Melancholia

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e-noon
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So 20. Nov 2011, 19:33 - Beitrag #1

Melancholia

Abgetrennt aus Welche Filme habt Ihr in 2011 im Kino gesehen?


Einziger Kinofilm dieses Jahres ist bis auf weiteres Melancholia, ein fein ausgearbeiteter Film mit erschreckenden Bildern und großartiger Leistung der Hauptdarsteller.

[spoiler]Wie es ein Kommentator sagt, "alleine die Prämisse, einen ruhigen und zurückhaltenden Weltuntergangsfilm zu drehen, ist schon eine Nummer für sich".[/spoiler]

Traitor
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Mo 21. Nov 2011, 23:59 - Beitrag #2

[...]

@e-noon: Nur aus anderen Zweitquellen schließend - ist der Punkt nicht gerade,
[spoiler]dass es gar kein Weltuntergangsfilm ist?[/spoiler]

[...]

Padreic
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Di 22. Nov 2011, 00:16 - Beitrag #3

@Traitor: Deine Zweitquellen irren hier. Und dies wird auch schon zu Beginn des Films relativ deutlich gemacht, weshalb es nicht einmal andersherum eigentlich ein Spoiler wäre.

e-noon
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Di 22. Nov 2011, 17:23 - Beitrag #4

Achtung, es folgt ein bisschen, aber nicht allzuviel Spoiler.


Zustimmung zu Padreic: Die Welt geht unter. Dass du, Traitor, gehört hast, es sei kein Weltuntergangsfilm, hat vielleicht auch seine Berechtigung, denn obwohl das Motiv den Film umklammert und trägt, geht es in der ersten Hälfte des Films nur um die Beziehungen der Protagonisten untereinander und die Psyche der Hauptpersonen, da noch niemand vom Weltuntergang weiß.

Traitor
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Di 22. Nov 2011, 22:34 - Beitrag #5

Ja, die Fokussierung, wie von e-noon beschrieben, meinte ich. Der Weltuntergang als MacGuffin.
Aber damit möchte ich mein Reden über den Film, ohne ihn gesehen zu haben, erstmal beenden. Wenn ich Glück habe, ist morgen eine Telekonferenz rechtzeitig zu Ende und ich kann mir die letzte Vorstellung im lokalen Programmkino noch ansehen. Wenn nicht, muss ich auf DVD oder TV warten.

e-noon
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Di 22. Nov 2011, 22:52 - Beitrag #6

Oh, ich empfehle ganz dringend Kino! Ob gerade diese Bilder auf einem kleineren Bildschirm so wirken können, wage ich zu bezweifeln.

Padreic
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Di 22. Nov 2011, 23:36 - Beitrag #7

Auch definitiv Kinoempfehlung (wenn überhaupt Empfehlung - es ist sicherlich ein Filmkunstwerk, aber nicht unbedingt eins, das man leicht genießen kann oder das gar angenehm zu schauen ist). Und ebenso definitiv sehe ich es als Weltuntergangsfilm an - sicher als den totalsten, den ich bisher sah.

@e-noon: neben der reinen Funktion als Einleitung für den Teil Claire, kann man den Teil Justin nicht auch als einen Untergang und eine Vernichtung sehen, Untergang und Vernichtung von Hoffnungen für Justine und ihren Mann?

e-noon
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Di 22. Nov 2011, 23:55 - Beitrag #8

"Der totalste Weltuntergangsfilm", das trifft es wirklich. Gleichzeitig aber ganz anders als der Rest des Genres, was eher gegen das Genre spricht, das den drohenden Welcher-Planet-auch-immer-Untergang als reinen Hintergrund für heroische, actionreiche Handlungen missbraucht (derzufolge die Welt dann eben doch nicht untergeht).

Zu deiner Frage: Ich wäre gar nicht auf die Idee gekommen, den Teil 'Justine' in reiner Funktion für den zweiten Teil zu sehen, ganz im Gegenteil, für mich war es der eigentliche Teil des Films. Ohne Spoiler kommen wir jetzt wohl nicht weiter, vielleicht wäre es auch einen eigenen Thread wert, man nehme ggf. diesen Satz als Spoilerwarnung und handle entsprechend.

Ich würde nicht einmal sagen, dass die Hochzeit wirklich Untergang und Vernichtung der Hoffnungen Justines bedeutet. Ihres Mannes, ja, vermutlich, aber dieser wird in keiner Weise als Individuum gezeichnet, er ist für die Aussage des Films nicht wichtig. Meiner Meinung nach zeichnet der Film in erster Linie ein Porträt einer Depression, was der Titel ja auch stark nahelegt, in zweiter Linie ein Porträt einer zutiefst unglücklichen Familie. Erst in dritter Linie ist es ein Weltuntergangsfilm; diese dritte Ebene ist aber wichtig, da sie den gesamten Film umspannt und ihm damit von vornherein seine gar nicht mal düstere, sondern schlicht zutiefst melancholische Kontemplation des stets nahen Todes verleiht. Es ist ein häufiges Symptom einer Depression, dass der Betroffene in dem Moment, in dem er seinen Selbstmord plant, plötzlich gelöst, mit sich selbst im Reinen, aktiver und fast schon glücklich wirkt - weil während der Depression alles furchtbar und anstrengend ist und man sich nur das eine wünscht, dass es endlich aufhört. Daher fand ich auch, wie gesagt, die Schauspielerleistung so überragend - wie Kirsten Dunst in jedem Moment um ihr Lächeln ringt, ist furchtbar und großartig.

