Doku-Soap: Wie viele Menschen halten die mediale Scheinwelt für real?

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Maglor
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So 9. Jan 2011, 21:11 - Beitrag #1

Doku-Soap: Wie viele Menschen halten die mediale Scheinwelt für real?

Immer wieder beobachte ich Mitmenschen unterschiedlichen Alters, die sich für solche Sendungen wie "Bauer sucht Frau", "Frauentausch" und andere dubiose Doku-Soaps - liebevoll Hartz IV-TV genannt - begeistern, in denen scheinbar echte Menschen mit scheinbar echten Problem scheinbar vorgeführt werden. Wenn ich dann darauf hinweise, dass die Sendungen gestellt sind und die Teilnehmer vorher Regie-Anweisungen, Drehbücher usw. erhalten, will sich das Gegenüber darauf nicht einlassen und reagiert verwundert und ungläubig und frönt unbekümmert weiter dem Vergnügen des Fremdschämens - immerhin gibt es ja irgendwo da draußen Menschen die noch peinlicher sind, als die im eigenen Wohnzimmer. :crazy:

Eigentlich ist es ja kein Geheimnis, dass die Sendungen gestellt sind. Die Sender tragen es zwar nicht offen vor sich her, geben es aber doch doch zu, dass es sich um scripted Reality handelt, quasi eine Soap, die aussieht wie eine Dokumentation. Anders als in der Soap-Opera handelt es sich um Laienschauspieler ohne Festanstellung und Poster in der Bravo. Der Schein wird gewahrt, die Einschaltquoten stimmen.
Aber mir stellt sich da die Frage, wie viele Menschen zum illustren Kreis der Unwissenden, die die Scheinwelt für real halten?
Wahrscheinlich gibt eine gewisse Schnittmenge zu dem durchaus kritischen Personenkreis, der Gute-Zeiten-Schlechte-Zeiten für unreallistisch hält. :crazy:

009
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Mo 10. Jan 2011, 00:43 - Beitrag #2

Ich kenne sowohl Leute, die es leider für echt halten (auch wenn man ihnen diverse Fundstellen dazu zeigt) wie zum Glück viele, die es als Scheinwelt erkennen - bzw. erkennen würden, wenn sie es sähen bzw. solche Sendungen "aushalten" würden.

Ipsissimus
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Di 18. Jan 2011, 11:33 - Beitrag #3

kann denn böse sein, was so viele Menschen für ungestellt halten? Können die Gefühle falsch sein, wenn echte Tränen fließen, oder zumindest eine Flüssigkeit, die aussieht, als könnte es sich um Tränen handeln? Niemals! Die Frage ist falsch gestellt, denn sie geht von der Überlegenheit einer trivialen Wirklichkeitsauffassung aus, bei der "echt" nur ist, was äußerer Faktizität entspricht. Die ist aber für ganz viele Menschen völlig irrelevant. Wahr und relevant ist nur, was sie bewegt^^

Wenn ich boshaft sein wollte, könnte ich vielleicht noch zufügen, dass es sich dabei wohl um ein überwiegend weibliches Phänomen handelt. Da ich nicht boshaft bin, füge ich noch hinzu, dass es beim Manne wohl die Lust am Fremdschämen ist, das ihn in solche Sendungen treibt^^

e-noon
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Di 18. Jan 2011, 12:37 - Beitrag #4

Naja, sehr pauschal, dieses Urteil, aber es könnte trotzdem stimmen ^^ Ich kann nur sagen, dass ich mir solche Sendungen überhaupt nicht ansehen kann, Fremdschämen gut und schön, aber das geht zu weit. Früher dachte ich auch, dass einige dieser Dokus ungestellt seien, einfach weil ich Menschen alles zutraue, sogar schlimmeres als das, was da gezeigt wird. Wenn das alles nicht echt wäre, gäbe es ja sogar vielleicht noch Hoffnung für die Menschheit! :boah:

blobbfish
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Di 18. Jan 2011, 16:40 - Beitrag #5

Selten, dass ich mal drüber stolpere. Verraten, wie gestellt es ist, verrät gerne die Kamera.

Ipsi, ich wundere mich ein wenig über dich. Ein Schauspiel ist ein Schauspiel, der Versuch den Schaulustigen hinein zu ziehen ist sicher nicht neu, der Unterschied den ich aber jetzt aufmachen möchte ist der, ob man sich selbst hineinbegibt und draußen dann zugibt, oder ob man das eben nicht tut. Letzteres ist dabei für mich eine Verkennung dessen, was richtig ist.

Das ist aber natürlich unabhängig davon, inwieweit man sich bewegen lässt, inwieweit man gespieltes als Welt anerkennen mag.

Ipsissimus
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Mi 19. Jan 2011, 00:34 - Beitrag #6

dass du dich über mich wunderst, blobb, kann ich verstehen^^ worübe du dich in diesem konkreten Fall wunderst, ist mir noch nicht ganz klar

janw
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Mi 19. Jan 2011, 01:11 - Beitrag #7

blobb, für die Teilnehmer ist es eben teil-real, dieser bayrische Bauer und die Thailänderin haben sich real kennen gelernt, sich verliebt und geheiratet. Daß das Drumrum designt war, macht den realen Gefühlen nichts aus.
Auf die Herkunft des Designs hinzuweisen, hätte sicher etwas von Wahrhaftigkeit, ich würde sie mir auch irgendwie wünschen.
Andererseits würde das die Illusion nähren, es gebe am/im Fernsehen prinzipiell überhaupt etwas Echtes und Wahres.

