Medicus

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Ipsissimus
Dämmerung
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Fr 3. Jan 2014, 20:02 - Beitrag #1

Medicus

Abgetrennt aus dem Kinojahr 2013 - Traitor

war letzte Woche mit meinem Schätzle in "Der Medicus", nach dem Roman "The Physician" von Noah Gordon.

Die Verfilmung folgt der Vorlage nur sehr locker und abkürzend, ist aber in sich konsistent. Historisch darf jederzeit hinterfragt werden, ob die gezeigte Völkerverständigung zum Nutzen der medizinischen Forschung so funktioniert hätte, wie auch insgesamt die Überwindung der gezeigten Hindernisse etwas zu glatt gestrickt war. Auch die gezeigte Operation der "Seitenkrankheit" (Wurmfortsatzentzündung) darf als fraglich gelten, wenn der gerettete Schah von Persien nicht ein paar Stunden später auf dem Schlachtfeld getötet worden wäre, wäre er wohl an einer Bauchfellentzündung gestorben^^

Aber das haben wir der Fiktion mal durchgehen lassen, zumal die Unterhaltung gestimmt hat. Und auch die Darstellung der Bekämpfung der Pest sachlich überzeugen konnte, das hätte so wohl auch in der Realität funktioniert, genau wie viele andere gezeigte kleine medizinische Vorgehensweisen.

Nur der Teil mit den islamischen Fundamentalisten war schon arg anbiedernd, da hat der Film die Vorlage zum eigenen Nachteil verlassen. Auch dass der "wahre und unverfälschte Bösewicht" in der Geschichte bereits bei seinem ersten Auftreten anhand seiner Physiognomie eindeutig zu erkennen war, passiert in der gezeigten Form nur noch in Hollywood-C-Movies oder deutschen Produktionen.

Insgesamt aber ein bemerkenswerter Versuch, mit deutschen Mitteln Hollywood zu kopieren. Und, wie gesagt, durchaus gute Unterhaltung, wenn man mit Stereotypen klar kommt. Schauspielerisch herausragend gut Ben Kingsley als Meister, während Tom Payne eher unter seinen Möglichkeiten blieb, was aber der Anlage seiner Figur zuzuschreiben ist. Und das Happy End der epischen Liebe zwischen Christ und Jüdin versöhnte schließlich alles^^

Milena
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Sa 4. Jan 2014, 01:09 - Beitrag #2

war auch mit schätzle im medicus^^ und es war ein unterhaltsamer film. zum einen ist für mich ein kinobesuch immer sehr spannend, da ich nicht mehr so oft dort bin und zum anderen, weil ich dort gemeinsam mit ihm bin...^^
der medicus hat mir gefallen, doch würde ich nicht ein zweites mal reingehen wollen (macht wohl auch keiner in der regel), weil es war alles irgendwo vorhersehbar. ich wusste eigentlich immer, was nun passieren wird. Ben Kingsley war für mich eindeutig das beste am film, gefolgt von dem schah, der sehr gut aussah obendrein^^.
die nachtvorstellung hatte was für sich, ebenso die doppelte portion popcorn und trinkbecher..sry, ich schweife ab...
vielleicht werde ich das buch dazu noch lesen...es wäre interessant zu vergleichen....

Lykurg
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Sa 4. Jan 2014, 01:47 - Beitrag #3

Hab das Buch als Jugendlicher gern gelesen, spannender Abenteuerroman halt mit ein paar Anklängen historischer Hintergründe, las sich gut genug, um auch den beiden Fortsetzungen eine Chance zu geben (die allerdings abfielen). Vorhersehbarkeit und recht unwahrscheinliche Ereignisse sind ja schon fast eine Konstante des Genres, da hat der Film im Zweifel gar nicht mehr so viel ändern müssen. Gesehen habe ich ihn noch nicht, Kino muß auch nicht sein, vielleicht irgendwann mal in Zweitverwertung.

