Immerhin tröstlich, daß keine halben Personen dabei waren - aber verantwortetest du die Hälfte der Anwesenden, oder nur ein Viertel?Zitat von Traitor:Mit ganzen vier Leuten im Saal.
Stimmt, wobei das gestisch-ritualhafte Element in meinen Augen auch durch ritualhafte Handlungen im Film (Eheschließung, Liebschaft, Selbsttötung, nachher die diversen 'magischen' Elemente) aufgegriffen wurde - sicher sehr pathetisch, aber nicht leer, sondern durch den Betrachter zu füllen. Ein Film bestehend aus lastendem Schweigen, was auch seinem Thema entspricht.Mit der qualitativen Einordnung von "Melancholia" bin ich mir noch nicht ganz sicher. Zuerst das große Bild: Optisch, inszenatorisch und von der Gesamtkonstruktion her ist der Film einerseits genial, andererseits auch kitischig und selbstverliebt. [...] von Trier ("erst" 55) wirkt eher wie ein Altmeister, der sich sicher ist, allen als Genie zu gelten, und dabei etwas Gefahr läuft, aus großen Gesten leere Rituale zu machen.
Damit hatte ich auch ein Problem, wobei ihre wohl stark schubweise auftretenden Depressionen eine Erklärung dafür liefern könnten - nach dem Verklingen ihrer wohl bis dahin heftigsten depressiven Phase wäre sie dann entspannt-gelassen in einer Situation, die für alle anderen die existenzielle Krise schlechthin darstellt.Justines Wandlung am Ende erschien mir nicht ganz schlüssig, sowohl das Ausfallendwerden gegenüber Claire als auch die Stabilisierung und Lykurgs "magische Wende", aber vielleicht klärt sich das bei einer Zweitsichtung, wenn ich auf frühere Signale einer nicht rein passiv-degenerativen Störung achte...?
Ja. Offenbar wollte von Trier hier eben nicht nur eine Geschichte erzählen, sondern mindestens die drei schon angesprochenen, und das stört sich ein Stück weit. blobbfishs Hinweis auf die Zusammenführung der drei Teile im Untergang hilft dabei weiter, anscheinend ging es von Trier demzufolge doch weniger um Melancholie an sich als um Sozialkritik mit anderen Mitteln (da alle drei Teile parallel in der Untergangsherbeiführung münden); aber in dieser Sichtweise erschöpften sich eben diese Mittel im bombastischen Kitsch - nicht gut für den Film.Als großes Manko erscheint mir aber die familiäre Konstruktion. Der Weltuntergangsaspekt ist davon weitgehend unbelastet, aber meines Erachtens wäre "Melancholia" als Film über Depressionen deutlich stärker, hätte er Justine nicht eine so üble Familie angedichtet.
Tja, die Musik ist für sich genommen nicht schlecht (hat ja in der Oper auch einen deutlich anderen Inhalt, wie angesprochen), wird nur allzu plakativ eingesetzt, vor allem zu oft und reduziert auf dieses eine Geschehen, was ihr nicht guttut. Ich denke, daß es reichlich schwer gewesen wäre, zu dieser Bildsprache adäquate Filmmusik zu komponieren, die nicht klar dagegen abfällt. Und da hat sich von Trier halt in der Plattenkiste umgeguckt; wohl nicht lange genug.Und noch ein Kritikpunkt: so stark die Optik, so schwach die Musik. Viel zu aufdringlich, bombastisch und kitschig. Ich plante schon, mich über Pseudo-Wagner aufzuregen, bevor ich im Abspann sah, dass es echter war.
Ja, letzteres fehlte mir auch, besonders die Gezeiten. Stromausfall könnte durch Effekte einer Massenpanik 'draußen' ausgelöst sein, ist halt die Frage, ob in Erwartung des sicheren Weltendes in wenigen Stunden die Kraftwerksingenieure wirklich noch zur Arbeit gehen wollen, und wieviele Systeme bei Nichtbeaufsichtigung sich dann selbsttätig runterfahren.Physik [...] manches inkonsequent durchdacht (selbige Wetteranomalien, zu früh und unmotiviert Stromausfall und Luftdruckabfall) oder ganz übersehen (Gezeitenkräfte und eine halbwegs glaubwürdige Steigerung aller Effekte vor dem finalen Zusammenprall). Aber das hier nur als technische Anmerkung, für die Wertung oder Interpretation des Filmes ist das völlig irrelevant.
