergessenen Schatz birgt, der mit Sicherheit weit über heutigem Mittelmaß rangiert; die wirklichen Meisterwerke der Filmkunst konnten jedoch erst mit späteren Mitteln, erweitertem Erfahrungsschatz der Macher und erhöhtem Anspruch der Kunstform an sich erreicht werden.

Noriko
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Di 18. Aug 2009, 17:54 - Beitrag #5

Zur komplexität muss man nur auch verteidigend hervorheben, das neiamsn weis ob die gefundenen Fassungen, wirklich vollständig oder original schnitt sind, da es damals ja wohl üblich war, das oft die Filme für wiederaufführungen von irgendwem umgeschnitten wurde.
Zum Beispiel Metropolis, as bis zur unkenntlichkeit verstümmelt wurde, und lange zeit keine Langfassung bekannt war, bis leztes jahr eine in Argentinien aufgetaucht ist, die wohl tatsächlich bis <5 Minuten der Original schnitt ist, und das Werk dadurch deutlich an Komplexität, Tiefe und Character gewinnt.

Traitor
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Mi 19. Aug 2009, 16:33 - Beitrag #6

Bei Metropolis mag einiges hinzukommen. Spannend wäre hier die Frage, ob Wells' berühmtes Zitat vom "dümmsten Film aller Zeiten" sich noch auf eine vollständige oder bereits auf eine verstümmelte Version bezog.
Bei den meisten Rekonstruktionen ist aber relativ klar, was in den fehlenden Minuten passierte, und allzu große Komplexifizierungen sind das selten.

blobbfish
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Mi 19. Aug 2009, 21:01 - Beitrag #7

So gerne ich Klassiker mag, dort besondres den klassischen Film Noir, aber Stummfilme reizen mich rein garnicht. Ich finde Ton und Sprache in einer darstellirschen Leistung einfach unverzichtbar.


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