Insofern ist zwar die Hochzeit die Vernichtung von Hoffnungen, aber sie teilte diese Hoffnungen ja nicht einmal - nach meinem Verständnis wollte sie nur eines: unglücklich sein dürfen. Dieses Recht hat sie sich durch ihre (doch etwas überzeichnete) schreckliche Mutter redlich verdient. Nach diesem letzten Schlag, das ist richtig, gleitet sie in eine manifeste Depression über, die es ihr kaum möglich macht, in das Taxi zu steigen, das sie zu ihrer Schwester bringen soll; dennoch hatte ich die Hochzeit nicht als Auslöser davon verstanden, sondern als Wendepunkt in einer letztlich durch die Krankheit vorgegebenen Entwicklung.

Dass du beim ersten Mal "Justin" statt "Justine" geschrieben hast, erinnert mich an einen Disput, den wir hier nach dem Film hatten: Waren Claire und Justine Französinnen oder anglophon? Die Namen sind ja zweifellos französischen Ursprungs, aber ich hatte den Eindruck, dass sie auch im Film französisch ausgesprochen wurden und nicht englisch, wie das ansonsten englische Umfeld nahelegte. Wie war dein Eindruck?

Lykurg
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Fr 25. Nov 2011, 15:48 - Beitrag #9

Dafür war ich gestern drin und würde entsprechend auch zu einer Threadteilung raten. ;)

Ich fand den Film ziemlich erschütternd, auch physisch, ich mußte kurz raus, um mich zu übergeben, was allerdings auch mit Biergeruch im Kino auf meinerseits nüchternen Magen zusammenhing - aber so oder so ist mir das sonst noch nie passiert. Bild Die Erschütterung war jedenfalls auch stark genug, daß fast alle Kinobesucher (= gut ein Dutzend^^) bis zum Schluß des Abspanns wortlos sitzenblieben. Sehr eindrucksvolle Bilder, besonders die Anfangsszenen, aber auch das schon von e-noon beschriebene Schauspiel. Ich denke auch, daß die Wirkung auf der großen Leinwand eine besondere ist, kann ihn mir aber schon auch in kleinerer Fassung vorstellen, und wenn es sein muß, kann man ja heute meist irgendwo auch einen Beamer beschlagnahmen. ;)

Die folgende Darstellung enthält zwangsläufig viele Spoiler...

Ähnlich wie e-noon sehe ich Justines Mann Michael als eine sehr schwache Figur, wirksam im Wesentlichen durch das, was ihm fehlt, nämlich Männlichkeit. Er ist Anhang, der fast nur durch sie Identität gewinnt, wir erfahren z.B. nicht, was er beruflich macht und lernen auch seinen familiären Hintergrund nicht kennen (ihr Job ist dagegen wichtig und sie gut darin; ihre Familie (?) wohlhabend). Er schafft es nicht, das Auto-Problem zu Anfang zu lösen; zeigt sich in der Rede-Situation zwar als Romantiker, aber eher schwach; er ordnet sich völlig den Wünschen seiner Frau unter und verläßt sie direkt nach der Hochzeit, als sie offensichtlich Hilfe braucht. Entsprechend betrügt sie ihn auch mit dem dahergelaufenen Jüngelchen Timmy. Komplexer und enger ist mE die Beziehung zu ihrem Hengst Abraham und angedeutet ihrem Schwager John (sprechender Name): als sie zu Abraham sagt, Michael sei der einzige, der sie reiten dürfe, sagt der zu spät dazukommende John sowas wie "und ich auch" - wobei mich interessieren würde, wie der Dialog in der Originalsprache lautet. Als sie John im Flur begegnet, sagt er unvermittelt: "Wir hatten doch unsere Abmachung", auch eine etwas zwielichtige Wendung, die dann in das 'du mußt glücklich sein' überführt wird. Sie schläft mit Timmy auf dem Golfplatz, eventuell da, wo am Ende (Hagel-Szene) und im Vorspann sich die Fahne zum 19. Loch befindet, das es Johns und ihrer Übereinkunft ("Wieviele Löcher hat unser Golfplatz?" - "18") zufolge nicht geben soll.