Das an physikalischen Mängeln aufzuhängen, finde ich schwach, wie viele andere Filme könnten dann ebenfalls als Imagination der Protagonisten gewertet werden... Ansonsten ist das eine starke Theorie, die gerade die magische Wende und das Wiedererstarken Justines erklären könnte, das eben möglicherweise nur ein erträumtes wäre. Aber das bleibt Spekulation.(Außer für die Leute, die physikalische Mängel als Beweis für Imaginiertheit der ganzen Untergeherei durch die Charaktere interpretieren, sowas findet man im Internet selbstverständlich auch...)
Überaus skurril, ja. Die Autoszene wirkt aber auch sonst sehr amerikanisch, und auch bezogen auf das Verhalten von Justines Chef bin ich mir nicht recht sicher, ob derartiges in Schweden so möglich wäre, oder eben doch der gesamte Film amerikanische Verhältnisse meint. Das würde allerdings seine Aussage weiter schwächen.Warum auch in einer europäischen Produktion die Welt in Amerika untergehen muss, sei dahingestellt...
Ja, das hatte ich falschrum genannt, und mit dem Detail der Beobachtung (jetzt erinnere ich mich auch an die Szene) ist das Verlassen tatsächlich weniger 'schuldhaft' konnotiert, da gebe ich dir Recht.Definitiv betrügt sie ihn zuerst, danach verlässt er sie. Und spekulativ würde ich sogar sagen, dass angedeutet wird, dass er sie dabei beobachtet hat - er steht auf dem Balkon, und die Ausleuchtung war gut genug. Dann könnte man ihm, allen vorhergehenden Schwächen zum Trotz, die Abreise nun wirklich nicht übel nehmen.
Wir haben stark surreale Bilder; was sie herbeiführt, ist unklar, die Theorie, daß Justine sich all dies (inklusive des Planeten) imaginiert, läßt sich innerhalb des Films schlecht ausschließen, wenn man eine hinreichend veränderte Wahrnehmung ihrerseits annimmt. Handelt es sich aber um 'realistische' Bilder, sind das Schutzzelt, das sie am Ende errichtet ebenso wie die Bohnenszene und vielleicht sogar ihr Anfall mit nachfolgendem Wiedererstarken (Wie lange braucht sie? Sind es zufällig drei Tage? Gefühlt wohl doch weniger...) und das Wissen um die Bohnen/die kosmische Aussage Teile eines Andersweltlichen, unabhängig davon, ob es real oder nur in ihrer Imagination funktioniert. Sie ist eine Seherin, ob sie gegen das Schicksal eingreifen kann, ist erst einmal unerheblich. - Die tatsächlich gezeigte Auslöschung wäre dabei übrigens ein Argument gegen die Annahme einer Wahnvorstellung ihrerseits; vielleicht mußte sie deshalb gezeigt werden.Um Magie als Wirkprinzip in den Film hineinzuinterpretieren, fehlen mir die Anhaltspunkte. Die von dir genannten optischen Effekte sehe ich rein als solche, der eher an Gemälde- als an Filmästhetik angelehnte Vorspann sorgt für eine gewisse Distanzierung der (auch später) gezeigten Bilder und der erzählten Realität. Nicht alles, was der Zuschauer sieht, würde ein unbeteiligter Beobachter in der Filmwelt (z.B. ein Hausbediensteter) auch so sehen, manches symbolisiert nur Inneres der Hauptfiguren.
