Tod eines Kritikers - Roger Ebert

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Traitor
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So 7. Apr 2013, 12:34 - Beitrag #1

Tod eines Kritikers - Roger Ebert

Nein, um Walser geht es mir nicht, und ich will auch keine Verschwörungstheorien verbreiten, der Titel bot sich nur so an. ;)

Zur Sache also: vor 3 Tagen ist der "Filmkritikpapst" Roger Ebert verstorben. Egal, wie man zu seinen Meinungen und seinem Stil steht, ist sein Einfluss auf die Kinogeschichte wohl kaum zu unterschätzen.

Und um das "egal, wie" doch anzugehen: so richtig schlau bin ich aus Eberts Geschmack nie geworden. Meistens verdammte er Blockbuster und gab sich als Anwalt gehobenen Anspruchs, aber in beide Richtungen hatte er so viele Ausreißer, dass sie auch schon fast wieder System hatten. Vermutlich ist der Schlüssel dazu aber diese Richtlinie, die mir bisher bei ihm gar nicht bewusst war:
Zitat von enWP:Ebert described his critical approach to films as "relative, not absolute"]When you ask a friend if Hellboy is any good, you're not asking if it's any good compared to Mystic River, you're asking if it's any good compared to The Punisher. And my answer would be, on a scale of one to four, if Superman is four, then Hellboy is three and The Punisher is two. In the same way, if American Beauty gets four stars, then The United States of Leland clocks in at about two.
[/QUOTE]

Sehr interessant natürlich auch "I am uninterested in being 'consistent.'"...

Ipsissimus
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Mo 8. Apr 2013, 14:59 - Beitrag #2

aus meiner Sicht ist das eher selbstverständlich ... da wir über keine objektive absolute Referenz für künstlerische Qualität verfügen, können wir Kunst im Prinzip nur in Relation zu anderer Kunst desselben Sujets bewerten. Wenn uns das Bewerten schon so im Blute liegt^^

Mit "artistically inept" scheint er aber zumindest eine absolute Grenze nach unten zu ziehen, wo auch immer er sie hernimmt, und mit "morally repugnant" lässt er etwas einfließen, das in der Bewertung von Kunst eigentlich nichts zu suchen hat, in der Praxis aber wohl trotzdem viel zu häufig zum Tragen kommt.

Lykurg
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Mo 8. Apr 2013, 16:11 - Beitrag #3

Ja, an der Stelle ("morally repugnant") stockte mir auch der Atem bei einer ansonsten vernünftig und - aus meiner heutigen Sicht - selbstverständlich scheinenden Bewertungsgrundlage. Ob er eine künstlerische Grenze nach unten tatsächlich so absolut zieht oder nur nachträglich aus seinen 0-Sterne-Vergaben herausliest, kann von mir aus auch offen bleiben.

Wer aber hinreichende Reputation als Kritiker hat, kann letztlich auch Urteile fällen, wie er möchte, die Fans werden sich ihr eigenes Auslegungssystem dazu erstellen.^^

Ipsissimus
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Mo 8. Apr 2013, 16:31 - Beitrag #4

ich kann mir schon vorstellen, dass es Fälle gibt, wo das "morally repugnant" als quasi letzte Rückzugslinie axiomatisch aufrecht erhalten werden muss, wenn zum Beispiel plötzlich unerhört ästhetische Fotographien von kinderpornographischen Situationen unter der Freiheit von Kunst laufen sollen, oder vor einigen Jahrzehnten, als erstmals Splatterfilme mit echten Morden, die eigens für diese Filme begangen wurden, auftauchten. Ich vermute allerdings, dass der Kunstaspekt in solchen Fällen ohnehin vollständig irrelevant ist.

Lykurg
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Mo 8. Apr 2013, 19:05 - Beitrag #5

Ich denke auch, daß diese Filme - auch aufgrund des irrelevanten Kunstaspekts, aber vor allem aus rechtlichen Gründen - keine Chance haben, in gewöhnlichen Medien rezensiert zu werden. Bei diesen Inhalten liegt nahe, daß Verbreitung und ggf. sogar Besitz dieser Filme strafbar ist; die Kritik setzt Besitz nicht unbedingt voraus, legt ihn aber nahe, und ist darüber hinaus eine Form von Verbreitung bzw. regt dazu an. Von daher verbietet sich eine solche Kritik von selbst, wenn sie nicht schon verboten ist. Dementsprechend würde ich aber annehmen, daß die ausdrückliche Nennung des Kriteriums Moral bedeutet, daß es eher restriktiv angewandt wird.