Über die Krankheitsentwicklung und die titelgebende Melancholia hinaus fand ich aber die magischen Komponenten sehr stark. Alle Männer abgesehen vom Hengst und dem Kind verschwinden mehr oder weniger gewaltsam aus der Handlung, genauso wie der Vater und "Väterchen", der Butler. Zurück bleiben Justine, Leo und Claire, die in einer Vorspanneinstellung auf der Wiese vor dem Schloß gezeigt wird (das übrigens in Schweden liegt, wie auch die Darsteller vom Typus her klar eher skandinavisch als englisch sind). Über ihnen sieht man drei Himmelskörper - Melancholia, Mond und Sonne(?) - halb, geviertelt und ganz. Hier und natürlich in der Schlußszene fand ich den magischen Anteil besonders stark, der aber auch durch Märchenelemente wie "Tante Eisenbrecher" oder das Melancholia-Lichtbad unterstrichen wird.

Die Pferde sind mir ein Rätsel geblieben, insbesondere ihr Scheuen vor der Brücke und ihr Verhalten angesichts des heraufziehenden Untergangs, insbesondere das Ende der Panik. Ihre Ruhe trifft mit dem Tod Johns bei ihnen ein, also tatsächlich Schicksalsergebenheit? Die Brückenverweigerung zu Pferde parallelisiert natürlich den Auto-Engpaß am Anfang und mit dem Golfcart zum Schluß. Sie sind von der Welt (die ja im Film überhaupt nicht gezeigt wird) abgeschlossen, ein Zufluchtsort, wie es ihr Zelt am Ende bildet, aber eben noch in einer großbürgerlichen Sphäre (Claires Vorstellung mit dem Weinglas auf der Terasse) und nicht, wie von Justine schließlich herbeigeführt, in der magischen. Die Abgeschlossenheit und den Engpaß würde ich auch psychologisch deuten wollen, erhebliche Teile des Films lassen sich als einen rein innerlichen Vorgang begreifen.

Zum permanenten Pferdewiehern im zweiten Teil kam ja als Hintergrundgeräusch noch das dumpfe Donnern von Melancholia - wie schon im Vorspann. Das Donnern war meines Erachtens für den Film völlig verzichtbar, ähnlich auch der gezeigte Aufprall am Schluß. Sehr merkwürdig dazu der Einsatz des Tristan-Vorspiels, wie auch die ganze Zeit im Film - eigentliches Thema der Oper ist ja der Liebestod, aber gerade die partnerschaftliche Liebe spielt in diesem Film keine Rolle, im Gegenteil, sie wird immer wieder explizit verweigert und als perspektivlos dargestellt - die Eltern, Timmy; die beiden Ehemänner, die die Schwestern im Moment des Scheiterns alleinlassen. Allenfalls gibt es die familiäre Zuflucht für Justine, für das Väterchen und für Leo. Die Erlösung besteht erst im Untergang, hier vielleicht die klarste Tristan-Perspektive, aber eben nicht in der Zweiheit, sondern universell, auch wenn das dem in seiner Depression gefangenen Menschen nicht sichtbar erfolgt, die Außenwelt keinen Stellenwert hat.

/Spoiler ;)

Ipsissimus
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Sa 26. Nov 2011, 13:48 - Beitrag #10

hört sich an, als müsste ich ihn mir doch noch anschauen^^

Lykurg
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Sa 26. Nov 2011, 14:27 - Beitrag #11

Ipsissimus, ich denke schon, daß es sich auch für dich lohnen könnte, und wäre gespannt auf deine Stellungnahme... du hast doch sicher auch mehr von Filme von Lars von Trier gesehen?

Ein Rezensent verglich die Bildästhetik der Anfangsszenen mit den Fotostrecken der "Vogue", um so spannender, was er daraus macht.

Ipsissimus
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So 27. Nov 2011, 11:56 - Beitrag #12

Lars von Trier, ist das nicht der Neonazi von neulich, der sich selbst aus den Reihen ernstzunehmender Filmemacher heraus katapultiert hat?^^ Scherz^^

Lykurg
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Mo 28. Nov 2011, 00:39 - Beitrag #13

Irgendwie dachte ich mir, daß das kommen würde, sobald der Name fällt... Bild Naja, er hat es ja auch wirklich provoziert, insofern selbst schuld, aber unabhängig davon, daß man über bestimmte Dinge vielleicht nicht scherzen (und sie erst recht nicht ernsthaft vertreten) sollte, ist das ja für sein Werk erst einmal unerheblich - bis zum Erweis des Gegenteils. Weniger ernstzunehmen vielleicht als Figur des öffentlichen Lebens - aber als Künstler unbedingt.

Lykurg
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So 4. Dez 2011, 12:45 - Beitrag #14

Kommt eigentlich noch was von den anderen Besuchern des Films?

Hier übrigens nochmal der Vorspann mit seinen unglaublich schönen, die Handlung in surreal veränderter Form vorausdeutenden Szenen.

Padreic
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So 11. Dez 2011, 17:11 - Beitrag #15

Danke an Lykurg und e-noon für ihre sehr interessanten Stellungnahmen - ich kann leider nichts vergleichbar treffendes, tief sehendes und ausführliches dazu sagen. Vielleicht macht sich da meine mangelnde literaturwissenschaftliche Bildung bemerkbar ;).