Traitor
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Mo 6. Jan 2014, 13:36 - Beitrag #4

@Lykurg: Als Zweitverwertung ist wohl ein TV-Zweiteiler gedacht, in Addition eine Stunde länger als die Kinofassung. Kommt mir auch attraktiver vor.

@Ipsissimus: Wenn Ben Kingsley das beste am Film ist, drängt sich natürlich die Frage auf, ob Ben Kingsley ein "deutsches Mittel" ist. ;)

janw
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So 12. Jan 2014, 22:39 - Beitrag #5

Ich war gestern auch im Medicus, im Wesentlichen gleiche Beurteilung wir Ipsi.
Es passen IMHO allerdings einige Dinge nicht zusammen: War Kirche nicht jederzeit dahinter her, ihre Klöster mit Bibelabschreibern und Betern zu füllen? Ließen Grundherrn die Kinder ihrer Untertanen einfach so abhanden kommen? Für den Bildungsstand des jungen Mannes finde ich den Entschluss, alleine nach Persien zu gehen, recht ambitioniert.
Der junge Mann ist dann aber verdammt gut Straßenräubern und anderen Häschern entgangen und hat dann verdammt schnell hebräisch, arabisch und später Farsi gelernt, ohne daß man ihn von der jeweils anderen Seite her verstanden hätte.
Alles nur Abweichung von der Vorlage, oder fantasievolle Vereinfachung eines amerikanischen Autors?

Die Problematik des islamischen Fundamentalismus ist, denke ich, ein wenig verdreht dargestellt: Es gab diesen Dissens zwischen Fundamentalisten und Liberalen wohl schon damals, aber dominierende Konfliktlinie war wohl der Dissens zwischen Sunniten und Schiiten.
Die Seldschuken waren zu der Zeit gerade dabei, ihr Reich auszuweiten, 1051 wurde Isfahan erobert.

Ipsissimus
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Mo 13. Jan 2014, 12:38 - Beitrag #6

Die gesamte Konstruktion hätte nicht funktioniert, Jan, wenn der Regisseur sich mit historischer Plausibilität belastet hätte. Das war schon im Roman fraglich, aber der hat sich immerhin noch ein bisschen Mühe gegeben, zu verschleiern, dass es bei der Darstellung nur um heutige Zeitgeistigkeit geht. Diese von Grund auf emanzipierte und aufgeklärte Haltung bei Christen und Juden im 11ten Jahrhundert - vergiss es ersatzlos. Nur sind Dummchen vom Dorf heute schlechte Identifikationsfiguren und gelten als wenig sexy, was die Besucherzahlen dramatisch beschnitten hätte. Also müssen in diesen Pseudo-Historienfilmen Leute mit dem Duktus des 21ten Jahrhunderts in bunter Verkleidung rumlaufen. Auch die Liebesbeziehung zwischen Tom und Rebecca - im Original mit seiner schottisch-christlichen Mary - ist völlig losgelöst von historischer Plausibilität.

Wenn überhaupt, hätte man eine aufgeklärte Gundhaltung damals im Islam gefunden, aber der muss ja im Sinne aus heutiger Sicht plausibler Bösewichte zumindest gespalten sein.

janw
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Di 14. Jan 2014, 01:49 - Beitrag #7

Ipsi, dieses Verhältnis zur Realität hatte ich befürchtet. Wahrscheinlich wäre es wirklich schwer verkaufbar, Menschen im geistigen Hobbit-Format^^

Lykurg
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Di 14. Jan 2014, 15:37 - Beitrag #8