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Mo 8. Apr 2013, 19:42 - Beitrag #6

bei solchen Filmen sehe ich das auch unproblematisch, das sind höchstens Beweismittel, aber keine Kunst. Aber sind z.B. die Fotos (und davon abgeleitete Filme, die sich adäquater Ästhetik bedienen) von David Hamilton schon Kinderporno oder noch Kunst? Und wenn sie noch Kunst sind, wie niedrig darf das Alter noch werden? Oder kann "Kinderporno" eine Kunstform sein?

Traitor
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Di 9. Apr 2013, 22:59 - Beitrag #7

Die entstandene Diskussion über Kunst und Pornographie habe ich hierhin abgetrennt. Im folgenden Zitate, die doch noch zu Ebert gehörten:

Zitat von Ipsissimus:Und damit diese Grenze nicht von willkürlichem persönlichem Kunstempfinden überschrieben werden kann, muss es Kriterien geben.
Zitat von Lykurg:Schon, das sehe ich auch so. Ich habe aber nicht den Eindruck, daß Ebert einen kinderpornographischen Film überhaupt kritisiert und (mit null Sternen) bewertet hätte. Auf dieser Seite lassen sich seine Kritiken auch nach vergebenen Sternen filtern. Ich weiß nicht, ob die Auflistung vollständig ist, aber unter den sichtbaren Nullsternern ist keiner, den ich auf den ersten Blick als auch nur grenzwertig illegal einschätzen würde.

Interessant ist vielleicht seine 0-Sterne-Bewertung für "The Devils" (1971), die anscheinend nicht mit einer Rezension verbunden war. Wollte er dem Film diese Aufmerksamkeit nicht gönnen? Laut Wikipedia handelt es sich dabei um einen seinerzeit höchst umstrittenen Nunsploitation-Film mit wilden Orgien, Blasphemie etc., der Film wurde dementsprechend in englischsprachigen Ländern mit X bewertet und in diversen anderen, unter anderem Italien, verboten. Desungeachtet erhielt der Film in Venedig (!) einen goldenen Löwen für die beste ausländische Regieleistung]
Zitat von Ipsissimus:ich wollte damit auch nicht behaupten, das Eberts Kriterien valide sind. Nur dass es Kriterien geben muss, scheint mir evident.
Zitat von Lykurg:Darin gebe ich dir Recht, Ipsissimus - jedenfalls für jemanden, der sein Geschäft so ernst nimmt wie Ebert. Wenn er diese Kriterien offenlegt, finde ich sie auch nicht weiter problematisch, eben eine solche Überprüfung moralischer Maßstäbe wird ja dadurch gerade erst ermöglicht.

Ipsissimus
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Fr 19. Apr 2013, 15:31 - Beitrag #8


janw
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Fr 19. Apr 2013, 19:55 - Beitrag #9

Zitat von der Freitag:Anders als Marcel Reich-Ranicki – die einzige ungefähre Vergleichsgröße als Kritiker-Institution, die wir hierzu-lande haben – war er aber kein Populist, der sich Applaus billig abholt und gerade die eigene Borniertheit gegen das Schwierige ausspielt.

Wird das Reich-Ranicki gerecht? Er war streitbar, aber ein Populist? Holte er sich Applaus billig ab?

Mir scheint, Literatur- und Filmkritik sind vielleicht nicht so gut zu vergleichen, wie es hier impliziert wird.
Der Film, der amerikanische zumal, ist von vorneherein kommerziell organisiert und setzt sich damit nicht nennenswert auseinander, aus Kritikersicht satisfaktionsfähige Literatur kämpft demgegenüber deutlich stärker mit dem Problem, Geld verdienen zu müssen, ohne etwas Wesentliches aufzugeben.

Lykurg
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Sa 20. Apr 2013, 06:58 - Beitrag #10

Doch, dem kann ich schon in Teilen zustimmen - ich habe relativ selten seine Kritiken gesehen, weil ich seinen Stil nicht mag, er ist mir zu polemisch. Borniert ist vielleicht ein bißchen viel, aber von sich eingenommen in jedem Fall. Den Eindruck hatte ich bei den jetzt gelesenen Ebert-Kritiken weniger.

janw
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Sa 20. Apr 2013, 12:26 - Beitrag #11

Gut, von sich eingenommen sicher, so wirkte er nicht nur in der Art des Umgangs mit Kolleginnen im "Literarischen Quartett", wenn diese eine andere Meinung hatten.
Kann man aber sagen, die Medien haben ihn durch Focussierung auf ihn dazu gemacht^^ ;)


Aber davon mal weg.
Ich sehe, daß Ebert "Moderne Zeiten" nur mit einem oder keinem Stern gewürdigt hat, damit vergleichbar z.B. mit "Dirty Dancing" - nachvollziehbar?


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