Ich spürte während der ersten Hälfte des Hauptteils auch eine gewisse Übelkeit in mir hochkommen, deren Ursache ich in der wackligen Kameraführung verortet habe. Diese steht wohl in der Tradition des Dogma-Films und soll wohl auch an übliche Amateur-Hochzeitsvideos erinnern. Ich fand es persönlich ein wenig übertrieben und unnötig, war aber natürlich auch hilfreich für den Kontrast sowohl zu den epischen Bildern der Einleitung als auch zu dem ruhigeren zweiten Hauptteil.

Während des Schauens fand ich Bilder aus der Einleitung doch teils etwas übertrieben; diese Einschätzung korrigiert sich aber im Nachhinein im Lichte der Psyche Justines. Geniale Züge hat die Autoszene - die Unmöglichkeit mit der Stretchlimo zum Haus zu kommen hat sowohl etwas Komisches als auch etwas (im Rückblick noch bestärktes) Beklemmendes.

Ich kann e-noon zustimmen, dass der Film mehr noch die Darstellung einer Depression als ein Weltuntergangsfilm ist. Ich bleibe jedoch bei meiner Einschätzung, den Schwerpunkt auf den Teil Claire zu legen und somit die Darstellung einer "zutiefst unglücklichen Familie" nicht so im Mittelpunkt zu sehen. Ist die Familie denn überhaupt zutiefst unglücklich? Über Justine muss man dabei nicht reden, aber ist Claire so ungewöhnlich unglücklich? Und vielleicht geht's sogar der misanthropen Mutter gar nicht mal so schlecht. Es ist alles gerade mal so viel wie es zu einer glaubwürdigen Andeutung eines großbürgerlichen Familiendramas nötig ist. Wichtiger ist jedoch, denke ich, wie die großbürgerliche Gesellschaft und auch die kapitalistische Gier (in Form von Justines Arbeitgeber) zerschlagen wird. Eine beeindruckende Szene finde ich es, wo Claire hilflos nach dem "Väterchen" sucht und auf Justines Nachfrage nicht einmal weiß, ob er Familie hat, obgleich er schon Jahre für die Familie arbeitet. Es ist nicht die großbürgerliche Welt, die die Wahrheit kennt, es ist Justine, die außerhalb der Gesellschaft steht. Den Übergang ins Magische hat Lykurg schon sehr schön beschrieben.

Michael mangelnde Männlichkeit zu attestieren, mag berechtigt sein. Aber hätte ein männlicher Mann überhaupt eine depressive Frau geheiratet? Michael ist sicherlich ein passive, eine im wörtlichsten Sinne erleidende Person, doch würde ich ihn nicht zu negativ zeichnen. Vielleicht kann man auch in seinem kleinen Weltuntergang die Parallele zum großen später sehen, in seinen gegen alle Fakten liegenden Hoffnungen, mit Justine glücklich zu werden, die Parallele zu Johns Glauben, dass Melancholia die Erde nicht trifft. Insgesamt würde ich jedenfalls sagen, dass er bei der Hochzeit mehr erlitten hat, als man von jemanden verlangen kann zu ertragen. Und es wirkte nicht, als ob Justine sehr an seiner Hilfe interessiert war.
Inwieweit Justine nur unglücklich sein wollte - interessante Frage. Aber warum hat sie dann Michael überhaupt geheiratet? Ich muss sagen, in dem Auto wirkte sie schon glücklich auf mich.

Zur möglicherweise angedeuteten Beziehung zwischen John und Justine muss ich sagen, dass ich die Stelle mit John, Justine und Abraham anders in Erinnerung habe: dass Justine sagte, dass sie die einzige sei, die Abraham reiten dürfe. Und beim Loch 19 kann man sich schon fragen, ob das ein humoristisches oder ein andeutendes Moment ist. Inwiefern siehst du, Lykurg, denn John als sprechenden Namen?

Dass der Aufprall gezeigt wurde, fand ich übrigens schon wichtig; erst das hat den Film endgültig zum totalen Weltuntergangsfilm und den lähmend-geschockten Endeindruck perfekt gemacht.

Lykurg
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Mi 28. Dez 2011, 12:39 - Beitrag #16

Padreic, ich habe nicht den Eindruck, daß es deiner Darstellung an Kenntnissen fehlte, vielleicht fehlt dir einfach nur meine Neigung zur Spekulation und freien Interpretation. Dabei sind aber die greifbaren Beobachtungen, die du bringst, sehr wesentlich.

Die Nähe der wackligen Aufnahmen zum Hochzeitsvideo ist ein sehr einleuchtender Hinweis, ich erinnere mich schon nicht mehr sicher, ob das vielleicht sogar explizit thematisiert wurde, ob z.B. das Filmen gezeigt wurde, jemand mit dem Kameramann kommunizierte oder typische "Fehler" passierten. Die anderen Teile des Films wichen stilistisch davon ab, da mir aber erst später schlecht wurde, glaube ich nicht, daß es so sehr an der Kameraführung lag, ich kann es aber schlecht einschätzen.