Wahrscheinlich wäre es wirklich schwer verkaufbar, Menschen im geistigen Hobbit-Format^^
Böse gesagt - warum sind Reality-Shows dann so erfolgreich? - Ich denke nicht, daß wir uns den Durchschnittsmenschen des Mittelalters primitiver vorstellen müssen - anders sicherlich; den Gegebenheiten seiner eigenen Zeit aber deutlich besser angepaßt als unsereins. Aber ich denke, all die Kleinigkeiten kultureller Differenz - z.B. die genauen Kenntnisse, wie demutsvoll man welcher Art von höhergestellten Persönlichkeiten zu begegnen hat, jenseits von "zu Boden werfen ist immer gut^^"; wie stelle ich die Dinge, die ich zum täglichen Überleben brauche, selbst her, wie baue ich ein Haus, wie schlachte ich Kleinvieh, etc. - bedingen eine völlig andere Lebenssituation, deren Herausforderungen ich nicht unterschätzen würde. Unsere wohl tatsächliche Überlegenheit, was geistige Datenverarbeitung angeht, unser Mehrwissen durch Schule etc. verdanken wir dem gewaltigen Zeitvorteil, der aus gesamtgesellschaftlicher Arbeitsteilung entsteht. Dadurch allerdings wären wir, auf uns allein gestellt, weitaus hilfloser als ein Mensch des Mittelalters.

janw
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Di 14. Jan 2014, 17:03 - Beitrag #9

Lykurg, mein Vergleich war vielleicht nicht ganz treffend.
Der maßgebliche Unterschied besteht IMHO weniger in den praktischen Fähigkeiten und Fertigkeiten, als in der Vorstellung vom Menschen in der Welt.
Wenn wir heute noch in irgendeiner Weise religiös glauben, ist es in meinen Augen etwas deutlich anderes als die unmittelbare Glaubensgewissheit, das Geglaubte ist so, die nach meinem Eindruck im Mittelalter geherrscht hat.
Und das wird sich auch hinsichtlich des Umgangs mit anderen Kulturen ausgewirkt haben.

Wobei allerdings...Marco Polo - waren Händler in dieser Hinsicht weiter? Oder gab es ein Gefälle, vom Rande Europas nach Italien mit dortigen Relikten der römischen Aufklärungstradition? War das Mittelalter dort ein anderes?

Lykurg
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Di 14. Jan 2014, 17:31 - Beitrag #10

Meines Erachtens gilt ganz klar beides: Wir haben einen Reflektionsgrad erreicht, der dem mittelalterlichen Menschen abgeht; der Komplexitätsgrad damaliger Scholastik ist nicht wesentlich höher als der einer heutigen Tageszeitung. Dies mit einer verlorengegangenen Spiritualität aufzuwiegen fällt mir schwer, auch da die - wie du es selbst ja andeutest - in mancher Hinsicht eher ein Lernhemmnis dargestellt haben dürfte.

Aber ja, selbstverständlich gab es Zentren und Randgebiete des Wissens, Universitätsstädte wie Bologna, Paris, im Sinne des 'Medicus' auch Salerno, und Klöster mit reichausgestatteten Bibliotheken (teilweise mit hunderten von Büchern!) standen ganze Landstriche gegenüber, in denen kaum ein Mensch lesen konnte, und wo das Wissen um den Rest der Welt geringer war als heute in Kansas. Händler trugen dazu bei, Wissen zu vermitteln, hatten sicher einen weiteren Blickwinkel als manche anderen; und die Nähe zu römischen Relikten, zentral natürlich auch das Vermächtnis Konstantinopels, bedingte eine andere Wissensbasis als im Norden. Insofern (wie auch zeitlich) kann von einem 'einheitlichen' Mittelalter kaum die Rede sein, dein Hinweis ist gut und wichtig.

Möglicherweise wäre es allerdings schwierig, uns, die wir eher an Filme aus Hobbitperspektive gewöhnt sind, einen Einblick in das Universalerlebnis Mittelalter zu geben, ohne uns völlig ratlos zurückzulassen... ;)

Traitor
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Do 16. Jan 2014, 23:11 - Beitrag #11

Hmpf, da ist ja fast schon wieder die nächste Spaltung fällig, Richtung Politik-Geschichte-Philo...
Zitat von Lykurg:der Komplexitätsgrad damaliger Scholastik ist nicht wesentlich höher als der einer heutigen Tageszeitung.
Mutige Aussage - ich wünschte, es käme zu einer Antwort von Thod darauf...
Zitat von janw:Menschen im geistigen Hobbit-Format^^
Das geistige Format von Hobbits ist zwar auch leicht fremdenfeindlich, aber sehr (mahlzeiten- und) friedliebend und ausgeglichen, also nicht unbedingt ein gutes Echtes-Mittelalter-Vorbild.