Möglicherweise ein skandinavisches Märchen, dachte ich mir (kein Übersetzungsfehler, im Original 'Auntie Steelbreaker') - googelte, und stieß u.a. auf dieses großartige Essay von Christina Striewki, das auch den von Traitor schon gezogenen Vergleich zu "Tree of Life" durchexerziert - sie leitet den Namen von Figuren aus "World of Warcraft" her, zu dem sie auch weitere Parallelen erkennt. - Auch sonst sehr lesenswert!Was war der tiefere Sinn von "Tante Stahlbrecher"? Ein Übersetzungsfehler, eine Märchenanspielung, die ich nicht verstehe, oder einfach ein Fall von "dem Zuschauer nicht jeden Charakterhintergrund erklären wollen"?
Möglicherweise ja. Ich könnte mir auch ihren Spitznamen und ihren beruflichen Erfolg damit und als Zeichen dafür erklären, daß sie bislang sehr geschickt darin war, ihre Depressionen völlig zu verbergen und sich ganz im Gegenteil als unverletzlich darzustellen.Irgendwann recht früh verspricht Justine Claire, Michael "nichts davon zu sagen". Das klang für mich nicht nur auf den aktuellen Schub bezogen, sondern auf ihre generelle Erkrankung. Dazu passt auch, dass er selbst später nur davon redet, dass sie unter seinen tollen Apfelbäumen sitzen könne, "wenn du wieder traurig bist". Er dürfte also gar nicht wissen, dass sie medizinisch depressiv ist, sondern sie nur als etwas übersensibel einschätzen. Ob sich das mit gezielter Geheimhaltung und großer Naivität seinerseits glaubwürdig erklären lässt? Naja. Aber wir wissen ja eh nichts über ihre Vorgeschichte, vielleicht lebten sie nichtmal zusammen. Dann vielleicht ja.
Ja, aber von den Biertrinkern hatte ich das nicht gedacht, und auch nicht, daß wirklich fast alle Besucher es tun würden, siehe auch Traitors Einwand.Zitat von blobbfish:Lykurg, ich finde es recht normal, dass man sich auch den Abspann anschaut, gerade bei Programmkinofilmen ist das auch üblich.
Da gebe ich dir zwar recht, darüber hinaus hat er aber auch weitere erkennbare Schwächen, u.a. seine von mir schon angesprochene Unbegabung zur öffentlichen Rede. Auch den Erfolgsmenschen kann ich in ihm weniger erkennen als in seiner Frau, was allerdings dem von dir genannten "ohne viel beizusteuern" zusätzliches Gewicht gibt. Warum meinst du, daß er sie nicht verläßt? Zumindest wird kein Versuch einer Kontaktaufnahme gezeigt, er verschwindet aus der Handlung, und der Weltuntergang nimmt ihm jedenfalls die Gelegenheit dazu.Hier wird meiner Meinung aber schon der Gatte von Justine sehr klar gezeichnet. Er ist erfolgsverwöhnt und kritisiert auch gerne, ohne viel beizusteuern. Auf der anderen Seite versucht er aber gegenüber Justine nett zu wirken - er zeigt Verständnis, ist aber zugleich verständnislos.
Der Nihilismus des Films wird auch im verlinkten Essay angesprochen. Aber ja, ich denke auch, daß die Bohnenanzahl nicht mit Insiderwissen zu erklären ist (was die Untermauerung wirklich zu einem billigen Trick machen würde), sondern hier ihr seherisches Wissen hineinspielt - wie sie ja auch keinen Zweifel an der Rückkehr des Planeten hat.Was ich aber gerne thematisieren möchte ist folgendes: Der Vorspann, die totalste Vernichtung, Teil I, Justine wirft in ihrer Depression gewissermaßen alles weg, was sie hat, sie isoliert sich. In Teil II nimmt sie, meine ich, klar nihilistische Züge an, sie behauptet, das Leben auf der Erde sei das einzige im Universum, untermauert ihre These mit der richtigen Anzahl Linsen im Glas. Ich fühle mich hier an Nietzsches "Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne" erinnert.
Achja, und noch eine Frage v.a. an den Astrophysiker: Wie 'realistisch' ist eine solche Planetenbahn, das so extrem knappe Verfehlen (also: zu geringe Anziehung) und dann die Rückkehr auf einer so engen Schleife?^^