Ja, die Autoszene ist komisch, beklemmend und symbolisch zugleich, ich hatte ja schon psychologisierende Deutungen erwogen, dazu wäre aber auch eine sexuelle zu bedenken. Schließlich wird in der Hinsicht die Beziehung von Justine und Michael deutlich als unerfüllt dargestellt. In der Hinsicht hat die doppelte Abwesenheit von Michael und ihr Zustand als verlassene Frau für Justine quasi eine befreiende Wirkung. Ich meine schon, daß man über sie und ihren Gemütszustand reden muß, weil gerade der Umschwung aus der Tiefe ihrer Depression in die magische Entrückung und Selbstgewißheit des Schlusses eine zentrale Entwicklung des Films darstellt. Wie genau diese Veränderungen miteinander verschaltet sind, sehe ich als zentral für mein Verstehen des Films an.

Die Beschreibung der familiären Umstände ist dabei ein wichtiger Gesichtspunkt, wobei schon die Tatsache, daß der ganze Film auf Claires und Johns Anwesen spielt, der Schwester zusätzliches Gewicht verleiht. Trotz Justines offensichtlicher beruflicher Begabung scheint ihre Schwester 'alles richtig gemacht zu haben', was die Vervollkommnung einer großbürgerlichen Existenz ausmacht (einschließlich Ehemann und Kind), wobei die Eltern nur noch stören. Justines Verhältnis zu den Eltern wirkt wesentlich enger, sie ist insofern auch noch mehr Kind und verhält sich teilweise kindlich (-hedonistisch).

Du hast zwar recht, daß Michael viel auf sich genommen hat, aber wenn er sie schon länger kennt, müßten ihm (weniger schwere) Depressionsschübe vertraut sein. Damit zurechtzukommen, ist für den Partner und andere Angehörige meist schwierig, wenn sie sich nicht zur Abkapselung und Flucht entscheiden. Das mag ihm helfen und ihn erst einmal dem Geschehen entziehen, dem Untergang selbst entkommt er damit aber natürlich nicht. Dem traditionellen Eheversprechen gegenüber ist diese Flucht am selben Tag jedenfalls der größtmögliche Verstoß, und selbst wenn sie durch nichts zeigte, daß sie seine Anwesenheit wünschte, könnte Melancholia auch im übertragenen Sinn eine Folge dieses Fehlverhaltens sein. Eine Welt geht in die Brüche, und insofern hast du auch Recht damit, daß der Einschlag gezeigt werden muß.

Möglicherweise sind meine Deutungen des Films auf das Triebhafte zu einseitig, andererseits stützen viele Szenen und Motive den Eindruck, ohne eine solche Deutung verbindlich machen zu wollen. Mit dem Namen John hatte ich mich allerdings geirrt, wie ich gerade feststellen mußte...

Traitor
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Do 5. Jan 2012, 01:25 - Beitrag #17

Glücklicherweise lief "Melancholia" in einem der hiesigen Programmkinos dann plötzlich doch wieder, und ich konnte ihn mir heute nachmittag noch ansehen. Mit ganzen vier Leuten im Saal. ;)

Zuerst muss ich feststellen, dass die (mir namentlich/URLig entfallenen) Rezensenten, auf die ich mich vorab mit dem Zitat, es sei kein Weltuntergangsfilm, sondern "nur" ein psychologischer Film mit Weltuntergangssetting, offensichtlich nach Teil 1 das Kino verlassen hatten. Teil 1 ist ein abseits der Bildersprache recht konventionelles Psycho-Familien-Drama, Teil 2 dagegen exerziert den Weltuntergang oder zumindest seine psychologische Wirkung dann aber explizit durch, das lässt sich nicht leugnen.

Mit der qualitativen Einordnung von "Melancholia" bin ich mir noch nicht ganz sicher. Zuerst das große Bild: Optisch, inszenatorisch und von der Gesamtkonstruktion her ist der Film einerseits genial, andererseits auch kitischig und selbstverliebt. Darin ähnelt er dem auch ansonsten so einige Parallelen zeigenden anderen ambitionierten Großprojekt des Kinojahres 2011, "Tree of Life". Aber von Triers Selbstverliebtheit ist eine andere als die Malicks. Bei Malick machte es (obwohl der Mensch schon 68 ist) oft den Eindruck, als müsse da ein Emporkömmling unbedingt beweisen, was er alles draufhat; von Trier ("erst" 55) wirkt eher wie ein Altmeister, der sich sicher ist, allen als Genie zu gelten, und dabei etwas Gefahr läuft, aus großen Gesten leere Rituale zu machen. Beide kann man für diese Selbstverliebtheit verurteilen; mir stieß sie zwar in beiden Fällen etwas sauer auf, aber nicht so sehr, dass sie die Gesamtgenialität wirklich trüben würde.