Hmmm...ist ein evoziertes Gefühl wahrer, wenn das Evozierende wahr ist?
Wäre der Schauder des Zuschauers in einer Aufführung von "Dantons Tod" echter, wenn wirklich ein Mensch stürbe?

Ipsissimus
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Mi 19. Jan 2011, 01:25 - Beitrag #8

wohl nicht, bezogen auf deinen letzten Absatz. Es ist nur so, dass das Fernsehn vermöge seiner technischen Mittel mit der Eindeutigkeit von Fiktion und realer Wirklichkeit spielt. Im Falle von Dokumentationen konnte man lange Zeit naiv vertrauen, dass keine Fiktion vermittelt wurde. Vielleicht verfolgen diese Soaps ja einer pädagogischen Absicht und wollen diese Naivität unmöglich machen^^

janw
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Mi 19. Jan 2011, 16:04 - Beitrag #9

Doppeltes Spiel der Privatsender? Ein verwegener Gedanke das ist^^

Maglor
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Mi 7. Dez 2011, 21:19 - Beitrag #10

Das Hauptproblem ist meiner Meinung nach die fehlende Kennzeichnung als Fiktion.
Tatsächlich waren z. B. in den 90er Jahren in den Talkshows die Gäste noch echte Menschen. (Die echte Gäste wurde sicher auch gescriptet.) Sang- und klanglos wurden sie jedoch um die Jahrhundertwende durch Laienschauspieler ersetzt.
Die Formate liefen danach scheinbar unverändert weiter.

Ähnlich erging es den Gerichtsshows. Am Anfang wurde noch das echte Schiedsgericht gefilmt, später ging es mit gleicher Besetzung weiter.
Besonders bizarr: Es handelt sich zwar um Laienschauspieler, aber sehr wohl um Volljuristen! Barbara Salesch spielt sich selbst.
Wikipedia zu Richterin Barbara Salesch:
In dieser Zeit waren die Folgen der Sendung Mitschnitte von Schiedsgerichtsverhandlungen, für die das Verbot von Ton- und Bildaufnahmen nicht gilt. Daher konnten echte Fälle gesendet werden ...
Auch die komplexen zivilen Rechtsfragen waren für den fachfremden Zuschauer schwerer zu verfolgen als die meist beweislastige Schuldfrage in Strafrechtsfällen. Daher werden seit Oktober 2000 nicht mehr reale Schiedsgerichtsprozesse, sondern fiktive Strafgerichtsprozesse gezeigt.


Der Fiktionalitätsgrad der Sendung wird in der Regel geheim gehalten.
Sehr reißerisch zeigt das öffentlich-rechtliche Fernsehen in einem Blick hinter die Kulissen von "Frauentausch", wie Menschen der "Realisator" manipuliert und Mensch gegeneinander aufhetzt.

Ipsissimus
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Fr 9. Dez 2011, 14:54 - Beitrag #11

die fehlende Kennzeichnung schafft ja gerade die Atmosphäre von Uneindeutigkeit, die eine Haltung ermöglich, die einerseits den Intellekt befriedigt ("ist alles gescriptet, ihr könnt mir doch nichts vormachen"), andererseits aber auch die innere Schäbigkeit ("könnte das ein oder andere ja doch echt sein, muhahahahahahahaaaaaa") zufrieden stellt^^

Lykurg
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Do 5. Jan 2012, 12:23 - Beitrag #12

Ein bißchen was zu verschiedenen Graden von Scriptung bringt dieser Artikel über die Schul-Doku-Script-wai "Jonas":
Zitat von Die Welt:die meisten Experimente finden seit der Jahrhundertwende in diesem lange unberührten Raum zwischen klassischer und inszenierter Dokumentation statt. Da gibt es inzwischen die tollsten Varianten: den Provokateur der Wahrheit (Dokumentationen von Michael Moore), Umformung der Realität ("Die Super-Nanny"), Reality nach Drehbuch ("Bauer sucht Frau"), konstruierte Scheinwirklichkeit ("Big Brother"), durch Workshops mit Betroffenen hochverdichtete Realität ("Die Klasse").
"Jonas" ist eine intelligente Variation, bei der sich Skript und Wirklichkeit gegenseitig beeinflussen.
Auch da scheint übrigens die Grenze zwischen gelungenen und überaus peinlichen Momenten mehrfach verfehlt worden zu sein; vielleicht ein Markenzeichen des Genres, wenn man nicht die Dauerpeinlichkeit darin sieht.

Katinka3
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Do 5. Jan 2012, 18:53 - Beitrag #13

Die Umweltproblematik und die Politik täglich, ist schon negativ Real genug. Um den Leuten eine Scheinwelt vorzugaukeln gilt es, so echt rüberzukommen wie möglich, und das gelingt den Schauspielern. Und da wir uns so eine Scheinwelt wünschen, meinen einige, das es sie auch gibt, nur nicht bei sich zu Hause. Ich schätze das sind in Deutschland sicher so an die 60%, die das glauben.


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