Mit Marco Polo hat man mich jetzt zeitlich ziemlich verwirrt - ich wollte schon einwerfen, zu dessen Zeit sei die islamische Aufklärung doch schon lange vorbei gewesen und die Darstellung also vielleicht doch nicht so falsch. Da der Medicus aber doch schon 300 Jahre vor Marco spielen soll, müsste das von Ipsissimus geschriebene so stimmen.

Padreic
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Sa 18. Jan 2014, 03:10 - Beitrag #12

@Lykurg:
Möglicherweise wäre es allerdings schwierig, uns, die wir eher an Filme aus Hobbitperspektive gewöhnt sind, einen Einblick in das Universalerlebnis Mittelalter zu geben, ohne uns völlig ratlos zurückzulassen...

Wäre nicht der ideale Historienfilm schon sehr nach am 'völlig ratlos zurücklassen'? Ein Film, der uns Anstrengungen abnötigt, uns aus unserer Denkperspektive hinauszuhiefen, ein Stück weit in eine andere hinein? Historienfilme, auf eine Zeit von mehr als 300 Jahren hin, die auch nur ein ernsthaftes Bemühen zeigen, darzustellen, wie es wirklich war, statt Klischees zu bemühen, dürfte eine Rarität sein.

der Komplexitätsgrad damaliger Scholastik ist nicht wesentlich höher als der einer heutigen Tageszeitung.

Wenn sich 'damalig' auf das 11. Jh. bezieht, wo der Medicus spielt, dann ja. Wenn es Richtung Hoch- und Spätmittelalter geht (ich denke dabei insbesondere an Duns Scotus), möchte ich doch sehr gerne wissen, welche Tageszeitung du da liest, die 'Systemtheoretische Rundschau' oder doch 'Habermas heute'?
Ich denke, mangelnde Komplexität war niemals das Problem der Scholastik. Ihr Problem sehe ich vielmehr darin, dass sie nicht kritisch genug mit ihren ureigensten Grundlagen umging.

Ich würde auch weder den Reflektionsgrad eines heutigen Durchschnittsmenschen überschätzen, noch den eines mittelalterlichen Menschen überschätzen wollen. Wer nichts mehr glaubt, glaubt an alles, wie man sagt, und kritisch zu sein, heißt noch lange nicht, reflektiert zu sein. Man kann sehr reflektiert an etwas falsches glauben und ohne jede Reflektion das richtige sagen (und der Trend geht mit gesammelter gesellschaftlicher Erkenntnis bei gleicher Reflektionsunfähigkeit dazu, das richtige zu sagen). Zudem: Unseren eigenen Reflektionsgrad zu beurteilen, mag uns ohnehin schwer fallen, gern überschätzt man sich da. Auch wir sind allzu oft in unseren Denkmustern gefangen, wissen nur wenig über Alternativen und schätzen diese auch noch gering, auch wenn sie auch nicht weniger Berechtigung haben mögen. Der "mittelalterliche Mensch" (den es so natürlich nicht gab) wird einiges gewusst, was uns abgeht. "Wie kann man nicht wissen, ob sich die Erde um die Sonne dreht oder umgekehrt?" - da kann man genauso gut fragen: "Wie kann man täglich Brot essen und nicht mal wissen, wie man Weizen anbaut?" Und der alte Duns Scotus wird ohnehin einen Reflektionsgrad gehabt haben, der den aller anwesenden übersteigt...

Zum Buch übrigens: Das hat mir übrigens als Jugendlicher durchaus gut gefallen, spannend geschrieben, zugleich mit historischem Kolorit. Zum Film kann ich mich nicht äußern und werde mir ihn auch sicherlich nicht im Kino ansehen.


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