Inhaltlich gefiel mir sowohl die Darstellung von Justines Depressionen als auch, wie dann im zweiten Teil die bisher stets mit der Rolle der Einzigen Normalen Hier belastete Claire unter der absurden Situation zerbricht. Justines Wandlung am Ende erschien mir nicht ganz schlüssig, sowohl das Ausfallendwerden gegenüber Claire als auch die Stabilisierung und Lykurgs "magische Wende", aber vielleicht klärt sich das bei einer Zweitsichtung, wenn ich auf frühere Signale einer nicht rein passiv-degenerativen Störung achte...?
Als großes Manko erscheint mir aber die familiäre Konstruktion. Der Weltuntergangsaspekt ist davon weitgehend unbelastet, aber meines Erachtens wäre "Melancholia" als Film über Depressionen deutlich stärker, hätte er Justine nicht eine so üble Familie angedichtet. Kann Depression nicht einfach eine Krankheit sein, muss sie unbedingt (wenn auch nie explizit, aber doch deutlich genug intendiert) auf kaputte Eltern zurückgeführt werden? Der senile Schürzenjäger als Vater, die absolute Monster-Mutter, das ist für diese Art Film zu überzeichnet. Da gefiel mir die Konfrontation einer psychisch gestörten Tochter mit einer eigentlich völlig normalen Familie in "Rachels Hochzeit" deutlich besser.

Schließlich muss ich noch sagen, dass ich Claire / Charlotte Gainsbourg höher einschätze als Justine / Kirsten Dunst. Die Rolle, weil sie im auf sie zugeschnittenen zweiten Teil nicht mehr mit der Restfamilie belastet ist, und weil die Dekonstruktion ihrer Lebens- und Geisteswelt für mich spannender war als die stark aufbereitete, aber letztlich triviale Depression. Die Schauspielerin, weil sie schon im ersten Teil mit ihren typisch dauerleidenden Blicken Dunst manchmal die Show stahl (obwohl deren Lächelversuche auch nicht zu verachten sind) und den zweiten Teil dann mühelos trägt. Letztlich ist Dunst eine ordentliche Schauspielerin, die hier ein einmaliges Karrierehoch zeigt, und Gainsbourg halt eine außergewöhnliche.

Und noch ein Kritikpunkt: so stark die Optik, so schwach die Musik. Viel zu aufdringlich, bombastisch und kitschig. Ich plante schon, mich über Pseudo-Wagner aufzuregen, bevor ich im Abspann sah, dass es echter war. ;)

Ach ja, natürlich musste ich in diesem Film auch auf die Physik achten, ein sehr zwiespältiges Bild. Einerseits haben sie sich mit einigen Details sichtlich Mühe gegeben (Perspektivwechsel bei den Weltraum"aufnahmen", Wetteranomalien, EM-Störung trifft erst moderne Autos, dann erst simplere Golfkarts), andererseits manches inkonsequent durchdacht (selbige Wetteranomalien, zu früh und unmotiviert Stromausfall und Luftdruckabfall) oder ganz übersehen (Gezeitenkräfte und eine halbwegs glaubwürdige Steigerung aller Effekte vor dem finalen Zusammenprall). Aber das hier nur als technische Anmerkung, für die Wertung oder Interpretation des Filmes ist das völlig irrelevant. (Außer für die Leute, die physikalische Mängel als Beweis für Imaginiertheit der ganzen Untergeherei durch die Charaktere interpretieren, sowas findet man im Internet selbstverständlich auch...)

Falls die Kritikpunkte wie üblich unverhältnismäßig viel Raum eingenommen haben sollten, nochmal die Rückbesinnung auf "Genialität" - davon hat "Melancholia" genug. Zum uneingeschränkten Lob reicht es nicht, für ein "das hat sich gelohnt" und ein lange-im-Gedächtnis-Bleiben aber definitiv.

Um den Beitrag weiter zu verlängern ;), noch ein paar Gedanken zu bisherigen Kommentaren:
Zitat von e-noon:Meiner Meinung nach zeichnet der Film in erster Linie ein Porträt einer Depression, was der Titel ja auch stark nahelegt, in zweiter Linie ein Porträt einer zutiefst unglücklichen Familie. Erst in dritter Linie ist es ein Weltuntergangsfilm
Entsprechend meinen obigen Ausführungen sehe ich Depression und Weltuntergang als in etwa gleichberechtigte Themen an, somit auch Teil 1 und 2, und die Familie definitiv nicht als wichtigen Teil, eher sogar als Störfaktor.
Zitat von e-noon:Insofern ist zwar die Hochzeit die Vernichtung von Hoffnungen, aber sie teilte diese Hoffnungen ja nicht einmal - nach meinem Verständnis wollte sie nur eines: unglücklich sein dürfen.
Diesen Wunsch sehe ich bei ihr auch von Anfang an, sie hat den Kampf schon lange vor Filmbeginn aufgegeben. Die Hochzeit ist eine letzte Chance, die sie ihrer Umwelt gibt, sie dazu zu überreden, noch etwas anderes zu wollen. Für einen kurzen Moment glaubt sie, das könnte klappen (und wirkt deshalb im Auto authentisch, wenn auch fragil, glücklich, wie Padreic beobachtete), aber das entpuppt sich schnell nichtmal als trügerische Hoffnung, sondern als eine, die sie wohl auch für diese Kürze nichtmal ernsthaft hatte, sondern nur (auch für sich selbst?) spielte.
Zitat von e-noon:Dass du beim ersten Mal "Justin" statt "Justine" geschrieben hast, erinnert mich an einen Disput, den wir hier nach dem Film hatten: Waren Claire und Justine Französinnen oder anglophon? Die Namen sind ja zweifellos französischen Ursprungs, aber ich hatte den Eindruck, dass sie auch im Film französisch ausgesprochen wurden und nicht englisch, wie das ansonsten englische Umfeld nahelegte. Wie war dein Eindruck?
In der deutschen Version wird "Justine" eindeutig "Dschastine", also englisch, ausgesprochen, nicht französisch "Dschüstihn". "Claire" ist als französisch "Klehr" oder englisch "Klähr" nicht gut genug unterscheidbar, um es klar (pardon ;)) zuzuordnen.
Zitat von Lykurg:dem Schloß gezeigt wird (das übrigens in Schweden liegt, wie auch die Darsteller vom Typus her klar eher skandinavisch als englisch sind)
Das Taxi wird mit Dollarscheinen bezahlt, also soll das Schloss im Film wohl in den USA stehen. Dazu passen auch Namen und Verhaltensweisen der Figuren, wenn auch die (Neben-)Schauspieler aus produktionstechnischen Gründen skandinavischen Einschlag haben. Warum auch in einer europäischen Produktion die Welt in Amerika untergehen muss, sei dahingestellt...
Zitat von Lykurg:...er [Michael] ordnet sich völlig den Wünschen seiner Frau unter und verläßt sie direkt nach der Hochzeit, als sie offensichtlich Hilfe braucht. Entsprechend betrügt sie ihn auch mit dem dahergelaufenen Jüngelchen Timmy.
Definitiv betrügt sie ihn zuerst, danach verlässt er sie. Und spekulativ würde ich sogar sagen, dass angedeutet wird, dass er sie dabei beobachtet hat - er steht auf dem Balkon, und die Ausleuchtung war gut genug. Dann könnte man ihm, allen vorhergehenden Schwächen zum Trotz, die Abreise nun wirklich nicht übel nehmen.
Zum Reiten-Dialog siehe Padreic, dessen Version kann ich bestätigen. Das wäre dann also wenn schon eine angedeutete Beziehung der beiden Männer.
Zitat von Lykurg:...fand ich aber die magischen Komponenten sehr stark.
Um Magie als Wirkprinzip in den Film hineinzuinterpretieren, fehlen mir die Anhaltspunkte. Die von dir genannten optischen Effekte sehe ich rein als solche, der eher an Gemälde- als an Filmästhetik angelehnte Vorspann sorgt für eine gewisse Distanzierung der (auch später) gezeigten Bilder und der erzählten Realität. Nicht alles, was der Zuschauer sieht, würde ein unbeteiligter Beobachter in der Filmwelt (z.B. ein Hausbediensteter) auch so sehen, manches symbolisiert nur Inneres der Hauptfiguren.
Was war der tiefere Sinn von "Tante Stahlbrecher"? Ein Übersetzungsfehler, eine Märchenanspielung, die ich nicht verstehe, oder einfach ein Fall von "dem Zuschauer nicht jeden Charakterhintergrund erklären wollen"?
Zitat von Lykurg:Das Donnern war meines Erachtens für den Film völlig verzichtbar, ähnlich auch der gezeigte Aufprall am Schluß.
Zustimmung, die Schlusszene fand ich eher schwach, ein Ausblenden kurz vorher, mit den "Eingehöhlten" vor dem nahen Planeten, hätte der Endgültigkeit kaum geschadet, aber den Einbruch banaler Tricktechnik verhindert.
Zitat von Padreic:Dass der Aufprall gezeigt wurde, fand ich übrigens schon wichtig
Dann hätte er aber irgendwie besser inszeniert werden müssen, mit dieser Standard-CGI-Feuerwalze passte die Endszene überhaupt nicht zum restlichen Film und warf die Totalität meines Erachtens sogar eher auf eine gewisse Banalität zurück.
Zitat von Lykurg:Die Nähe der wackligen Aufnahmen zum Hochzeitsvideo ist ein sehr einleuchtender Hinweis, ich erinnere mich schon nicht mehr sicher, ob das vielleicht sogar explizit thematisiert wurde, ob z.B. das Filmen gezeigt wurde, jemand mit dem Kameramann kommunizierte oder typische "Fehler" passierten.
Explizit thematisiert wurde da nichts (im Gegensatz zum oben genannten "Rachels Hochzeit"), das Gewackel dürfte ein reines Überbleibsel alten von-Trier-Stils sein. Schlimm fand ich es nicht, da hat man vor 1-2 Jahren regelmäßig schlimmeres gesehen.
Zitat von Lykurg:Du hast zwar recht, daß Michael viel auf sich genommen hat, aber wenn er sie schon länger kennt, müßten ihm (weniger schwere) Depressionsschübe vertraut sein.
Irgendwann recht früh verspricht Justine Claire, Michael "nichts davon zu sagen". Das klang für mich nicht nur auf den aktuellen Schub bezogen, sondern auf ihre generelle Erkrankung. Dazu passt auch, dass er selbst später nur davon redet, dass sie unter seinen tollen Apfelbäumen sitzen könne, "wenn du wieder traurig bist". Er dürfte also gar nicht wissen, dass sie medizinisch depressiv ist, sondern sie nur als etwas übersensibel einschätzen. Ob sich das mit gezielter Geheimhaltung und großer Naivität seinerseits glaubwürdig erklären lässt? Naja. Aber wir wissen ja eh nichts über ihre Vorgeschichte, vielleicht lebten sie nichtmal zusammen. Dann vielleicht ja.

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Do 5. Jan 2012, 11:24 - Beitrag #18

Lykurg, ich finde es recht normal, dass man sich auch den Abspann anschaut, gerade bei Programmkinofilmen ist das auch üblich.

Den Film selbst finde ich auch faszinierend, der zunächst kommentarlose Zusammenstoß zweier Planeten, zusammen mit dem Stillstand auf der Erde. Eine wunderbare sureale Kulisse - und dann der Schnitt zu der doch recht peinlichen Limousinenaktion, eine generische Albernheit, wie sie dann und wann im Film wieder auftaucht. Hier wird meiner Meinung aber schon der Gatte von Justine sehr klar gezeichnet. Er ist erfolgsverwöhnt und kritisiert auch gerne, ohne viel beizusteuern. Auf der anderen Seite versucht er aber gegenüber Justine nett zu wirken - er zeigt Verständnis, ist aber zugleich verständnislos.

Ob er Justine aber verlässt, da bin ich mir nicht sicher, der Fall ist kompliziert. Die endgültige Trennung im Film ist sehr plump ("Es hätte so schön werden können"), auf der anderen Seite macht er ihr aber auch viele Angebote, aber nicht konsequent genug, nicht tiefgehend genug, seine Trinkszene ist ein gutes Beispiel, Justine heitert er auf, aber er löst keine Probleme.

Was ich aber gerne thematisieren möchte ist folgendes: Der Vorspann, die totalste Vernichtung, Teil I, Justine wirft in ihrer Depression gewissermaßen alles weg, was sie hat, sie isoliert sich. In Teil II nimmt sie, meine ich, klar nihilistische Züge an, sie behauptet, das Leben auf der Erde sei das einzige im Universum, untermauert ihre These mit der richtigen Anzahl Linsen im Glas. Ich fühle mich hier an Nietzsches "Über Wahrheit und lüge im außermoralischen Sinne" erinnert.

Traitor
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Do 5. Jan 2012, 11:54 - Beitrag #19

Hängt davon ab, wer im Programmkino sitzt. Bei Studenten und nach französischen Existentialisten aussehenden Mittvierzigern ist Sitzenbleiben Standard, Renterpaare und proseccosaufende Damenkränzchen dagegen drängen so schnell, laut und nervig nach draußen wie generischer Pöbel im Normalkino.

Stillstand auf der Erde? Als Abwesenheit von Vorwärtskommen ist es meinetwegen Stillstand, ich sehe aber doch deutlich eher das Gegenteil von Vorwärtskommen, eine negative, aber durchaus dynamische Entwicklung. Justines Krankheit wird immer schlimmer, Claire fällt aus einer soliden Existenz heraus.

Michael meint es zumindest gut, neben Claire wohl als einziger im Film.

Ach ja, das Linsenargument. (Oder waren es nicht Bohnen?) Wenn man nicht als Axiom setzen will, dass die Kamera alle wesentlichen Aktionen Justines am Hochzeitsabend gezeigt hat, ist eigentlich naheliegend, dass sie einfach den Planer gefragt hat, als ihr gerade langweilig war. Allerdings könnte man auch sagen, dass sie in ihrem komisch erleuchteten Zustand am Ende wohl nicht mehr primitiv lügen würde, nur, um ihr "Wissen" glaubwürdiger zu machen. Da müsste man jetzt wissen, wie von Trier generell zu magischem "Wissen" steht.

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Do 5. Jan 2012, 13:10 - Beitrag #20

... mit dieser Standard-CGI-Feuerwalze passte die Endszene überhaupt nicht zum restlichen Film und warf die Totalität meines Erachtens sogar eher auf eine gewisse Banalität zurück.
mutmaßlich die Banalität des Todes^^

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